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Verschiedene Auffassungen von Kommunikation:
Niklas Luhmann: Man kann nicht kommunizieren

N. Luhmann ist Soziologe. Als solcher spricht er nicht über Menschen - die er als psychische Systeme den Psychologen überlässt -, er spricht über "funktionale Systeme". In seiner Theorie ist Kommunikation ein funktionales System, das sich - wie jedes System - erhalten will. N. Luhmann sagt, dass die Kommunikation kommuniziert, nicht die Menschen.

In dieser soziologischen Sicht ist beispielsweise auch die Kunst ein funktionales System. Der gesunde Menschenverstand glaubt, dass Künstler Kunst hervorbringen. Nach N. Luhmann dagegen bringt die Kunst die Künstler und die Kunstwerke hervor. Und dazu braucht die Kunst menschliche Rollenträger, die dann tun, was die funktionalen Rolle verlangen. Im gleichen Sinn ist die Kommunikation ein funktionales System. Es bringt Kommunikationen hervor und verwendet dabei - wie das Kunstsystem - Menschen als Rollenträger.

Kommunikation ist nach N. Luhmann ein System, welches Menschen organisiert. Das System kommuniziert, nicht die Menschen. In diesem Sinne sagt N. Luhmann: "Man (der Mensch) kann nicht kommunizieren". Menschen fungieren lediglich als Instanzen in der Kommunikation. Logischerweise entfällt dann auch die Frage des Verstehens, und sogar die Möglichkeit des Mitteilens. Bei einer Thermostatenheizung sage ich ja auch nicht - oder nur ganz metaphorisch -, dass der Thermometer dem Oelbrenner mitteilt, dass es zu kalt ist, und dass der Oelbrenner das versteht und deshalb mehr heizt. Die Kommunikation findet nicht zwischen Thermometer und Oelbrenner statt, sondern ist ein Ausgleichsprozess im Heizungssystem. Bei N. Luhmann findet die Kommunikation nicht zwischen Menschen statt, sondern in der Gesellschaft, und zwar so, dass die Gesellschaft erhalten bleibt. N. Luhmann sagt, dass man auch den einzelnen Menschen als funktionales System (dann als psychisches oder als biologisches System) betrachten könne, dass man dann aber von andern Systemen spreche.


Kritik

Funktionale Systeme sind keine Systeme, wie sie in der kybernetischen Systemtheorie beschrieben werden, sondern Handlungszusammenhänge. Handlungszusammenhänge sind Interpretationsrahmen, die ein deutender Beobachter verwendet, um eine kohärente Deutung zu schaffen. Im Handlungszusammenhang "Kunst" gibt es das Phänomen "Kunstwerk". Bevor die Werke als Kunst gesehen wurden, gab es den Handlungszusammenhang "Kunst" nicht. Das Phänomen "Werk" war dann beispielsweise gutes Handwerk. Noch heute bezeichnen wir den Uebergang als Kunsthandwerk. Wenn jemand für ein Stück bemalte Leinwand ein Million Franken bezahlt, ist das im Handlungszusammenhang der Warenökonomie nicht "verstehbar". Sinnvoll beschreiben lässt sich dieses Verhalten aber im Handlungszusammenhang "Kunst". Und wenn ein Stück bemaltes Tuch im Hinterhof eines Malergeschäfts auf einem Abfallhaufen liegt, sehe ich es normalerweise in einem andern Handlungszusammenhang, als wenn es eingerahmt im Museum hängt.

N. Luhmann hat seine autopoietische Theorie teilweise von H. Maturana übernommen und für seine Zwecke adaptiert. Das Luhmannsche Verständnis der Systemtheorie wurzelt bei den amerikanischen Soziologen (T. Parsons), während H. Maturana seine Autopoiese aus neurobiologischen Ueberlegungen heraus entwickelte. N. Luhmann's funktionalen Systeme entsprechen der Systemtheorie insofern, als sie operationell geschlossen sind, also nicht mit andern Systemen, sondern nur in sich selbst kommunizieren. N. Luhmann verwendet aber ein sehr komplexes "Beobachterkonzept" und damit verbunden eine eigene Sprache, die nicht ohne weiteres auf die kybernetische Systemtheorie abbildbar ist. Insbesondere ist mir unklar, wie N. Luhmann zwischen System und Systemprozess unterscheidet, da er den Ausdruck Kommunikation für beides verwendet. Man kann - ich tue es - N. Luhmann so verstehen, dass er auf diese Unterscheidung und mithin auf einen Prozessträger verzichtet. Kommunikation wäre dann in einem formalen Sinn freischwebend und würde sich in funktionalen Systemen wie Kunst oder Politik instanziieren, also beliebige solche System als Rollenträger verwenden. (Um N. Luhmann verstehen zu können, müsste man in diesem Fall ziemlich formal Denken (können)). Die operationale Geschlossenheit hat Luhmann von Humberto Maturana mit dem Konzept der Autopoiese übernommen. Es ist aber nicht leicht nachvollziehbar, wie N. Luhmann H. Maturana interpretiert (H. Maturana hats einem verbreiteten Gerücht nach auch nicht verstanden).


 

N. Luhmann verwendet H. Maturana's Konzept der Autopoiese ziemlich abstrakt. Bei H. Maturana ist die Sache noch relativ leicht nachvollziehbar.


Kommunikationstheorie N. Luhmanns
von http://www.michael-giesecke.de/theorie/index.htm

 

 
Am Ende des Milleniums faßte Niklas Luhmann die Glaubenssätze der europäischen Buchkultur über 'Kommunikation' noch einmal zusammen. Ohne jede kritische Distanzierung stellt er fest:
 
1.
"Kommunikation ist eine exklusiv gesellschaftliche Operation" 1990:63
Kommunikation wird also an menschliche Sozialgemeinschaften gebunden.
2. Kommunikation ist 'innenhaftes' Reden und Schreiben über die Umwelt und/der des Bezugssystems. Kommunikation wird an sozial ausgearbeiteten, und in Sprache sedimentierten Sinn gebunden. ("Gesellschaft als operativ geschlossenes System sinnhafter Kommunikation" 1990:62)
Sinn wiederum ist letztlich an Bewußtsein gebunden.
3. Es gibt keine Kommunikation zwischen den Menschen (der Gesellschaft) einerseits und der Natur, Technik andererseits sondern nur soziale Kommunikation über diese anderen Arten der Umwelt.
4. Resonanz, Wechselwirkung findet nur zwischen dem System und seiner Umwelt statt. Sie ist keine systembildende Kraft und kein kommunikativer Prozess. Eben deshalb kann weder die Gesellschaft mit ihrer Umwelt noch das Psychische mit dem Körperlichen (Physischen) kommunizieren.
5. Kommunikation ist eine aktive, zielgerichtete menschliche Handlung deren Erfolgskriterium letztlich die Zielerreichung ist.
 
Damit kann umstandslos an soziologische Handlungstheorien und die perspektivische Wahrnehmungstheorie des Spätmittelalters angeschlossen werden.
Dieser Begriff von 'Kommunikation' ist an der Jahrtausendwende anachronistisch dysfunktional und sektiererisch.
Er ist anachronistisch, weil er eine Antwort auf die Probleme der Vergesellschaftung im Industriezeitalter unter den Bedingungen typographischen Massenmedien liefert aber nicht auf die rückkopplungsintensiven neuen technischen und sozialen Kommunikationsformen eingeht.
Er ist dysfunktional weil er die drängenden ökologischen und interkulturellen, Probleme unserer Gegenwart die alle eine Kommunikation zwischen artverschiedenen Kommunikatoren erfordern, nicht behandeln kann.
Er ist sektiererisch, weil in den vielen, vermutlich den meisten Bereichen der Gesellschaft der Begriff schon in anderem zeitgemäßem Sinn verwendet wird. Er dient letztlich der Mystifizierung, der ideologischen Rechtfertigung der Buchkultur.
Ökologische Kommunikation im Sinne artenübergreifender Kommunikation schließt Luhmann explizit aus. Der homo soziologicus bzw. der Bürger der Buchkultur kommuniziert nicht mit sondern ausschließlich über die Umwelt (mit anderen Bürgern).
 
"Der Begriff der ökologischen Gefährdung sei vorsorglich (solange wir nicht genau wissen, worum es sich handelt) sehr weit gefaßt. Er soll jede Kommunikation über Umwelt bezeichnen, die eine Änderung von Strukturen des Kommunikationssystems Gesellschaft zu veranlassen sucht. Wohlgemerkt: es handelt sich um ein ausschließlich gesellschaftsinternes Phänomen. Es geht nicht um die vermeintlich objektiven Tatsachen: daß die Ölvorräte abnehmen, die Flüsse zu warm werden, die Wälder absterben, der Himmel sich verdunkelt und die Meere verschmutzen. Das alles mag der Fall sein oder nicht der Fall sein, erzeugt als nur physikalischer, chemischer oder biologischer Tatbestand jedoch keine gesellschaftliche Resonanz, solange nicht darüber kommuniziert wird. Es mögen Fische sterben oder Menschen, das Baden in Seen oder Flüssen mag Krankheiten erzeugen, es mag kein Öl mehr aus den Pumpen kommen und die Durchschnittstemperaturen mögen sinken oder steigen: solange darüber nicht kommuniziert wird, hat dies keine gesellschaftlichen Auswirkungen. Die Gesellschaft ist ein zwar umweltempfindliches, aber operativ geschlossenes System.
Um diesen wichtigen Ausgangspunkt noch einmal in anderer Formulierung festzuhalten, kann man auch sagen, daß die Umwelt des Gesellschaftssystems keine Möglichkeit hat, mit der Gesellschaft zu kommunizieren. Kommunikation ist eine exklusiv gesellschaftliche Operation. Es gibt auf der Ebene dieser spezifisch gesellschaftlichen Operationsweise weder Input noch Output." [1]
 
Die Welt des Niklas Luhmann war keine ökologische Welt sondern ein soziales Supersystem, eben 'die Gesellschaft'.
Wenn er davon spricht, daß irgendetwas 'kommuniziert' so muß - wie in dem Zitat - diesen Ausdruck mit 'reden', 'schreiben' oder bestenfalls 'drucken' übersetzen.
Jedenfalls ist diese Operation Gebrauch von Sprache und jedenfalls auch die Handlung eines Akteurs - nicht etwa eine emergentes Interaktionsprodukt.
Luhmann übernimmt mit dieser Theorieanlage die Komplexitätsreduktion der Buch- und Industriekultur. Mit Ökologie hat dies nichts zu tun - nur mit der Rede über das, was ein initiiertes geschlossenes System, an 'Belastungsgefühlen' hervorbringt, wenn sich fremde Arten in der Umwelt laut machen.

[1] Luhmann, Niklas. Ökologische Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? Opladen 3, 1990, S. 62/63

Was ist Kommunikation?
N. Luhmann in: Simon, F. B. (Hg.) Lebende Systeme. Wirklichkeitskonstruktionen in der systemischen Therapie. Berlin u. a.: Springer 1988

 

 
I.

Mein Ziel ist, das geläufige Verständnis von Kommunikation zu kritisieren und ihm eine andersartige Variante an die Seite zu stellen. Bevor ich damit beginne, sind aber einige Bemerkungen über den wissenschaftlichen Kontext angebracht, in dem dieses Manöver vollzogen werden soll.
Ich gehe zunächst von einem unbestreitbaren Tatbestand aus. Die uns allen vertraute Differenzierung der Disziplinen Psychologie und Soziologie und mehr als hundert Jahre fachverschiedener Forschung haben zu einem nicht mehr integrierbaren Wissen über psychische bzw. soziale Systeme geführt. In keinem der Fächer überblickt irgendein Forscher den gesamten Wissensstand: aber soviel ist klar, daß es sich in beiden Fällen um hochkomplexe, strukturierte Systeme handelt, deren Eigendynamik für jeden Beobachter intransparent und unregulierbar ist. Trotzdem gibt es immer noch Begriffe und sogar Theorien, die diesen Tatbestand ignorieren oder ihn geradezu systematisch ausblenden. In der Soziologie gehören die Begriffe Handlung und Kommunikation zu diesen Residuen. Sie werden normalerweise subjektbezogen benutzt. Das heißt: sie setzen einen Autor voraus, bezeichnet als Individuum oder als Subjekt, dem die Kommunikation bzw. das Handeln zugerechnet werden kann. Die Begriffe Subjekt oder lndividuum fungieren dabei aber nur als Leerformeln für einen in sich hochkomplexen Tatbestand, der in den Zuständigkeitsbereich der Psychologie fällt und den Soziologen nicht weiter interessiert. Zieht man diese Begriffsdisposition in Zweifel, und das will ich tun, bekommt man normalerweise zu hören: letztlich seien es doch immer Menschen, Individuen, Subjekte, die handeln, bzw. kommunizieren. Demgegenüber möchte ich behaupten, daß nur die Kommunikation kommunizieren kann und daß erst in einem solchen Netzwerk der Kommunikation das erzeugt wird, was wir unter Handeln verstehen.
Meine zweite Vorbemerkung betrifft faszinierende Neuentwicklungen im Bereich der allgemeinen Systemtheorie bzw. der Kybernetik selbstreferentieller Systeme, die früher unter dem Titel Selbstorganisation, heute eher unter dem Titel Autopoiesis zu finden sind. Der Forschungsstand ist im Moment selbst in den Begriffsbildungen unübersichtlich und kontrovers. Deutlich erkennbar ist jedoch ein bis in die Erkenntnistheorie hineinreichender Umbau der theoretischen Mittel, und dies in einem Sinne, der Biologie, Psychologie und Soziologie übergreift. Wer eine Mehrebenenarchitektur liebt, kann einen Umbau der Theorie beobachten, der auf mehreren Ebenen gleichzeitig stattfindet und damit zugleich die aus logischen Gründen naheliegende Unterscheidung der Ebenen selbst in Frage gestellt.
 
Im Gegensatz zu Grundannahmen der philosophischen Tradition ist Selbstreferenz (oder "Reflexion") keineswegs ein Sondermerkmal des Denkens oder des Bewußtseins, sondern ein sehr allgemeines Systembildungsprinzip mit besonderen Folgen, was Komplexitätsaufbau und Evolution angeht. Die Konsequenz dürfte dann unvermeidlich sein, daß es sehr viele verschiedene Möglichkeiten gibt, die Welt zu beobachten, je nachdem, welche Selbstreferenz zugrundeliegt. Oder anders gesagt: die Evolution hat zu einer Welt geführt, die sehr viele verschiedene Möglichkeiten hat, sich selbst zu beobachten, ohne eine dieser Möglichkeiten als die beste, die einzig richtige auszuzeichnen. Jede Theorie, die diesem Sachverhalt angemessen ist, muß daher auf der Ebene des Beobachtens von Beobachtungen angesiedelt sein - auf der Ebene der second order cybernetics im Sinne Heinz von Foersters.
Meine Frage ist nun: Wie sieht eine soziologische Theorie sozialer Systeme aus, wenn sie ernsthaft versucht, sich diesen Theorieentwicklungen zu stellen? Und meine Vermutung ist, daß man dafür nicht beim Begriff der Handlung, sondern beim Begriff der Kommunikation ansetzen muß. Denn nicht die Handlung, sondern nur die Kommunikation ist eine unausweichlich soziale Operation und zugleich eine Operation, die zwangsläufig in Gang gesetzt wird, wenn immer sich solche sozialen Situationen bilden.
Im Hauptteil meines Vortrages möchte ich nun versuchen, einen entsprechenden Begriff der Kommunikation vorzustellen - und zwar einen Begriff, der jede Bezugnahme auf Bewußtsein oder Leben, also auf andere Ebenen der Realisation autopoietischer Systeme, streng vermeidet. Nur vorsorglich sei noch angemerkt, daß dies natürlich nicht besagen will, daß Kommunikation ohne Leben und ohne Bewußtsein möglich wäre. Sie ist auch ohne Kohlenstoff, ohne gemäßigte Temperaturen, ohne Erdmagnetismus, ohne atomare Festigung der Materie nicht möglich. Man kann angesichts der Komplexität der Welt nicht alle Bedingungen der Möglichkeit eines Sachverhalts in den Begriff dieses Sachverhalts aufnehmen; denn damit würde der Begriff jede Kontur und jede theoriebautechnische Verwendbarkeit verlieren.
 

II.

Ähnlich wie Leben und wie Bewußtsein ist auch Kommunikation eine emergente Realität, ein Sachverhalt sui generis. Sie kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiedenen Selektionen - nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Mißverstehen dieser Mitteilung und ihrer Information.
Keine dieser Komponenten kann für sich allein vorkommen. Nur zusammen erzeugen sie Kommunikation. Nur zusammen - das heißt nur dann, wenn ihre Selektivität zur Kongruenz gebracht werden kann. Kommunikation kommt deshalb nur zustande, wenn zunächst einmal eine Differenz von Mitteilung und Information verstanden wird. Das unterscheidet sie von bloßer Wahrnehmung des Verhaltens anderer. Im Verstehen erfaßt die Kommunikation einen Unterschied zwischen dem Informationswert ihres Inhalts und den Gründen, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird. Sie kann dabei die eine oder die andere Seite betonen, also mehr auf die Information selbst oder mehr auf das expressive Verhalten achten. Sie ist aber immer darauf angewiesen, daß beides als Selektion erfahren und dadurch unterschieden wird. Es muß, mit anderen Worten, vorausgesetzt werden können, daß die Information sich nicht von selbst versteht und daß zu ihrer Mitteilung ein besonderer Entschluß erforderlich ist. Und das gilt natürlich auch, wenn der Mitteilende etwas über sich selbst mitteilt. Wenn und soweit diese Trennung der Selektionen nicht vollzogen wird, liegt eine bloße Wahrnehmung vor.
Es ist von erheblicher Bedeutung, an dieser Unterscheidung von Kommunikation und Wahrnehmung festzuhalten, obwohl, und gerade weil die Kommunikation reiche Möglichkeiten zu einer mitlaufenden Wahrnehmung gibt. Aber die Wahrnehmung bleibt zunächst ein psychisches Ereignis ohne kommunikative Existenz. Sie ist innerhalb des kommunikativen Geschehens nicht ohne weiteres anschlußfähig. Man kann das, was ein anderer wahrgenommen hat, nicht bestätigen und nicht widerlegen, nicht befragen und nicht beantworten. Es bleibt im Bewußtsein verschlossen und für das Kommunikationssystem ebenso wie für jedes andere Bewußtsein intransparent. Es kann natürlich ein externer Anlaß werden für eine folgende Kommunikation. Beteiligte können ihre eigenen Wahrnehmungen und die damit verbundenen Situationsdeutungen in die Kommunikation einbringen; aber dies nur nach den Eigengesetzlichkeiten des Kommunikationssystems, zum Beispiel nur in Sprachform, nur durch Inanspruchnahme von Redezeit, nur durch ein Sichaufdrängen, Sichsichtbarmachen, Sichexponieren - also nur unter entmutigend schwierigen Bedingungen.
Aber nicht nur Information und Mitteilung, sondern auch das Verstehen selbst ist eine Selektion. Verstehen ist nie eine bloße Duplikation der Mitteilung in einem anderen Bewußtsein, sondern im Kommunikationssystem selbst Anschlußvoraussetzung für weitere Kommunikation, also Bedingung der Autopoiesis des sozialen Systems. Was immer die Beteiligten in ihrem je eigenen selbstreferentiell-geschlossenen Bewußtsein davon halten mögen: das Kommunikationssystem erarbeitet sich ein eigenes Verstehen oder Mißverstehen und schafft zu diesem Zwecke Prozesse der Selbstbeobachtung und der Selbstkontrolle.
Über Verstehen und Nichtverstehen und Mißverstehen kann kommuniziert werden - allerdings wiederum nur unter den hochspezifischen Bedingungen der Autopoiesis des Kommunikationssystems und nicht einfach so, wie die Beteiligten es gern möchten. Die Mitteilung "Du verstehst mich nicht" bleibt daher ambivalent und kommuniziert zugleich diese Ambivalenz. Sie besagt einerseits "Du bist nicht bereit, zu akzeptieren, was ich Dir sagen will" und versucht das Eingeständnis dieser Tatsache zu provozieren. Sie ist andererseits die Mitteilung der Information, daß die Kommunikation unter dieser Bedingung des Nichtverstehens nicht fortgesetzt werden kann. Und sie ist drittens Fortsetzung der Kommunikation. Sie ist also paradoxe Kommunikation. Die normale Technik des Umgangs mit Verstehensschwierigkeiten besteht schlicht in Rückfragen und Erläuterungen, - in normaler, routinemäßiger Kommunikation über Kommunikation ohne besondere psychische Aufladung. Und gegen diese Normalroutine verstößt, wer das Scheitern oder die Gefahr des Scheiterns der Kommunikation in der Kommunikation zuzurechnen versucht: ,,Du verstehst mich nicht" camoufliert aber die Härte des Problems von Annahme oder Ablehnung mit einer Semantik, die suggeriert, das Problem sei gleichwohl durch Kommunikation über Kommunikation zu lösen.
 

III.
Was ist an diesem Kommunikationsbegriff neu? Und was sind die Konsequenzen der Neuerung?
Neu ist zunächst nicht die Unterscheidung der drei Komponenten Information, Mitteilung, Verstehen. Man findet eine ähnliche Unterscheidung bei Karl Bühler unter dem Gesichtspunkt unterschiedlicher Funktionen der sprachlichen Kommunikation. Dies haben Amerikaner wie Austin und Searle zu einer Theorie von Akttypen oder Sprechakten verstärkt und versteift. Daran wiederum hat Jürgen Habermas eine Theorie von Geltungsansprüchen angeschlossen, die in der Kommunikation impliziert sind. Das alles geht aber immer noch von einem handlungstheoretischen Verständnis der Kommunikation aus und sieht den Kommunikationsvorgang deshalb als eine gelingende oder mißlingende Übertragung von Nachrichten, Informationen oder Verständigungszumutungen. Demgegenüber wird bei einem systemtheoretischen Ansatz die Emergenz: der Kommunikation selbst betont. Es wird nichts übertragen. Es wird Redundanz erzeugt in dem Sinne, daß die Kommunikation ein Gedächtnis erzeugt, das von vielen auf sehr verschiedene Weise in Anspruch genommen werden kann. Wenn A dem B etwas mitteilt, kann sich die weitere Kommunikation an A oder an B wenden. Das System pulsiert gleichsam mit einer ständigen Erzeugung von Überschuß und Selektion. Durch die Erfindung von Schrift und Buchdruck ist dies Systembildungsverfahren nochmals immens gesteigert worden, mit Konsequenzen für Sozialstruktur, Semantik, ja für Sprache selbst, die erst allmählich ins Blickfeld der Forschung treten.
Die drei Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen müssen also nicht als Funktionen, nicht als Akte, nicht als Horizonte für Geltungsansprüche interpretiert werden (ohne daß man bestreiten müßte, daß all dies auch eine mögliche Art ihrer Verwendung ist). Es sind auch keine Bausteine der Kommunikation, die unabhängig existieren könnten und nur durch jemanden - durch wen? durch das Subjekt'? - zusammengesetzt werden müssen. Es handelt sich vielmehr um unterschiedliche Selektionen, deren Selektivität und deren Selektionsbereich überhaupt erst durch die Kommunikation konstituiert werden. Es gibt keine Information außerhalb der Kommunikation, es gibt keine Mitteilung außerhalb der Kommunikation, es gibt kein Verstehen außerhalb der Kommunikation - und dies nicht etwa in einem kausalen Sinne, wonach die Information die Ursache der Mitteilung und die Mitteilung Ursache des Verstehens sein müßte, sondern im zirkulären Sinne wechselseitiger Voraussetzung.
Ein Kommunikationssystem ist deshalb ein vollständig geschlossenes System, das die Komponenten, aus denen es besteht, durch die Kommunikation selbst erzeugt. In diesem Sinne ist ein Kommunikationssystem ein autopoietisches System, das alles, was für das System als Einheit fungiert, durch das System produziert und reproduziert. Daß dies nur in einer Umwelt und unter Abhängigkeit von Beschränkungen durch die Umwelt geschehen kann, versteht sich von selbst.
Etwas konkreter ausformuliert, bedeutet dies, daß das Kommunikationssystem nicht nur seine Elemente - das, was jeweils eine nicht weiter auflösbare Einheit der Kommunikation ist -, sondern auch seine Strukturen selbst spezifiziert. Was nicht kommuniziert wird, kann dazu nichts beitragen. Nur Kommunikation kann Kommunikation beeinflussen; nur Kommunikation kann Einheiten der Kommunikation dekomponieren (zum Beispiel den Selektionshorizont einer Information analysieren oder nach den Gründen für eine Mitteilung fragen) und nur Kommunikation kann Kommunikation kontrollieren und reparieren. Wie man leicht sehen kann, ist die Praxis einer solchen Durchführung von reflexiven Operationen ein außerordentlich aufwendiges Verfahren, das durch die Eigenarten der Autopoiesis der Kommunikation in Schranken gehalten wird. Man kann nicht immer genauer und immer genauer nachfassen. Irgendwann, und ziemlich schnell, ist der Grenznutzen der Kommunikation erreicht oder die Geduld - das heißt die Belastbarkeit der psychischen Umwelt - erschöpft. Oder das Interesse an anderen Themen oder anderen Partnern drängt sich vor.
 
IV.

Diese These der zirkulären, autopoietischen Geschlossenheit des Systems ist nicht leicht zu akzeptieren. Man muß eine zeitlang damit gedanklich experimentieren, um allmählich zu sehen, was sie bringt. Dasselbe gilt für eine zweite, eng damit zusammenhängende These. Die Kommunikation hat keinen Zweck, keine immanente Entelechie. Sie geschieht oder geschieht nicht - das ist alles, was man dazu sagen kann. Insofern folgt die Theorie nicht einem aristotelischen Duktus, sondern eher dem Theoriestil Spinozas.
Selbstverständlich lassen sich innerhalb von Kommunikationssystemen zweck-orientierte Episoden bilden, sofern die Autopoiesis funktioniert. So wie ja auch das Bewußtsein sich episodenhaft Zwecke setzen kann, ohne daß dies Zwecksetzen der Zweck des Systems wäre. Jede andere Auffassung müßte begründen, weshalb das System nach dem Erreichen seiner Zwecke fortdauert; oder man müßte, nicht ganz neu, sagen, der Tod sei der Zweck des Lebens.
Oft wird mehr oder weniger implizit unterstellt, Kommunikation ziele auf Konsens ab, suche Verständigung. Die von Habermas entwickelte Theorie der Rationalität kommunikativen Handelns baut auf dieser Prämisse auf. Sie ist jedoch schon empirisch schlicht falsch. Man kann auch kommunizieren, um Dissens zu markieren, man kann sich streiten wollen, und es gibt keinen zwingenden Grund, die Konsenssuche für rationaler zu halten als die Dissenssuche. Das kommt ganz auf Themen und Partner an. Selbstverständlich ist Kommunikation ohne jeden Konsens unmöglich: aber sie ist auch unmöglich ohne jeden Dissens. Das, was sie zwingend voraussetzt, ist, daß man in bezug auf momentan nicht aktuelle Themen die Frage Konsens oder Dissens dahingestellt sein lassen kann. Und selbst bei aktuellen Themen - selbst wenn man endlich einen Parkplatz gefunden hat und nach langen Fußmärschen das Café erreicht hat, wo es in Rom den besten Kaffee geben soll und dann die paar Tropfen trinkt - wo ist da Konsens oder Dissens, solange man den Spaß nicht durch Kommunikation verdirbt?
An die Stelle einer konsensgerichteten Entelechie setzt die Systemtheorie eine andere These: Kommunikation führt zur Zuspitzung der Frage, ob die mitgeteilte und verstandene Information angenommen oder abgelehnt werden wird. Man glaubt eine Nachricht oder nicht: die Kommunikation schafft zunächst nur diese Alternative und damit das Risiko einer Ablehnung. Sie forciert eine Entscheidungslage, wie sie ohne Kommunikation gar nicht bestehen würde. Insofern ist alle Kommunikation riskant. Dieses Risiko ist einer der wichtigsten morphogenetischen Faktoren, es führt zum Aufbau von Institutionen, die auch bei unwahrscheinlichen Kommunikationen noch Annahmebereitschaft sicherstellen. Es kann aber, und dies scheint mir für fernöstliche Kulturen zu gelten, auch umgekehrt sensibilisieren: Man vermeidet Kommunikationen mit Ablehnungswahrscheinlichkeit, man versucht, Wünsche zu erfüllen, bevor sie geäußert werden, und signalisiert eben dadurch Schranken; und man wirkt an der Kommunikation mit, ohne zu widersprechen und ohne die Kommunikation dadurch zu stören, daß man Annahme oder Ablehnung zurückmeldet.
Kommunikation dupliziert also, um diesen wichtigen Punkt nochmals mit anderen Worten zu wiederholen, die Realität. Sie schafft zwei Versionen: eine Ja-Fassung und eine Nein-Fassung, und zwingt damit zur Selektion. Und genau darin, daß nun etwas geschehen muß (und sei es: ein explizit kommunizierter Abbruch der Kommunikation), liegt die Autopoiesis des Systems, die sich selbst ihre eigene Fortsetzbarkeit garantiert.
Die Zuspitzung auf die Alternative Annahme oder Ablehnung ist also nichts anderes als die Autopoiesis der Kommunikation selbst. Sie differenziert die Anschlußposition für die nächste Kommunikation, die nun entweder auf erreichtem Konsens aufbauen oder dem Dissens nachgehen oder auch versuchen kann, das Problem zu cachieren und den heiklen Punkt künftig zu vermeiden. Nichts, was kommuniziert werden kann, entzieht sich dieser harten Bifurcation - mit einer einzigen Ausnahme: der Welt (im Sinne der Phänomenologie) als dem letzten Sinnhorizont, in dem all dies sich abspielt und der selbst weder positiv noch negativ qualifiziert, weder angenommen noch abgelehnt werden kann, sondern in aller sinnhaften Kommunikation als Bedingung der Zugänglichkeit weiterer Kommunikation mitproduziert wird.

 

V.
Lassen Sie mich nunmehr diesen allgemeinen Theorieansatz an einer Spezialfrage ausprobieren: am Problem der Wertbeziehung von Kommunikationen. Wir sind auf neukantianischen Grundlagen oder auch durch Jürgen Habermas trainiert, hier sogleich Geltungsansprüche zu wittern und zu ihrer Prüfung einzuladen. Die Wirklichkeit ist einfacher - und zugleich komplizierter.
Was man empirisch beobachten kann, ist zunächst, daß Werte in der Kommunikation per Implikation herangezogen werden. Man setzt sie voraus. Man spielt auf sie an. Man sagt nicht direkt: Ich bin für Frieden. Ich schätze meine Gesundheit. Man vermeidet das aus dem Grunde, den wir schon kennen: weil das die Möglichkeiten auf Annahme oder Ablehnung hin duplizieren würde. Gerade das scheint bei Werten unnötig zu sein - oder so meint man jedenfalls.
Werte gelten somit kraft Unterstellung ihrer Geltung. Wer wertbezogen kommuniziert, nimmt eine Art Werte-Bonus in Anspruch. Der andere muß sich melden, wenn er nicht einverstanden ist. Man operiert gleichsam im Schutze der Schönheit und Gutheit der Werte und profitiert davon, daß derjenige, der protestieren will, die Komplexität übernehmen muß. Er hat die Argumentationslast. Er läuft die Gefahr, innovativ denken zu müssen und sich isolieren zu müssen. Und da immer mehr Werte impliziert sind, als im nächsten Zuge thematisiert werden können, ist das Herauspicken, Ablehnen oder Modifizieren ein fast hoffnungsloses Unterfangen. Man diskutiert nicht über Werte, sondern nur über Präferenzen, Interessen, Vorschriften, Programme. Das alles heißt nicht, daß es ein Wertsystem gäbe. Auch nicht, daß Wertordnungen transitiv oder hierarchisch strukturiert sind. Es. heißt auch nicht, und das ist vor allem wichtig, daß es sich um psychologisch stabile Strukturen handele. Im Gegenteil: psychologisch scheinen Werte eine außerordentlich labile Existenz zu führen. Sie werden mal benutzt, mal nicht benutzt, ohne daß man dafür eine Art psychologische Tiefenstruktur entdecken könnte. Ihre Stabilität ist, so will ich einmal provokativ formulieren, ein ausschließlich kommunikatives Artefakt, und das autopoietische System des Bewußtseins geht damit um, wie es ihm gefällt. Und genau deshalb, weil hier Strukturen der Autopoiesis des sozialen Systems im Spiel sind, eignet sich die Wertesemantik zur Darstellung der Grundlagen eines sozialen Systems für den Eigengebrauch. Ihre Stabilität beruht auf einer rekursiven Unterstellung des Unterstellens und auf einer Erprobung der Semantik, mit der das jeweils funktioniert bzw. nicht funktioniert. Die "Geltungsgrundlage" ist Rekursivität, gehärtet durch die kommunikative Benachteiligung des Widerspruchs.
Was das Bewußtsein sich dabei denkt, ist eine ganz andere Frage. Wenn es versiert ist, wird es wissen, daß Wertkonsens ebenso unvermeidlich wie unschädlich ist. Denn es gibt keinen Selbstvollzug der Werte, und man kann alles, was sie zu fordern scheinen, im Vollzug immer noch entgleisen lassen, im Namen von Werten natürlich.

 
VI.

Eine derart tiefgreifende Revision der system- und kommunikationstheoretischen Begrifflichkeit wird sicher Konsequenzen haben für den Bereich der Diagnose und Therapie von Systemzuständen, die man als pathologisch ansieht. Mir fehlt für diesen Bereich jegliche Kompetenz und vor allem jene Art von automatischer Selbstkontrolle die aus einer Vertrautheit mit dem Milieu entsteht. Trotzdem möchte ich versuchen, in einer Art Zusammenfassung einige Punkte zu beleuchten, die vielleicht einen Anlaß geben könnten, bekannte Phänomene neu zu konstruieren.
Zunächst: der Ansatz betont die Differenz von psychischen und sozialen Systemen. Die einen operieren auf der Basis von Bewußtsein, die anderen auf der Basis von Kommunikation. Beides sind zirkulär geschlossene Systeme, die jeweils nur den eigenen Modus der autopoietischen Reproduktion verwenden können. Ein soziales System kann nicht denken, ein psychisches System kann nicht kommunizieren. Kausal gesehen gibt es trotzdem immense, hochkomplexe Interdependenzen. Geschlossenheit heißt also keinesfalls, daß keine Wirkungszusammenhänge bestünden oder daß solche Zusammenhänge nicht durch einen Beobachter beobachtet und beschrieben werden könnten. Nur muß die Ausgangslage der autopoietischen Geschlossenheit in diese Beschreibung eingehen. Das heißt: man muß der Tatsache Rechnung tragen, daß Wirkungen nur durch Mitvollzug auf Seiten des die Wirkungen erleidenden Systems zustande kommen können. Und man muß berücksichtigen, daß die Systeme füreinander intransparent sind, sich also wechselseitig nicht steuern können.
Es liegt in der Konsequenz dieses Ansatzes, zu sagen, daß das Bewußtsein zur Kommunikation nur Rauschen, nur Störung, nur Perturbation beiträgt und ebenso umgekehrt. Und in der Tat: wenn Sie einen Kommunikationsprozeß beobachten, müssen Sie die vorherige Kommunikation kennen, eventuell Themen und das, was man sinnvoll darüber sagen kann. Die Bewußtseinsstrukturen der Individuen brauchen Sie im allgemeinen nicht zu kennen.
Aber dieser Ausgangspunkt bedarf natürlich der Verfeinerung, da die Kommunikationssysteme oft Personen thematisieren und da das Bewußtsein sich daran gewöhnt hat, bestimmte Worte zu lieben, bestimmte Geschichten zu erzählen und sich so mit Kommunikation partiell identifiziert. Ein Beobachter kann also hohe strukturierte Interdependenzen zwischen psychischem und sozialem System erkennen. Und trotzdem: die psychische Selektivität kommunikativer Ereignisse im Erleben der Beteiligten ist etwas völlig anderes als die soziale Selektivität; und schon bei einer geringen Aufmerksamkeit auf das, was wir selbst sagen, wird uns bewußt, wie unscharf wir auswählen müssen, um sagen zu können, was man sagen kann; wie sehr das herausgelassene Wort schon nicht mehr das ist, was gedacht und gemeint war, und wie sehr das eigene Bewußtsein wie ein Irrlicht auf den Worten herumtanzt, sie benutzt und verspottet, sie zugleich meint und nicht meint, sie auftauchen und abtauchen läßt, sie im Moment nicht parat hat, sie eigentlich sagen will, und es dann ohne stichhaltigen Grund doch nicht tut. Würden wir uns anstrengen, das eigene Bewußtsein wirklich in seinen Operationen von Gedanken zu Gedanken zu beobachten, würden wir zwar eine eigentümliche Faszination durch Sprache entdecken, aber zugleich auch den nichtkommunikativen, rein internen Gebrauch der Sprachsymbole und eine eigentümlich-hintergründige Tiefe der Bewußtseinsaktualität, auf der die Worte wie Schiffchen schwimmen, aneinandergekettet, aber ohne selbst das Bewußtsein zu sein, irgendwie beleuchtet, aber nicht das Licht selbst.
Diese Überlegenheit des Bewußtseins über die Kommunikation (der natürlich in umgekehrter Systemreferenz eine Überlegenheit der Kommunikation über das Bewußtsein entspricht) wird vollends klar, wenn man bedenkt, daß das Bewußtsein nicht nur mit Worten oder vagen Wort- und Satzideen, sondern nebenbei und oft vornehmlich mit Wahrnehmung und mit imaginativem Auf- und Abbau von Bildern beschäftigt ist. Selbst während des Redens beschäftigt sich das Bewußtsein unaufhörlich mit Wahrnehmungen. und mir selbst kommt es oft so vor, als ob ich beim Formulieren die Schriftbilder der Worte sehe (ein Sachverhalt, der von den Forschungen über "Verschriftlichung" der Kultur, so weit ich sie kenne, bisher nie beachtet worden ist). Auch variiert von Individuum zu Individuum das Ausmaß, in dem man sich durch das eigene Reden von der wahrnehmenden Beobachtung anderer ablenken läßt, oder wie weit man trotz der Aufmerksamkeit für die Sequenz der Rede daneben noch Kapazität frei hat für das simultane Prozessieren von Wahrnehmungseindrücken.
All dies macht es, um nun die Selbstreferenz wieder zu wechseln und auf das soziale System der Kommunikation zurückzukommen, unvermeidlich, die Kommunikation diesem Irrwisch Bewußtsein anzupassen. Das kann natürlich nicht so geschehen, daß die Kommunikation stückchenweise Bewußtsein transportiert.
Vielmehr wird das Bewußtsein, was immer es bei sich selbst denkt, von der Kommunikation in eine Situation des forced choice manövriert - oder so jedenfalls sieht es von der Kommunikation her gesehen aus. Die Kommunikation kann auf kommunikativ verständliche Weise angenommen oder abgelehnt werden (und natürlich läßt sich die Thematik faktorisieren, so daß eine Entscheidung in vielen Entscheidungen dekomponiert wird). Die autopoietische Autonomie des Bewußtseins wird, so kann man sagen, in der Kommunikation durch Binarisierung repräsentiert und abgefunden. An die Stelle der unverständlich rauschenden Bewußtseinsumwelt des Kommunikationssystems tritt eine in der Kommunikation traktierbare Entscheidung: ja oder nein, Rückfrage, eventuell Verzögerung, Vertagung, Enthaltung. Die Kommunikation läßt sich, anders gesagt, durch Bewußtsein stören und sieht dies sogar vor; aber immer nur in Formen, die in der weiteren Kommunikation anschlußfähig sind, also kommunikativ behandelt werden können. Auf diese Weise kommt es nie zu einer Vermischung der Autopoiesis der Systeme und doch zu einem hohen Maß an Co-Evolution und eingespielter Reagibilität.
Ich bin mir im klaren darüber, daß diese Analyse noch keineswegs ausreicht, um zu beschreiben, was wir als pathologischen Systemzustand erfahren. Das wechselseitige Rauschen, Stören, Perturbieren ist, von dieser Theorie her gesehen, ja gerade der Normalfall, für den eine normale Auffang- und Absorptionskapazität bereitsteht, sowohl psychisch als auch sozial. Vermutlich entsteht der Eindruck des Pathologischen erst, wenn gewisse Toleranzschwellen überschritten sind, oder vielleicht könnte man auch sagen: wenn die Gedächtnisse der Systeme hierdurch in Anspruch genommen werden und Störungserfahrungen speichern, aggregieren, wiederpräsentieren, über Abweichungsverstärkung und Hyperkorrektion verstärken und mehr und mehr Kapazität dafür in Anspruch nehmen. Wie dem auch sei: Von der theoretischen Position aus, die ich versucht habe zu skizzieren, müßte man psychische und soziale Pathologien deutlich unterscheiden und vor allem vorsichtig sein, wenn man die eine als Indikator oder gar als Ursache für die andere ansehen will.

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