dialog im aktsaal

AZ am Wochenende: AUF EIN WORT


Dialog

Paolo Bianchi

Kaum ist ein Krieg vorbei, kommt schon die nächste Krise. Da passt kein Dialog. Also gerade deshalb die sanfte Verschwörung für ein kollektives Denken, für die direkte Begegnung von Angesicht zu Angesicht. In einer Zeit der fortschreitenden Abstraktion und der digitalen Bilder ist das Beharren auf Auseinandersetzung, inkl. das Chaos alltäglicher Erfahrung, ein radikaler Wunsch.

In Zürich trifft sich einmal im Monat, jeweils am 2. Freitag, eine kleine Gruppe von spannenden Personen zum Dialog im Aktsaal an der Hochschule für Gestaltung und Kunst an der Ausstellungsstrasse 60 im Kreis 5. Der Aktsaal ist, sagen die Architekten, der schönste Raum im Haus. Nackte Schönheiten aus fernen Ländern posieren dort vor der Schweizer Fahne, und das sogar vormittags. Die pensionierten Bankprokuristen geniessens. Beim Dialog im Aktsaal zeigen sich alle nackt. Sie ziehen nicht ihre Kleider aus, sondern das Korsett ihrer fixen Ideen. Sie lernen, wenn jemand etwas Idiotisches sagt, nicht gleich zu maulen: "Du Idiot!", sondern die Dinge in der Schwebe zu halten.

Beim Dialog im Aktsaal gehts um Kommunikation pur, gehts darum, etwas Neues zu erschaffen, uneingeschränkt und vorurteilsfrei zuzuhören, ohne sich gegenseitig beeinflussen zu wollen. Im Dialog reden wir darüber, was Dialog bedeutet. Wenn "dia" für durch steht, so interessiert und der freie Sinnfluss, der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fliesst. Während die Diskussion mit Perkussion zu tun hat, mit zerschlagen, zerteilen und zerlegen, will der Dialog das Zusammenspiel fördern. Ping-Pong spielen, nicht um zu gewinnen, sondern um zu schauen, wie lange der Ball im Spiel gehalten werden kann.

Der Aktsaal, der nackte Raum steht für einen leeren Raum, in dem über alles geredet wird. Das Grundprinzip lautet: sich die Annahmen der anderen anhören. Nicht die Antwort zählt, sondern das Nachgiebigwerden, das Öffnen des Geistes und das Beachten aller Meinungen. Dialog meint die Annahmen gemeinsam zu überprüfen und zu lockern. Der Akt der Gewalt verwandelt sich so in einen Akt des Auf-einander-eingehens.

26-11-01