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Hyperbuch Crashkurs Systemtheorie 2. Ordnung Inhalt - Register - Forum | rückwärts - Seite 9 - vorwärts |
Der Ausdruck System durchzieht seit den Griechen die ganze westliche Geistesgeschichte, kaum eine Epoche hat auf das Wort verzichtet. Um nur ein wichtiges Beispiel zu nennen: Das Werk Systema Naturae ist das bekannteste Werk des schwedischen Naturwissenschaftlers C. von Linné. Die zehnte Auflage der mehrfach stark überarbeiteten Systema Naturae, erschienen 1753, ist das erste Buch, in welchem eine Darstellung der Pflanzen in der bis heute üblichen binominalen Schreibweise stattfand. Lange Zeit - etwa bei Plato, Descartes, Hegel - wurde der Ausdruck System für Lehre oder für hypothetisches Lehrgebäude verwendet. Erst seit dem 20. Jahrhunderts wird der Ausdruck System auch (und in den Systemtheorien vor allem) für Träger von Verhaltensweisen verwendet, die man systematisch untersuchen kann. Während davor der Ausdruck System für das Ganze verwendet wurde, das man mit der Lehre des Ganzen identifizierte, verwende ich den jüngeren Systembegriff so, dass ich auch sinnvoll von einer Systemtheorie sprechen kann, weil ich nun verschiedene Systeme wie Maschinen, Organismen und Institutionen vergleichen kann, während es Systeme wie die Natur und den Weltgeist als Ganzes nur je einmal gibt (Anmerkung 1).
Ich verwende die Ausdrücke System und Systemtheorie terminologisch durch die vorliegende Systemtheorie gebunden. Ich will aber den Kontext dieser Theorie etwas erläutern, um meiner Beliebigkeit einen Rahmen zu geben.
Eine bestimmte Art Systemtheorie wurde während des 2. Weltkrieges im Umfeld von Norbert Wiener unter dem Begriff Kybernetik entwickelt. N. Wiener charakterisierte das technologisch orientierte Programm mit "Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine". Dabei ging es im Wesentlichen um die Regelung in Feedback-Mechanismen oder darum, wie man dieses operative Verständnis technologisch - vorab in der Kriegsmaschinerie - nutzen konnte. Von dieser "Systemtheorie" ganz unabhängig existierte damals die "Systemlehre", die der Biologe Ludwig von Bertalanffy entwickelte. Die Systemlehre war als generelle Naturwissenschaft gedacht, die dem Phänomen "Leben" gerecht werden sollte. Durch die Uebersetzung ins Amerikanische wurde die "Allgemeine Systemlehre" zur "General Systemtheory", obwohl der Ausdruck "Lehre" jenseits dieses Kontextes kaum von jemandem mit "theory" übersetzt würde. Nachdem Talcot Parsons seinen soziologischen Funktionalismus auch als Systemtheorie bezeichnete, und Jay Forrester die System Dynamics bekannt gemacht hat, hat Anatol Rapoport vernünftigerweise vorgeschlagen von einer "Allgemeinen Systemtheorie" zu sprechen, wenn bestimmte formale Beschreibungen verwendet werden, denn allgemein ist allenfalls die Mathematik, die in solchen Beschreibungen verwendet wird. Gleichwohl gibt es jede Menge von Einführungen in die Systemtheorie, die dann natürlich immer so beliebig wie meine Systetheorie sind. |
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Als Kybernetik bezeichnete N. Wiener die von ihm entwickelte Wissenschaft, die sich mit Feedback-Mechanismen beschäftigt. N. Wiener entdeckte, dass die Feedback-Logik, die anhand von Kriegsmaschienerie entwickelt wurde, als allgemeine Wissenschaftssprache verwendet werden könnte, als er mit dem Neurophysiologen A. Rosenblueth zusammen arbeitete, um bestimmte Regelungsprobleme in den Griff zu bekommen. Dabei entstand die Idee der interdisziplinären Forschung, in welcher die verschiedenen Gebiete über die Kybernetik verbunden wurden (Anmerkung 2).
Kybernetik war eine der wichtigsten Technologien der amerikanischen Armee, die während des 2. Weltkrieges die Forschung als Kriegswissenschaft organisierte. Die Armee hatte unter anderem auch die Rechte auf N. Wiener's "Cybernetics". Deshalb konnte N. Wiener das Buch aus rüstungsstrategischen Gründen erst 1948 publizieren, obwohl es im wesentlichen schon 1940 geschrieben war. Nach dem Krieg wurden viele militärischen Forschungsprojekte in zivile Projekte umgewandelt und durch Stiftungsgelder finanziert. Die Tagungen der kybernetischen Engineeringintelligentia wurde von der Macy-Stiftung finanziert, die den Tagungen auch den Namen gab. Die Leute, die sich an den Macy-Konferenzen trafen, kannten sich weitgehend aus den Forschungszentren der amerikanischen Armee. Nach dem Krieg wurden aufgrund des Medizinsponsorings auch Psychiater und Sozialwisssenschaftler eingeladen, die die Tagungen wirklich interdisziplinär machten und so dem Untergang weihten. Unter dem Einfluss von Leuten wie G. Bateson wurde die Kybernetik reflexiv und der Kybernetiker rückte als Beobachter in das Blickfeld der Forschung. Heinz von Foerster, der die Tagungen organisierte, entwickelte daraus die selbstbezüglichen Ansätze, die er Kybernetik der Kybernetik oder Kybernetik 2. Ordnung nannte. |
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Heinz von Foerster arbeitete auch nach dem Krieg an armeefinanzierten Programmen, die nicht auf schnelle Lösungen ausgerichtet waren. Er verfolgte unter anderem die Idee der bionischen Computern, die als neuronale Netzwerke analog dem menschlichen Hirn funktionieren sollten. In diesen Zusammenhängen holte er verschiedene Forscher an sein Institut, unter anderen auch H. Maturana, der sich kybernetisch mit der Wahrnehmung beschäftigte und die Auptopoiese erfunden hat. Im gleichen Kontext traf er auch E. von Glasersfeld, der ebenfalls für die amerikanische Armee an einer Sprachübersetzungsmaschine arbeitete und den Radikalen Konstruktivismus erfunden hat (Anmerkung 3).
Als "Autopoiese" bezeichnet Humberto Maturana seine Systemtheorie, die sich selbst produzierende - eben auto und poiesis - Maschinen beschreibt (Anmerkung 4). Während L. von Bertalanffy seine systemische Lehre des Lebendigen erbittert gegen die Kybernetik der Automaten abgrenzte, spricht H. Maturana von lebendigen Maschinen, um auszudrücken, dass die Systemtheorie Operationen beschreibt, die in Lebewesen und in Maschinen realisiert sein können. Eigentliche Maschinen unterscheidet H. Maturana von "lebenden Maschinen" eben gerade dadurch, dass Lebewesen sich selbst herstellen. Alle Maschinen - also die allo- und die autopoietischen - unterliegen denselben systemtheoretischen Gesetzmässigkeiten. Insbesondere werden sie systemtheoretisch als operationell geschlossen betrachtet. H. Maturana schlägt vor, sich durch eine "logische Buchhaltung" den jeweiligen Beobachterstandpunkt bewusst zu machen, also entweder ein System in seiner Umwelt zu sehen (Beobachter) oder als Beobachtersystem selbstreferenziell zu schauen (Beobachter 2. Ordnung). Im ersten Fall beobachtet man andere Systeme, im zweiten Fall beobachtet man sein eigenes Operieren, was ich als Beobachtung 2. Ordnung bezeichne. N. Luhmann hat das Konzept der Autopoiese von H. Maturana übernommen und auf herkömmlich als Handlungszusammenhänge aufgefasste Einheiten wie Gesellschaft, Kunst oder Wissenschaft angewendet, die er in der Nachfolge von T. Parsons als "funktionale Systeme" sieht. In der Luhmannschen Version der Autopoiese erzeugen sich die theoretisierten Entitäten selbst, indem sie sich selbstbezüglich auschliesslich auf die Kommunikationen innerhalb des funktionalen Systems beziehen, die das System konstituieren. N. Luhmann argumentiert mit dem Form-Kalkül von G. Spencer Brown, das von H. von Foerster in die Systemtheorie eingeführt wurde. Das Kalkül ist eine Art operative Algebra, die nur einen Operator und mithin nur eine Operation verwendet und mit einem speziellen Verfahren, das re-entry genannt wird, Paradoxien auflöst. |
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N. Luhmann und H. Maturana haben rasch gemerkt, dass sie von ganz verschiedenen Autopoiesen sprechen. H. Maturana spricht von Maschinen, N. Luhmann von Funktionen. In N. Luhmann's Autopoiese, die als Theorie eine soziologische Gesellschaftstheorie repräsentiert, wird eine ganz eigenständige Auffassung von System entwickelt, die mit den Systemen der Kybernetik oder jenen der System Dynamics für mich keine erkennbare Verwandtschaft hat. Ich werde später vergleichend darauf zurückkommen, aber vorerst die "soziologische Systemtheorie" ebenso wie jene von L. von Bertalanffy und jene von T. Parsons nicht mitmeinen. In gewisser Hinsicht bewege ich mich also im Mittelalter, von welchem L. von Bertalanffy wohl sage würde, diese moderne Variante sei keine Systemtheorie, weil sie (auch) über Maschinen spreche, und N. Luhmann wohl sagen würde, diese alte Variante sei keine Systemtheorie, weil sie noch mechanistisch/ontologistisch sei. Selbstredend, dass ich das anders sehe.
Der Konstruktivismus ist (schon aus zeitlichen Gründen, den er ist ja älter als die moderne Systemtheorie) nicht systemtheoretisch begründet worden, aber die wesentlichen Argumente lassen sich in allen Phasen bis zu seiner radikalen Version systemtheorie-kongruent auffassen (Anmerkung 5). Konstruktivismus ist zunächst ein Ausdruck aus der Kunstwissenschaft, wo er ausdrücken sollte, dass Kunstwerke keine Abbildungen, sondern als Konstruktionen kreative Schöpfungen sind. Jean Piaget hat den Ausdruck "Konstruktivismus" in seiner epistemologischen "Kinderpsychologie" verallgemeinert und postuliert, dass das Denken generell keine Abbildungen mache, sondern schöpferisch konstruktiv die Realität überhaupt hervorbringe (damit wird jeder Mensch zum Künstler, auch wenn J. Beuys deutlich mehr verlangte). Wenn beispielsweise mein Kugelschreiber aus meinem Gesichstfeld verschwindet, weil ich ein Blatt Papier darauf lege, nehme ich an, dass der Kugelschreiber unter dem Papier vorhanden ist, obwohl ich ihn nicht sehen kann. Und wenn ich ihn wieder sehe, weil ich das Papier wieder weggenommen habe, glaube ich, dass das derselbe Kugelschreiber ist, den ich vorher gesehen habe. Wirklich wissen kann ich das natürlich nicht, aber es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass derselbe Kugelschreiber hinter dem Papier immer da war. Die Frage ist nur, woher ich diese Gründe habe. J. Piaget nannte das Phänomen Objektkonstanz. Die Objektkonstanz ist eine vom Beobachter entwickelte Annahme, wonach es eben Objekte gibt, die auch existieren, wenn man sie nicht sieht. Kleine Kinder kennen gemäss seinen Untersuchungen noch keine konstanten Objekte, sie leben nur in der Gegenwart, sie erleben nur das Gegenwärtige. Für ein Kind in diesem Alter existieren nur die Objekte, die es wahrnehmen kann. Die Vorstellung, wonach es permanente Objekte gibt, nannte er "La construction du réel", ohne genauer zu sagen, wie dieses Kunstwerk gehen könnte. Für mich ist es einfach sehr praktisch anzunehmen, dass der Kugelschreiber auch da ist, wenn ich ihn gerade nicht sehe. |
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Haben Sie einmal gesehen, wie der Zauberer David Cooperfield Elefanten und Eisenbahnzüge verschwinden lässt? Zauberer, die Objekte verschwinden lassen oder aus dem Hut hervorzaubern, spielen mit der Ambivalenz der Vorstellung der Objektkonstanz. Es ist ja klar, dass ich den Kugelschreiber nicht wegzaubern könnte, wenn Sie nicht glauben würden, dass er ein konstant existierendes Objekt sei. Andererseits weiss ich, dass das nur eine - sich immer wieder bewährende - Konstruktion ist, deshalb macht mir das Spiel der Zauberer, in welchem sich die Konstruktion für einmal nicht bewährt, so viel Spass.
Ernst von Glasersfeld hat den Konstruktivismus von J. Piaget radikal interpretiert und gezeigt, dass man überhaupt keine Realität voraussetzen muss, wenn man den Aufbau von Wissen im Sinne von J. Piaget untersucht (Anmerkung 6). Denn der Kugelschreiber, den ich jetzt gerade wieder sehe, ist mir auch nur durch Annahmen gegeben. Er ist - wenn ich ihn sehe, wie wenn ich weiss, dass er hinter dem Papier versteckt ist - Bestandteil meiner sinnlichen Erfahrung. Und ob meine Erfahrung eine von mir unabhängige Realität abbildet oder nicht, kann ich nicht anders als durch eben meine Erfahrung überprüfen. J. von Goethe sagte, dass er mit keinem Instrument mehr sehen könne, als das, was seine Augen zulassen. Und G. Berkeley fragte sich, ob ein mitten im Wald umfallender Baum auch Geräusche macht, wenn niemand da ist, der sie hören kann? Im (radikalen) Konstruktivismus sind alle Objekte (explizit) Erklärungen für Wahrnehmungen. Für "wahr" nehme ich aber nicht mittels meiner Sinnesorgane, sondern allenfalls etwas, was ich sinnlich - also durch meine Sinnesorgane - wahrnehme.
Der Radikale Konstruktivismus von E. von Glaserfeld macht ganz viele explizite Bezüge zur Kybernetik, die ich rekonstruiere. Vor allem die 2. Ordnung der Kybernetik hat im Radikalen Konstruktivis ihren Ausdruck gefunden, da gemeinhin H. von Foerster und H. Maturana zum Radikalen Konstruktivismus gezählt werden, obwohl H. Maturana den Ausdruck nicht verwendet und H. von Foerster explizit sagte, dass er keiner Schule angehören wolle.
S. Ceccato, der schon früh realisierte, dass J. Piaget eigentlich ein Kybernetiker ist und so den Radikalen Konstruktivismus vorbereitet hatte, hat mit seinem Operationalismus auch die wesentlichen Berührungspunkte zur Kybernetik im engeren Sinne geschaffen. Systeme lassen sich generell als Träger von Operationen auffassen, die R. Ashby als Transformationen bezeichnete.
Inwiefern meine Auffassung zum hier dargestellten Kontext kompatibel ist, ist natürlich auch eine Ermessenssache. Mit meiner Systemtheorie zeige ich, wie ich diese Ansätze interpretiere.
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