Strategien im Hyperbuch - Argumentation im Hypertext durch die Logik der Reihenfolge - Zur Logik der Sequenz eines Textes
In: D. Perrin: Schreiben fürs Netz
Eine zeitlang - und diese Zeit ist natürlich nicht vorbei -, stellte ich mir die Frage, wie ich aus einem Text einen sinnmachenden Hypertext herstellen kann. Im sogenannten e-learning studieren viele Dozierende und deren Berater, wie konventionelle Lehrtexte internettauglich zugeschnitten werden können. Online-Redaktionen und Webdesigner, die sich mit dem Contentmanagement befassen, haben vergleichbare Probleme (1). Aber plausible Antworten habe ich bisher auf diese Frage nicht gefunden. Deshalb nehme ich eine alten Ratschlag auf: Man versuche es daher einmal, ob wir damit besser fortkommen, dass wir uns die umgekehrte Frage stellen (Kant zur Kopernischen Wende), also das Wechselspiel zwischen Text und Hypertext aus der andern Richtung betrachten.
Ich drehe die Frage also um. Nachdem ich nun in meinem Hyperlexikon, auf welches ich unten zurückkommen werde, viele Hypertextelemente produziert habe, frage ich mich, wie ich aus Hypertexten wieder sinnvolle Texte machen kann. Und ich frage mich natürlich auch, welcher Praxis es entspricht, aus Hypertexten wieder Texte zu machen, nachdem man aus Texten Hypertexte gemacht hat.
Eine Praxis steht zuvorderst: In gewisser Hinsicht mache ich als Leser eines Hypertextes einen Text. Ein Hypertext-Text ist eine Menge von Text-Teilen, die ich als Lesender zu einem dissipativ-sequentiellen Text zusammenfüge, indem ich auf den einzelnen Textteilen Links aktiviere. In bezug auf die Sequenz des gelesenen Textes wirken Links wie das Scrollen oder Blättern, sie eröffnen Textfortsetzungen und zwar immer genau eine. Es gibt metasprachliche Links wie "vorwärts", die diese Funktion bezeichnen und auch meinen. Aber jeder Link erfüllt natürlich diese Funktion, egal wie er inhaltlich gemeint ist. Als Leser lese ich immer lineare Texte, gleichgültig wieviele Links zur Auswahl stehen.
Als Hyper-Leser stellt sich mir die Aufgabe der Linearisierung also immer, aber sie muss mir natürlich nicht als Problem bewusst werden. Probleme habe ich erst, wenn ich sie wahrnehme. In der Praxis des Lesers könnte ich mich fragen, wieso etwa ein Lehrer oder ein Redakteur aus seinen Texten Hypertexte macht, wenn ich sie beim Lesen wieder in Texte zurückverwandeln muss. Ueber den bei dieser doppelten Umwandlung entstehenden Mehrwert gibt es viele Theorien, was mir vor allem zeigt, dass ich mir diese Frage wirklich stellen könnte.
Vor all diesen Mehrwert-Theorien gab es aber schon das Konversations-Lexikon, das ja auch eine Art Hypertext darstellt. Auf der Ebene des Lexikons scheint der Mehrwert von Hypertext evident. Die Fragen, die ich mir stelle, kann ich vor diesem Hintergrund präzisieren. Was leiste ich als Autor, wenn ich beim Schreiben ein Lexikon oder lexikalisches Wissen verwende? (2) Oder, was leiste ich als Hyperleser, wenn ich mir den Text selber zusammensuchen muss?
Normalerweise stelle ich mir diese etwas selbstkritische Frage weder, wenn ich einen Text schreibe und dabei in einem Lexikon nachschlage, also im erlaubten Bereich plagiere, noch wenn ich als Leser eines Hypertextes aus vielen Hypertextelemente einen von mir gelesenen Text, also einen Hypertext-Text erzeuge. Aber - um es nochmals zu sagen - ich konstruiere als Hyperleser den physisch-materiellen Text, den ich lese, indem ich Teile zusammen klicke, wie ein Schreibender Text konstruiert, indem er bereits gegebene Wörter zusammensetzt. Ich kann das als Rekonstruktion eines zuvor zerlegten Urtextes auffassen. Ich konstruiere als Hyper-Leser dann möglicherweise eine implizite Argumentation, die ich als Rekonstruktion einer Autorenargumentation auffassen kann.
Solche Hyper-Argumentationen haben vordergründig folgenden Charakter: Was in "diesem" (zur Zeit zu lesenden) Textteil steht, kann man verstehen, wenn man jenen Textteil schon gelesen hat - also muss ich allemfalls hinklicken -, oder jenen Textteil brauche ich nicht, um dieser Argumentation folgen zu können. Unter dieser Oberflächenstruktur liegen eigentliche Argumentationen. Etwas Bestimmtes ist glaubhaft oder wahr (oder wenigstens folgerichtig), wenn etwas Anderes auch der Fall ist und beispielsweise eine kausale Beziehung besteht.
Der Nutzen von Hypertext scheint mir nicht in diesem Zwang zur Rekonstruktion von vermeintlichen Urtexten gegeben - auch wenn in der Hermeneutik oft behaupet wird, dass Compilieren der Königsweg zum Verstehen sei. Wenn ich eine Argumentation lesen will, will ich einen Text, nicht einen Hypertext.
Der vordergründige Nutzen von Hypertext liegt im Lexikon, also in der diskursiven Tradierung von Textelementen. Ich selbst schreibe ein Lexikon in diesem engeren Sinne des Wortes (3). Worterläuterungen, die ich in meinen Texten schreibe, lagere ich in einem sogenannten Hyperlexikon aus, damit ich sie nicht jedesmal von neuem schreiben muss, wenn ich sie wieder verwenden will. Die Kästchenmode im neueren Journalismus - die man auch als rudimentäre Textverhyperung auffassen kann - ist ein Ausdruck dieses Lexikonkonzeptes. Einzelne Stichworteinträge bieten sich als Kästchen oder als Fussnoten förmlich an.
Das Hyperlexikon hat auch den Vorteil, dass es bei jeder Verwendung geprüft und aktualisiert wird, während ich geschriebene Texte natürlich nicht laufend nachbearbeite, wenn ich daraus etwas zitiere. Und ausserdem kann ich ein Hyperlexikon mit andern Menschen teilen, wodurch sowohl die andern wie das Hyperlexikon selbst Nutzen ziehen, weil es von mehreren Menschen aktualisiert wird.
Wenn ein Hyperlexikon eine gewisse Mächtigkeit erreicht hat, entwickelt es eine Art Eigendynamik, in welcher es bestimmte Texte, die passen, anzieht und andere eher abstösst. Auch ein Lexikon ist standpunktgebunden, da alles, was geschrieben wird, von jemandem geschrieben wird. Das heisst, das Hyperlexikon verkörpert als eine Art Portfolio zunehmend mehr eine bestimmte Perspektive, wie sie sonst in Argumentationen erscheint. Mein Lexikon beispielsweise enthält leicht sichtbar viel konstruktivistische Terminologie, aber alle Einträge sind mehr oder weniger in einer konstrutivistischen Perspektive geschrieben (4).
Anstatt für eine Argumentation auf ein Hypertext-Portfolio zurückzugreifen, könnte man den Hypertext selbst bewusst so gestalten, dass er sich wie eine Art Argumentation, oder genauer an Statt einer Argumentation lesen lässt. Eine vergleichbare Zielsetzung liegt Hypertexten in mitteilungsorientierten (push) Medien ohnehin zugrunde. Unterstellt wird eine plausible Reihenfolge der Textteile, die man als Leser mit mehr oder weniger Umwegen zu realisieren hat.
Die Wende besteht darin, dass auf dieser Stufe nicht mehr in einem argumentativ logischen Sinn vorwärts geschrieben wird, sondern dass vorhandene Hypertextelemente auf eine sinnvolle Reihenfolge hin untersucht werden. Was ich als Hyperleser zwangsläufig und notgedrungen relativ unwissend leiste, kann ich als Hyperautor bewusst angehen. Ich kann die Logik der Reihenfolge konstruktiv gestalten.
Konservierungen von solchen Hypertextsequenzen, also die Festlegung einer Reihenfolge der Hypertextelemente im Sinne von Buchseiten, bezeichne ich als Hyperbuch. Im Hyperbuch ist natürlich unwichtig, ob die einzelnen Textteile auf verschieden Seiten, durch die man mittels Links vorwärts und rückwärts blättern kann, oder in einem fortlaufenden Scrolltext stehen, da ja die Reihenfolge gegeben ist. Im Hyperbuch kann der Leser wie im eigentlichen Buch von der Ordnung der fortlaufenden Seiten abweichen: hier durch Anklicken eines Links, dort durch beliebiges Aufschlagen einer Seite - beispielsweise der letzten Seite eines Krimis, den andere mit mehr Genuss der Reihe nach lesen würden.
Das Produzieren eines Hyperbuches besteht darin, vorhandene Hypertextelemente in eine sinnvolle Reihenfolge zu setzen. Das Verlinken eines Hyperbuches ist zunächst eine beliebige Sache, so wie ein Hyperleser eben beliebig liest. Aber natürlich kann jede Textsequenz als mehr oder weniger bewusste Textstrategie des Lesers interpretiert werden. Und die Logik solcher Strategien kann man als Hypertexter auch bewusst erfinden. Ein Hyperbuch zu "schreiben" entspricht dann der Aufhebung der doppelten Umwandlung eines Textes in einen Hypertext und wieder zurück in einen Hypertext-Text.
Nur - und das ist das Problem, das ich hier behandle - lexikalische Elemente haben keine "innere" Reihenfolge. Ein Netzwerk von Hypertextelementen hat weder einen Anfang noch eine Fortsetzung, es ist wie der Garten der Pfade, die sich verzweigen (Borges). Die alphabetische Anordnung im Lexikon ist ein Ausdruck davon, der hinter der Zweckmässigkeit des Findens der Textelemente verborgen ist. Die Elemente eines Lexikons lassen sich alphabetisch anordnen, gerade weil sie keine Organisationsform in sich tragen, die eine Reihenfolge ergäbe (5).
Ich untersuche die Logik der Reihenfolge, indem ich eine Systemtheorie in Form eines Hyperbuches schreibe. Ich experimentiere dabei mit einem Hypertext, den ich weitgehend selbst geschrieben habe. Die Textelemente dieses Hypertextes sind Auslagerungen aus konventionellen Texten, die auch weitgehend von mir geschrieben oder wenigstens compiliert wurden. Alle Herkunftstexte sind in einem vagen Sinn systemtheoretisch, aber keiner dieser Quelltexte ist eine Systemtheorie. Hauptquelle ist ein mehrfach überarbeitetes Vorlesungsskript "Soziologie für Ingenieure" (6). Der Hypertext enthält also viel Wissen über Systemtheorie, aber keinerlei mitgebrachte Ordnung einer Systemtheorie.
Natürlich könnte ich eine Systemtheorie als konventionellen Text schreiben und den Hypertext als Portfolio für Teilwissen und Formulierungen verwenden. Ich will aber den Hypertext direkt als Systemtheorie lesbar machen, also durch eine explizitgemachte Verknüpfungsstrategie in ein Hyperbuch verwandeln. Dazu muss ich mich für einen Anfang des Hyperbuches und dann für jeweilige Folgeseiten entscheiden. Anfang und Fortsetzung müsste ich auch für einen koventionellen Text suchen und finden. Und wie beim konventionellen Text kann ich mich durch meine Intuition leiten lassen oder ein bewusstes Verfahren wählen, das den Fortlauf des Textes begründet.
Eine intuitive Sequenz - wie ich sie als Hyperleser spontan wähle - lässt sich (tauto)logischerweise nicht begründen, obwohl im Nachhinein manchmal eine bestimmte Logik im Spiel gewesen zu sein scheint. In den Sequenzen, die ich bisher intuitiv als Hyper-Systemtheorie konstruiert und dokumentiert habe, konnte ich noch keine mir plausible Logik finden, jedenfalls nicht so, dass ich eine bestimmte Sequenz bevorzugen oder gar festschreiben könnte.
Natürlich wird sich jeder Hyperleser problemlos auf sein Gefühl und seine Bedürfnisse verlassen, wenn er in einem Hypertext liest, aber dieses Gefühl scheint mir an die Geschichte (oder an das Karma) des Lesers gebunden und mithin jedesmal andere Reihenfolgen vorzuziehen. Dort, wo eine Abfolge relativ stabil scheint, verstehe ich das eher als Hinweis darauf, dass die Textelemente so stark zusammengehören, dass sie in einem Element zusammengefasst werden könnten.
Eine mögliche Rationalisierung dieses Phänomens, dass intuitives Lesen beliebe Folgen wählt, liegt darin, dass in Hypertextelementen keine metasprachliche Angaben über die Anordnung der andern Textteile sinnvoll sind. Ein Hypertext hat keine Kapitel und in den Textteilen kann man logischerweise nicht (oder nur sehr bedingt) auf früher gelesene oder später zu lesenden Textstellen verweisen. Diese Problematik ist - oft unbewusst - Hintergrund der sogenannten Navigationsstrategien, die sich - oft unbewusst - stark an den programmierten Unterricht anlehnen, der allseits als gescheiteter Behaviorimus betrachtet wird.
Ich stelle im folgenden drei Verfahren vor:
Intuitiv orientiere ich mich an mir bekannten Texten zur Systemtheorie. Konventionelle Text zur Systmtheorie beginnen normalerweise mit der Erläuterung des Kontextes der jeweiligen Theorie. Solche Textteile sind singulär und fehlen deshalb in einem Lexikon. Nun kann man natürlich auch in einem Hypertext eine Art Portal produzieren, also eine Titelseite mit einer Begründung dafür, warum überhaupt ein Text vorgelegt wird. Das hätte den Charakter von Vorwörtern und Einleitungen, die nicht eigentlich thematisch sind. Der eigentliche Text beginnt normalerweise mit einer allgemeinen Begriffserläuterungen zum Titel und führt einige für die Theorie relevante Unterscheidungen ein.
Das ist im Lexikon unter dem Stichwort "Systemtheorie" sicher zu finden. Aber natürlich fehlen dort metasprachliche Angaben darüber, wann oder im welchem Kapitel welche Unterscheidungskonsequenzen beschrieben werden. Vielmehr stehen anstellen von solchen Angaben Links, unter welchen man zu wählen hat. Wenn ich auf die metatextliche Navigation einer "Lehrmaschinerie" verzichte, weil ich die Textteile als Lexikoneinträge behalten will, muss ich den Hypertextteil "Systemtheorie" so schreiben, dass diese Bezüge aus dem Text heraus klar werden.
Eine Art Navigation liegt natürlich auch in der Reihenfolge der Aufzählung von Eigenschaften oder entwickelter, in der Darstellung von Mindmaps und Begriffbäumen, die in Lexikoneinträgen Sinn machen. Insgesamt habe ich aber bisher keine Explikation eines intuitven Verfahrens gefunden, das über die Intuition hinausgehen würde.
Ein Verfahren - das als sokratischer Dialog bezeichnet wird - ist ein Art primitiver Bildungsroman, in welchem anstelle einer Person eine Sache entwickelt wird. In diesem Verfahren teile ich den Bildschirm so, dass in einem Teil des Bildschirmes eine Geschichte erzählt wird, in welcher durch geschickte Fügung die Gegenstände zur Sprache kommen, die in der Systemtheorie von Belang sind. Auf der andern Hälfte des Bildschirms stehen jeweils passende Lexikoneinträge. Der Fortgang ist von den Lexikoneinträgen entkoppelt und wird vom Drama gesteuert. Sokrates ist durch solche Spiele bekannt geworden. Galilei hat seine Diskurse so organisiert. Und Willhelm Meister passieren auch die unglaublichsten Dinge, nur dazu, dass das ganze Leben besprochen werden kann.
In einem Diskurs, den ich ein stückweit entwickelt habe, ägert sich eine frierende Frau über die sehr genauen Erklärungen ihres Mannes darüber, warum die thermostatengeregelte Heizung nicht das macht, was sie machen sollte. Es ist klar, dass Romanfiguren nicht nur ungeregelt frieren und darüber sprechen können. Sie können quasi metasprachlich auch ihre eigene Kommunikation und mithin alle Themen einer Systemtheorie zur Sprache bringen.
Das Verfahren ist simpel wie Sokrates Marionetten, weil die Lexikoneinträge von der Erzählung so unberührt bleiben wie die Weisheiten des Meisters, weil die Erzähllogik von der Systematik des Gegenstandes losgelöst ist. Allerdings ist es natürlich nicht ganz simpel ein gute Geschichte zu schreiben, die den Gegenstand halbwegs effizient steuert. Galieleis Diskurse sind ziemlich langweilig und Brecht hat in seinem spannenden Galilei der Schülerfigur Andrea von der Himmelsmechanik nur wenig lexikalisch erklärt.
Stack nenne ich - in Anlehnung an die Informatik (Duden 1988:285) - das Produkt eines formalen Verfahrens, in welchem immer der erste Link auf einer Seite als nächste "vorwärts-Seite" verwendet wird. Wenn dabei eine bereits besuchte Seite gewählt würde, wird der zweite Link der Seite verwendet. Wenn alle Links der Seite bereits besuchte Seiten referenzieren, werden die Links der vorangehenden Seite abgearbeitet. Dieses rekursive Verfahren wird in der Programmierung verwendet. Es ist effektiv bezüglich der Vollständigkeit und für viele Probleme effizient. Das Stackprinzip verwendet man auch bei Spielen wie "Die Türme von Hanoi" oder wenn man aus einem Irrgarten rausfinden will.
In einem Hyperbuch ergibt sich mit diesem Verfahren im Normalfall eine Reihenfolge, die man weder intuitiv, noch aufgrund der Inhalte wählen würde. Suchmaschine im Internet, die alle Seiten oder Links finden müssen, wählen dieses Verfahren. Als Leser könnte man seine Intuition verwerfen und sich von dieser Logik führen lassen, weil man damit sicher den ganzen Text liest. Hier geht es aber darum, dass ein Hypertexter dieses Verfahren so inszenieren kann, dass es für den Leser mehr Sinn machen kann als Vollständigkeit. Ich unterscheide zwei Varianten: die eine selektioniert Links, die andere Formulierungen.
In der ersten Variante kann der Hypertexter in diesem Verfahren ein Kriterium dafür finden, welche Ausdrücke, wo verlinkt werden. Meine Systemtheorie beginnt beispielsweise mit dem Satz "Die Konstruktive Systemtheorie ist eine Systemtheorie 2.Ordnung, in welcher Systeme als Konstruktionen aufgefasst werden". Im Laufe des Hypertextes werde ich Links auf Konstruktive Systemtheorie, auf Systemtheorie 2.Ordnung, auf Systeme und auf Konstruktionen machen. Aber ich muss natürlich auf der ersten Seite nicht alle diese Begriffe verlinken. Wenn ich zunächst etwas über Systeme sagen will, wird dieser Begriff der erste Link auf dieser Seite sein.
Mit diesem Verfahren verschwinden nicht alle Links, aber viele verlinkbare Textstellen bleiben quasi offline, weil sie die Reihenfolge stören würden. Das heisst, eine eigentliche Hyperlexikonqualität, die Vernetzung aler Begriffe geht teilweise verloren.
Viel anspruchsvoller ist die zweite Variante, in welcher die einzelnen Hypertextteile so formuliert werden, dass das Verfahren zu der gewünschten Reihenfolge führt, weil die jeweils gewünschten Fortsetzungs-Links in den Textteilen vor den andern auftreten. Im angeführten Beispiel könnte ich dabei alle Begriffe verlinken, ich müsste aber den Satz so umformulieren, dass Systeme an erster Stelle steht. Ich ändere die Formulierung "Die Konstruktive Systemtheorie ist eine Systemtheorie 2.Ordnung, in welcher Systeme als Konstruktionen aufgefasst werden" also um: "Systeme werden in der Konstruktiven Systemtheorie, welche eine Systemtheorie 2.Ordnung ist, als Konstruktionen aufgefasst". Das lässt sich mit klassischer Lyrik vergleichen, bei welcher man das Gesagte so (um)formulieren muss, dass es zu einem gewählten Versmass passt. Deshalb schrieb der Sprachgewandte: "Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los. In seinen Armen das Kind war tot", wo ich ohne Mass geschrieben hätte: "Die Geister, die ich rief, haben mein Kind getötet".
Wenn man das Stack-Verfahren nicht mechanisch anwendet, hat man aber nicht nur das lyrische Problem eine passende Formulierung zu finden, sondern vor allem das ursprüngliche Problem, dass man bezüglich der Reihenfolge wieder auf die Intuition zurückgeworfen wird. Es ist aber nicht mehr die Intuition des Leser gefragt, der noch nicht weiss, was es überhaupt zu lesen gibt. Es ist die Intuition des Hypertexters gefragt, der eigentlich wissen müsste, was er in welcher Reihenfolge zu schreiben hat.
Argumentationen beruhen sprachlich auf Konjunktionen, die Argumente an die zu begründende Aussagen anknüfpen. Ich kann sagen, dass Sokrates sterblich ist, weil er ein Mensch ist, und weil Menschen sterblich sind. Im klassischen Syllogismus werden die Konjunktionen durch die formale Darstellung ausgedrückt, respektive durch die Bezeichnungen "Prämisse" und "Konklusion". Sprachliche Konjunktionen leisten aber oft, vor allem in Kombination mit verweisenden Pronomen Leserorientierungen in hochkomplexen Zusammenhängen, die argumentativ gar nicht bewältigt sind. Viele Texte velieren jede Kohärenz, wenn man probeweise alle Konjunktionen entfernt. Dabei wird sichtbar, wieviel Interpretationen über einfachen Konjunktionen möglich sind (Duszak 1997).
Wenn ich beispielsweise zuerst vereinbart habe, dass Junggesellen nicht verheiratete Männer sind, kann ich später von einem bestimmten Mann sagen: er ist nicht verheiratet, weil er ein Junggeselle ist. Dieses weil ist ein anderes, als jenes, das ich brauche, wenn ich sage, die Strasse ist nass, weil es regnet. Ich kann jedes Wort, das ich verwende, durch andere Wörter ersetzen. Statt Tiger kann ich etwa Katze mit gestreiftem Fell sagen. Solche Ersetzungen werden oft als Erklärungen oder Erläuterungen interpretiert, obwohl "Tiger" und "Katze mit gestreiftem Fell" natürlich das gleiche "bedeuten".
Wahre Aussagen sind Tautologien. Zur Darstellung von Tautologien, insbesondere von Definitionen ist Hypertext ideal, respektive der Link ein ideales Mittel. Im trivialen Fall des Sokrates-Syllogismus kann ich die drei Teilsätze als Textelemente auffassen. Ich kann im Element "Sokrates ist sterblich" Sokrates als Linkwort mit dem Element "Sokrates ist ein Mensch" und dort "Mensch" mit dem Element "Menschen sind sterblich" verknüpfen. Links bewirken zwar Ersetzungen, aber ich kann sie nicht als Konjunktionen einsetzen. Logische Beziehungen muss ich als Hyper-Leser leisten. Im trivialen Fall habe ich als Hyper-Leser keinerlei Mühe die Tautologie auch ohne "weil"-Konjunktion zu sehen. Deshalb kann ich als Hyper-Autor auf "weil" verzichten, wenn es mir gelingt, die Sachverhalte genügend zu trivialisieren, wie das etwa in den gängigen Beispielen der Syllogismus-Logik getan und in der Aussagenlogik - ohne Erfolg - vversucht wird.
Ich könnte quasi logisch argumentieren, dass ich keine Argumentationen brauche, wenn ich einen Sachverhalt klar genug darstelle, weil der Syllogismus und andere logische Operationen in jedem Lesen aufgehoben sind. Dass also, wenn ich argumentieren müsse, mir - oder wie ich mir einbilden mag, den andern - die Sache nicht recht klar sei. Ich könnte sagen, dass ein Text, der nicht ohne weiteres in einen Hypertext übertragen werden kann, unverstandene Argumentationen verwendee, die sich nur durch sogenannten Navigationsmittel ausdrücken lassen. Ein klarer Text sei immer schon ein Hypertext. Aber ich bin natürlich sehr froh, dass ich diesen Vortrag nicht in einen Hypertext überführen muss.
Argumentationen erlauben es, noch nicht verstandene Dinge darzustellen. Bogdanov (1996) hat in seinen ebenfalls sokratischen Dialogen über den Materialismus Argumentationen als Ideologien bezeichnet, die den Weg ebenen, ein Sache zu verstehen. Hätte - der in unserem naturwissenschaftlichen Sinn nichts verstehende - Demokrit nicht für den atomaren Aufbau der Welt argumentiert, wüssten wir nach Bogdanov auch in einem wissenschaftlichen Sinn nichts über Atome, weil wir uns ohne Ideologie gar nie mit solchen Fragen beschäftigt hätten.
Konventionelle Texte sind Prosa. Prosa eignet für Geschichten und für Argumentationen. Ich habe schon eingangs gesagt, dass ich Argumentationen wie Kriminalromane als Texte, nicht als Hypertexte lesen will. Hypertext eignet sich für Fakten. Im Lexikon wird nicht argumentiert. Was im Lexikon steht ist quasi wahr, weil es im Lexikon steht.
Hyperbücher sind bewusst gemachte Prosa. Wenn ich einen Text in einen Hypertext umwandle, merke ich, wo ich argumentieren muss, weil ich das im Hypertext nicht kann. Wenn ich meinen Hypertext in ein Hyperbuch umwandeln will, merke ich, welche Tatsachen effizient zu meinem Anliegen passen und welche nicht.
Ich schlage also vor, alle Texte in Hypertexte umzuwandeln und daraus Hyperbücher zu machen.
Bogdanov, Alexander A. (1996): Wissenschaft und Philosophie. In: von Glasersfeld, Ernst: Über Grenzen des Begreifens. Benteli. Bern 1996.
Duden (1988): Informatik, Mannheim
Duszak, Anna (1997): Re-orientation strateggies in academic discourse. In: Dagmar Knorr u. Eva M. Jakobs (Hrsg.): Schreiben in Wissenschaften. [Textproduktion und Medium; 1]. Frankfurt/M. (Peter Lang), 63-74.
Storrer, Angelika (1997): Vom Text zum Hypertext. Die Produktion von Hypertexten auf der Basis traditioneller wissenschaftlicher Texte. In: Knorr, Dagmar/Jakobs, Eva-Maria (Hrsg.): Textproduktion in elektronischen Umgebungen. [Textproduktion und Medium; 2]. Frankfurt/M.: Lang, 121-140
Todesco, Rolf (1992): Technische Intelligenz oder Wie Ingenieure über Computer sprechen. Stuttgart: frommann-holzboog
Todesco, Rolf (1997): Die Definition als Textstruktur im Hyper-Sachbuch.. In: Dagmar Knorr u. Eva M. Jakobs (Hrsg.): Textproduktion in elektronischen Umgebungen. [Textproduktion und Medium; 2]. Frankfurt/M. (Peter Lang), 109-120.
Todesco, Rolf (2000): Hypertext oder Was heisst Konstruktion im konstruktivistischen Diskurs? In: Rusch, G. / S.J. Schmidt (Hrsg): Konstruktivismus in Psychiatrie und Psychologie. Delfin 1998/99, Suhrkamp, stw 1503, Frankfurt 2000
1 Natürlich wurde die Frage auch an früheren Prowitec-Tagungen ausführlich diskutiert. Vergleiche dazu etwa die Berichte zur Grammatik mit der Maus (Grammis), einer Grammatik die vom Institut für Deutsche Sprache parallel als Buch und als Hypertext entwickelt und herausgegeben wurde (Storrer 1997:121ff) zurück
2 In allgemeinerer Form habe ich die Frage bereits früher thematisiert: Was ist der Unterschied zwischen einem Sachbuch und einem Lexikon, wenn beide als Hypertext erscheinen? (Todesco 1997). zurück
3 Zur Etymologie des Ausdruckes Lexikon: Das Lexikon ist ein biblion (gr. Buch) lexikos (gr. das Wort betreffend). Wenn man noch weitergehend interpretieren will, wie das der Herkunftswörterbuch-Duden tut, kann man das griechische legein (lat. legere) anführen, das "auflesen, sammeln" heisst. Im Lexikon werden Texte gesammelt (und geordnet), die Wörter "umschreiben", also Texte, die anstelle der Wörter stehen können. Vergleiche dazu das Konzept "Begriff als Er-Satz" (Todesco 2000:192). zurück
4 Es geht dabei aber explizit nicht darum, ein konstruktivistisches Lexikon im Sinne eine Lexikons zum Konstruktivismus zu schreiben, sondern darum, die Begriffsverwendung in den eigenen Texten zu reflektieren. zurück
5 Ich spreche von idealen Lexika, also nicht von jenen, die eine Ansammlung von argumentierenden Aufsätzen als Lexikon kaschieren, in dem die Aufsätze als Titel ein Stichwort tragen. zurück
6 Das Skript ist unter dem Titel "Technische Intelligenz" überarbeitet als Buch erschienen (Todesco 1992). Die Hypertextteile sind als Hyperlexikon unter http://www.hyperkommunikation.ch/lexikon/lexikon_index.htm zu finden. zurück