Rolf Todesco

Die Katzentüre

Eine Geschichte zum Lernen


 

Im Sommer haben wir Manaolo, eine kleine brandschwarze Katze mit gelbgrünen Augen in unsere Wohngemeinschaft aufgenommen. Mir scheint, ein ganz kluges Tier. Trotzdem hielten wir uns an den Ratschlag, wonach Katzen im neuen Heim einige Tage zuhause bleiben müssen, um sich an das Zuhause zu gewöhnen. Man sagte uns, Katzen seien ortsorientiert, sie kämen immer an denselben Ort zurück, nicht zu denselben Menschen.

Also, der Ort, an welchem Manolo mit uns lebt, ist eine Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Nach zwei oder drei Tagen entwischte Manolo unserer Aufmerksamkeit und stand, ehe wir uns umsehen konnten, auf der Brüstung unseres Balkons. Ohne grosses Zögern benützte er einen Kiwibaum an der Fasade als Leiter und war im Garten verschwunden, also einem Ort, den er gar nicht kennen konnte. Bis er zu uns kam, hat er in einem Tierheim gelebt. Ich frage mich, wo er das Fasadenklettern wohl gelernt hat. Marina sagt, das können Katzen einfach, die müssen das nicht lernen. Aber in unserem Haus gibt es noch eine Katze, genauer ein Kater namens Nögi, der lebt bei unseren Nachbarn. Manchmal kommt er zu uns auf Besuch und dann setzt er sich auch auf die Balkonbrüstung. Er schaut dann so runter, dass ich in seinen Augen Sehnsucht sehe, aber entweder hat er Angst, oder er hat das Klettern auf Kiwibäumen nie gelernt. Dass er runter könnte, es aber nicht tut, das glaube ich nie und nimmer. Und deshalb glaube ich, dass unser Manolo etwas kann, was nicht alle Katzen können, was natürlich immer noch kein Beweis dafür ist, dass er es gelernt hat.

Manolo ist, nachdem wir uns arg um ihn gesorgt und ihn in der ganzen Nachbarschaft gesucht haben, am Abend über denselben Baum nach Hause gekommen. Im Sommer ist dann die Balkontüre immer offen gestanden, so dass Manolo sich frei bewegen konnte. Dann kam der Winter und wir konnten die Balkontüre nicht mehr offen lassen, weil es zu kalt wurde. Wir liessen einen Glaser kommen und der baute ein Katzentüre in unsere Balkontüre. Die Katzentüre ist eine Klappe, die mit einem Magneten zugehalten wird. Wenn die Katze genügend stark dagegendrückt, weicht die Klappe weg und die Katze kann sich durch die Oeffnung winden.

Als der Glaser die Türe eingebaut hatte, sagte er, ein paar Tage werde die Katze schon brauchen, bis sie gelernt habe, durch diese Türe zu gehen. Ich dachte: Du kennst unser kluges Tierchen nicht.

Manolo ist vorsichtig. Etwas Neuem begegnet er langsam und stets fluchtbereit. Aber er ist ein Schlemmer. Egal wieviel Angst er hat, für ein Stückchen Lachs geht er meiner Einschätzung nach durch die Hölle. Also rief ich ihn und zeigte ihm den Lachs, den er sich verdienen konnte.

Die Klappe der Katzentüre ist aus Plexiglas. Ich ging auf den Balkon und zeigte Manolo den Lachs durch das Glas, das er wegdrücken sollte. Das begriff er nicht. Also drüchte ich die Klappe auf und Manolo musste sich nur überwinden, durch die Oeffnung zu kommen. Der Lachs hat ihm dabei ungemein geholfen. Dann war Manolo draussen und ich ging hinein und wiederholte das Spiel in umgekehrter Richtung, und dann wieder und wieder, wobei ich Manolo jedesmal mehr selbst an der Klappe arbeiten liess. Schliesslich half ich der Katze nur noch mit den Leckerbissen.

Zwei Stunden, nachdem der Glaser gegengen war, war Manolo schon x-mal lachsfreiwillig durch die Katzentüregeschlüpft. Ich klopfte mir auf die Schulter und sagte, das hast Du dem klugen Tierchen gut beigebracht. Jetzt hat es sicher begriffen, wie es künftig raus und rein kann, wenn es will.

Einige Zeit später war die Katze der Nachbarn wieder bei uns auf Besuch. Die beiden Katzen sassen in der Nähe der Balkontüre. Unser Manolo drückte die Türe auf und ging raus, Nögi schaute wie gebannt, was da vor sich ging. Er sprang auf den Tisch und sah durch das Fenster, dass Manolo auf dem Balkon war. Dann schaute er wieder auf die Katzentüre. Er schien zu studieren. Dann sprang er runter vom Tisch und drückte sich durch die Katzentüre. Ganz einfach: er machte, was ihm vorgemacht wurde.

Aber wer hat unserer Katze vorgemacht, was sie machen soll ? Ich habe meine Katze etwas ganz anderes gelehrt. Ich habe sie zum Glauben verführt, dass sie jedesmal Lachs bekommt, wenn sie durch diese Türe geht. Natürlich weiss ich nicht, ob sie mir das geglaubt hat. Aber ich weiss, dass ich ihr nicht gezeigt habe, wie man durch diese Türe geht. Jetzt kann sie es und ich frage mich, wo sie das gelernt hat. Marina sagt, dass Katzen das einfach können, dass sie das nicht lernen müssen.

Dann frage ich mich natürlich, was der Glaser meinte, der aus seiner Erfahrung sagte, dass es schon einige Tage dauern werde, bis meine Katze das könne. Und ich frage mich natürlich, was ich mit dem Lachs eigentlich wollte.