Kultur ist ein Plastikwort, wozu ich hier ein paar Anmerkungen mache. Hier schreibe ich, wie ich den Begriff verwende: Den Ausdruck Kultur verwende ich für die Kultur (ohne Plural) oder für eine Kultur (unter Kulturen, Plural).
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Differenztheoretisch beobachte ich Kultur als Differenz zwischen Kultur und Natur, worin sich Kultur in Tätigkeiten und deren Produkte zeigt, die die Natur - also den unorganischen Leib - aufheben. Kultur ist das von Menschen ohne Not oder Bedarf "Gestaltete und Geschaffene", das auch flüchtig sein kann.
Ich unterscheide kultivierende und kulturschaffende Tätigkeiten im Sinne von züchten und herstellen. Beim Kultivieren produziere ich neue Formen, von etwas, was es in der Natur gibt. Ich kultiviere durch das Schaffen von Bedingungen, die bestimmte Formen der Natur begünstigen. Beim Herstellen produziere ich etwas, was es in der Natur nicht gibt. Ich stelle Artefakte her. Erläuterungen:
Die beiden Arten der Kultivierungen bezeichne ich mit Anbau und mit Bau, wobei Bau für den ursprünglichen Fall des Herstellens steht.
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Ich unterscheide Verhalten, das den Bedarf deckt von eigentlichen Tätigkeiten, die Bedürfnisse schaffen. Ich brauche wie jedes Lebewesen Nahrung und muss für deren Aneignung arbeiten, wenn das nicht andere für mich tun. In Abhängigkeit von der Umwelt, in welcher ich ich lebe, bedarf ich auch Schutz, beispielsweise gegen Kälte. Als Arbeit im engeren Sinne, die ich mit Tieren teile, produziere ich Kleider und Bauten, die ich notwendig brauche. Kleider trage ich auf dem Leib, sie bewegen sich mit mir. Gebäude bilden einen Raum, in welchem ich mich bewege. Diese Arbeit bildet die Keimform der Tätigkeit, in welcher sich das Herstellen ausdifferenziert.
Die Übergange zum Herstellen sind fliessend oder kontinuierlich. Ein Tierfell als Decke und eine bewohnbare Höhle sind weder Kleid noch Bau, aber sie sind nicht mehr Natur, sondern angeeignete oder aufgehobene Natur. In diesem Sinne sage ich auch, das der Vogel sein Nest baut, worin ich ein Verhalten, aber keine Tätigkeit erkenne [K. Marx über die Biene als Baumeister].
Ein Schirm ist weder Kleid noch Bau, aber dient dem Schutz. Das Zelt ist eher ein Schirm, der mitgetragen wird, als ein Bau. Beides sind - um es redundant zu sagen - hergestellte Artefakte, die noch Not im Sinne eines Bedarfs abwenden, weil sie die Funktion von Kleidern erfüllen.
Tisch und Stuhl, Teller und Löffel dagegen sind Artefakte, welchen ich keinen Bedarf voraussetzen kann. Sie schaffen Bedürfnisse und mithin Kultur. [K. Marx: "Hunger ist Hunger, aber Hunger, der sich durch gekochtes, mit Gabel und Messer gegessnes Fleisch befriedigt, ist ein andrer Hunger, als der rohes Fleisch mit Hilfe von Hand, Nagel und Zahn verschlingt."].
Tisch und Teller bereichern das Leben, sie haben aber im Unterschied zu Kunstwerken einen praktischen Sinn.
Bemaltes Meissnerporzelan kann als Teller verwendet werden. Es ist aber als Kunst gedacht. |
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Anmerkung:
Umgangssprachlich wird auch das Erleiden von Tätigkeiten der Kultur zugerechnet. Die Aufführung eines Schauspiels etwa gilt als typisch kulturelle Leistung, obwohl dabei die Produktion flüchtig bleibt.
Beispiel:
Ein bestimmtes - offensichtliches - Artefakt in Athen wird als Parthenon („Jungfrauengemach“) bezeichnet. Es wird erzählt, dass die alten Griechen das Artefakt als Tempel für die Stadtgöttin Pallas Athena als Dank für deren Unterstützung im Perserkrieg gebaut wurde.
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Das Artefakt selbst und dessen Gegenstandsbedeutung erkenne ich als Kultur. Der vermeintliche Tempel ist als Steinruine ein Faktum, dessen Form ich ohne zu zögern als nicht natürlich, also als artifiziell erkenne. (Mit dieser "Erkennbarkeit" hat G. Bateson seine Natur-Geist-Kultur begründet).
Kultur als Hypostasierung
Kultur ist das Resultat der Kultivierung. Im Sinne des historischen Materialismus stelle ich Artefakte her, indem ich forme, was mir differentiell als Natur gegeben ist, womit ich die Natur in dem Sinne in eine kulturelle Form bringe, als ich sie kategorial durch meine Handlungsintentionen erkenne. Als Kultur erscheint mir die durch Tätigkeit realisierte Intention, im einfachsten Fall als Bedeutung (Sinn und Zweck) von hergestellten Mitteln, die einer Zweck-Mittel-Verschiebung unterliegen.
Die Gegenstandsbedeutung ist das, was in der Herstellung des Gegenstandes erzeugt wird. Sie wohnt dem Gegenstand inne. Aber natürlich muss ich sie erkennen. Wenn ich den Gegenstand selbst herstelle, kenne ich dessen Bedeutung, wenn ich einen Gegenstand vorfinde, erkenne ich, wozu ich ihn herstellen würde.
Dieses Erkennen ist Teil der Kultur. Es gibt Artefakte, deren Sinn ich nicht erkennen kann, weil ich nicht Teil der entsprechenden Kultur bin. Sie haben dann für mich keinen Sinn.
Das ist beispielsweise der Fall bei "griechischen Steinruinen" oder "ägyptischen Pyiramiden". Ich selbst kann deren Sinn nur durch entsprechende Erziehung benennen, also weil ich in der hier herrschenden Zivilisation unterworfen bin.
Als Kultur erkenne ich Gegenstandsbedeutungen und damit verbunden Handlungszusammenhänge, als Zivilisation bezeichne ich, wenn Gegenstandsbedeutungen und Handlungszusammenhänge in irgendeiner Art "intersubjektiv" festgelegt sind.
In dieser Differenz unterscheide ich Sozialisation und Erziehung. Dabei spielt in dieser Differenz keine Rolle, dass meine Sozialisation von gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist, sondern nur, ob ich sie in den gegebenen Verhältnissen als Erziehung erkenne. Es mag sein, dass ich als Mensch zwangsläufig in eine bereits vorhandene Kultur hineingeboren werde und dass diese mich weitgehend assimiliert, gleichwohl erkenne ich, wo ich von Menschen erzogen werde, die meinem Kulturellsein nicht hinreichend vertrauen.
Wenn Sprache als gegebene Kultur gesehen wird, welcher ich mich fügen müsste, dann bräuchte ich keine Spracherziehung, dann würde ich die Sprachen lernen, ohne belehrt zu werden. Allerdings - erlebe ich in einer gewissen Widerständigkeit zu Belehrungen - dass ich eine sehr eigene Sprache gelernt habe.
Erläuterungen metaphorisch-umgangssprachlichen Verwendungen des Ausdruckes "Kultur":
Artifiziell Hochentwickeltes wird als Kultur(gut) bezeichnet, wobei Kultur für den Spezialfall des am weitesten entwickelten verwendet wird. Dann und wann ist sogar von Hochkulturen die Rede.
Kunst gilt als Inbegriff von Kultur, weil damit hochentwickelte Artefakte und deren Produktion bezeichnet werden. Das "Hohe" vereint sich in diesem umgangssprachlichen Sinn mit dem "Abstrakten".
Mit dem Ausdruck "Kultur" wird umgangssprachlich auch die Abstraktion je spezifischen Sinngebungen bezeichnet, die ich als Zivilisation bezeichne. So gibt es umgangssprachlich eine abendländische oder eine christlliche Kultur, die eigentlich Instanzen von Zivilisationen sind, in welchen bestimmte Normen durchgesetzt sind. Kultur wird dann für ausgrenzende Selbstbeschreibungen verwendet. Die Renaissance kann man beispielsweise als kulturelle Bewegung sehen, die einer Epoche den Namen gegeben hat. Die Kultur der Renaissance besteht darin Technik als Arbeitszweck zu begreifen.
Bei I. Kant und nachher generell in einschlägigen Teit der Filosofie wird die Sache umgedreht: Das Herstellen von praktischen Dingen gilt ihm nur als Zivilisation, während erst die davon abgehobene Idee zur Kultur wird.
„Wir sind im hohen Grade durch Kunst und Wissenschaft cultivirt. Wir sind civilisirt bis zum Überlästigen, zu allerlei gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit. Aber uns für schon moralisirt zu halten, daran fehlt noch sehr viel. Denn die Idee der Moralität gehört noch zur Cultur; der Gebrauch dieser Idee aber, welcher nur auf das Sittenähnliche in der Ehrliebe und der äußeren Anständigkeit hinausläuft, macht blos die Civilisirung aus.“ (Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. (1784). Akademie-Ausgabe, Bd. 8, S. 26).
siehe auch Kulturkritik, Kulturpflanze, Leitkultur
"Kultur ist das Vergnügen die Welt zu verändern" B. Brecht
Erfinder: "Einer, der Räder, Hebel und Federn einfallsreich kombiniert und das für Kultur hält." A. Bierce
Die ganz andere "Kultur" im Luhmann-Diskurs:
Im Luhmann-Diskurs erscheint "Kultur" - tautologischerweise - in der Kommunikation. Es interessiert also, wie der Ausdruck in der - philosophischen - Kommunikation verwendet wird, jenseits davon, dass mit dem Ausdruck etwas jenseits der Kommunikation referenziert werden könnte. Kultur wird - das ist theoriekonstitutiv - als "Sinn" (Ideologie) begriffen, also nicht als "geschaffene Umwelt", sondern als deren Sinn, wobei unausgesprochen bleibt, wer den Sinn ersinnt, da sich Sinn nur in Kommunikationen zeigt.:
"Als Kultur gilt hier eine konditionierte und experimentelle Koproduktion von Sinn im Medium innovativ interpretierter Traditionen (Gedächtnis)." (D. Baecker)
[Baecker https://catjects.wordpress.com/2015/04/14/kulturreflexion-aus-kultursoziologischer-sicht/]
[Baecker Form der Kultur]
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