Gast-Vortrag im Rahmen der Vorlesung "Kybernetik" von Prof. R. Hirsig an der Uni Zürich, 25. Januar 2000
Ich will zuerst einige Bemerkungen über meine Herkunft machen: Als ich Psychologie studiert habe, galt die sogenannnt akademische Psychologie weitherum als behavioristisch, während Psyschoanalyse und ähnliches in der Hochschule als neue Alternativen um Anerkennung kämpften. Die Allgemeine Systemtheorie war eine Domäne der etablierten Sozialwissenschaften, insbesondere in der Soziologie. Im damals populären Grundlagenstreit, dem sogenannten Positivismusstreit, stritten links Adorno und Habermas mit den Waffen der Dialektik und der Psychoanalyse, und rechts Popper und Luhmann mit den Waffen der Systemtheorie.
Durch diesen Streit lernte ich, dass man Systemtheorie für fortschrittliche Anliegen nicht brauchen kann - und seither halte ich auch nicht mehr so viel vom Lernen. Dann habe ich halb zufällig Skinner gelesen, der als einer der Begründer des schon damals verschrieenen Behaviorismus gilt. Skinner war wesentlich an der Verbreitung der Lerntheorien und der Tier-Labyrinth-Experimente und an der damit verbundenen Blackbox-Auffassung beteiligt. Ich habe aber nichts von diesen Experimenten gelesen, sondern die Bücher "Walden II" und "Jenseits von Freiheit". Das waren - und sind es immer noch - für mich zwei tolle Bücher. Und damit hatte ich ein Problem: Der Gründer des Behaviorismus schreibt Bücher, die mir gefallen. Was ich eigentlich von Freud und Adorno so nicht sagen konnte.
Nur sicherheitshalber habe ich mich dann etwas mit Behaviorismus und Systemtheorie beschäftigt. Ich besuchte die damals noch 4-semestrige Grundvorlesung von René Hirsig. Und jetzt bin ich wieder da. Dazwischen ist (mir) einiges passiert. Erstens ist das systemische Denken modern geworden. Ich sehe zwar nicht recht, was das mit Systemtheorie zu tun hat, aber immerhin. Zweitens bin ich dem Radikalen Konstruktivismus begegnet, und was der mit Systemtheorie zu tun hat, will ich hier unter dem Aspekt der 2. Ordnung etwas erläutern.
Ich spreche dazu zuerst etwas über Systemtheorie, dann etwas über die 2. Ordnung, dann über Kosten und Nutzen und schliesslich noch etwas über unsere Forschungstätigkeit in der 2. Ordnung. Unterbrechen Sie, wenn Sie etwas nicht verstehen. Mit Nicht-Verstehen meine ich insbesondere auch, wenn Sie anderer Meinung sind.
Ich verwende hier die Ausdrücke Systemtheorie und Kybernetik synonym. Das, was Sie als Systemtheorie aus dieser Vorlesung kennen, bezeichne ich - quasi rückblickend - als Systemtheorie 1. Ordnung, weil ich die Auffassung, die ich erläutern will, Systemtheorie 2. Ordnung nenne. Ich sage zuerst einige Worte zur Systemtheorie 1. Ordnung, damit Sie sich an meine Sprache gewöhnen können.
Die Systemtheorie ist eine Theorie. Als Theorie fasse ich eine Argumentation auf, in welcher eine (wissenschaftliche) Erklärung auf ein analoges Phänomen übertragen wird. Eine Theorie beschreibt also die Funktion, die Bedeutung oder den Sinn einer Erklärung innerhalb eines durch die Theorie bezeichneten Kontextes. Ich gebe ein Beispiel: Ich will den Blitz erklären. Dazu erkläre ich, wie ein Funke an einer Batterie zustande kommt. Und dann muss die Theorie erläutern, welche anderen Funken damit inwiefern erklärt werden, also etwa, was dieser Funke an der Batterie mit einem Blitz zu tun hat. Das Verfahren ist bei Maturana (1984:34) als "Erklärungssystem" beschrieben.
Als Erklärung betrachte ich eine systematische Beschreibung von Mechanismen, die wir zur Erzeugung derjenigen Phänomene verwenden können, die wir erklären wollen. Die Funktionsweise eines Mechanismus ist durch den Mechanismus gegeben. Sie ist Gegenstand der Konstruktion. Erklärungen werden - in genau diesem Sinne - konstruiert. Auch dazu ein Beispiel: Heron erklärt das Phämomen, dass sich die Tempeltüre öffnet, wenn davor ein Feuer entfacht wird, mit einer unterirdischen Konstruktion mit Seilen und Winden, die durch eine durch das Feuer geheizten Maschine angetrieben werden. Bitte beachten Sie: Dazu braucht er keine Theorie, den er erklärt ja das interessierende Phänomen, nicht ein analoges, also nicht etwa, wie sich der Hades öffnet. |
Den Ausdruck "System" verwende ich für Mechanismen, die ich als Erklärungen verwende. Als System bezeichne ich eine Konstruktion, die ich mit einem Regelkreis-Schema (Feedback) sinnvoll beschreiben kann. Ein System hat also sekundäre Energiekreise, die Schalter in relativ primären Energiekreisen steuern, das heisst es verwirklicht das Verstärker-Prinzp (Relais, Transistor usw). Die Stellungen der Schalter (Variablen) bezeichne ich als Systemzustand. In diesem Sinne von einem System zu sprechen, macht nur Sinn, wenn beide Energiekreise, der steuernde und der gesteuerte, bezeichnet werden (können). Typische Beispiele für Systeme sind etwa die thermostatengeregelte Heizung oder ein muskulärer Organisms mit Nerven. Im Thermostat fliesst Strom, um Schalter im Kreis der primären Energie Heizoel zu steuern. In den Nerven fliesst Strom, um die zuckerverbrennende Muskulatur zu steuern. Kompliziertere Systeme haben Verschachtelungen von sekundären Energiekreisen, die gemeinhin mit Schaltalgebra dargestellt wird, Beispiele sind Computer, Hirn usw.
Alle Aussagen und Theorien über Systeme stammen von einem Beobachter. Wenn man Systeme konstruktiv auffasst, ist auch klar, was zum System gehört, respektive wo die Systemgrenzen sind. Wenn man etwa eine Thermostatenheizung konstruiert, gehört der Temperaturfühler, also beispielsweise eine sich mit steigender Temperatur ausdehnende Feder zum System, die Luft im geheizten Raum dagegen nicht. Die Heizung reagiert dann nicht auf die Raumtemperatur, sondern auf den Zustand des Sensors.
Systemtheoretische Beschreibungen beschreiben also Mechanismen, mit welchen die zu erklärenden Phänomene erzeugt werden können. Wenn ich als Systemtheoretiker von einem solchen Mechanismus (noch) nicht weiss, wie er konstruiert ist, respektive dessen Funktionsweise (noch) nicht erkannt habe, nenne ich ihn Blackbox. So kann man sich als typisch wissenschaftliche Aufgabe beispielsweise überlegen, was in einer bestimmten Blackbox sein könnte, zu der man die Funktion zwischen Tastatur und Bildschirm beobachtet. Analoge Fragen sind etwa: Wie ist eine Ratte "konstruiert", die den Weg durch ein Labyrinth findet; wie ist der Sternenhimmel "konstruiert", der die uns bekannten Phänomene wie Sonnenaufgang und Abendstern zeigt; wie ist der Körper von Säugetieren "konstruiert", der bei verschiedenen Aussentemperaturen immer ungefähr dieselbe Temperatur beibehält; usw. Viele dieser Fragen lassen sich mit wirklichen "Konstruktionen", etwa mittels Robotern erklären, die die verlangten Aufgaben erfüllen. |
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Lassen Sie mich noch eine Kritik anfügen: Viele "systemtheoretisch" genannte Erklärungen sind in ihrem Anspruch viel weicher. Sie beruhen auf Pseudo-Mechanismen, die kein Wissenschafter wirklich bauen könnte. Eigentliche Systemtheorie ist Engineering, also Konstruktion, nicht Jules Verne.
Natürlich spielt keine Rolle, ob der Beobachter relativ zur Blackboxwand innen oder aussen ist. Die Blackbox ist immer das, was er aufgrund von Beobachtungen an deren Oberfläche rekonstruieren muss. Das Szenario, in welchem Beobachter leben, die innerhalb der Blackbox sind, kann man sich anschaulich vergegenwärtigen, wenn man sich einen U-Boot-Kapitän oder einen Piloten im Blindflug vorstellt. Der Pilot kann im Blindflug nicht sehen, was ausserhalb des Flugzeuges ist, er sieht und reagiert nur auf die Anzeigen auf seinen Instrumenten. Und die Auswirkungen seiner Handlungen sieht der Pilot wiederum nur auf seinen Instrumenten, er steuert also eigentlich die Anzeige seiner Instrumente. Das ist besonders deutlich der Fall, wenn der Pilot statt in einem Flugzeug in einem Flugsimulator sitzt, aber genau dieselbe Aufgabe erfüllt, die er auch im Flugzeug zu erfüllen hat. Ob der Pilot im Simulator sitzt oder nicht, ist - bei einem hinreichend guten Simulator - nur für den aussenstehenden Beobachtenden entscheidbar, der Pilot kann keine Unterschiede festellen. |
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Um-Welt bedeutet Welt-um-etwas-herum. Die Um-Welt, die der Pilot mittels seiner Instrumente für-wahr-nimmt, ist die Welt ausserhalb seines Flugzeuges. Was der Pilot wirklich - im Sinne von "was wirkt" - wahrnimmt, ist das Flugzeug, resp. die Instrumente, die zum Flugzeug, nicht zur Um-Welt des Flugzeuges gehören.
Wenn man - wie es tendenziell in Virtual-Reality-Spielen mit Cyber-Helmen und Cyber-Handschuhen gemacht wird - das Cockpit des Piloten so schrumpft, dass die Anzeigen und Bedingungselemente mit der sensorischen-effektorischen Oberfläche des Piloten zusammenfallen, ist alles, was ausserhalb des "Netzhaut-Bildschirmes" ist, (die) Um-Welt des Piloten. In genau diesem Fall ist der Pilot ein (wissenschaftlicher) Beobachter. Der Beobachter ist also ein Pilot, dessen Flugzeug aus ihm selbst besteht. Er nimmt seine Um-Welt mittels seiner Sinne wahr. Goethe sagte in seiner naturwissenschaftlichen Arbeit, dass uns kein wissenschaftliches Instrument mehr zeigen könne, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Das ist nicht technikskeptisch oder -feindlich zu verstehen, sondern heisst, dass wir Insturmente wie Fernrohr oder Mikroskop und natürlich Anzeigen im Cockpit letzlich wieder vor unsere Sinne halten.
Da die Instrumente zum Flugzeug gehören, kann man sagen, dass der Pilot nur auf Zustände des Flugzeuges reagiert, und nicht auf irgendetwas, was ausserhalb des Flugzeuges ist. So wie der Pilot die Anzeigen seiner Instrument steuert, so steuert der Beobachter seine "Anzeigen". Wenn ich etwa den Kopf in einer bestimmten Situation drehe, sehe ich bestimmte Gegenstände, beispielsweise mein Büchergestell oder den Eifelturm, je nachdem, wo (in welchem Zustand) ich mich gerade befinde. Wenn ich den Kopf zurückdrehe, sehe ich, was ich zuvor gesehen habe. Mit den Bewegungen des Kopfes beeinflusse ich also, was ich sehe, so wie der Pilot mit seinen Bewegungen die Anzeigen seiner Instrumente bestimmt. In diesem Sinne kann man sagen, dass wir auf unsere eigenen Sinneszustände reagieren und dass unser Verhalten der Steuerung unserer Wahrnehmung dient. (Powers 1973).
Ein System, das nur auf seine eigenen Zustände reagiert, nennt man "operationell geschlossen". Operationell geschlossene Systeme haben weder Output und noch Input im Sinne der Informationstheorie, sie sind nur energetisch offen, das heisst sie verbrauchen Energie. Damit sie Energie aufnehmen können, müssen sie in einem Umfeld sein, in welchem die Energie in einer für sie aufnehmbaren Form vorhanden ist. Mit diesem Umfeld sind diese Systeme "strukturell gekoppelt". Menschen beispielsweise verbrennen Sauerstoff. Auf der Erde wird Sauerstoff von Pflanzen ausgeschieden (Photosynthese). Solange Sauerstoff nicht anders produziert werden kann, sind die Menschen deshalb mit den Pflanzen strukturell gekoppelt. Umgekehrt brauchen die Pflanzen jemanden, der Sauerstoff vernichtet, resp. CO2 produziert. Normalerweise atmen aber Menschen nicht dazu, dass die Planzen Stickstoff haben, und die Pflanzen haben schon Sauerstoff produziert, lange bevor es Menschen gab. Beide Systeme kümmern sich um ihre Bedürfnisse und nehmen die strukturelle Koppelung lediglich in Kauf.
Piloten steuern ihre Instrumente. Dass dabei das Flugzeuge in seiner Um-Welt etwas sinnvolles macht, entspringt der Koppelung der Zustände der Instrumente mit Zuständen des Flugzeuges, die im Falle von eigentlichen Flugzeugen von den Konstrukteuren natürlich sehr bewusst eingerichtet sind. Die Piloten dürfen sich aber nicht darum kümmern. Sie müssen lernen und immer wieder trainieren, nach den Instrumenten zu fliegen. Wenn sie nämlich in kritischen Situationen nicht mehr auf die Instrumente schauen, sondern wissen wollen, wie es ausserhalb ihres Flugzeuges ist, und aus dem Fenster schauen, stürzen sie in der Regel ab. Sie stürzen aber nicht ab, weil sie "hinausschauen", sondern sie schauen hinaus, weil sie abstürzen, respektive Angst haben abzustürzen. Und das ist nicht nur bei Piloten so: Wenn alles gut läuft, interessiert uns die Um-Welt nicht. Nur wenn Probleme auftreten, richtet man seine Aufmerksamkeit auf Um-Welt. Wenn wir beispielsweise auf einer Strasse gehen, schauen wir nicht auf die Strasse. Wenn wir aber plötzlich stolpern, also unsere normale Bewegung gestört ist, suchen wir sofort nach einen Grund in der Um-Welt, sei es ein Stein oder ein Loch im Belag der Strasse. Wenn wir aber auch unseren Sinn(esorgan)en nicht mehr trauen und wissen wollen, was jenseits unserer Sinne - in der sogenannten Realität - der Fall ist, laufen wir grosse Gefahr wahnsinnig zu werden oder angelogen zu werden. Im Normalfall spielt es keine Rolle, ob ich auf mich oder auf meine Um-Welt reagiere. Im Alltag machen wir diese Unterscheidung ja auch nicht: wir essen, bis wir wahrnehmen, dass wir satt sind, nicht bis wir die nötige Menge an Nährstoffen zu uns genommen haben. Wir gehen auf eine Fata Morgana zu, weil wir sie sehen, nicht weil dort etwas ist.
Für Piloten, die sich nicht in einem Simulator wähnen, ist "sinnen"-klar, dass sie mit ihren Flugzeugen durch die Um-Welt ihrer Flugzeuge und mithin durch ihre Um-Welt überhaupt fliegen, obwohl sie diese nur durch die Instrumente wahrnehmen. Selbst wenn die Piloten wissen, dass sie in einem Simulator sitzten, verbinden sie mit den Anzeigen der Instrumente ganz bestimmte Bedeutungen. Zur Zahl auf dem Höhenmesser etwa stellen sie sich vor, auf einer bestimmte Höhe zu fliegen, usw. Es fällt uns unabhängig davon, ob wir in einem Simulator spielen oder nicht, leichter, bestimmte Aufgaben zu lösen, wenn wir sie uns räumlich und zeitlich vorstellen, weil wir uns anhand solcher Vorstellungen orientieren und Handlungszusammenhänge ordnen können. Während Piloten die Beziehung zwischen den Instrumenten und den Bedeutungen, die die Instrumente haben, in bewusster Ausbildung trainieren müssen, nimmt der Beobachter seine Wahrnehmungen quasi automatisch als Wahrnehmung seiner Um-Welt. Als Beobachter nehmen wir nicht unsere Netzhaut (oder die Zustände anderer Sinnesorgane) wahr, sondern Gegenstände. Wir sehen nicht irgendwelche Pixel, Raster, Muster, usw (was den Anzeigen im Cockpit entsprechen würde), sondern bedeutungstragende Dinge wie Tische, Berge, Menschen. Beobachter sind Piloten, denen es immer "sinnen"-klar ist, dass sie sich in der Um-Welt befinden, die sie wahrnehmen.
Kopernikus zog die Erde, auf der er lebte, aus dem Zentrum der Welt. Darwin zog die Gestalt, in der er lebte, aus dem Zentrum der Schöpfung. Freud zog das Bewusstsein, in dem er lebte, aus dem Zentrum seines Handelns. Der Mensch dieser Wissenschaften ist ein zufälliges Wesen (der Evolution) an einem zufälligen Ort (auf einem Planet der Sonne der Milchstrasse der ...), das sich zufällig (un- und unterbewusst) verhält.
Universum, Evolution und Unbewusstes sind Elemente der herrschenden Ordnung, also Elemente der Ordnung der Herrschenden. Universum, Evolution und Unbewusstes sind (wissenschafts-)kulturell die letzten Konsequenzen daraus, dass die Herrschenden ihr Erleben und ihre Erfahrungen in Form einer objektiven Welt wahrnehmen (müssen), welcher sie - wie das Wort sagt - als verantwortungslose Sub-Jekte unterworfen sind. Die Herrschenden spielen ihre Rolle als Rolle in einer gewalt-igen Institutionalisierung, in welcher die Rolle bestimmt, was der Rolleninhaber tut. Die brutalste (nackteste) Formulierung dieser Welt ist Luhmann's soziales System, in welchem Menschen wie Zellen eines Organismus nur noch als Körper fungieren.
Die Ordnung, welcher wir als Subjekte unterworfen sind, ist die 1. Ordnung. Es ist die Ordnung, die ein sich selbst nicht bewusster Beobachter für-wahr-nehmen kann. Es ist die objektive Ordnung der Realien, die wissenschaftlich beschrieben werden (können). Der Wissenschaftler beschreibt die Objekte und die Verhältnisse der Objekte wie sie sind, er ist nur für die richtige, wahre Beschreibung zuständig, nicht für die Realität selbst.
Als objektiv unterworfenes Subjekt komme ich nicht - oder nur unter Freud'scher Verdrängung - umhin, auch mich selbst als Objekt (für)wahrzunehmen. Und natürlich kann ich - wenn ich will - mich fragen, was ich wahrnehmenderweise tue, wenn ich Objekte und Beobachter von Objekten fürwahrnehme, die unabhängig von mir sind, wie sie sind. Sinnigerweise werde ich dabei zu meinem eigenen Objekt und gerate unter das objektive Verfahren, durch welches ich Objekte eben wahrnehme. Ich werde dabei quasi Objekt eines Objektes oder eben zu einem Objekt 2. Ordnung, weil ich dann den Beobachtenden und den Beobachteten als identisch oder selbstbezüglich verstehe.
Wenn der Beobachter etwas über seine Um-Welt sagt, sagt er etwas über sich selbst. Fragten wir Kopernikus nach dem Ort der Erde, würden wir nichts über den Ort der Erde erfahren, sondern etwas darüber, wie Kopernikus die Welt erlebt und erklärt, was wir unsererseits mit seinen bescheidenen Mittel und seiner mittelalterlichen Erziehung in Verbindung bringen könnten, wenn wir wollten. Fragten wir Darwin, wie der Mensch entstanden sei, würden wir nichts darüber erfahren - wie sollte Darwin, der "seine" Abstammungslehre bei Wallace abgeschrieben hat, das auch wissen können? Wir könnten von Darwin allenfalls erfahren, wie er sich erklärt, dass er in seinen Augen den Affen gleicht. Aber natürlich ist die Situation ein bisschen komplizierter: Denn das, was wir erfahren würden, wären unsere eigenen Wahrnehmungen und mithin würden wir etwas über uns erfahren, wenn wir "von Freud erfahren", dass unser Handeln libidinöser Sublimation unterliegt. Wir würden erfahren, dass in unserer Erfahrung Freud mit einer bestimmte Aussage vorhanden ist. Beobachter beobachten ausschliesslich sich selbst.
Wenn der Beobachter etwas über die Um-Welt sagt, sagte er etwas über seine Um-Welt (die identisch ist mit seiner Erfahrung von sich selbst). Jede Um-Welt ist die Um-Welt eines Beobachters. Der Konstituent liegt innerhalb seiner Um-Welt, da sie ihn umgibt, aber er gehört nicht zu seiner Um-Welt, da sie ihn um-gibt. "Unsere" Um-Welt gibt es für einen Beobachter nicht, weil jeder Beobachter in der Um-Welt der andern vorkommt, in seiner eigenen aber nicht. Der Beobachter hat immer einen Standpunkt, den er exklusiv besetzt. Kein anderer Beobachter kann je das gleiche beobachten. Die Um-Welten sind so verschieden wie die Beobachter es sind. Einen andern Beobachter "ver-Stehen" würde bedeuten, dorthin stehen, wo der andere steht - was (nicht nur) physisch nicht möglich ist.
Wenn der Beobachter sich seiner selbst bewusst wird, tritt er in die 2. Ordnung. Es ist die Ordnung, die er - in seiner Autopoiesis/Selbst-Organisation - selbst konstruiert, die (nur) für ihn existiert und nicht mitteilbar ist. Der Beobachter 2. Ordnung bestimmt die Bedeutung seiner Wahrnehmungen. Und natürlich kann ein Beobachter, der andere Beobachter wahrnimmt, davon ausgehen, dass genau das alle andern Beobachter auch tun. Der Beobachter, der andere Beobachter wahrnimmt, ist im Zentrum seiner Um-Welt, das er aber nicht als Zentrum der Welt auffassen kann, weil jeder andere Beobachter ja auch im Zentrum seiner Um-Welt steht. Ein logisches Bild dafür ist die 2-dimensional gesehene Oberfläche einer Kugel. Jeder Punkt hat die gleiche Berechtigung in der Mitte zu sein.
In der 2. Ordnung gibt es keine Objekte und mithin auch keine Objektivität und kein unterworfenes Subjekt. In der 2. Ordnung ist die 1. Ordnung aufgehoben, Aussagen über die 1. Ordnung erscheinen in einem neuen Licht (Perspektive): Wenn ein Beobachter etwas sagt, ist das richtig, sonst würde er es ja nicht sagen. Es ist aber richtig für ihn. Jeder Leser/Hörer wird angesichts Aussagen für sich prüfen, inwiefern das Aussagen sind, die er machen würde. Dadurch erfährt der Leser/Hörer etwas über sich, nämlich zu welchen Aussagen er Sinn und Konsistenz erfährt, wobei Sinn und Konsistenz für die Erfahrung stehen, dass die kybernetischen Ziele (Soll-Eigen-Werte) erreicht werden oder erreichbar bleiben. Als Pilot erlebe ich die Anzeigen meiner Instrumente dann als sinnvoll und konsistent, wenn ich das Gefühl habe, sie seien beabsichtigte Resultate meiner Handlungen.
In der 2. Ordnung gibt es keine Glaubenskriege, weil es keine Wahrheit gibt.
Wissenschaft und Forschung suchen in der 2. Ordnung nicht nach Wahrheit, sondern nach viablen Konstruktionen.
Ich arbeite zur Zeit in einem EU-Forschungsprojekt über Wissensmanagement mit Intranettechnologie. Das Projekt als ganzes ist konventionell, das heisst, es wird versucht herauszufinden, was "die" Menschen brauchen können. Dazu werden Menschen nach allerhand sozialwissenschaftlichen Methoden befragt. Und wenn man dann die allgemeingültige Wahrheit gefunden hat, wird diese programmiert. Und wir wissen jetzt schon: Es entsteht eine Lösung, die im Durchschnitt über alle Anwender das Optimum ist, die aber keinem einzigen konkreten Anwender passt.
In unserem Teilprojekt verfolgen wir eine andere Strategie: Wir konstruieren etwas, was uns passt. Wir kümmern uns nicht darum, was "die" Menschen brauchen. Wenn wir unsere Produkte brauchen können, dann besteht die Chance, dass auch andere einen Sinn darin finden.
Konkret arbeiten wir an einem System zur Verwaltung von Texten, wie sie typischerweise in e-mails vorhanden sind. Es geht uns darum, etwas Ordnung in zeitverschobenen Diskussionen mit wechselnden Gesprächspartnern zu bringen.
Meine Erfahrungen sind bisher so: Es ist anspruchsvoller etwas zu programmieren, was man selbst gut findet, als irgendeine Durchschnittsvorgabe, für die man keine Verantwortung hat, weil die Benutzer den Mist verlangten.
Wir produzieren etwas Menschenzentriertes, nicht etwas Organisations- oder Unternehmenszentriertes, da ich natürlich nicht weiss, was eine Organisation braucht, sondern nur, was ich brauche. Damit verbunden entsteht auch ein neues Bewusstsein über Arbeit und Arbeitsteilung, also über das wichtigste gesellschaftliche Verhältnis. Unsere Forschung ist ganzheitlich. Und was wir tun, ist wirkliche Forschung, weil wir selbst nicht vorweg schon wissen, wie das Resultat aussehen muss. Wir müssen nicht krampfhaft Daten suchen, die irgendeine Hypothese bestätigen.
Die 2. Ordnung ist ein dialogischer Ansatz, in welchem nicht einer weiss, was für den andern gut ist - und in welchem nicht eine zentrale Planung weiss, was für die Allgemeinheit wahr ist. Das zentrale Konstruktionselement im System ist die Feedback-Schleife. Mit dieser Konstruktion reagiert das System auf Reize, es kompensiert Perturbationen. Das heisst, ein System arbeitet nicht vorausschauend, es strebt nicht nach einem Ziel. Ein System arbeitet rückblickend und vermeidet, was sich nicht bewährt.