Zu diesem Eintrag gibt es eine alte Variante: Tätigkeit. Dieser neue Eintrag beruht auf meinem Theorie-Projekt.
Der Ausdruck Tätigkeit wird umgangssprachlich sehr vielfältig und sehr oft ganz anders als hier verwendet, eine häufige Verwendung erscheint in "Erwerbstätigkeit". Umgangssprachlich wird Tätigkeit oft synonym mit Handeln und Verhalten verwendet.
siehe dazu: Zur Phänographie der Tätigkeit |
Als Tätigkeit bezeichne ich, was in Handlungen jenseits eines Ziels getan wird.
Beispiel:
Ich schreibe einen Brief.
Das Schreiben ist eine Tätigkeit, einen Brief schreiben, ist eine Handlung.
Ich schreibe eigentlich nie, ich schreibe immer etwas. In der Volksschule lerne ich schreiben quasi unabhängig davon, wozu ich es brauchen kann. Dort geht es um die Tätigkeit, aber in einem sehr spezifischen Sinn.
Schreiben ist überdies eine herstellende Tätigkeit. Ich stelle dabei einen materiellen Gegenstand her, den ich als Text bezeichne.
Schwimmen ist eine Tätigkeit. Die Tätigkeit hat im Unterschied zu einer Handlung keinen Anfang.
Die herstellende Tätigkeit ist die primäre Kategorie im vorliegenden Hyperlexikon
Die Kulturhistorische Schule
Tätigkeit ist in einem weiter gefassten Sinn ein zentrales Konzept der Kulturhistorische Schule, in welcher die psychische Entwicklung des Menschen - phylo- und ontogenetisch - an dessen Tätigkeit gebunden wird. A. Leontjew unterscheidet - anders als ich - Tätigkeit (Motiv), Handlung (Ziel) und Operation (Aufgabe).
In seinem Buch "Tätigkeit – Bewusstsein – Persönlichkeit" unterscheidet er die Ebene der Tätigkeit (Gesamtprozess, vollständiger Arbeitsprozess wie beispielsweise das Jagen) von der Ebene der Handlungen (Teilaufgaben wie das Treiben der Herde) und von der Ebene der Operationen (Handgriffe, instrumentelle Fertigkeiten).
Der Begriff der Tätigkeit (russ. deyatelnost) wurde von L. Wygotski im Rahmen seiner instrumentellen Psychologie verwendet. In den Texten "Die instrumentelle Methode in der Psychologie" und "Die Geschichte der höheren psychischen Funktionen" entwickelte Wygotski den Begriff der psychischen Werkzeuge (alle Arten von Zeichen wie sprachliche Zeichen, mnemotechnische Mittel, Zahlen etc.) in Analogie zu technischen Werkzeugen.
Beide Arten dieser metaphorischen "Werkzeugen" schieben sich laut L. Wygotski „als Mittelglied zwischen die Tätigkeit des Menschen und das äußere Objekt“. Allerdings verändern technische Werkzeuge Wygotski zufolge äußere Objekte im Prozess der Tätigkeit und Arbeit, während psychische Werkzeuge auf die Psyche und das Verhalten wirken und am äußeren Objekt nichts verändern. A. Leontjew griff den so von L. Wygotski verwendeten Begriff der Tätigkeit auf und entwickelte daraus sein Konzept der "gegenständlichen Tätigkeit", an das ich kritisch anschliesse.
Beispiel:
Sammeln und Jagd - wie sie A. Leontiew im Auge hat - sind zunächst sehr unentwickelte Beispiele, die die Anfangszeit der Menschwerdung hervorheben, indem die Orte der ursprünglichen Werkzeugproduktion bezeichnet werden.
Kritik:
Sammeln und Jagd sind auch als Motive auf ziemlich primitiver Stufe. Es geht um - unmittelbare - Nahrungsbeschaffung, was jedes Tier auch leisten muss. Der menschliche Aneignungsprozess reflektiert die Aneignung in Form von Mitteln, die zum Zweck werden, und schliesslich in ein Selbstverständnis münden, das dann das grundlegenste Motiv jeder Tätigkeit darstellt.
A. Leotjew schreibt - meines Erachten in richtiger Ahnung, die ihm nicht richtig bewusst ist:
"Die Psychologie des Menschen befasst sich mit der Tätigkeit konkreter Individuen, die entweder unter
den Bedingungen offener Kollektivität verläuft, inmitten von Menschen, zusammen und in Wechselwirkung
mit ihnen, oder in Konfrontation mit der gegenständlichen Umwelt, an der Töpferscheibe
oder am Schreibtisch."
Ich nehme das Wort "Töpferscheibe" sehr wörtlich und den Schreibtisch als Milieuangabe für die Text-Herstellung
"Das grundlegende, oder wie man mitunter sagt, das konstituierende Merkmal der Tätigkeit ist ihre Gegenständlichkeit. Eigentlich ist im Begriff Tätigkeit implizit der Begriff ihres Gegenstandes enthalten.
Der Ausdruck "gegenstandslose Tätigkeit" ist ohne jeden Sinn. Eine Tätigkeit kann gegenstandslos
erscheinen, die wissenschaftliche Untersuchung der Tätigkeit erfordert jedoch unabdingbar die Aufdeckung
ihres Gegenstands. Dabei tritt der Gegenstand der Tätigkeit auf zweierlei Weise in Erscheinung:
primär in seiner unabhängigen Existenz, ||85| indem er sich die Tätigkeit des Subjekts unterordnet
und umgestaltet, sekundär als Abbild des Gegenstands, als Produkt der psychischen Widerspiegelung
seiner Eigenschaften, die nur durch die Tätigkeit des Subjekts erfolgt und auf andere Weise nicht
verwirklicht werden kann." (S.84f, resp S. 41 in der online-Version)
Aber gerade die Veränderung der Natur durch den Menschen, nicht die Natur als solche allein, ist die wesentlichste und nächste Grundlage des menschlichen Denkens, und im Verhältnis, wie der Mensch die Natur verändern lernte, in dem Verhältnis wuchs seine Intelligenz. (F. Engels, Naturdialektik, MEW 20, 498.)
In den Arbeitswissenschaften gibt es sehr unterschiedliche Vereinbarungungen:
R. Keil-Slawik (1985, 111f) unterscheidet Tätigkeit - Aufgabe in Anlehnung an seine Unterscheidung Handlung - Operation.
Sehr verbreitet ist die difffuse Vorstellung, wonach Tätigkeit für übergeordnete Verhaltenseinheiten oder ganze Handlungsketten steht. Tätigkeiten verfolgen dann ein ”Oberziel”, das – insbesondere im Arbeitsprozess – als ”Quasibedürfnis” ein Motiv vertritt. Die Tätigkeiten werden in Handlungen verwirklicht.
Bei antriebsunmittelbaren, beispielsweise affektiven, impulsiven oder reflektorischen Handlungen geht der Antriebsimpuls (z.B. Affekt) unmittelbar, d.h. ohne Handlungsvorbereitungsphase, in die Handlungsausführung über. Dagegen ist bei den im Alltag vorherrschenden antriebsmittelbaren Handlungen zwischen Antrieb und Handlungsausführung eine Vorbereitungsphase zwischengeschaltet, die insbesondere der Ziel-, Maßnahmen- und Mittelerwägung sowie Mittelauswahl dient.
Oftmals sind sie nicht durch Bedürfnisse (beispielsweise Hunger) angestossen, sondern durch ”Oberziele” bzw. ”Quasibedürfnisse” (z.B. das Ziel, sich Wissen für später anzueignen; Lewin, 1926).
Dabei gibt es eine tiefe Entsprechung zwischen diesen Gedanken und der 1972 vom Kybernetiker H. von Foerster formulierten Forderung an die Wissenschaft: Eine Beschreibung des Universums bedarf einer Beschreibung des «Beschreibers», also des Beobachters, dessen Beschreibung als Lebewesen den Biologenvzufällt. Der «Beobachter» - ein Lebewesen-in-der" Sprache - wird in den Mittelpunkt jeden Verstehens und jeder Realitätsauffassung gestellt. Realität ergibt sich dabei ans dem erkennenden Tun des Beobachters, der Unterscheidungen trifft und somit den Einheiten seiner Beobachtung Existenz verleiht. F. Varela nennt diesen kognitiv-kreativen Prozess das «Ontieren» - Daseinschaffen - einer Welt. Realität erweist sich als ein Konzept. Allerdings brauchen wir nicht auf den Begriff zu verzichten, wenn wir ihn in ..
[...] Allem anderen übergeordnet steht immer wieder das erkennende Tun des Beobachters, dem seine Erkenntnis sozial bindend und ethisch verpflichtend werden, da diese infolge der gemeinsamen biologischen Beschaffenheit des Menschen in ihrer Koordination mit anderen Menschen gemeinschaftlich. (K. Ludewig (Übersetzer des Maturana-Baum) im Vorwort)
In sehr vielen solcher Redeweisen gilt das Denken als Tätigkeit. Ich bezeichne solche Auffassungen als nicht reflektierte Philosophie. Inwiefern denken eine Tätigkeit sein sollte, könnte ich nur entscheiden, wenn ich wüsste, was mit Denken bezeichnet wird.
Meditation ist eine Art Abwesenheit jeder Art von Tätigkeit. Der Anfänger achtet auf sein eigenes Atmen, um nicht abgelenkt zu werden. Das Atmen erscheint ihm dann nicht als Tätigkeit, sondern als etwas, was ihm passiert.
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