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Protowissenschaft heisst in einem umgangssprachlich Sinn ein Diskurs, der die wissenschaftlichen Kriterien noch nicht erfüllt, aber wissenschaftliche Fragen behandelt.
T. Kuhn bezeichnet im Kontext seiner Paradigmalehre die erste (der von ihm unterschiedenen) Phase der Wissenschaft als Protowissenschaft. Er lässt offen, ob es sich um ein Entwicklungsstadium innerhalb der Wissenschaft handelt - was natürlich vom Wissenschaftsbegriff abhängig ist. Die Protowissenschaft hat bei ihm noch kein Paradigma, ist also in diesem Sinn noch keine eigentliche Wissenschaft.
Bei T. Kuhn wird mit dem Ausdruck Protowissenschaft explizit der Fall abgedeckt, der kein Paradigmenwechsel sein kann, weil es noch kein Paradigma gibt.

Als Protowissenschaft bezeichne ich - in Anlehnung an A. Bogdanov, der Begriff aber nicht verwendet - Lehren, die Keimformen von Wissenschaft darstellen, die ich nicht als Wissenschaft bezeichne. A. Bogdanov, der den Übergang zur Wissenschaft nicht genauer bestimmt, spricht generell von vorwissenschaftlicher Philosophie. Er gibt als Beispiel die Atom-Idee von Demokrit, in welcher er eine Vorwegnahme der Atomphysik erkennt und von Erhaltungsformulierungen in der Antike, die er in der Energietheorie wiedererkennt.

Interessant und zufällig finde ich, dass G. Galilei sowohl bei T. Kuhn als auch bei A. Bogdanov eine exemplarische Rolle spielt. Bei beiden fehlt - so weit ich sehe - das Kriterium für Wissenschaft, das ich von E. von Glasersfeld übernommen habe, der es auch anhand von G. Galilei erläutert hat. (Aber wer hat schon Galileitexte gelesen? etwa Du, lieber Leser?).

Wissenschaft beginnt nicht mit Experimenten, sondern damit, dass die Experimente mit Theorien (was in der Zeit von Galilei - insbesondere noch vor der Poppertrivialisierungder Wissenschaft - noch Hypothesen genannt wurde) begründet werden, in welchen

(Auch Mach sieht nur eine höhere, logisch geläuterte Kohärenz im wis. Denken)
Beispiele sind philosophische "Theorieversuche", etwa die Farbtheorie John Lockes oder die Naturerklärungen von Aristoteles Grosse Teile der "Philosophie" sind Protowissenschaft das sich aus vorerst philosophischen Ideen in Form von falsifizierbaren Hypothesen und Lösungen entwickelt. ======== eine schöne Schhilderung der Protowissenschaft gibt Mach (im Hypothesen Kap) -dabei ersetzt er die Philosophie durch "volkstümliche und auch die erste wissenschaftliche Ansicht" Die wissenschaftlichen Ansichten knüpfen unmittelbar an die volkstümlichen an, von welchen sie anfänglich überhaupt nicht zu trennen sind, und entwickeln sich allmählich aus diesen. Der Himmel erscheint uns aus physiologischen Gründen als eine Kugel von einem bestimmten nicht einmal sehr großen Radius. Das ist die volkstümliche und auch die erste wissenschaftliche Ansicht. Der nächtliche Anblick führt uns dazu, dieser Kugel eine Drehung zuzuschreiben, und die Sterne an derselben für befestigt und vor dem Fallen geschützt zu halten. Die ungleichen Bewegungen, die nun bei näherem Zusehen an den Planeten, an dem Monde und an der Sonne bemerkt werden, führen zur Annahme mehrerer durchsichtiger ineinander geschachtelter[233] Sphären mit verschiedenen Drehungen. So entwickelt sich allmählich die Epicykeltheorie, das ptolemäische, das antike heliozentrische und das kopernikanische System. Der Mond steht in einer Beziehung zur Flutwelle, das entgeht auch dem Volke nicht. Solange die Forscher nur mit Druck und Stoß als Bewegungsursachen vertraut sind, glauben sie an eine Luftdruckwelle, die der Mond unter sich hertreibt. Bei Vertrautheit mit Fernwirkungen wird der Druck durch einen Zug abgelöst. =======
 

E. Husserl bezeichnete seine Phänomenologie als eine beschreibende Protowissenschaft - was ich als Phänographie bezeichne - auf deren intentionalen Typen ein systematisches Wissen aufgebaut werden sollte.
Die Phänographie und wohl auch die Phänomenologie von E. Husserl sind weniger als zeitliche Vorgänger gedacht, sondern quasi als lebensweltliche Voraussetungen.

siehe auch Protosoziologie


 
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[ aus: rose_kuhn.pdf ]
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