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Hyperbuch Crashkurs Systemtheorie 2. Ordnung Inhalt - Register - Forum | rückwärts - Seite 5 - vorwärts |
Meine Systemtheorie hat entwicklungsgeschichtlich zunächst eine ganz praktische Funktion, sie dient als Konstruktionsanweisung für geregelte Maschinen (Anmerkung 1). Die ersten geregelten Maschinen wurden ohne (explizite) Regelungstheorie konstruiert. J. Watt etwa, der 1765 die erste industriell erfolgreiche Dampfmaschine konstruierte, hatte den Regelungsmechanismus, den er in Anlehnng an Plato Governor (Steuermann) nannte, von einer Windmühlensteuerung übernommen. Nebenstehende Zeichnung von J. Watt zeigt das Prinzip der Regelung, die durch Fliehkraft die Energiezufuhr und so eben die Fliehkraft bestimmt. J. Maxwell verallgemeinerte die Regelungsprinzipien - die J. Watt angewandt hatte - 1867 in einer formalen Theorie, die er On Governors nannte und die gewissermassen die erste kybernetische Systemtheorie darstellt. N. Wiener hat mit dem Namen Kybernetik, was auch Steuermann heisst, expliziten bezug auf die Governor-Theorie genommen, und deren praktische Relevanz gezeigt, indem er sie als operative Konstruktionsanweisung für Automaten interpretierte (Anmerkung 2). N. Wiener realisierte bei der Konstruktion von geregelten Maschinen - obwohl oder weil sein prototypisches Werk, eine Flugzeugabwehrkanone nie erfolgreich eingesetzt wurde -, dass die in Automaten verwendete Steuerung oft zu unkontrolliertem Aufschwingen führt. N. Wiener erkannte darin ein allgemeines Problem, das auch vom Neurophysiologen A. Rosenblueth in einem ganz andern Kontext untersucht wurde. A. Rosenblueth befasste sich mit neurologisch bedingten Störungen wie dem Intentionstremor, bei welchem unkontrollierte Muskeltätigkeit dazu führt, dass ein Patient beispielsweise eine Kaffeetasse nicht zum Munde führen kann, ohne sie vorher zu verschütten. N. Wiener und A. Rosenblueth entwickelten zusammen mit Computerpionier J. Bigelow kybernetische Methoden, mit welchen das Aufschwingen verstanden und in bestimmten Fällen konstruktiv verhindert werden kann. In "Behavior, Purpose and Teleology" schrieben die drei, dass die Verhaltensklassen bei Maschinen und lebenden Organismen gleich organisiert sind. Sie betrachteten alles zweckgerichtete Handeln als Steuerungsprozess mit Rückkopplung. Damit legten sie den Grundstein zur Kybernetik, die N. Wiener aus kriegstechnischen Gründen erst 1948 als Buch veröffentlichen durfte. |
Gemeinhin wird das Interdisziplinäre der Kybernetik (und der Systemtheorie) hervorgehoben. Den wesentlichen Aspekt der Kybernetik sehe ich aber darin, dass die Kybernetik die Unterscheidung zwischen Analyse und Konstruktion aufgehoben hat. N. Wiener hat die Kybernetik als Wissenschaft der "Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine" bezeichnet. Durch die Verallgemeinerung der Regelungsprinzipien auf Maschinen und lebendige Organismen, die natürlich nicht wie Maschinen hergestellt werden, verwandelte sich die Konstruktionsanweisung des Ingenieurs in ein Erklärungsmodell für geregeltes Verhalten (Anmerkung 3). Im Nachhinein erscheint nun auch der Maschinenbauer als Analytiker, der gewünschte Verhaltensweisen von Maschinen als Phänomene anhand von Konstruktionen "erklärt". Jede Konstruktion "erklärt" wie das Phänomen, das mit ihr erzeugt wird, zustande kommt. Die kybernetische Systemtheorie ist deshalb nicht nur eine Konstruktionsanweisung für Maschinen, sondern eine generelle Erklärungsgrundlage. Im engeren, theoretischen Sinne dient die Systemtheorie immer der Erklärung (vgl. Anm. 1).
Gegenstand meiner Systemtheorie ist das Erklären. Ich werde also über Amöben, Wirbelstürme oder Gesellschaften nur insofern sprechen, als diese in meinen Erklärungen vorkommen. Natürlich kann man ganz gut auch ohne Systemtheorie ganz gute Erklärungen machen, ich werde darauf zurückkommen (Anmerkung 4). In gewisser Hinsicht lässt sich die ganze Wissenschaft, also nicht nur die Systemtheorie, als Suche nach Erklärungen verstehen. Mit der Systemtheorie mache ich mir mein Erklären bewusst und mithin bewusste Erklärungen. Was ich bewusst machen kann, bietet mir bessere Unterhaltung und gezieltere Eingriffsmöglichkeiten. Umgekehrt ist das Erklären auch kein ganz spezieller Theoriegegenstand. Ich kann beliebige Systemtheorien so lesen, dass sie nicht ihre Gegenstände, sondern das Erklären dieser Gegenstände behandeln. Allerdings kann ich nicht nur Systemtheorien sondern Theorien insgesamt so lesen. Von einer Systemtheorie erwarte ich eine spezifische Art des Erklärens und vor allem auch, dass dieses Erklären in der Theorie selbstbezüglich Vorrang vor irgendwelchen Gegenständen hat (vgl. Anm 1 zu Einleitung). Systemtheoretisch interessant ist nicht, wie sich Amöben und Gesellschaften verhalten, sondern wie ich mir deren Verhalten erkläre (Anm. 5).
Die Unterscheidung zwischen Verhalten und Erklären von Verhalten beruht auf der Unterscheidung zwischen Abbilden und Abgebildetem, die ich in meiner Systemtheorie durchgehend - in der Terminologie von N. Luhmann als Leitunterscheidung - verwende. Solange ich Amöben oder Gesellschaften von aussen als Objekte beobachte, ist die Unterscheidung unproblematisch, sie wird aber später beim Beobachter beobachten ins Zentrum rücken, wenn sogenannten Abbildungstheorien durch Konstruktivismen ersetzt werden.
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