Kapitalismus ist ein Schlag- oder Plastikwort, das umgangssprachlich oft für wirtschaftliche Exzesse von Kapitalisten und oft auch politischer anstelle von Finanzstaatismus (oder Neoliberalismus) verwendet wird. Umgangssprachlich (bis weit in die sogenannten Sozialwissenschaften hinein) erscheint Kapitalismus als schlechte aber nicht vermeidbare Gesellschafts- oder Wirtschaftsform - es wurde gesagt, dass Kapitalismus
die schlechteste aller Gesellschaftsformen sei - abgesehen von all den anderen Formen, die zu allen Zeiten je ausprobiert worden sind.
Hier befasse ich mich mit der Begriffsgeschichte. |
Die Wörter "Kapital" und "kapitalistisch" werden bereits im 18. und 19. Jahrhundert gebraucht, jedoch mit vagem und unspezifischem Sinn. Das Wort „capitaliste“ ist erstmals 1753 in Frankreich belegt und meint hier eine Person, die Güter besitzt. Julius von Soden etwa verwendet in seiner "National-Oekonomie" (1805) „kapitalistisch“, um einen "Überschuss oder Vorrat an Genussstoff “ zu bezeichnen. Theodor Mommsen verwendet „Kapital“ in seiner Römischen Geschichte (1854–1856).
In einem begriflicheren Sinn (für Produktionsmittel) wird das Wort Kapital erstmals von Richard de Radonvilliers 1842 verwandt. Weitere Belege für sein Auftreten finden sich bei Pierre Leroux 1848 und im Englischen erstmals bei William Thackeray 1854. Im Englischen geht seine weitere Verwendung wesentlich von David Ricardo aus.
Zur Beschreibung einer Klassengesellschaft wird der Ausdruck bereits 1840 in Louis Blancs Organisation du travail gebraucht; bereits dort ist er negativ wertend. K. Marx und F. Engels sprechen zunächst von „kapitalistischer Produktionsweise“, später im ersten Bande von "Das Kapital" (1867) von „Kapitalist“. Das Wort „Kapitalismus“ wird dagegen nur einmal in dem 1885 von F. Engels herausgegebenen zweiten Band von "Das Kapital" genannt. Häufiger findet sich das Wort in seiner Korrespondenz und in den späteren Schriften.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts häuft sich die Verwendung des Ausdruckes und erlangt Bekanntheit insbesondere durch Werner Sombarts "Der moderne Kapitalismus" (1902) sowie durch Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" (1904). Max Weber schreibt, dass das blosse „Streben nach Geldgewinn kein hinreichendes Kriterium für den Kapitalismus sei. Im Kapitalismus entstehe (je)der Gewinn als Mehrwert (Religionssoziologie,1963, S. 4.) Die Webersche Definition korrespondiert mit der Marxschen Definition der kapitalistischen Produktionsweise, derzufolge Gewinne in der Produktion (Mehrwertproduktion) entstehen.
under construction
noch zu verarbeitende Texte aus dem Netz:
"Im Kapital taucht der Begriff Kapitalismus nur einmal auf (Band 2, MEW 24, S. 123), im Gegensatz zum häufig verwendeten Adjektiv kapitalistisch."
Der Begriff bezeichnet zudem eine Epoche der Wirtschaftsgeschichte, die auf die Epochen des Feudalismus und des Merkantilismus folgte. In historischer Betrachtung wird auch die Epoche des Kapitalismus in unterschiedliche Phasen oder Entwicklungsformen eingeteilt, darunter vor allem Frühkapitalismus, Hoch- oder Industriekapitalismus und Spätkapitalismus.
Nicht erst seit dem Ende des Kalten Kriegs richtet sich das wissenschaftliche Interesse zunehmend auf nationalstaatlich differierende Kapitalismusmodelle. Statt den Kapitalismus als Gesellschaftsordnung zu begreifen, heben jüngere kapitalismustheoretische Ansätze auf die Pluralität unterschiedlicher Kapitalismen (Varieties of Capitalism) ab. Sie bezeichnen damit die weltweit empirisch erkennbaren Unterschiede in der Entwicklung kapitalistischer Wirtschaftsordnungen. In diesem Kontext fand auch der Begriff des Rheinischen Kapitalismus im wissenschaftlichen Diskurs seine Verbreitung." (http://pkwm.blogspot.ch/2011/07/kapitalismus.html)
von: https://ralfbarkow.wordpress.com/2015/07/10/nassehi-2015-07-07-kapitalismuskritik-ist-selbstberuhigung/
(Nassehi 2015-07-07 – Kapitalismuskritik ist Selbstberuhigung)
Vorvorgestern erschien ein Text von Armin Nassehi im Online-Kulturteil der deutschen Wochenzeitung Die Zeit, und dessen erster Satz ging so: „Die Zeiten für Kapitalismuskritik waren nie besser.“ Stets werde der Kapitalismus „als Kritikfokus und Kritikadresse ausgemacht“. Aber, so der für systemtheoretisch Interessierte geläufige Fingerzeig: „der Kapitalismus“ – nun zwischen Anführungszeichen – hat keine Adresse. Seine Unerreichbarkeit wird dann als kausale Letztbegründung dafür offeriert, den „Diskurs etwa um die Griechenland-Krise“ als „in den langweiligen Alternativen zwischen staatlicher Regulierung und dem wirtschaftsliberalen Glauben an Selbstheilungskräfte von Märkten gefangen“ bleibend zu beschreiben (mit Bezug auf den ihn nicht weiter interessierenden Gastbeitrag von Wolf Lotter in der Ausgabe vom 4. Juli).
Kritik stellt – eine Formulierung von Achim Brosziewski aufgreifend – theoretisch keine besonderen Anforderungen dar; man muss Unterscheidungen unterscheiden, im Zitat zum Beispiel „staatliche Regulierung / Selbstheilungskräfte von Märkten“ – und schon werden die Konturen des Beobachters sichtbar: ein gelangweilter Beobachter, der routiniert „Kapitalismus / Klima“, „Gleichheitsversprechen der politischen Aufklärung / Ungleichheitseffekte des Ökonomischen“ und andere aus seiner Sicht allgemein bekannte Tatsachen abarbeitet, es nicht ausschliesst, dass es sich lohnen könnte, „dem Kapitalismus genauer auf den Grund zu gehen“, dessen Basis in seiner Masslosigkeit findet, um dann zu beschreiben, „wie sehr auch namhafte Konzerne von jener Maßlosigkeit getrieben sind, die bisweilen verbrannte Erde hinterlassen, wenn die politischen Regime vor Ort nur korrupt genug sind, nicht dagegen vorzugehen.“ Wer daran vorbei sehe, könne kaum verstehen, „warum es gerade der Kapitalismus ist, der geradezu zu einem Symbol für eine haltlos komplexe Gesellschaft geworden ist, deren Eigendynamik uns unkontrollierbar erscheint“ (Nassehi 2015).
Weniger geradlinig können wir „Kapitalismus oder Gesellschaft?“ fragen – mit Dirk Baecker an Joseph Vogls Buch „Der Souveränitätseffekt“ anschliessend: „Wäre es Kapitalismus, müsste man annehmen, dass es auch anders geht, der Gegner jedoch die besseren Karten hat. Ist es Gesellschaft, müsste man annehmen, dass es nicht anders geht, die Karten zwischen Politik und Wirtschaft, Recht und Wissenschaft, Kunst und Religion unter Berücksichtigung der je aktuellen Kräfteverhältnisse jedoch immer wieder neu verteilt werden.“ (Baecker 2015, S. 641)
Und ergänzen, dass „es etwas Schlimmeres gibt als den Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft: ihre barbarische Aufhebung“ (Grigat 2010, S. 4). In einem nächsten Schritt liesse sich statt von Kapitalismuskritik zu reden mit Maren Lehmann fragen: „Ist die Systemtheorie Gesellschaftskritik? Oder anders, nämlich kritischer: Unterscheiden sich Systemtheorie und Gesellschaftskritik? Wenn ja: wie? Wenn nein: wieso nicht?“ (Lehmann 2014, S. 2)
Literaturverzeichnis
Baecker, Dirk (2015): Der blinde Fleck des “Kapitalismus”: Zu Joseph Vogls Buch „Der Souveränitätseffekt“. In: Zeitschrift für Germanistik, Neue Folge XXV (3), S. 635–642. Online verfügbar unter https://catjects.wordpress.com/2015/06/20/der-blinde-fleck-des-kapitalismus/, zuletzt geprüft am 02.07.2015.
Grigat, Stephan (2010): Befreite Gesellschaft und Israel. Zum Verhältnis von Kritischer Therorie und Zionismus. Initiative Sozialistisches Forum; Institut für Sozialkritik Freiburg. Online verfügbar unter http://www.ca-ira.net/verlag/leseproben/grigat-feindaufklaerung.reeducation_lp.html, zuletzt aktualisiert am 12.11.2010, zuletzt geprüft am 03.09.2012.
Lehmann, Maren: Kann man mit Systemtheorie Gesellschaftskritik üben? Ein Begriff: Sinn. Eine Unterscheidung: Welt/System. Zwei Bezugsprobleme: Kontingenz und Komplexität. DGS-Kongress in Trier 2014. Online verfügbar unter https://www.zu.de/lehrstuehle/soziologie/assets/pdf/SystemKritik_ML_Trier14.pdf, zuletzt geprüft am 04.07.2015.
Nassehi, Armin (2015): Kapitalismuskritik ist Selbstberuhigung. Im Unbehagen am Kapitalismus zeigt sich die Grundfrage der Moderne: Wie gehen wir mit Komplexität um? Das gilt nicht nur im Fall Griechenland. Griechenland. Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH u. Co. KG. Online verfügbar unter http://www.zeit.de/kultur/2015-07/kapitalismuskritik-selbstberuhigung-armin-nassehi, zuletzt aktualisiert am 07.07.2015, zuletzt geprüft am 08.07.2015.
"Der Kapitalismus ist nicht nur, wie noch bei Karl Marx, das Produkt der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital, und auch nicht nur, wie bei Rudolf Hilferding, das Ergebnis einer Allianz von festgelegtem Industriekapital und beweglichem Finanzkapital, sondern, wie es Defoe in den Blick nahm, das Resultat einer Lösung des Problems der Staatsfinanzierung durch private unternehmerische Initiativen. Diese Initiativen zähmten den Fürsten, indem sie ihm auf der einen Seite das mühsame Geschäft der Steuererhebung und der Sicherung des Münzwesens abnahmen und ihm auf der anderen Seite eine Verstetigung, schließlich Verewigung der Staatsschuld in Aussicht stellten. Das gelang dort besonders gut, wo in den Städten so oder so die Macht in den Händen eines kaufmännisch aktiven Adels lag (Genua, Venedig), wo ständige kriegerische Auseinandersetzungen eine hohe Steuerlast rechtfertigten und eine Kontrolle der Staatsfinanzen erzwangen (Niederlande) oder wo es bereits gelungen war, den König parlamentarisch einzubinden (England)." (D. Baecker)
"Aber ist das, ich wiederhole mich, Kapitalismus oder Gesellschaft? Wäre es Kapitalismus, müsste man annehmen, dass es auch anders geht, der Gegner jedoch die besseren Karten hat. Ist es Gesellschaft, müsste man annehmen, dass es nicht anders geht, die Karten zwischen Politik und Wirtschaft, Recht und Wissenschaft, Kunst und Religion unter Berücksichtigung der je aktuellen Kräfteverhältnisse jedoch immer wieder neu verteilt werden." (641)
"So etwa Luhmann, S. 64: „Gesellschaft bedeutet, dass Menschen in der Bestimmung und der Befriedigung dessen, was sie als Bedürfnis erfahren, nicht allein und nicht unabhängig voneinander operieren. Jeder stimuliert und stört den anderen. Daraus, und nicht aus der Unzuverlässigkeit der Natur, ergibt sich ein Vorsorgebedürfnis. Jeder muss, weil auch andere interessiert sind und interferieren werden, langfristig vorsorgen, und dieses Vorsorgen macht alle Güter knapp; denn jeder möchte für seine Zukunft reservieren, was ein anderer schon gegenwärtig braucht. Mit dem Vermehren zeit beständiger, lagerfähiger Güter nimmt daher auch die Knapp heit zu; und es muss ein sozialer Mechanismus erfunden werden, der eine zukunftsstabile Vorsorge mit je gegenwärtigen Verteilungen verknüpft. Das ist die Funktion der Wirtschaft.“ Vgl. auch Dirk Baecker, Wirtschaftssoziologie, Bielefeld 2006.
Konsumenten,Märkte und Manager kommen bei Marx nicht vor. Aber sie gehören genauso ins Diagramm wie jenes Finanzwesen, das die Kapitalismustheorie seit Hilferding in den Blick nimmt, und jener Verbrauch nichterneuerbarer Ressourcen, auf den ökologische Bewegungen, Klima- und Biodiversitätsforscher gleichermaßen aufmerksam machen. Vogl, Joseph