Als "Robinsonaden" bezeichne ich Geschichten, in welchen ein einzelner Menschen seinen Haushalt organisiert.
Die namengebende Welt des Robinson Crusoe war eine Insel, auf welcher er als Schiffbrüchiger alleine leben musste. Robinson erzählte, wie er um sein Überleben zu sichern zahlreiche Tätigkeiten wie Ackerbau, Zimmermannshandwerk, Schneidern usw., die mir als gesellschaftliche Kulturtechniken bekannt sind, selbst ausführen musste. Robinson ist allerdings nicht vom Himmer gefallen, er wusste aus seinem vormaligen Leben in der Gesellschaft, wie er seine Welt einrichten musste und er hat auch Werkzeuge, Kleider und Waffen, die er nicht erst erfinden musste. Er wusste insbesondere auch, wie er mit dann doch erscheinenden Menschen umzugehen hatte, was er überdies auf die Moral bezog, die er in seiner Bibel, die er auch nicht selbst geschrieben hat, gefunden hat.
Der Witz der Robinsonade besteht darin, als Individuum zu leben und aus den darin erkannten Bedürfnissen eine Gesellschaftsform herzuleiten.
Ich unterscheide zwei zwei Formen, mit "Robinsonaden" umzugehen:
- ich kann eine Robinsonade erfinden und erzählen oder
- ich kann die Robinsonade als bürgerliche Ideologie kritisieren.
Ersteres hat auch D. Defoe getan, letzteres hat auch K. Marx getan.
Die "Robinsonade" als Utopie
In den Utopien wird die Robinsonade als literarische Form verwendet. Bekannte Beispiele sind Walden von H. Thoreau, der sich - wie Robinson, aber freiwillig - in die Wälder zurüchgezogen hat. Und Käpten Nemo von J. Verne, der sich - halb freiwillig - auf ein Uboot zurückgezogen hat, oder die die Insel-Aneigner auch von J. Verne. Man kann unter beliebig vielen Werken auch Herr der Fliegen so sehen.
In den Utopien im engeren Sinne wie etwa in Walden II von B. Skinner wird oft auch die Ökonomie mitbehandelt. Dabei wird aber gerade der Kapitalismus sehr oft kritisiert, so dass der Ideologie-Vorwurf von K. Marx zumindest ambivalent erscheint. K. Marx hatte mit seiner Kritik vor allem das Werk von A. Smith im Auge, dessen Robinson von Natur aus so gestaltet ist, dass er im denkbar besten Fall ein Kapitalist werden muss. Er ist ein Ur-Natur-Bursche, der die Warenform bereits - und ausserdem nicht anderes - kennt
Silvio Gesell dagegen bringt seine ökonomische Robinsonade explizit ins Spiel und zeigt damit vor allem, dass die Erzählform mit Robinson sachlich belanglos sein kann. S. Gesells Robinson spielt den Idioten in einem gesell-sokratischen Diskurs. Dieser Robinson ist nicht Herr seiner Lage, er wird belehrt (und ist wohl als K. Marx erkennbar).
Textstellen von K. Marx und S. Gesell sind unten angefügt.
Ich habe eine eigene Auffassung der utopischen Robinsonade als Remake von Skinners Walden II geschrieben: Todesco: Walden III. Mir ging es auch darum, dass die Insel nicht räumlich abgegrenzt sein muss.
Eine bewusste Art der Robinsonade wähle ich in meinem Projekt diasynchron, wo ich meine Kategorien nicht konservativ reproduzieren will. Die Frage ist, welche Geschichten soll ich mir erzählen, und warum gerade die. Warum beispielsweise sind Kriege, Nationen oder Religionen jenseits davon, dass sie oft im Gespräch sind, wichtig. Spielen sie in meinem Leben eine Rolle oder sind sie jenseits von mir, einfach das was in die Geschichte von wem auch immer gehört?
Meine Robinsonade handelt von einem Robinson, der gerade zufällig hier und jetzt lebt, aber keine GeschichtE, sondern nur GeschichteN kennt.
Karl Marx, Einleitung [zur Kritik der Politischen Ökonomie]
Die "Einleitung", an der Marx von Ende August bis Mitte September 1857 gearbeitet hat, stellt einen unvollendeten Entwurf einer "allgemeinen Einleitung" zu einer von ihm geplanten großen ökonomischen Arbeit dar, deren Hauptzüge Marx bereits in der "Einleitung" aufführt. Im Verlauf weiterer Forschungen hat Marx seinen ursprünglichen Plan mehrmals verändert und es entstanden die Werke "Zur Kritik der Politischen Ökonomie" und "Das Kapital".
I.Produktion, Konsumtion, Distribution, Austausch (Zirkulation)
1.Produktion
<615> a) Der vorliegende Gegenstand zunächst die materielle Produktion.
In Gesellschaft produzierende Individuen - daher gesellschaftlich bestimmte Produktion der Individuen ist natürlich der Ausgangspunkt. Der einzelne und vereinzelte Jäger und Fischer, womit Smith und Ricardo beginnen, gehört zu den phantasielosen Einbildungen der 18.-Jahrhundert-Robinsonaden, die keineswegs, wie Kulturhistoriker sich einbilden, bloß einen Rückschlag gegen Überverfeinerung und Rückkehr zu einem mißverstandnen Naturleben ausdrücken. So wenig wie Rousseaus contrat social, der die von Natur independenten Subjekte durch Vertrag in Verhältnis und Verbindung bringt, auf solchem Naturalismus beruht. Dies Schein und nur der ästhetische Schein der kleinen und großen Robinsonaden. Es ist vielmehr die Vorwegnahme der "bürgerlichen Gesellschaft", die seit dem 16. Jahrhundert sich vorbereitete und im 18. Riesenschritte zu ihrer Reife machte. In dieser Gesellschaft der freien Konkurrenz erscheint der Einzelne losgelöst von den Naturbanden usw. die ihn in früheren Geschichtsepochen zum Zubehör eines bestimmten begrenzten menschlichen Konglomerats machen. Den Propheten des 18. Jahrhunderts, auf deren Schultern Smith und Ricardo noch ganz stehn, schwebt dieses Individuum des 18. Jahrhunderts - das Produkt einerseits der Auflösung der feudalen Gesellschaftsformen, andrerseits der seit dem 16. Jahrhundert neu entwickelten Produktivkräfte - als Ideal vor, dessen Existenz eine vergangne sei. Nicht als ein historisches Resultat, sondern als Ausgangspunkt der Geschichte. Weil als das naturgemäße Individuum, angemessen ihrer Vorstellung von der menschlichen Natur, nicht als ein geschichtlich entstehendes, sondern von der Natur gesetztes. Diese Täuschung ist jeder neuen Epoche bisher eigen <616> gewesen. Steuart, der in mancher Hinsicht im Gegensatz zum 18. Jahrhundert und als Aristokrat mehr auf historischem Boden steht, hat diese Einfältigkeit vermieden.
"Da die politische Ökonomie Robinsonaden liebt (29), erscheine zuerst Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch verschiedenartige Bedürfnisse zu befriedigen und muß daher nützliche Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Möbel fabri-
zieren, Lama zähmen, fischen, jagen usw. Vom Beten u. dgl. sprechen wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnügen findet und derartige Tätigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit seiner produktiven Funktionen weiß er, daß sie nur verschiedne Betätigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau zwischen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen. Ob die eine mehr, die andre weniger Raum in seiner Gesamttätigkeit einnimmt, hängt ab von der größeren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des bezweckten Nutzeffekts zu überwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihn das, und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Engländer bald Buch über sich selbst zu führen. Sein Inventarium enthält ein Verzeichnis der Gebrauchsgegenstände, die er besitzt, der verschiednen Verrichtungen, die zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten. Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen selbstgeschaffnen Reichtum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig, daß selbst Herr M. Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn dürfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten.
Versetzen wir uns nun von Robinsons lichter Insel in das finstre europäische Mittelalter. Statt des unabhängigen Mannes finden wir hier jedermann abhängig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und Lehnsgeber, Laien und Pfaffen. Persönliche Abhängigkeit charakterisiert ebensosehr die gesellschaftlichen Verhältnisse der materiellen Produktion als die auf ihr aufgebauten Lebenssphären. Aber eben weil persönliche Abhängigkeitsverhältnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden, brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realität verschiedne phantastische Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und Naturalleistungen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar gesellschaftliche Form. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit gemessen wie die Waren produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiß, daß es ein bestimmtes Quantum seiner persönlichen Arbeitskraft ist, die er im Dienst seines Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die Charaktermasken beurteilen mag, worin sich die Menschen hier gegenübertreten, die gesellschaftlichen Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen persönlichen
Verhältnisse und sind nicht verkleidet in gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen, der Arbeitsprodukte.
Für die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter Arbeit brauchen wir nicht zurückzugehn zu der naturwüchsigen Form derselben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvölker begegnet.(30) Ein näherliegendes Beispiel bildet die ländlich patriarchalische Industrie einer Bauernfamilie, die für den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn, Leinwand, Kleidungsstücke usw. produziert. Diese verschiednen Dinge treten der Familie als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegenüber, aber nicht sich selbst wechselseitig als Waren. Die verschiednen Arbeiten, welche diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben, Schneiderei usw. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen, weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwüchsige Teilung der Arbeit besitzt so gut wie die Warenproduktion. Geschlechts- und Altersunterschiede wie die mit dem Wechsel der Jahreszeit wechselnden Naturbedingungen der Arbeit regeln ihre Verteilung unter die Familie und die Arbeitszeit der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeitdauer gemeßne Verausgabung der individuellen Arbeitskräfte erscheint hier aber von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil die individuellen Arbeitskräfte von Haus aus nur als Organe der gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken.
Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte Robinsons "
(Fussnote 29) Note zur 2. Ausgabe. Auch Ricardo ist nicht ohne seine Robinsonade. "Den Urfischer und den Urjäger läßt er sofort als Warenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhältnis der in diesen Tauschwerten vergegenständlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fällt er in den Anachronismus, daß Urfischer und Urjäger zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die 1817 auf der Londoner Börse gangbaren Annuitätentabellen zu Rate ziehn. Die 'Parallelogramme des Herrn Owen' scheinen die einzige Gesellschaftsform, die er außer der bürgerlichen kannte." (Karl Marx, "Zur Kritik etc.", p.38, 39.
Silvio Gesell, Die Natürliche Wirtschaftsordnung, fünfter Teil: DIE FREIGELD-ZINS- ODER KAPITALTHEORIE
5.1. Robinsonade, als Prüfstein für diese Theorie
Als Prüfstein für die Richtigkeit der hier entwickelten Zinstheorie, wie auch, um
dem gerade in dieser Frage so sehr in uralten Vorurteilen befangenen Leser das Ver-
ständnis zu erleichtern, schicke ich folgende Robinsonade voran.
Vorbemerkung. Der Kürze halber lasse ich den hier beschriebenen Darlehnsvertrag
ohne den regelnden Einfluß des Wettbewerbs sich vollziehen. Ließe ich den Wettbewerb
in die Darlehnsverhandlungen eingreifen, etwa so, daß auf einen Darlehnsnehmer (Fremd-
ling) mehrere Darlehnsgeber (mehrere Robinsons) kämen, so würde der Vertrag noch
viel günstiger für den Darlehnsnehmer ausfallen können, als es hier geschieht. - Eine
zweite Voraussetzung ist, daß die beiden Vertragsschließenden die Freiland-Grundsätze
anerkennen, weil deren Nichtanerkennung unter den obwaltenden Verhältnissen zu
Kampf und Raub, nicht zum Vertrage führen würde.
Robinson baute einen Kanal und mußte sich also auf 3 Jahre, der Dauer der ganzen
Arbeit, mit Vorräten versehen. Er schlachtete Schweine, bedeckte das Fleisch mit Salz,
füllte ein Loch in der Erde mit Getreide und deckte es sorgfältig zu. Er gerbte Hirsch-
felle und verarbeitete sie zu Kleidern, die er in einer Kiste verschloß, nachdem er als
Mottenscheuche noch eine Stinktierdrüse hineingelegt hatte.
Kurz, er sorgte nach seiner Ansicht gut für die nächsten drei Jahre.
Wie er nun eine letzte Berechnung darüber anstellte, ob sein "Kapital" für das ge-
plante Unternehmen auch ausreichen würde, sah er einen Menschen auf sich zuschreiten.
Hallo, rief der Fremdling, mein Kahn ist hier zerschellt, und so landete ich auf dieser
Insel. Kannst du mir mit Vorräten aushelfen, bis ich einen Acker urbar gemacht und
die erste Ernte eingeheimst habe?
Wie schnell flogen bei diesen Worten die Gedanken Robinsons von seinen Vorräten
zum Zins und zur Herrlichkeit des Rentnerlebens! Er beeilte sich, die Frage zu bejahen.
Vortrefflich! antwortete der Fremdling, aber ich will dir sagen, Zins zahle ich nicht;
sonst ernähre ich mich lieber von Jagd und Fischfang. Mein Glaube verbietet mir sowohl
Zins zu nehmen, wie auch Zins zu geben.
R.: Da hast du eine prächtige Religion. Aus welchem Grunde aber glaubst du denn,
daß ich dir Vorräte aus meinen Beständen herleihen werde, wenn du mir keinen
Zins gibst?
Fr.: Aus Eigennutz, Robinson; auf Grund deines wohlverstandenen Vorteiles, weil du
dabei gewinnst, und sogar ziemlich viel.
R.: Das, Fremdling, mußt du mir erst vorrechnen. Ich gestehe, daß ich nicht einsehe,
welchen Vorteil ich davon haben kann, dir meine Vorräte zinsfrei zu leihen.
Fr.: Nun, ich will dir alles vorrechnen, und wenn du es mir nachrechnen kannst, so
wirst du mir das Darlehn zinsfrei geben und dich noch bei mir bedanken. Ich
brauche zunächst Kleider, denn du siehst, ich bin nackt. Hast du einen Vorrat
an Kleidern?
R.: Die Kiste ist bis oben voll.
Fr.: Aber Robinson, wirklich, ich hätte dich für gescheiter gehalten! Wer wird denn
Kleider für drei Jahre in Kisten vernageln, Hirschleder, den Lieblingsfraß der
Motten! Außerdem müssen diese Kleider immer gelüftet und mit Fett eingerieben
werden, sonst werden sie hart und brüchig.
R.: Du hast recht, aber wie sollte ich es anders machen? Im Kleiderschrank sind sie
nicht besser geborgen; im Gegenteil, hier kommen Ratten und Mäuse noch zu
den Motten hinzu.
Fr.: Oh! Auch in die Kiste würden die Ratten gedrungen sein, - sieh, da haben sie
schon genagt!
R.: Wahrhaftig! Man weiß sich auch wirklich nicht davor zu retten!
Fr.: Du weißt dich nicht vor Mäusen zu schützen, und du sagst, du hättest rechnen
gelernt? Ich will dir sagen, wie Leute in deiner Lage sich bei uns gegen Mäuse,
Ratten, Motten, Diebe, gegen Brüchigwerden, Staub und Schimmel schützen.
Leihe mir diese Kleider, und ich verpflichte mich, dir neue Kleider zu machen,
sobald du welche brauchst. So bekommst du ebensoviele Kleider zurück, wie du
mit geliefert hast, und zwar werden diese Kleider, weil neu, bedeutend besser sein
als diejenigen, die du später aus dieser Kiste ziehen würdest. Obendrein werden
sie nicht mit Stinktieröl verpestet sein. Willst du das tun?
R.: Ja, Fremdling, ich will dir die Kiste mit den Kleidern abtreten, denn ich sehe ein,
daß es für mich vorteilhaft ist, dir auch ohne Zins die Kleider zu überlassen. (1)
Fr.: Nun zeige mir mal deinen Weizen. Ich brauche solchen sowohl zur Saat wie für
Brot.
R.: Dort am Hügel habe ich ihn vergraben.
Fr.: Du hast den Weizen für drei Jahre in einem Erdloch vergraben? Und der Schimmel,
die Käfer?
R.: Das weiß ich, aber was sollte ich machen? Ich habe die Sache nach allen Seiten
überlegt und nichts Besseres für die Aufbewahrung gefunden.
Fr.: Nun bück' dich mal! Siehst du die Käferchen an der Oberfläche herumspringen?
Siehst du das Gemüll? Und hier diese Schimmelbildung? Es ist die höchste Zeit,
daß der Weizen herausgehoben und gelüftet werde.
R.: Es ist zum Verzweifeln mit diesem Kapital! Wenn ich doch nur wüßte wie ich
mich verteidigen soll gegen diese tausendfältigen Zerstörungskräfte der Natur.
Fr.: Ich will dir sagen, Robinson, wie wir das bei uns zu Hause machen. Wir bauen
einen luftigen, trockenen Schuppen und schütten auf den gut gedielten Boden
den Weizen aus. Und regelmäßig alle drei Wochen wird der Weizen sorgfältig
gelüftet, indem wir mit Schaufeln das Ganze umwerfen. Dann halten wir eine
Anzahl Katzen, stellen Fallen auf, um die Mäuse zu fangen, versichern das Ganze
gegen Feuer und erreichen so, daß der jährliche Verlust an Güte und Gewicht
nicht mehr als 10 % beträgt.
R.: Aber bedenke doch, diese Arbeit, diese Kosten!
Fr.: Du scheust die Arbeit und willst keine Kosten? Ich will dir sagen, wie du es dann
anfangen mußt. Leihe mir deinen Vorrat, und ich werde dir das Gelieferte aus
meinen Ernten in frischem Getreide zurückzahlen, und zwar Pfund für Pfund,
Sack für Sack. So sparst du die Arbeit, einen Schuppen zu bauen, brauchst das
Getreide nicht umzuschaufeln und keine Katzen zu füttern, verlierst nichts am
Gewicht und hast statt alten Korns immer saftiges, frisches Brot. Willst du?
R.: Mit tausend Freuden nehme ich den Vorschlag an.
Fr.: Also du lieferst mir das Korn zinsfrei?
R.: Versteht sich, zinsfrei und mit Dank meinerseits.
Fr.: Ich kann aber nur einen Teil gebrauchen, ich will nicht alles haben.
R.:Wenn ich dir nun den ganzen Vorrat anbiete, mit der Maßgabe, daß du mir für
je 10 Sack nur 9 zurückzugeben brauchst?
Fr.: Ich danke, denn das hieße ja mit Zins arbeiten - zwar nicht mit aufschlagendem
(positivem), sondern mit kürzendem (negativem) Zins -, und statt des Gebers
wäre der Nehmer Kapitalist. Aber mein Glaube verbietet den Wucher, er ver-
bietet auch den umgekehrten Zins. Ich mache dir aber den Vorschlag, deinen
Weizenvorrat unter meine Aufsicht zu nehmen, den Schuppen zu bauen und alles
Nötige zu besorgen. Dafür wirst du mir für je 10 Sack jährlich zwei Sack als Lohn
bezahlen. Bist du damit einverstanden?
R.: Mir ist es gleich, ob deine Leistung unter dem Titel Wucher oder aber als Arbeit
gebucht wird. Ich gebe dir also 10 Sack, und du lieferst mir 8 Sack zurück. Ein-
verstanden!
Fr.: Ich brauche aber noch andere Sachen: einen Pflug, einen Wagen und Handwerks-
zeug. Willst du mir das alles auch zinsfrei überlassen? Ich verspreche, dir alles in
gleicher Güte zurückzuerstatten: für einen neuen Spaten einen neuen Spaten,
für eine neue Kette eine neue, rostfreie Kette!
R.: Gewiß bin ich dazu bereit. Denn jetzt habe ich von all diesen Vorräten nur Arbeit.
Neulich war der Bach übergetreten und hatte den Schuppen überschwemmt, alles
mit Schlamm bedeckend. Dann riß der Sturm das Dach fort, so daß alles verregnete.
Nun haben wir trockenes Wetter, und der Wind treibt Sand und Staub in den
Schuppen. Rost, Fäulnis, Bruch, Trockenheit, Licht und Dunkelheit, Holzwürmer,
Termiten, alles ist unausgesetzt an der Arbeit. Noch ein Glück, daß wir keine
Diebe und Brandstifter haben. Wie freue ich mich, jetzt durch Verleihen die Sachen
so schön und ohne Arbeit, Kosten und Verlust für später verfügbar zu behalten.
Fr.: Also du erkennst es jetzt als einen Vorteil, mir die Vorräte zinsfrei zu überlassen? (2)
R.: Unumwunden erkenne ich es an. Aber warum, so frage ich mich jetzt, bringen
drüben in der Heimat solche Vorräte dem Besitzer Zins ein?
Fr.: Die Erklärung mußt du im Gelde suchen, das drüben solche Geschäfte vermittelt.
R.: Was? Im Gelde soll die Ursache des Zinses liegen? Das kann doch nicht sein; - denn höre, was Marx vom Geld und Zins sagt: "Die Arbeitskraft ist die Quelle des Zinses (Mehrwert). Der Zins, der das Geld in Kapital verwandelt, kann nicht vom Geld herrühren. Wenn es wahr ist, daß das Geld Tauschmittel ist, so tut es nichts anderes, als die Preise der Waren bezahlen, die es kauft. Wenn es solchermaßen unveränderlich bleibt, so nimmt es nicht an Wert zu. Daher muß der Mehrwert (Zins), von den gekauften Waren herrühren, die teurer verkauft werden. Diese Veränderung kann weder beim Kauf noch beim Verkauf stattfinden; in diesen beiden Handlungen werden Äquivalente ausgetauscht. Es bleibt darum nur eine Annahme frei, daß die Änderung durch den Gebrauch der Ware nach dem Kauf und vor dem Wiederverkauf vor sich gehe." (Marx: Das Kapital, Kap. VI.)
Fr.: Wie lange bist du schon auf dieser Insel?
R.: Seit dreißig Jahren.
Fr.: Das merkt man. Du berufst dich noch auf die Wertlehre. Ach, lieber Robinson,
diese Sache ist erledigt. Die Wertlehre ist ausgestorben. Es ist überhaupt niemand
mehr da, der sie vertritt.
R.: Was, du sagst, die Marxsche Lehre vom Zins wäre ausgestorben? Das ist nicht wahr! Wenn auch sonst niemand mehr da wäre, - ich vertrete sie!
Fr.: Gut, so vertritt sie, doch nicht nur mit Worten, sondern auch mit der Tat. Vertritt sie, wenn du willst, mir gegenüber. Ich trete von dem soeben geschlossenen Handel zurück. Du hast hier in deinen Vorräten das, was nach Wesen und Bestimmung als die reinste Form dessen zu betrachten ist, was man gemeinhin "Kapital" nennt. Ich fordere dich auf, als Kapitalist mir gegenüber aufzutreten. Ich brauche deine Sachen. Kein Arbeiter ist jemals einem Unternehmer so nackt gegenübergetreten, wie ich jetzt vor dir stehe. Niemals ist das wahre Verhältnis vom Kapitalbesitzer zum Kapitalbedürftigen so rein zutage getreten, wie in unserem gegenseitigen Verhältnis. Nun versuche, ob du von mir Zins erlangen kannst! Wollen wir also den Handel wieder von vorne anfangen? (3)
R.: Ich verzichte. Die Ratten, Motten und der Rost haben meine kapitalistische Kraft gebrochen. - Aber sage, wie erklärst du die Sache?
Fr.: Die Erklärung ist einfach. Bestände hier auf der Insel Geldwirtschaft, und ich als Schiffbrüchiger bedürfte eines Darlehns, so müßte ich mich nach Lage der Dinge an einen Geldgeber wenden, um die Dinge, die du mir soeben zinsfrei geliehen hast, zu kaufen. Diesem Geldgeber aber, den Ratten, Motten, Rost, Feuer und Dachschäden nicht bedrücken, kann ich nicht wie dir gegenübertreten. Den Verlust, der mit dem Besitz der Waren verknüpft ist, - sieh, da schleppt der Hund einen von deinen, will sagen, von meinen Hirschfellen fort! - den trägt nur derjenige, der die Waren aufzubewahren hat, nicht der Geldgeber; diesen berühren all diese Sorgen und die herrlichen Beweise nicht, mit denen ich dich so mürbe
gemacht habe. Du hast die Kiste mit den Fellkleidern nicht zugeschlagen, als ich dir jede Zinszahlung verweigerte. Die Natur des Kapitals machte dich zu weiteren Verhandlungen geneigt. Der Geldkapitalist aber schlägt mir die Tür des Geldschrankes vor der Nase zu, wenn ich ihm sage, ich würde keinen Zins zahlen. Dabei brauche ich das Geld an sich ja nicht, sondern die Fellkleider, die ich mit dem Geld kaufen würde. Die Fellkleider gibst du mir zinsfrei; das Geld dazu muß ich verzinsen!
R.: So wäre die Ursache des Zinses doch im Gelde zu suchen, und Marx wäre im Unrecht? Auch da, wo er sagt: Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form 'G.W.G.' (Geld - Ware - Mehrgeld) = kaufen, um teurer zu verkaufen, am
reinsten. Anderseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Zirkulationssphäre vor sich. Da es aber unmöglich ist, aus der Zirkulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Äquivalente ausgetauscht werden, daher nur ableitbar aus der doppelten Übervorteilung der kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. Soll die Verwertung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der Warenproduzenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern." (Marx, Kapital, 6. Aufl., Bd. I, S. 127.)
Fr.: Hier sowohl wie da ist er vollkommen im Irrtum. Und da er sich im Gelde irrte, diesem Zentralnerv der ganzen Volkswirtschaft, so muß er überall im Irrtum sein. Er beging - wie alle seine Jünger es taten - den Fehler, das Geldwesen aus dem Kreis seiner Betrachtungen auszuschalten.
R.: Das haben mir unsere Verhandlungen über das Darlehn bewiesen. Das Geld ist für Marx ja auch nur Tauschmittel, aber es tut, wie es scheint, mehr als nur "die Preise der Waren bezahlen, die es kauft". Daß der Bankmann dem Darlehnsnehmer den Geldschrank vor der Nase zuschlägt, wenn dieser keinen Zins zahlen will, und nichts von den Sorgen kennt, die die Besitzer der Waren (Kapital) drücken, das verdankt er nur der Übermacht, die das Geld an und für sich über die Ware hat, - und da liegt der wunde Punkt!
Fr.: Wieviel Beweiskraft doch die Ratten, Motten und der Rost haben!
(1) So selbstverständlich die Sache ist, so ist es doch Tatsache, daß bis heute noch keiner
von allen Zinstheoretikern diesen Vorteil erkannt hat. Sogar Proudhon sah ihn nicht.
(2) Knut Wicksell: Wert, Kapital und Rente, S. 83: "Indessen behauptet Boehm-Bawerk,
daß die gegenwärtigen Güter den künftigen mindestens gleichstehen, da sie ja nötigenfalls
für die Verwendung in der Zukunft einfach "aufbewahrt werden können". Das ist gewiß eine
große Übertreibung. Boehm-Bawerk erwähnt freilich eine Ausnahme von dieser Regel,
nämlich in betreff von Gütern, die dem Verderb unterworfen sind, wie Eis, Obst und dergl.
Allein dasselbe trifft ja in höherem oder niedrigerem Maße bei allen Nahrungemitteln
ohne Ausnahme zu. Ja, es gibt vielleicht keine anderen Güter als etwa die edlen Metalle
oder Steine, deren Aufbewahrung für die Zukunft nicht besondere Arbeit und Fürsorge
erheischt, wozu noch die Gefahr kommt, daß sie dennoch durch Unfälle, wie Feuer und
dergl. verloren gehen können." (Für Gold, Edelsteine, Wertpapiere gibt es jetzt in den Banken besondere Kammern
für Privatgebrauch. Aber man muß hier eine Miete bezahlen, um deren Betrag "das gegenwärtige dem künftigen" Gut mindestens nachsteht.)
(3) Man beachte die Vorbemerkung!