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August, Vincent: Technologisches Regieren. Der Aufstieg des Netzwerk-Denkens in der Krise der Moderne. Foucault, Luhmann und die Kybernetik. Unveröff. Dissertationsschrift. Berlin 2018.

Volltext mit PW

DIE Kybernetik wird aufwendig verordnet, aber der Leser müsste schon wissen, was Kybernetik ist (lustigerweise wird im Buch zitiert, dass niemand weiss, was Kybernetik ist). (dann nochmals intensiv S. 136)

Das je unterschiedliche Interesse der Einzeldisziplinen führte dazu, dass ›die‹ Kybernetik ausfranste und der Metadiskurs der Universaldisziplin in den frühen 1970er Jahren verschwand.132 Paradoxerweise gewannen aber die radikalen Konzepte der Kybernetik in dem Moment an gesellschaftlicher Relevanz, als die Disziplin der Kybernetik gerade versunken war (S. 136)

Das Klischee:
Die zunächst aufsehenerregendste Abweichung vom humanistischen Souveränitätsdenken bestand darin, dass die Kybernetik die Unterscheidung von Mensch und Maschine einebnete. (Sie sah sich darin selbst in der Tradition der narzisstischen Kränkungen des Menschen, in der sie – nach Kopernikus’ kosmologischem, Darwins biologischem und Freuds psychoanalytischem Angriff – dem Selbstbewusstsein der Menschen einen vierten Schlag versetzte: Das Gehirn des Menschen sei gar nicht einzigartig, sondern – wie der Mensch insgesamt – der Maschine analog, wenn nicht sogar prinzipiell gleich.

Und der unverstandene Teil des Klischees: vom Sein zum Tun
Die Besonderheit der Kybernetik war also, dass sie die gesamte Sichtweise vom Was zum Wie und vom Sein zum Tun verschob

Wichtig:
Während Norbert Wiener und seine Kollegen eine Maschine als black box betrachteten, blickte der zweite protokybernetische Aufsatz ins Innere eines Systems.142 Warren McCulloch und Walter Pitts untersuchten das Nervensystem des Gehirns daraufhin, was es tut, wenn es arbeitet. Dabei stellten sie fest, dass sich das Nervensystem als ein Netz von Neuronen (net of neurons) beschreiben lasse, die abhängig von einem selbstgesetzten Level von Erregung Impulse abfeuern. In einem System finde sich also ein Netzwerk von Mikrosystemen, und das Verhalten der black box Gehirn ergebe sich selbst wieder aus dem Zueinander-Verhalten zahlreicher kleinerer black boxes, aus den Relationen der Neuronen.
Dabei gingen McCulloch und Pitts über Wieners Analogie-Behauptung noch hinaus. Denn sie argumentierten, dass eine kognitive Zustandsänderung tatsächlich einer materiellen Zustandsänderung entspräche: Indem die Neuronen einen bestimmten Zustand annehmen (feuern/nicht-feuern), produzieren sie logische Kalküle, die wiederum mit Boole’scher Algebra erfassbar waren: »in psychology [...], the fundamental relations are those of two valued logic«.143 Neuronen sind also Relais mit einer 1/0-Schaltung.144 McCulloch und Pitts übertrugen damit die On-Off-These, die Alan Turing für seine Universalmaschine aus der Physiologie importiert hatte, zurück in die Neurophysiologie. Die radikale Konsequenz war, dass nicht nur Menschen, sondern auch Maschinen zoon logon echon waren: Beide verfügen demnach über Sprache, und das Gehirn sei in funktionaler Perspektive eine Turing-Maschine. (S.138f)
FN 142 McCulloch/Pitts: »A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity«. Vgl. zu den folgenden beiden Absätzen Dupuy: The Mechanization of the Mind, S. 49-54; Seibel: Cybernetic Government, S. 87-89; Alhadeff-Jones: »Three Generations of Complexity Theories«, S.

Wichtig: Ashby (interpretiert ??)
Allerdings waren die frühen kybernetischen Ansätze oft noch darauf fokussiert, dass sich eine selbstregulierende Maschine auf einen (scheinbar) vorgegebenen Zweck ausrichtete. Damit brach Ross Ashby, als er 1952 auf der Macy-Konferenz seine Konzeption von Homöostase vorstellte – und so die Kybernetik nachhaltig veränderte.190 Ashby entwarf eine Maschine, die sich über interne, nicht vorhersagbare Mechanismen einen Normalwert suchte, mit dem sie in einem Gleichgewicht mit der Umwelt stehe und den sie nach einer Störung durch die Umwelt neu austarieren würde.191 Eine solche homöostatische Maschine lasse sich als zweckfrei beschreiben, denn hier beruhe der Regulationsmechanismus nicht auf einer gesetzten Zielvorstellung, sondern auf einer unabhängigen, stets neuen Anpassung mithilfe eines Lernprozesses. Es ist für Ashby nun gerade dieser zweckfreie Anpassungsmechanismus, der die Leistungsfähigkeit komplexer Systeme ausmacht. Durch ihn sei ein System in der Lage, kritische Variablen unter unvorhersehbar schwankenden Umweltbedingungen in einem akzeptablen Bereich zu halten. Ashby nannte ein solches lernendes System daher ›ultrastabil‹. (S.151f)
FN Wiener übernahm Ashbys Weiterentwicklung: »I believe that Ashby’s brilliant idea of the unpurposeful random mechanism which seeks for its own purpose through a process of learning is not only one of the great philosophical contributions of the present day, but will lead to highly useful technical developments in the task of automatization.« Ich glaube, dass Ashbys geniale Idee des zweckfreien Zufallsmechanismus, der durch einen Lernprozess nach seinem eigenen Zweck sucht, nicht nur einer der großen philosophischen Beiträge der Gegenwart ist, sondern auch zu höchst nützlichen technischen Entwicklungen bei der Automatisierung führen wird. (Wiener: The Human Use of Human Beings, S. 38)

Wichtig: Erfindung der Differenz System/Umwelt:
"Ashby hingegen verdeutlichte, dass die Umwelt selbst hochgradig komplex und volatil sei und dass das System letztlich aus System und Umwelt bestehe." (S. 152)

Wichtig: Lernen
FN (S. 152) Vgl. zum Absatz Dupuy: The Mechanization of the Mind, S. 149-154. Lernen ist für Ashby demnach eine Beobachtungszuschreibung, die ohne Introspektion funktioniert, sodass man auch bei einem springenden Ball von Lernen sprechen kann, bis er ein Gleichgewicht findet. Dieses Verständnis von Lernen ist schon auf den Macy-Konferenzen nicht konsensfähig. Dupuy argumentiert in seiner Rekonstruktion der Debatte allerdings, dass die Gegner dieser Sichtweise (wie etwa Bigelow) Argumente vorbringen, die sie selbstvorher in einer anderen Diskussion kritisiert hatten.

============ gelesem bis 222 === in den Bereichen, wo Kybernetik eine ROlle spielt kommt Luhmann nicht vor und vice versa ======= und was Ropohl über Luhmann sagte hat V.A übersehen und von Bateson zitiert V.A wie Luhmann die Ökologie nicht den "Geist und Natur" ---- »Information ist mithin eine rein systeminterne Qualität. Es gibt keine Überführung von Informationen aus der Umwelt in das System. Die Umwelt ist, was sie ist. Sie enthält allenfalls Daten.«65 Diese Überlegung hatte Luhmann auch bei Heinz von Foerster, George Spencer-Brown und Gregory Bateson gefunden, von dem die Formulierung hier fast übernommen wurde. 65 Luhmann: Ökologische Kommunikation, S. 45. (S. 312) ----------------------------

Textstellen
"Dabei übersahen allerdings vor allem die sozialwissenschaftlichen Diskutant:innen in der Regel, dass es in der Kybernetik selbst auch eine deutliche Abgrenzung dazu gab, die im Laufe der Zeit immer schärfer wurde. Dies hat den kybernetikaffinen Logiker Gotthard Günther zu einer doppelten Attacke veranlasst: Während er Habermas vorwarf, sich mit der Kybernetik im Grunde nicht beschäftigt zu haben, denunzierte er all jene, die der Norm maximaler Rationalität folgten, als »Wald- und Wiesen-Kybernetiker«, denen die Problemstellungen der Kybernetik »ein Buch mit sieben Siegeln zu sein scheinen«. [Günther: »Selbstdarstellung im Spiegel Amerikas«, S. 41f.; vgl. Hagner: »Vom Aufstieg und Fall der Kybernetik als Universalwissenschaft«, S. 67]" (112f)

Von besonderer Relevanz für diese Abgrenzungsbewegung ist eine Gruppe in der Kybernetik, die bereits in den 1960er Jahren die Kategorien der ersten Generation einer Revision unterzog. In der Forschungsliteratur hat sich für diese Gruppeder Begriff der second-order cybernetics etabliert.119 Für die formal-logische Perspektive war Heinz von Foerster, Sekretär der Macy-Konferenzen, eine Brücke von der ersten zur zweiten Generation kybernetischen Denkens, während Gregory Bateson diese Brückenfunktion auf der sozialwissenschaftlichen Seite zukam.120 Für die Biologie entwickelten mit Humberto Maturana und Francisco Varela zwei ›Neulinge‹, die nicht auf den Macy-Konferenzen waren, die kybernetischen Konzepte weiter.

Die second-order cybernetics ging von der Beobachtung aus, dass die Kategorien der Macy-Konferenzen allzu oft dazu verleiteten, den Zufall in stochastischen Berechnungen zu glätten und die Konsistenz der Modelle empirisch oder gar normativ der Kontingenz der Ereignisse vorzuziehen. Um dieser Rationalisierungsfalle zu entgehen, unternahmen sie einen paradoxen Schachzug: Der ursprünglich radikale Kern der Kybernetik, wie er bei den Gründungsfiguren McCulloch und Wiener angelegt sei, ließe sich demnach nur retten, wenn man eine reflexive Wende einbaut. Eine Kybernetik der Kybernetik sollte die Komplexität und Kontingenz erneut zum Vorschein bringen.
FN Im Unterschied zur first-order cybernetics fehlt bisher eine konzise Geschichte dieser enorm einflussreichen zweiten Generation, die gelegentlich auch neocybernetics oder new cybernetics genannt wird.


[ Kritik: Theorie der Gesellschaft oder Regierungstechnologie? ]