Als Wolfskinder bezeichne ich Kinder, die isoliert von anderen Menschen aufwuchsen. Manche Wolfskinder sollen von Wölfen (oder anderen Tieren) adoptiert worden sein. Ich unterscheide zwei Fälle ohne anzunehmen, dass sie empirische belegt werden könnten:
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Bildquelle: H. Maturana: Baum der Erkenntnis |
"Daß dies alles in der Tat auch mit uns Menschen geschieht, zeigt der dramatische Fall von zwei indischen
Mädchen, die 1922 in einem bengalischen Dorf im Norden Indiens aus dem Schoß einer Wolfsfamilie
gerettet (bzw. herausgerissen) wurden. Sie waren völlig isoliert von jedem menschlichen Kontakt aufgem
wachsen (Abb. 35; vgl. C. MacLean: The WolfChüdren, New York 1977). Die Mädchen waren etwa acht
und fünf Jahre alt. Das jüngere Mädchen starb, kurz nachdem sie gefunden worden waren, während- das
ältere noch etwa 10 Jahre zusammen mit anderen Waisenkindern lebte.
Als sie gefunden wurden, konnten die Mädchen nicht aufrecht auf zwei Beinen gehen, aber schnell auf
vier Beinen laufen. Selbstverständlich sprachen sie nicht, und sie hatten ausdruckslose Gesichter. Sie
wollten nur rohes Fleisch essen und wurden nachts aktiv, sie lehnten menschlichen Kontakt ab und zogen
die Gesellschaft von Hunden und Wölfen vor. Bei ihrer «Rettung» waren die Mädchen vollkommen gesund,
und es waren keine Symptome von Geistesschwäche oder Idiotie infolge von Unterernährung zu
erkennen. Ihre Trennung vom Schoß der Wolfsfamilie führte bei ihnen zu einer tiefen Depression, die
beide an den Rand des Todes, eines sogar in den Tod führte.
Das noch zehn Jahre weiterlebende benden Mädchen verändern wollten, da sie im menschlichen Kontext abweichend waren, waren völlig natürlich im Rahmen ihrer «wolfsmäßigen» Erziehung.
In Wirklichkeit hätte Mowgli, dasvon Kipling erdachte Dschungelkind, nie aus Fleisch und Blut existieren
können, da Mowgli sprechen konnte und sich bei der ersten Begegnung mit dem menschlichen Milieu
sofort wie ein Mensch verhielt. Wir Menschen aus Fleisch und Blut sind in der Welt, in der wir existieren
und die wir durch unser Leben hervorbringen, nicht fremd.
Abb. 35 Wolfslauf des bengalischen Mädchens einige Zeit nach seiner «Rettungs (a; b
zum Vergleich). Das Wolfsmädchen (fr)ißt auf gelernte Weise (c), Auch nachdem es einige
menschliche Verhaltensweisen gelernt hatte, wurde das Mädchen nie als wirklich «menschliche empfunden (d).
Diese Geschichte stammt aus H. Maturana: Baum der Erkenntnis (S.141ff)
Sie soll sich 1922 zugetragen haben, die Quelle von H. Maturana ist aber von 1997.
Hier geht es weniger darum, was der Fall war, als darum, wozu diese Geschichte erzählt wird.