Den Ausdruck "Begriffsgeschichte" verwende ich hier umgangssprachlich für eine Geschichte der Wortverwendung. Das Wort "System" hat eine lange und vieldeutige Geschichte - und es steht für sehr verschiedenen System-Begriffe und auch für Sachen, die mit Systemen praktisch nichts zu tun habem, beispielsweise im Ausdruck Systematik.
Das Wort "systema" verweist quasietymologisch auf ein "zusammengesetztes Ganzes", wobei schon Aristoteles die Ordnung und die Funktion aufeinander bezogen hat. Nach Platon kommt es auf die Vielzahl einzelner Erkenntnisse "von dem richtigen Gesichtspunkte aus" an. Die alten Griechen dachten noch nicht konstruktiv und hatten eine Reihe von bedeutungähnlichen Begriffe "systasis", "syntaxis" und "syntagma". Ferner gibt es für die "systematische Zusammenstellung" später den Begriff "hypotyposis", der für die Zusammenstellung der christlichen Lehre im Neuen Testament verwendet wird.
"Systema" wurde seit Hippokrates (um 500 v. Chr.) 1000 Jahre lang viel gebraucht, bis 529 n. Chr. die Schule in Athen geschlossen wurde. Die Römer sprachen sinngemäss von "constitutio", aber auch schon von "constructio". Ins Latein kam der Ausdruck durch Martianus Capella (430 n. Chr.) im Rahmen der Musiktheorie (systema = complexus certum intervallum).
Im Mittelalter fehlt der Ausdruck, erst nach 1500 findet sich "systema" wieder (was damit zu tun hat, dass zum Mittelalter alles fehlt, und die Antike erst um 1500 im Rahmen der Renaissance geschrieben wurde).
N. Kopernikus hat den Begriff System nicht verwendet. Doch schon 1540 sprach Georg Joachim Rheticus, dessen akademische Karriere von Melanchthon unterstützt wurde, vom "systema des Kopernikus". Da sich dieses System lange keiner grossen Anhängerschaft erfreute, dauerte es fast ein Jahrhundert, bis Galilei die Sache und den Begriff popularisierte.
Mit "systema theologicum" für den "complexus articulorum fidei" wurde ein Lehrgebäude bezeichnet. Leonhard Hütter gibt in seinem "Compendium Locorum theologicum" (1610) schon genau die Methode an: "Wie in einer Kette die einzelnen Ösen zusammenhängen, so erzeugt in unserer heiligsten Wissenschaft (der Theologie) ein Glaubensartikel aus sich einen andern und bestimmten, der wiederum einen andern, und so fort, bis ein 'integrum doctrinae christianae corpus sive systema perfectum et absolutum' geschaffen ist". In dieser Verwendung - die wir heute als Systematik kennen - geht es hauptsächlich um die Ordnung in der Darstellung. Im 17. Jahrhundert wurde "systema" als ein "nach bestimmten Prinzipien geordnetes Ganzes" von Sätzen oder Wahrheiten.
B. Keckermann etwa verfasste nach dem "Systema logicae" (1600) weitere 9 Lehrbücher als "Systeme", nämlich der hebräischen Grammatik (1600), Theologie (1602), der Ethik (1607), der Politik (1607), der Rhetorik (1608), der Metaphysik (1609), der Astronomie (1611) und der Geographie (1611). Eine posthume Gesamtausgabe seiner Vorlesungen über fast alle Gebiete des Wissens erhielt 1613 den Titel "Systema systematum". Während Francis Bacon 1620 bereits von "philosophischen Systemen" sprach, taucht bei Descartes das Wort "système" nicht auf (dafür "modèle"). Malebranche bezeichnet Descartes Philosophie als "système". Leibniz nannte seinen Welterklärungsversuch "Système nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l'union qu'il a entre l'âme et le corps" (1695). Thomas Hobbes (1651) bezeichnete mit System ein eine Anzahl von Menschen, die sich zur Verfolgung eines Interesses oder Geschäftes "zusammengesetzt" haben.
1729 schrieb Butler: "The body is a system or constitution; so is a tree; so is every machine."
Johann Heinrich Lambert schreib um 1770 seine "Systematologie" und C. Wolff bezog den Ausdruck System dann auf logische Wahrheiten und deduktive Methoden bezogen, was bei Kant, Schelling und Hegel, Comte, Mill, Spencer und Wundt immer mehr zu einer Bezeichnung der untersuchten Sache wird.
Parallel dazu wird der Ausdruck von Linné und Lamarck auch für methodisch begründete Klassifikationen verwendet.
Quelle: das ist vorderhand eine dürftige Compilation von muellerscience.com. Es geht mir im Gegensatz zur Quelle darum, "System" als Homonym zu begreifen, also "Systematik" von System zu lösen, während in der Quelle die philosophiegeschichtliche Vermengung mitgemacht wird.
[ noch fertig schreiben]
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