Weizenbaum, J.: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977
siehe auch Eliza
Ich hatte selbstverständlich gewusst, dass sich Menschen in der unterschiedlichsten Weise mit Maschinen wie etwa
Musikinstrumenten, Motorrädern und Autos emotinal verbunden fühlen. Und aus langer Erfahrung wusste ich, dass die starken emotionalen Beziehungen, die bei vielen Programmierern zu ihren Computern bestehen, sich oft schon nach kurzem Kontakt zu den Maschinen herstellen (19).
Die Tatsache, dass Idividuen sich mit Maschinen sehr stark emotional verbunden fühlen, braucht für sich betrachtet noch nicht unbedingt zu überraschen. Die Instrumente, die der Mensch benutzt, werden schliesslich doch zur Verlängerung seines Körpers. Und was am wichtigsten ist, der Mensch muss, um mit seinen Instrumenten richtig umgehen zu können, in Form von kinästhetischen und Wahrnehmungsgewohnheiten bestimmte Aspekte von ihnen verinnerlichen. Zumindest in diesem Sinne werden seine Instrumente buchstäblich Bestandteile seiner selbst, die ihn modifizieren und damit die Basis der affektiven Beziehung verändern, die er zu sich selber hat. Man sollte erwarten, dass der Mensch die Instrumente stärker besetzt, die in direkter Verbindung zu seinen eigenen intellektuellen, kognitiven und Gefühlsfunktionen stehen, als Maschinen, die lediglich seine Muskelkraft vervielfachen (22).
Eine gesellschaftlich relevante Frage (...) betrifft den angemessenen Platz des Computers innerhalb unserer sozialen Ordnung (28). Ich nehme an, W hat damit nicht wirklich gemeint, dass der Computer ein soziales Wesen sei!
Die Uhr hatte buchstäblich eine neue Wirklichkeit geschaffen; (...) Man verwarf das Hungergefühl als Anreiz zum Essen; statt
dessen nahm man die Mahlzeiten ein, wenn ein abstrkates Modell (des Planetensystems, was Uhren nach Weizenbaum im wesentlichen sind: S. 44 / Anm ot) einen bestimmten Zustand erreicht hatte, d.h. wenn die Zeiger einer Uhr auf bestimmte Marken auf dem Zifferblatt wiesen (...) (45). War es nicht eher so, dass die Rationalisierung der Produktion den Takt angab und die Uhr nur Vermittler der (Takt)Zeit war?
Wenn Maschinen richtig funktionieren, so folgen sie nicht einfach einem Gesetz; sie sind Verkörperungen von Gsetzen. Wenn man sagt, dass eine Maschine 'richtig funtkioniert', so bestätigt man damit, dass sie die Verkörperung eines Gesetzes darstellt, das wir kennen und anwenden wollen. Wir erwarten zum z.B. von einem Tischrechner, dass er die Verkörperung der arithmetischen Gesetze darstellt, die wir alle kennen. Sollte er ein in unseren Augen falsches Ergebnis liefern, so ist unser Vertrauen in die Gesetzmässigkeit der Maschinen so stark, dass wir in der Regel annehmen, wir hätten bei der Eingabe der Daten einen Fehler begangen. Erst wenn sie
wiederholt nicht richtig funktioniert, entscheiden wir, dass 'mit der Maschine irgendetwas nicht stimmt'. Es kommt uns keinen
Augenblick in den Sinn, dass die Gesetze der Arithmetik etwa aufgehoben sind oder sich geändert haben. Aber genausowenig glauben
wir jemals, dass die Maschine sich unberechenbar, d.h. auf eine regellose Weise verhält. Wir tun etwas anderens: damit sie ihre
eigentliche Funktion wieder erfüllt, versuchen wir zu verstehen, warum sie sich so verhält, wie sie sich jetzt verhält, d. h. welches
Gesetz sie jetzt verkörpert. Wir geben uns zufrieden, wenn wir beispielsweise ein gebrochenes Antriebsrad finden, das ihr
abweichendes Verhalten erklärt. Damit haben wir ihr Gesetz entdeckt. Wir verstehen jetzt die Maschine, die tatsächlich vor uns steht, und sind deshalb in der Lage, sie zu reparieren, d.h. in die Maschine zu verwandeln, die ursprünglich vor uns stand, in eine Verkörperung der allgemeinen Regeln der Arithmetik. (66).
W führt das 'effektive Verfahren' am Beispiel der Frage (...) wie spät es ist, wenn ab 9 Uhr morgens 22 Stunden verstrichen sind ein, indem er ein Reglewerk entwickelt, das auf die sog. Modulararithmetik verweist. Da insgesamt 31 Stunden verstrichen sind lautet die Rechnung: 31 mod 12. Die Lösung ist 7. Das Regelwerk wird verdeutlicht, indem die Rechnung übersetzt wird in ein Verfahren mit 31 Steinen, die der Reihe nach in 12 Schalen gelegt werden. W weist darauf hin, dass ein Spieler die formulierten Regeln verstehen muss und dass ähnlich wie bei Kochrezepten ein Spielraum der Interpreation bleibt (73ff). Damit kommt die Sprache und mit ihr die
formale Sprache ins Spiel. (77f).
Das Spiel mit dem Toilettenpapie, den schwarzen und weissen Steinen, dem Markierer und dem Würfel als Einführung zur Turing-Maschine (81ff).
XIIX0XIIIX
XIIX0XIIIX
XIIX0XIIIX
XIIX0XIIIX
XIIX00IIIX
XIIX00IIIX
XII000IIIX
XI0000IIIX
XI0000IIIX
XI0000IIIX
XI0000IIIX
XI0000IIIX
XI000IIIIX
...
Das unterstirchene Zeichen zeigt, wo der Marker steht. Die Regeln des Spiels könne aus dieser Anordnung abgeleitet werden. Das Spiel kann als eine Addition der zwischen den X stehenden I's aufgefasst werden. (83)
W führt das Spiel soweit, dass schliesslich die Regeln des Spiels und die Aussgangsdaten in derselben Sprache beschrieben sind, indem die Regeln in der Form: Nummer der Regel, Symbol hinter dem Tonkopf, Nummer der folgenden Regel, Auf das Band auzunehmendes Symbol, Richtung der Bandbewegung formuliert sind mit folgender Beudeutung der Zeichen: 1. 'X' ist ein Interpunktionszeichen, das den Anfang und das Ende einer Informationseinheit angibt (...). 2. Wenn wir eine Zahl darstellen wollen, wählen wir die entsprechenden Anzahl Einserziffern. 3. In bezug auf die 'Richung der Bandbewegung' steht '0' für links und 'I' für rechts. Er sagt dann: Diese beiden Symbolketten könnten natürlich auf einem einzigen Band untergebracht werden.
Das könnten sie natürlich, aber was gewinnen wir damit? Wie kann die Maschine unterscheiden, was Regeln sind und was Daten, und wie kann die Maschine von den Regeln zu den Daten gelangen, wenn sie das Band jeweils nur um eine Stelle nach links oder rechts bewegen kann. Offenbar hat Turing bewiesen, dass der Bau einer solchen Maschine möglich ist; er hat sogar den Weg dazu angeben können (88). Für W ist es allerdings in diesem Rahmen unmöglich, eine eingehende Beschreibung einer Maschine zu liefern, die nach den Prinzipien Turings gebaut ist (88). Ich weiss also noch immer nicht, wie die Turingmaschine wirklich funktioniert. In der Mathematik gibt es viele Existenzbeweise. Aber es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man beweisen kann, dass etwas existiert, oder ob man auch in der Lage ist, es zu konstruieren. Turing hat die Existenz einer universalen Turingmaschine bewiesen,
indem er den Weg zu ihrer Konstruktion angab. Wir müssen bedenken, dass Turing seine epochemachende Arbeit 1936 veröffentlicht hatte - etwa ein Jahrzehnt, bevor die ersten modernen Computer gebaut werden sollten. Moderne Computer zeigen kaum noch eine Ähnlichkeit mit der von Turing beschriebenen Maschine (93). Sie haben all das schon, was uns verhindert, die Turingmaschine wirklilch zu verstehen, denn: Viele sind beispielsweise in der Lage, mehrere Magnetbänder gleichzeitig laufen zu lassen und, was noch wichtiger ist, die meisten sind mit sehr grossen Informationsspeichern ausgerüstet (93). Sind die Magnetbänder nicht auch sehr grosse
Informationsspeicher? Auf die Magnetbänder gehören die Daten und in den Informationsspeicher die Maschinenbeschreibung und damit erübrigt sich die intellektuelle Akrobatik die notwendig ist, um sich einen Rechner auszudenken, der nur ein Band als Speichermedium hat.
mit einer Turingmaschine kann jeder Prozess realisiert werden, der umstandslos als effektives Verfahren bezeichnet werden könnte.
Dieser Satz, oft auch nach dem Mathematiker Alonzo Chruch als Satz von Church bezeichnet, der ihn in einem anderen theoretischen
Zusammenhang als Turing formuliert hat, kann nicht bewiesen werden, das er das Wort umstandslos enthält.
Wenn wir ein Programm definiert haben und sich die Maschine fehlerhaft verhält, muss der Fehler entweder darin liegen, dass
wir die Verhaltensregeln, die wir zu verstehen glauben, in die von unserem Computer verlangte Formelsprache zu nachlässig übersetzt
haben, oder er muss in der ursprünglichen Erklärung zu suchen sein, die wir in irgendeiner Form im Auge hatten, als wir die Regeln zu
verstehen glaubten, oder er muss in unserem mangelhaften Verständnis liegen. Meistens ist das letztere der Fall (96).
Der Mangel in unserem Verständnis kann in zweierlei Gestaltauftreten:
Erstens: Unser Denken ist in der Lage, über Irrtümer hinwegzusehen, weil oft der Wunsch Vater des Gedankens ist. Nicht so die Logik des Computers. In der Tat ist einer der zwingendsten Gründe für die Anwendung von Computern der, dass sie die blinden Flecken in unserem Denken blosslegen. In dieser Hinsicht sind Computer unbarmherzige Kritiker (96).
Zweitens: Unser Verständnis kann richtig sein, aber wir sind nicht in der Lage, es richtig zu formalisieren. Ein Computerprogramm,
das auf einem derart abgeleiteten formalen System beruht, wird mit Sicherheit das falsche Verhalten zeigen (97).
Def von Interpretation S. 91 Programm
Denken, Störung, Algorithmus, Formale Sprache, Turing Maschine, Zeit, Emotion,
"zunächst durch die Tatsache, daß der gewöhnliche Berufsprogrammierer sich dem Problem widmet, das gelöst werden soll, während sich der zwanghafte Programmierer . als Mittel zu dem Zweck betrachtet, eine Interaktion mit dem Computer herzustellen" (S. 161).
“Damit hat der Computer begonnen, ein Instrument zur Zerstörung von Geschichte zu werden. Denn wenn eine Gesellschaft nur jene Daten als ‘legitim’ anerkennt, die ‘in standardisierter Form’ vorliegen, so daß sie ‘einem Computer leicht eingegeben werden können’, dann ist Geschichte, dann ist Erinnerung überhaupt ausgelöscht.” (S. 313)
“Mein Vater berief sich stets auf eine letzte Autorität mit der Bemerkung ‘Es steht gedruckt’. Aber da konnte ich lesen, was geschrieben stand, etwa von einem Autor, konnte dessen Wertvorstellungen nachvollziehen und ihm schließlich zustimmen oder nicht. Computersysteme regen nicht zum Nachdenken an, das zu einer wirklich menschlichen Beurteilung führen könnte.” (S. 315)
"Die Einführung des Buchdrucks bedeutete die Umschichtung überkommener kommunikativer Verhältnisse. Die neue Technik übernimmt Aufgaben, die zuvor von anderen Systemen und Medien wahrgenommen wurden. Informationen mußten transformiert werden, damit sie von den typographischen Informationssystemen aufgenommen und weiterverarbeitet werden konnten. Es entsteht ein neuer Typus von Information, ‘wahres Wissen’. Zugleich treten Kommunikationsformen und Informationstypen, die vordem die soziale Gemeinschaft prägten, in den Hintergrund, werden vergessen.” (Michael Giesecke, Der Buchdruck in der frühen Neuzeit, S. 22) |