Kommunikation in der soziologischen Systemtheorie (Luhmann)In den Sozialwissenschaften wird der Ausdruck Kommunikation fast durchgehend umgangssprachlich verwendet. Bei N. Luhmann, der das kritisiert, steht Kommunikation für etwas, was viel Konfussion verursacht, weil N. Luhmann - anders als die Systemtheorie - Kommunikation auf etwas Soziales bezieht: Kommunikation, die kommuniziert. Kommunikation in der UmgangsspracheMit dem Ausdruck "Kommunikation" verbinde ich umgangssprachlich zwei einfache (quasi-etymologische) Konnotationen (die sich aus jedem mir plausiblen Begriff ableiten lassen):
Den Aspekt der Angleichung sehe ich in den kommunizierenden Gefässen versinnbildlicht, den Aspekt der Signalübermittlung im technologischen Kommunikations-Modell. Als Beobachter spreche ich in diesem alltäglichen Sinne von Kommunikation, wenn ich für-wahrnehme, dass sich verschiedene Instanzen mittels Signalen zu Reaktionen veranlassen, die ich als Angleichungsversuche deuten kann.
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Als Kommunikation bezeichne ich den Prozess, durch welchen ein System sein dynamisches Gleichgewicht durch Signale, die Massnahmen auslösen, regelt.
In d(ies)er systemtheoretischen Sicht kommuniziert das System, also nicht verschiedene Systeme miteinander und auch nicht die Teile oder Instanzen, die innerhalb des beobachteten Systems interagieren. Kommunikation ist der konstituierende Prozess des Systems und bestimmt umgekehrt das System, das ich als Beobachter voraussetze, wenn ich von Kommunikation spreche.
Beispiel
(Das Beispiel stammt von G. Bateson, ich habe es ausführlich erläutert in: R. Todesco: Wie G. Bateson Hunde informiert)
Die Beobachtung:
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Beispiel:
In einem Gespräch zwischen zwei Menschen antwortet jeder mit einem Signal auf ein Signal. Das kommunizierende System besteht aus den beiden Menschen, das heisst, das Gesprächssystem kommuniziert.
Als Kommunikation bezeichne ich den für Systeme konstitutiven Prozess, in welchem Signale - die ich als Feedbacks bezeichne - zur Regelung von Eigenwerten (kybernetisches Ziel) verwendet werden. Im Kommunikationsprozess bewirkt ein Signal eine Reaktion, die ihrerseits ein Signal produziert. Systemtheoretisch kommuniziert das System, nicht Teile oder Instanzen im System.
Beispiel 1:
Die thermostatengeregelten Heizung verwendet Signale und einen bestimmten EIgen- oder Sollwert zu erreichen. Dabei produziert der Thermostat Signale, die den Ölbrenner steuern, der das Thermometer steuert, welches Signale zum Thermostaten schickt.
Umgangssprachlich kann man sagen, dass der Thermostat dem Oelbrenner "mitteilt", wie warm es gerade ist, was den Oelbrenner zu Kompensationsmassnahmen veranlasst. Man kann in dieser Mitteilungs-Metapher sagen, dass der Thermostat mit dem Oelbrenner "kommuniziert". |
Das Sender-Empfänger-Modell von C. Shannon beschreibt die quantitativen Aspekte dieser Kommunikation innerhalb eines Systems, es focusiert die Signalkapazitäten und die Wahrscheinlichkeiten der Verteilungen, die sich mathematisch berechnen lassen. (N. Luhmannn wirft C. Shannon (unsinnigerweise) vor, Sinn ausser Acht zu lassen! Der Sender von Shannon ist ein Mechanismus, der keinerlei Sinn kennt, aber der Hersteller der Maschine weiss sehr wohl, was er tut. [Soz. Syst: S.193 Übertragungsmetapher Sender Empfänger Nachrichtenübertragung - das alles soll vermieden werden In Soz.Syst. S.195 (die einzige mir bekannte Textstelle) sagt N. Luhmann sehr deutlich, dass er C. Shannon nicht brauchen kann, weil dort kein Sinn vorkomme. Das heisst umgekehrt sehr deutlich, dass er nur Sinn behandelt und den materiellen Kommunikationsprozess ausser Acht lässt. Ich vermute, dass N. Luhmann sich gar nie mit C. Shannon befasst hat, sondern nur Commonsense aufgreift, den er Shannon zuschreibt. ]
Übersetzungsproblem:
A Mathematical Theory of Communication (dt. Mathematische Grundlagen in der Informationstheorie).[
um Kommunikation innerhalb oder zwischen Systemen zu sehen (vgl R. Todesco: Wie G. Bateson Hunde informiert) um Kommunikation als etwas zu sehen, was sich ereignet (wie "es" beispielsweise regnet) und als etwas, was intentional gemacht wird (wie jemand giesstden Garten). |
In einem System sehe ich natürlich weder Intentionalität noch Mitteilungen, sondern eben den Regelungsprozess, den ich analog zu "es" regnet beschreibe. In der Perspektive des deutenden Beobachters dagegen, nehme ich Mitteilungen für-wahr.
Das Wort Kommunikation fand erst Anfang der 1970er Jahre Eingang in den deutschen soziologischen Sprachgebrauch. Die Psychologen Paul Watzlawick, Don D. Jackson und Janet H. Beavin behandelten 1967 aus therapeutischer Sicht die Rolle von Kommunikation in zwischenmenschlichen Beziehungen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe ihres Werks Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien bezeichnet Watzlawick den Begriff Kommunikation als „im Deutschen ungewohnt“ (Watzlawick Menschliche Kommunikation: 17).
Der hier skizzierte Ablauf der Wortgeschichte von Kommunikation läßt sich, sprachtheoretisch, also in drei Schritten wie folgt zusammenfassen: es tritt Mitte der fünfziger Jahre neu ins Lexikon des gebildeten Deutschen mit der Markierung von wenigen Spezialisten verwendetes Fachwort (im Kontext der Informationstheorie)”; etwa zehn Jahre später ist der pragmatische Kontext im Lexikon markiert als intellektuelles Modewort (beinhaltend einen neu entdeckten, bisher vernachlässigten höchst relevanten Aspekt der menschlichen Existenz)”; nach weiteren zehn Jahren ist diese Aktualität verblaßt, so daß es im Lexikon fortan pragmatisch unmarkiert ist, was für die alltägliche Praxis bedeutet, daß Kommunikation ein einfaches Sachwort wie Haus und Brücke etc. geworden ist.
Ein spezieller Fall von Kommunikation sind Sprachhandlungen. Sie werden im Alltag oft als "Kommunikation" schlechthin verstanden.
Systemtheoretisch ist ein Gespräch zwischen Menschen das Verhalten eines Systems, das durch diesen Gesprächsprozess sein dynamisches Fliessgleichgewicht sucht. Die beteiligten Menschen sind Bestandteile eines Systems, ihre Zustände verkörpern Potentialunterschiede, die durch Energiefluss kompensiert werden.
Im Unterschied zu kommunizierenden Röhren und andern Artefakten, die als Sender und Empfänger fungieren, wissen Menschen natürlich, was sie tun. Aber oft wissen Menschen nicht, auf welcher Systemebene sie die Kommunikation ansiedeln. Sehr viele "Theorien", die sich mit Kommunikation befassen, verwenden unreflektiert ein Sender-Empfänger-Modell, das nur das technische Medium beschreibt.
Im Alltag genügt der eingegrenzte Horizont vieler "Kommunikationstheorien" offensichtlich so gut, wie die Physik von I. Newton öfters verwendet wird, als die Quantenphysik oder die Relativitätstheorie, die umfassendere Sichtweisen geben.
Der Beobachter entscheidet, ob zwei verbundene Telefonapparate Teile eines Systems oder zwei verschiedene Systeme sind. In Abhängigkeit davon können sie allenfalls kommunizieren oder eben nicht.
Kommunikation wird häufig mit dem Kommunikations-Mittel-Modell modelliert und die dabei entstehende Diskrepanz zwischen Modell und dem Referent des Modelles mit dem Pseudo-Begriff "Information" überbrückt.
Erste technische Wortverwendung: Spannungsausgleichende Hanfschnüre von Gray ,1729.
Maturanas Kommunikationsbegriff (in laxer Formulierung): "Unter Kommunikation verstehen wir das gegenseitige Auslösen von koordinierten Verhaltensweisen unter den Mitgliedern einer sozialen Einheit" (TR Transfer Nr. 35, 1994, S. 33). (eine strengere Formulierung gibt Maturana in Erkennen:262). und in Baum:210): Als kommunikatives Verhalten bezeichnen wir als Beobachter soche Verhalten, das im Rahmen sozialer Koppelung auftritt; als Kommunikation bezeichnen wir jene Koordination des Verhaltens, die aus der sozialen Koppelung resultiert.
H. v. Förster: Kommunikation als Tanz: Gegenseitige Beeinflussung
Zufällige Definition:
Zwischenmenschliche Kommunikation heisst der Prozess, in welchem Menschen Kommunikations-Mittel verwenden (können).
alte (noch stimmige, kurze) Variante (Paraphrase):
Kommunikation nennt ein Beobachter den Prozess, in welchem zwei Instanzen durch strukturelle Koppelung einschwingen.
Alternativen:
Simon, Fritz B. Psychopathologische Konstruktionen: Kommunikation ist mitteilen von Information.
Kommunikation ist Prozessieren von Kommunikation (Luhmann, SozSyst 194
Wer sagt was zu wem über welchen Kanal vor welchem Hintergrund mit welcher Wirkung ( Lasswell, amerik. Politologe: Wirkungsforschung)
Hans G. Tillmann: DIE MENSCH-MASCHINE-KOMMUNIKATION. lokal
"Man kommuniziert über etwas und man kommuniziert nur ausnahmsweise über Kommuniktion" Luhmann: Soz. Systeme, 557.
Das war so vor der Internetzeit in den Massenmedien, von welchen N. Luhmann noch angenommen hatte, dass sie die Kommunikation bestimmen.
[ Meinen, Mitteilen und Verstehen C. Dethloff (G. Peyn) ]
[ Luhmann: Mitteilung und Information im Moment des Verstehens ]
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