Ich behandle hier vor allem Sprachbilder, die das Schiff als Beispiel verwenden, also nicht nur einfache Metaphern, sondern verzwicktere Verhältnisse.
Luftschiff, Schiffbruch, das Boot ist voll, auf Sand gesetzt,
Schiffe sind anschauliche ...
„Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen oder aus besten Bestandteilen neu errichten können.“ (Otto Neurath: Protokollsätze)
siehe auch U-Boot
Norbert Tholen
Müssen wir das Schiff auf offener See umbauen?
„Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen oder aus besten Bestandteilen neu errichten können.“ (Otto Neurath: Protokollsätze) Das Zitat ist eines der drei Themen, die in diesem Jahr 2003 im Wettbewerb „Philosophischer Essay“ des Landes NRW zur Wahl stehen. Ein starkes Zitat - ob allerdings Schüler der damit aufgeworfenen Frage viel abgewinnen können, möchte ich bezweifeln; hoffentlich irre ich mich.
Mit der Metapher vom Schiffsumbau wird jeder Versuch, den Archimedischen Punkt zu finden, von dem aus man die Welt aus den Angeln heben oder eben „nur“ einen Grund legenden Anfang setzen könnte, als falsch zurückgewiesen. Zu diesen in ihrer Möglichkeit bestrittenen philosophischen Versuchen gehört zunächst Descartes, der mit seinem reflektierten Prinzip des methodischen Zweifelns den Nullpunkt eines neuen Koordinatensystems zu finden glaubte; in seiner Nachfolge „gewissermaßen“ - ich will da nichts beschwören, da ich kein Experte bin - gehört Edmund Husserl, der mit dem Rückgang auf ein transzendentales Ego durch Evidenz ein Feld des absolut sicheren Wissens zu betreten glaubte; dahin gehört abgeschwächt das Bemühen von Kamlah/Lorenzen, durch Rekonstruktion eine eindeutige Sprache zu schaffen; dahin gehört der Versuch des frühen Wittgenstein, im Traktat das Sagbare zu bestimmen, und vermutlich viele andere, die ich großenteils nicht einmal kenne.
Alle diese Versuche müssten im Einzelnen geprüft und kritisiert werden - Otto Neurath begnügt sich hier (den Kontext müsste man gesondert untersuchen: Aufsatz „Protokollsätze“ in der Zeitschrift „Erkenntnis“, Bd. 3, 1932/33, S. 204-214) mit der Metapher vom Umbau des Schiffes auf offener See. Seine Metapher leuchtet mir ein, weil wir immer schon gelebt haben, immer schon in Fahrt sind, wenn wir philosophisch zu denken anfangen. Die Denk-Aufgabe, die wir uns damit vornähmen, hieße somit: Umbau des Schiffes; denn dass wir auf offener See sind, kann man nicht bestreiten.
Hinzu kommt ein Zweites: die Frage des Materials für den Umbau; denn wenn man sich auf offener See befindet, kann man sich die Materialien nicht groß aussuchen. Man kann nicht einmal in den Baumarkt gehen, sondern muss mit dem vorlieb nehmen, was sich im Laderaum befindet - und wer hätte den schon im Hinblick auf einen möglichen Umbau des Schiffes bestückt? Arme Schweine sind wir, weil wir nicht nur nicht das beste Material haben, sondern nicht einmal sicher wissen, was das beste Material wäre - schon darüber müssen wir uns mit dem Maat und den anderen Matrosen streiten! Der Kapitän schweigt; es ist schier zum Verzweifeln.
Es wäre zum Verzweifeln - wenn denn wirklich die Aufgabe darin bestände, unser Schiff während der Fahrt umzubauen! Wenn dies jedoch so schwierig ist, wie wir bisher gesehen haben, wer sagt uns denn, dass unsere Aufgabe wirklich im Umbauen besteht? Wozu sollen wir unser Schiff umbauen, wenn wir nicht geprüft haben, wohin wir fahren und ob unser Schiff für diese Reise nicht doch gut genug ist? Daher plädiere ich dafür, die Betrachtung des Schiffes einmal zurückzustellen und zuerst zu fragen: Wohin geht die Reise? Welchen Kurs steuern wir, welchen nimmt unser Schiff? Und ist dieser Kurs der richtige? Zu welchem Ziel sind wir überhaupt unterwegs? Und dürfen wir uns nicht doch mit einem zweitbesten Schiff begnügen?
„Wohin reitest du, Herr?“ „Ich weiß es nicht“, sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen.“ So spricht der Ich-Erzähler in Kafkas Miniatur „Der Aufbruch“; er zieht aus seiner Zielbestimmung die Konsequenz, dass er auf seiner unendlichen Reise verhungern müsste, wenn er unterwegs keinen Proviant bekäme - weshalb es also überflüssig wäre, sich solchen jetzt zu besorgen: „Kein Eßvorrat kann mich retten. Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheuere Reise.“ Kafkas Metapher vom aufbrechenden Reiter kann faszinieren, hat mich auch fasziniert, weil sie gnostisch ist; weil sie voller Pathos zum unendlichen Aufbruch aufruft. Doch ich bin nicht Kafka; und ich distanziere mich von seinem Reiter - auch ich hänge der Kunst der Resignation an; auf den Wunsch nach unendlichen Reisen sollte man verzichten, verzichte ich. Besser wäre es, den Kurs des alten Kahns zu bestimmen; besser wäre es zu fragen: Wohin soll, wohin kann mit diesem Kahn die Reise gehen?
Kommentar: RT
In dieser Frage zu Neurath wird das Schiff nicht metaphorisch, sondern eigentlich aufgefasst, also als Fahrzeug mithin als Mittel für eine Reise, die "ich" mache. Ich dagegen lese Neuraths Schiff als Metapher für mich. Es ist dann klar, dass ich nicht weiss, wohin die Reise geht. Der Umbau ist meine autopoietische Reproduktion.
"Schließt Euch in Gesellschaft eines Freundes in einen möglichst großen Raum unter dem Deck eines großen Schiffes ein. Verschafft Euch dort Mücken, Schmetterlinge und ähnliches fliegendes Getier; sorgt auch für ein Gefäß mit Wasser und kleinen Fischen darin; hängt ferner oben einen kleinen Eimer auf, welcher tropfenweise Wasser in ein zweites enghalsiges darunter gestelltes Gefäß träufeln läßt. Beobachtet nun sorgfältig, solange das Schiff stille steht, wie die fliegenden Tierchen mit der nämlichen Geschwindigkeit nach allen Seiten des Zimmers fliegen. Man wird sehen, wie die Fische ohne irgend welchen Unterschied nach allen Richtungen schwimmen; die fallenden Tropfen werden alle in das untergestellte Gefäß fließen. Wenn Ihr Euerem Gefährten einen Gegenstand zuwerft, so braucht Ihr nicht kräftiger nach der einen als nach der anderen Richtung zu werfen, vorausgesetzt, daß es sich um gleiche Entfernungen handelt. Wenn Ihr, wie man sagt, mit gleichen Füßen einen Sprung macht, werdet Ihr nach jeder Richtung hin gleichweit gelangen. Achtet darauf, Euch aller dieser Dinge sorgfältig zu vergewissern, wiewohl kein Zweifel obwaltet, daß bei ruhendem Schiffe alles sich so verhält. Nun laßt das Schiff mit jeder beliebigen Geschwindigkeit sich bewegen: Ihr werdet – wenn nur die Bewegung gleichförmig ist und nicht hier- und dorthin schwankend – bei allen genannten Erscheinungen nicht die geringste Veränderung eintreten sehen. Aus keiner derselben werdet Ihr entnehmen können, ob das Schiff fährt oder stille steht. […] Die Ursache dieser Übereinstimmung aller Erscheinungen liegt darin, daß die Bewegung des Schiffes allen darin enthaltenen Dingen, auch der Luft, gemeinsam zukommt. Darum sagte ich auch, man solle sich unter Deck begeben, denn oben in der freien Luft, die den Lauf des Schiffes nicht begleitet, würden sich mehr oder weniger deutliche Unterschiede bei einigen der genannten Erscheinungen zeigen."
Galileo Galilei: Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptolemäische und das Kopernikanische. S. 197–198 (online).
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