Simon, Fritz B. (2000): Psychopathologische Konstruktionen. In: Rusch, G. / S.J. Schmidt (Hrsg): Konstruktivismus in Psychiatrie und Psychologie. Delfin 1998/99, Suhrkamp, stw 1503, Frankfurt 2000
Anmerkungen von Rolf Todesco:
Inhalt:
Organismus, Psyche und Kommunikationssystem seien (nach Luhmann) autopoietisch und operationell geschlossene Phänomenbereiche (92).
Deshalb können sie sich nicht gegenseitig "erklären", das Kommunikationssystem muss (wie jedes System) aus sich selbst heraus erklärt werden. Psychopathologie kann man im Kommunikationssystem ansiedeln: Beschreiben, Erklären und Bewerten sind nach Simon drei Stufen der Wirklichkeitskonstruktion. Auf jeder Ebene kann es Abweichungen zum sozialen Kontext (kommunikatives Nicht-Verstehen) geben.
Simon postuliert, dass Normalsein und Kranksein ein Resultat der gelingenden oder nicht Kommunikation sei. Deshalb brauche man keine biologischen Erklärungen. Ueberdies seien biologische Tatsachen ohnehin über die Affekte (Ciompi) mit den sozialen Phänomen gekoppelt, so dass kommunikative Erklärungen auch die biologischen Fakten richtig wiedergeben.
Kritik:
Zum Konzept Beschreiben:
Simon verwendet den Ausdruck "Beschreiben" zur Charakterisierung, dass er Phänomene wahrnimmt, weil er Unterscheidungen macht.
Die Phänomene (zum Beispiel, dass jemand eine Tasse an die Wand wirft) werden von ihm zuerst "beschrieben" und dann erklärt.
Dass seine Erklärungen wieder Beschreibungen sind, stört F. Simon nicht,
Zum Konzept Erklärung:
Als Erklärung wird Maturanas "Mechanismus" zitiert, aber sehr unmechanisch verwendet (88). Erklären kann man (in einem bestimmten Verständnis, das Simon systemtheoretisch nennt) nur, warum etwas nicht funktioniert. Ein Auto fährt nicht, wenn der Vergaser defekt ist, aber es fährt nicht, weil es einen (nicht defekten) Vergaser hat (93).
Das Autobeispiel stammt von von Foerster's Kybernetik 2. Ordnung und wird von Simon hier in einem ganz andern Kontext verwendet: Simon vertritt explizit die Falsifikations-Perspektive von Popper, die von Maturana im Kontext der Erklärung explizit zurückgewiesen wird (Explanation and Reality).
(95) Erklären sei Beobachten 2. Ordnung: Verstehen bedeutet mitspielen und unreflektiertes Beobachten. Erklären bedeutet sich rausnehmen und das Beobachten (von wem ??) beobachten.
Zum Konzept Kommunikation:
(94) Kommunikation hat nach Luhmann (Soziale Systeme 1984:193ff) 3 Elemente: es gibt eine Information, die mitgeteilt wird und verstanden wird.
das ist eine sehr interessante Interpretation von Luhmann: das Informationskonzept von 1984 wird in das autopoietische Gesellschaftskonzept von 1997 übernommen. Simon bleibt hier 1984 stehen: es gibt keine Information, die mitgeteilt werden kann! (nicht einmal mehr für Luhmann)