Dirk Baecker: Form und Formen der Kommunikation, Suhrkamp, Frankfurt, 2005.
In diesem Buch erläutert D. Baecker auch seine differenztheoretische Notation.
D. Baecker erläuert den Informationsbegriff von C. Shannon (er scheint ihn neu entdeckt zu haben). C. Shannon verwendet die Entropie-Formel von Hartley als Mass für Ordnung. Deshalb sagt C. Shannon, dass Information keine (semantische (sic)) Bedeutung habe. D. Baecker "re-spezifiziert" C. Shannon. Bei C. Shannon ist der Auswahlbereich (Kontigenz) definiert (ein Thermometer misst nur seine eigene Temperatur, aber nicht ob das Wetter gut oder schlecht ist). D. Baecker spezifiziert, dass die Kontingenz (in den Fällen, die ihn interessieren) nicht definiert sei. So könne man auch das semtische Feld mitbegreifen. (Das Beispiel von Ordnung/Unordnung, das er gibt, zeigt, wie weit er (der zerstreute Professor, den ich in Technische Intelligenz (1992:101) behandelt habe) hinter C. Shannon zurückbleibt).
D. Baecker unterscheidet (mit dem Alltagsverstand-Schema "Daten-Information-Wissen" im Rücken) drei Ordnungen:
1. Ordnung: was erfahre ich als Nachricht ? (es geht um einen Löffel oder darum, wo der Löffel ist)
2. Ordnung: was erfahre ich über den Kontext der Nachricht? (Hier ist von der Ordnung in der Küche die Rede: Er liegt beim Besteck).
3. Ordnung: was erfahre ich über die unterlegte Unterscheidung (Selektion/Kontingenz)? (Warum wird hier über Löffel und nicht über etwas anderes gesprochen)
D. Baecker unterscheidet einen soziologischen und einen mathematischen Ansatz. [Er weiss, dass es Mathematiker gibt, aber nicht, dass es Konstrukteure/Ingenieure gibt (Die Informatiker rechnet er der Mathematik zu).] Dann bestimmt er die Anliegen des mathematischen Kommunikationsbegriff: ...
"Der Kommunikationsbegriff gehört zu den wichtigsten Errungenschaften der Wissenschaften des 20. Jahrhunderts. Dirk Baecker zeichnet die Entwicklung dieses Begriffs von Platons Sophistes bis zu Claude E. Shannons mathematischer Kommunikationstheorie nach. Dabei zeigt er, daß Kommunikation nicht, wie es meist geschieht, als Übertragung, sondern als Selektion zu verstehen ist - als wechselseitige Selektion innerhalb eines dadurch eröffneten Raums der Möglichkeiten. Die Sozialtheorie zeigt sich vom Begriff der Kommunikation fasziniert, seit die mathematische Kommunikationstheorie von Claude E. Shannon ihn vor einem halben Jahrhundert ins Zentrum von Wissenschaften rückte, die zur Beschreibung komplexer Phänomene nach neuen Grundbegriffen sucht. (9)"
Im Anschluss an die Reformulierung des Informationsbegriffs Shannons aus der Perspektive des Formbegriffs Spencer Browns braucht man dann nur noch die Annahme Shannons, dass der Auswahlbereich definiert ist, das heißt aus einer endlichen Menge möglicher Nachrichten besteht, zugunsten der Annahme eines unbestimmten, aber bestimmbaren Auswahlbereichs zu korrigieren, um die Anwendung der mathematischen Kommunikationstheorie auf Fragen technischer Kommunikation zugunsten ihrer Anwendung auf Fragen sozialer Kommunikation zu erweitern. Nicht mehr und nicht weniger als dies wird mit dem vorliegenden Buch versucht.
"Wenn man diese Prämisse eines determinierten Auswahlbereiches fallen lässt, verliert man die statistische, aber nicht die mathematische Bestimmtheit des Shannon'schen Informationsbegriffs ...." . (22)"
"Weder Michel Serres noch Jürgen Habermas oder Niklas Luhmann schrieben die Theorie der Kommunikation, die man erwarten könnte, wenn man sieht, welche Grundlagenstellung der Begriff der Kommunkation in ihren Theorien bekommt. [..] Wenn mit allem Respekt vor der bisherigen Zurückhaltung der Sozialtheorie mit diesem Buch dennoch eine soziologische Theorie der Kommunikation vorgelegt wird, so liegt der Grund dafür [...] " (S. 10) darin, dass wir heute die mathematische Theorie der Signalübertragung mit der mathematischen Theorie der Form verbinden können - und zwar unter dem leitenten Problemgesichtspunkt, wie Unbestimmtes in Bestimmtes transformiert - mithin: wie Ordnung aufgebaut oder 'errechnet' - werden kann.
"Wir greifen den Gedanken Niklas Luhmanns auf, dass Handlungen Zurechnungspunkte von Attributionen sind, die von Kommunikation vorgenommen werden, und ergänzen diesen Gedanken durch die Überlegung von Jürgen Habermas, dass sich an diese Zurechnung von Handlungen Geltungsansprüche knüpfen lassen, mit deren Hilfe Individuen sowohl einander (inklusive sich selbst) als auch ihre Kommunikation beobachten können." (:37)
Meister im Schachspiel erkennt man nicht daran, dass sie möglicst viele Züge des Gegners im Vorraus zu berechnen versuchen, sondern ganz im Gegenteil daran, dass sie versuchen, möglichst lange eine glechgewichtige und daher in ihrer Entwicklung ungewisse Situation aufrechtzuerhalten, damit eine Chance besteht, Anfangsfehler zu erkennen und zu korrigeren (zit. E. Leifer). Es kommt daher auf Züge beziehungsweise auf Handlungen an, die ihr Potential der Festlegung auf eine Interpreation der Situation ud ihrer Entwicklung dazu nutzen, um Ungewissheit nicht etwas zu reduzieren, sondern zu pflegen, wenn nicht sogar, bei Bedarf, zu steigern. (40)"
"Für die hier vorgelegte soziologische Theorie der Kommunikation jedenfalls verlassen wir uns weitgehend auf die Soziologie und ihre Problemstellung, die in der Frage besteht, wie in der Differenz von Bestimmtheit und Unbestimmtheit menschlichen Verhaltens soziale Ordnung möglich ist." (S.54)
"Um die Arbeit mit der Notation des Formkalküls zu erleichtern, halten wir uns im Folgenden weitgehend an die Regel, Operation auf der Innenseite und den Kontext der Operation auf der Außenseite der Form zu notieren, allgemein:
Form = Operation / Kontext ]
Das ändert jedoch nichts daran, dass sich auch der Kontext der Operation eines Beobachters verdankt: er muss aufgerufen oder sonstwie aktualisiert werden, um gelten zu können." (S.64)
D. Baecker sagt, was er bei N. Luhmann liest (S.78): Der Kommunikationsbegriff müsse so formuliert werden, dass er begreifbar mache, dass jede Kommunikation sich in einer eigentümlichen Gemengelage von Wissen und Nichtwissen bewegt und als Nichtgesagtes, aber Mitreflektiertes, einschliesst, was sie ausschliesst. Andernfalls könne man nicht berücksichtigen, dass'Kommunikation (...) ihren Anlass ja typisch im Nichtwissen (findet)' (GdG), also in dem, was man selbst oder der andere noch nicht weiss, in dem was man zwar herausfinden, aber noch nicht thematisieren möchte, in dem, was man als Befürchtung zerstreunen möchte, während man über etwas ganz anderes sprictin dem, was anschliessend möglich sein soll, während es zunächst einmal um etwas ganz anderes geht, und so weiter."
“Ein Medium ist eine unbestimmte, aber bestimmbare Menge von Möglichkeiten, in ihm bestimmte Formen zu bilden. Nur die Form ist bestimmt, deswegen ist auch nur sie beobachtbar.” (S. 182)
»Körper sind das Design der Gesellschaft, um einen Begriff aus dem nächsten Kapitel aufzugreifen, an dem diese überprüft, welche Abstimmungen zwischen Bewusstsein, Wahrnehmung und Kommunikation ihr jeweils gelingt, welche Spielräume sie noch hat und wo ein ›Stress‹ auftritt, der anzeigt, dass Anforderungen gestellt, die individuell nicht mehr aufgefangen werden können. Deswegen ist es interessant, Körperhaltungen und Körperausdruck, Gestik und Benehmen von [...] Managern und Mitarbeitern, Priestern und Gläubigen, Lehrern und Schülern [...]. Auch der mentale Zustand einer Bevölkerung im Hinblick auf die individuelle Anfälligkeit für Depression, Angszustände und Schizophrenie ist ein Indikator für Designprobleme in diesem Sinne, die nicht nur auf Annomieprobleme, sondern eben auch auf evolutionäre Schwellen hinweisen, das heißt, nicht moralisch, sondern unter Umständen nur kommunikativ ›geheilt‹ werden können [...] in der Form der Umstellung der kommunikativen Ordnung der Gesellschaft« ... (245)
"Woher soll ich wissen, inwieweit die von mir beobachteten Formen der Kommunikation, die ich in dieser soziologischen Theorie der Kommunikation skizziert habe, etwas anderes sind als Erfindungen meines Bewusstseins im Umgang mit meinen sozialen Erfahrungen? Ich kann es nicht wissen, sondern muss die Kommunikation dieser Theorie abwarten, die nicht von mir alleine abhängt. Und sollte sie kommuniziert werden, habe ich und hat jeder andere erneut die Möglichkeit, die möglichen Inhalte dieser Kommunikation sowohl auf das idiosynkratische Bewusstsein von Lesern und Autoren als auch auf einen disziplinären Streit unter Soziologen, ein Argument unter Intellektuellen oder eine Praxis der Gesellschaft selber zurückzuführen." (262)