Psychologisches Institut der Universität Zürich
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Das vorliegende Skript gehört zur Vorlesung "Systemtheorie 2. Ordnung" am Institut für Psychologischen Methodenlehre der Universität Zürich. Es ist im Internet unter http://www.hyperkommunikation.ch/seminare/st2o zu finden. Dort gibt es auch eine Yahoo-Group, in welcher wir über die Veranstaltung kommunizieren können. Wenn Sie Fragen, Kritik oder Anregungen haben, bitte ich Sie mich jederzeit zu unterbrechen - oder eben ins Forum zu schreiben. Man kann den vorliegenden Text jenseits seines Enstehungskontextes lesen. Weil ich ihn aber zu einer Vorlesung geschrieben habe, mache ich hier auch eine Anmerkung zum Verhältnis von Lehre und Lernen. Ich betrachte die Veranstaltung, zu welcher der Text gewissermassen gehört, als Lernveranstaltung, während beispielsweise Duden nur Lehrveranstaltungen kennt. Von Lehrveranstaltungen spreche ich im Kontext von Ausbildungen, also dann, wenn ein Lehrer schon weiss, was ein Schüler noch lernen muss. Lehrveranstaltungen - das sagen auch die modernen didaktischen Lehrmeinungen - sind vernünftigerweise problemorientiert und beruhen auf expliziten operationalisierten Lehrzielen. Von Lernveranstaltungen spreche ich im Kontext von Bildung, also wenn noch kein säkulares Wissen den Status hat, dass es nur noch didaktisch optimal vermittelt werden muss (1). Lehrziele gibt der Lehrer vor, Lernziele müssen von den Lernenden formuiert werden. Ich verstehe die Systemtheorie 2. Ordnung auch als eine Methode, sich die eigenen Lernziele bewusst zu machen und bewusstzumachen. Ich werde die Einführung in die Systemtheorie also - gegen jede Didaktik - mit der Theorie und ohne Lehrziele beginnen. Damit verlange ich von Ihnen gewissermassen, dass Sie sich mit etwas beschäftigen, ohne dass ich Ihnen vorab den Nutzen zeigen kann. Aber andererseits handelt es sich ja nicht um irgendetwas aus meinem Gutdünken, sondern eben um die Systemtheorie. |
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Tautologischerweise habe ich das Lehrziel, dass Sie nach der Veranstaltung mehr über die Systemtheorie 2. Ordnung wissen. Ich glaube aber, dass Lernen nicht an Lehrziele, sondern an Lernziele gebunden ist. Lernziele verstehe ich - hier im Rahmen einer kybernetischen Vorlesung auch tautologischerweise - als kybernetische Ziele. Ich werde also mehr über Lernziele sagen, wenn ich die systemtheoretischen Grundlagen dazu behandelt habe. Lernen ist in dieser Veranstaltung ein Inhalt, den ich nicht voraussetzen, sondern als Kommunikationsprozess problematisieren will. Es geht hier in gewisser Hinsicht darum, wie wir - jede(r) Einzelne von uns - das Lernen begreifen. Mithin geht es selbstreferentiell natürlich auch darum, was und wie wir in dieser Veranstaltung lernen. Deshalb kann ich das nicht einfach vorweg für Sie festlegen. Ich bitte Sie deshalb einerseits um einen Vertrauensvorschuss und andererseits darum, dass Sie Ihre Lernziele jederzeit reflektieren und geltend machen.
Ich werde einleitend auf einige Besonderheiten der Systemtheorie 2. Ordnung hinweisen, woraus vielleicht sichtbar wird, welche Lernziele hier überhaupt angestrebt werden könnten, und inwiefern die Systemtheorie 2.Ordnung dabei helfen könnte.
Ich beginne mit ein paar historischen Anmerkungen zur Systemtheorie überhaupt, mit welchen ich den Kontext der hier diskutierten Systemtheorie etwas beleuchten will:
Der Ausdruck "Systemtheorie" ist ein richtiges Allerweltswort, das für beliebige Zusammenhänge verwendet wird. Eine bestimmte Art Systemtheorie wurde während des 2. Weltkrieges im Umfeld von Norbert Wiener unter dem Begriff Kybernetik entwickelt. N. Wiener charakterisierte das technologisch orientierte Programm mit "Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine". Dabei ging es im Wesentlichen um die Regelung in Feedback-Mechanismen oder darum, wie man dieses operative Verständnis technologisch - vorab in der Kriegsmaschinerie - nutzen konnte. Von dieser "Systemtheorie" ganz unabhängig existierte damals die "Systemlehre", die der Biologe Ludwig von Bertalanffy entwickelte. Die Systemlehre war als generelle Naturwissenschaft gedacht, die dem Phänomen "Leben" gerecht werden sollte. Durch die Uebersetzung ins Amerikanische wurde die "Allgemeine Systemlehre" zur "General Systemtheory", obwohl der Ausdruck "Lehre" jenseits dieses Kontextes kaum von jemandem mit "theory" übersetzt würde. |
Nachdem Talcot Parsons seinen soziologischen Funktionalismus auch als Systemtheorie bezeichnete, und Jay Forrester die System Dynamics bekannt gemacht hat, hat Anatol Rapoport vernünftigerweise vorgeschlagen von einer "Allgemeinen Systemtheorie" zu sprechen, wenn bestimmte formale Beschreibungen verwendet werden, denn allgemein ist allenfalls die Mathematik, die in solchen Beschreibungen verwendet wird. Gleichwohl gibt es jede Menge von Einführungen in die Systemtheorie (2).
Ich glaube nicht, dass man den Ausdruck "Systemtheorie" in irgendeinem Sinne "richtig" verwenden kann. Man kann sich nur bewusst machen, wie man den Ausdruck verwendet. Rene Hirsig bezeichnet die Systemtheorie als formale Hilfswissenschaft, die einen Modellierungsprozess beschreibt. Ich mag den Ausdruck Hilfswissenschaft nicht, ich verwende den Ausdruck "Systemtheorie" im Sinne der Kybernetik, wobei ich die Kybernetik ohne weiteres wie Rene Hirsig als "Modellierungswissenschaft" verstehen kann. Die hier diskutierte Systemtheorie 2. Ordnung - natürlich gibt es auch diesbezüglich beliebige Variationen (3) - ist sozusagen wahlverwandt mit dem Radikalen Konstruktivismus von Ernst von Glasersfeld und mit der Autopoiesis von Humberto Maturana (4). |
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Als Kybernetik bezeichnete N. Wiener die von ihm entwickelte Wissenschaft, die sich mit Feedback-Mechanismen beschäftigt. N. Wiener entdeckte, dass die Feedback-Logik, die anhand von Kriegsmaschienerie entwickelt wurde, als allgemeine Wissenschaftssprache verwendet werden könnte, als er mit dem Neurophysiologen A. Rosenblueth zusammen arbeitete, um bestimmte Regelungsprobleme in den Griff zu bekommen. Dabei entstand die Idee der interdisziplinären Forschung, in welcher die verschiedenen Gebiete über die Kybernetik verbunden wurden.
Kybernetik war eine der wichtigsten Technologien der amerikanischen Armee, die während des 2. Weltkrieges die Forschung als Kriegswissenschaft organisierte. Die Armee hatte unter anderem auch die Rechte auf N. Wiener's "Cybernetics". Deshalb konnte N. Wiener das Buch aus rüstungsstrategischen Gründen erst 1948 publizieren, obwohl es im wesentlichen schon 1940 geschrieben war (5).
Nach dem Krieg wurden viele militärischen Forschungsprojekte in zivile Projekte umgewandelt und durch Stiftungsgelder finanziert. Die Tagungen der kybernetischen Engineeringintelligentia wurde von der Macy-Stiftung finanziert, die den Tagungen auch den Namen gab (6). Die Leute, die sich an den Macy-Konferenzen trafen, kannten sich weitgehend aus den Forschungszentren der amerikanischen Armee. Nach dem Krieg wurden aufgrund des Medizinsponsorings auch Psychiater und Sozialwisssenschaftler eingeladen, die die Tagungen wirklich interdisziplinär machten und so dem Untergang weihten. Unter dem Einfluss von Leuten wie G. Bateson wurde die Kybernetik reflexiv und der Kybernetiker rückte als Beobachter in das Blickfeld der Forschung. Heinz von Foerster, der die Tagungen organisierte, entwickelte daraus die selbstbezüglichen Ansätze, die er Kybernetik der Kybernetik oder Kybernetik 2. Ordnung nannte (7).
Heinz von Foerster arbeitete auch nach dem Krieg an armeefinanzierten Programmen, die nicht auf schnelle Lösungen ausgerichtet waren. Er verfolgte unter anderem die Idee der bionischen Computern, die als neuronale Netzwerke analog dem menschlichen Hirn funktionieren sollten. In diesen Zusammenhängen holte er verschiedene Forscher an sein Institut, unter anderen auch H. Maturana, der sich kybernetisch mit der Wahrnehmung beschäftigte und die Auptopoiese erfunden hat. Im gleichen Kontext traf er auch E. von Glasersfeld, der ebenfalls für die amerikanische Armee an einer Sprachübersetzungsmaschine arbeitete und den Radikalen Konstruktivismus erfunden hat.
Als "Autopoiese" bezeichnet Humberto Maturana seine Systemtheorie, die sich selbst produzierende - eben auto und poiesis - Maschinen beschreibt. Während L. von Bertalanffy seine systemische Lehre des Lebendigen erbittert gegen die Kybernetik der Automaten abgrenzte, spricht H. Maturana von lebendigen Maschinen, um auszudrücken, dass die Systemtheorie Operationen beschreibt, die in Lebewesen und in Maschinen realisiert sein können. Eigentliche Maschinen unterscheidet H. Maturana von "lebenden Maschinen" eben gerade dadurch, dass Lebewesen sich selbst herstellen. Sie unterliegen dabei aber denselben systemtheoretischen Gesetzmässigkeiten wie Maschinen. Insbesondere sind sie operationell geschlossen.
Niklas Luhmann hat das Konzept von H. Maturana übernommen und auf Handlungszusammenhänge angewendet, die er als funktionale Systeme sieht. Spätestens hier ist meine Einteilung über verschiedenen Herkünfte eigentlich obsolet, weil meist unreflektiert alles mit allem vermischt wird. N. Luhmann und H. Maturana haben zwar rasch gemerkt, dass sie von ganz verschiedenen Autopoiesen sprechen, aber in ihrem Gefolge wurden alle Unterschiede aufgehoben. Deshalb wird auch an vielen Orten L. von Bertalanffy zu den Begründrn der Systemtheorie gezählt.
Konstruktivismus ist zunächst ein Ausdruck aus der Kunstwissenschaft, wo er ausdrücken sollte, dass Kunstwerke keine Abbildungen, sondern als Konstruktionen kreative Schöpfungen sind.
Jean Piaget hat den Ausdruck "Konstruktivismus" in seiner epistemologischen "Kinderpsychologie" verallgemeinert und postuliert, dass das Denken generell keine Abbildungen mache, sondern schöpferisch konstruktiv die Realität überhaupt produziere.
(Ich zeige einen Kugelschreiber) Sie sehen diesen Kugelschreiber. (Ich verdecke den Kugelschreiber mit einem Blatt Papier). Jetzt sehen Sie ihn nicht mehr. Wo ist er? (Jetzt nehme ich das Papier wieder weg). Jetzt sehen Sie wieder einen Kugelschreiber. Glauben Sie, dass das derselbe Kugelschreiber ist, den Sie vorher gesehen haben? Wirklich wissen, können Sie das natürlich nicht, aber es gibt gute Gründe dafür anzunehmen, dass derselbe Kugelschreiber hinter dem Papier immer da war. Die Frage ist nur, woher wir diese Gründe haben. J. Piaget nannte das Phänomen Objektkonstanz. Die Objektkonstanz ist eine vom Beobachter entwickelte Annahme, wonach es eben Objekte gibt, die auch existieren, wenn man sie nicht sieht. Kleine Kinder kennen gemäss seinen Untersuchungen noch keine konstanten Objekte, sie leben nur in der Gegenwart, sie erleben nur das Gegenwärtige. Die damit verbundene Auffassung nannte er "La construction du réel", ohne genauer zu sagen, wie das gehen könnte. Es ist einfach sehr praktisch anzunehmen, dass der Kugelschreiber auch da ist, wenn wir ihn gerade nicht sehen.
Haben Sie einmal gesehen, wie der Zauberer David Cooperfield Elefanten und Eisenbahnzüge verschwinden lässt? Zauberer, die Objekte verschwinden lassen oder aus dem Hut hervorzaubern, spielen mit der Ambivalenz der Vorstellung der Objektkonstanz. Es ist ja klar, dass ich den Kugelschreiber nicht wegzaubern könnte, wenn Sie nicht glauben würden, dass er ein konstant existierendes Objekt sei. Andererseits weiss ich, dass das nur ein Glaube ist, deshalb macht mir das Spiel der Zauberer so viel Spass.
Ernst von Glasersfeld hat den Konstruktivismus von J. Piaget radikal interpretiert und gezeigt, dass man überhaupt keine Realität voraussetzen muss, wenn man den Aufbau von Wissen im Sinne von J. Piaget untersucht. Denn der Kugelschreiber, den wir jetzt gerade wieder sehen, ist uns auch nur durch Annahmen gegeben. Er ist - wenn ich ihn sehe, wie wenn ich weiss, dass er hinter dem Papier versteckt ist - Bestandteil meiner Erfahrung. Und ob meine Erfahrung eine von mir unabhängige Realität abbildet oder nicht, kann ich nicht anders als durch eben meine Erfahrung überprüfen. J. von Goethe sagte, dass er mit keinem Instrument mehr sehen könne, als das, was seine Augen zulassen. Und G. Berkeley fragte sich, ob ein mitten im Wald umfallender Baum auch Geräusche macht, wenn niemand da ist, der sie hören kann?
E. von Glasersfeld nannte seine radikale Interpretation von J. Piaget's Werk "Radikalen Konstruktivismus". Im Diskurs zum Radikalen Konstruktivismus wird oft darüber gestritten, ob es eine Wirklichkeit gebe. Ich finde das eine ganz sinnlose Frage. Ich werde sie in dieser Veranstaltung durch einige andere Fragen, die meines Erachtens viel besser zum Radikalen Konstruktivismus passen, ersetzen.
Als Systemtheorie 2. Ordnung bezeichne ich in Anlehnung an Heinz von Foerster's Cybernetics of Cybernetics - die er gelegentlich auch second order cybernetics nannte - eine selbstbezügliche Sicht auf die Systemtheorie 1. Ordnung. Als Systemtheorie 1. Ordnung bezeichne ich hier die "normale" Systemtheorie, quasi rückblickend, weil ich von der 2. Ordnung spreche. In der Systemtheorie 2. Ordnung sehe ich keine irgendwelche gegensätzliche Auffassung zur Systemtheorie, sondern lediglich die Reflexion einer bestimmten Implikation der Systemtheorie: In der 2. Ordnung betrachte ich mich selbst als System, also als Objekt und als Subjekt meiner Systemtheorie.
In der Systemtheorie spreche ich tautologischerweise über Systeme. In der 2. Ordnung focusiere ich aber, dass ich spreche, also meine Rolle als Beobachter von Systemen. Und schliesslich betrachte ich mich als Beobachter selbst als System. Ich werde also über das System, über den Beobachter und über das Beobachtersystem sprechen. Da ich in der 2. Ordnung immer Aussagen über Systeme mache, die mich selbst betreffen, stecke ich immer in einer Zirkularität und in einer Selbstbezüglichkeit.
Ich verwende den Ausdruck "2. Ordnung" hier für eine bestimmte Art von Selbstbezüglichkeit, die ich etwa in C. Escher's Bild Galerie erkennen kann (8). C. Escher zeichnete die Galerie so, dass ich nicht entscheiden kann, ob der junge Mann Subjekt oder Objekt seiner Bildbetrachtung innerhalb der Galerie ist. Selbstbezüglichkeit kann man als eine logische Herausforderung sehen. Es gibt berühmte Mathematiker wie etwa B. Russell, die jahrelang versuchten, Paradoxien, die sie selbst formuliert haben, aufzulösen (9). Alle echten Paradoxien beruhen auf einer selbstbezüglichen Aussage, wobei der Beobachter, der die Aussage macht, ausgeblendet wird, wodurch die Paradoxien überhaupt entstehen. B. Russell etwa lässt in einer klassischen Variante der Paradoxie einen Barbier sagen, er rasiere alle Männer im Dorf, die sich nicht selbst rasieren. Nun gibt es aber keinen Barbier auf der ganzen Welt, der das ernsthaft sagen und meinen würde. Die Aussage stammt von B. Russell, der aber natürlich auch nicht dazu steht, sondern eben einen nicht existierenden Barbier vorschiebt. Das Bild von C. Escher ist auf eine spezifische Weise auch paradox, wenn ich mir nicht bewusst halte, dass ich es bin, der das Bild betrachtet. Quasi innerhalb des Bildes sieht der Junge - der sowenig existiert, wie B. Russell's Barbier - sich selbst im Museum, während ich als Bildbetrachter den Jungen als Teil eines Bildes sehe. Als Bildbetrachter bin ich natürlich nicht 2. Ordnung, weil ich Gegenstände in meiner Um-Welt beobachte. Der Junge im Bild dagegen sieht auf paradoxe Art eine Stadt mit einer Galerie. Ich als Bildbetrachter sehe aber den blinden Fleck im Bild, den der Junge nicht sehen kann. |
In der 2. Ordnung erscheint die Selbstbezüglichkeit als eine spezifische Selbstbeobachtung, in welcher ich beschreibe, wie ich meine Um-Welt für wahr nehme. Die Selbstdarstellung in der 2. Ordnung zeigt also nicht vorab, wie ich von aussen gesehen erscheine, sondern welche Um-Welt ich mir konstruiere, wobei ich mich natürlich auch als Teil der Welt fürwahrnehmen kann, wie sich der Junge in der Galerie auch sieht. In der 2. Ordnung erkenne ich mich, indem ich erkenne, wie ich meine Um-Welt sehe. Meine Um-Welt reflektiert mir mein Wesen. Unter Reflexion verstehe ich, dass ich ein Bild von mir zurückkriege, wie wenn ich in einen Spiegel schaue. Meine Aeusserungen über meine Um-Welt bilden quasi einen Hyperspiegel, der nicht zeigt, wie die Um-Welt wirklich ist, sondern wie ich sie für wahr nehme. Im Spiegel oder auf dem Video sehe ich mehr von mir, als jede fremde Beschreibung mir zeigen kann. Und wenn ich zuhöre, was ich sage, sehe ich mehr von mir als in jedem Spiegel, der mir nur die Oberfläche zeigt.
Die Systemtheorie ist für mich eine Art Werkzeug für Selbstbeobachtung. In der 1. Ordnung beobachte ich - um im Ausdruck von C. Eschers Bild zu bleiben - Systeme quasi von aussen. Ich beobachte also beispielsweise eine Stadt am Meer mit Häusern und einer Galerie. Die Systemtheorie focusiert meinen Blick auf bestimmte Aspekte, die sie mir als Theorie bewusst macht. In der 2. Ordnung beobachte ich, dass ich eine Stadt beobachte, in welcher ich stehe. In der 1. Ordnung erscheint mein Blick ungetrübt, ich sehe nicht, was ich alles nicht sehe, weil ich Objekte sehe. In der 2. Ordnung beobachte ich meine Unterscheidungen und was ich damit verbunden übersehe. In der 2. Ordnung sehe ich - wie C. Escher im Zentrum seines Bildes - den blinden Fleck meiner Beobachtung, den ich in der 1. Ordnung nicht sehen kann.
Zur Veranschaulichung kann man ein kleines Experiment verwenden: Decke mit der linken Hand das linke Auge ab. Schaue mit dem rechten Auge auf den Kreis. Bewege den Kopf langsam zur Zeichnung hin. In den meisten Entfernungen sieht man auch das Kreuz. In einer bestimmten Distanz (ca 30 cm) verschwindet das Kreuz, man kann sagen, es liege im blinden Fleck. |
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Als blinder Fleck wird in der Anatomie die Stelle des Austritts des Sehnervs aus der Retina bezeichnet. Er befindet sich etwa 12-15 Grad in Richtung der Nase (nasal) auf einer Waagrechten. Der Name stammt daher, daß die Retina (Netzhaut) an der bezeichneten Stelle keine Stäbchen- und Zapfenzellen aufweist und daher keine Sinneseindrücke vermitteln kann. Erstaunlich finde ich - mit meinem anatomischen Schulwissen - nicht, dass das Kreuz verschwindet, sondern dass wir im Alltag nicht sehen, dass etwas verschwindet. Ich kann das Loch in meinem Gesichtsfeld unter normalen Unständen nicht sehen.
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Was mach die Linie durch das Kreuz? Man könnte sagen, sie überliste meinen blinden Fleck. Ich will aber anders darüber sprechen. Die Systemtheorie 2. Ordnung hilft mir dabei. |
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Selbstbezüglichkeit kann man als Problem sehen, man kann aber die Selbstbezüglichkeit auch als Beobachteroption auffassen. Ich kann über das Denken nachdenken und über das Sprechen sprechen.Und ich kann mein Beobachten beobachten. G. Spencer-Brown entwickelte ein Kalkül zur Vermeidung der logischen Probleme, die durch Selbstbezüglichkeit entstehen. Ob dieses Kalkül logisch stichhaltig ist, kann ich nicht beurteilen. Im Zentrum dieses Kalküls steht die Anweisung "Draw a distinction!", was ich hier als "Beobachte deine Unterscheidung" interpretiere (10). Meine Beobachtungen implizieren Unterscheidungen. Egal, was ich beobachte, ich habe zuvor eine Unterscheidung oder eine Abgrenzung getroffen, die ich mir bewusst machen kann. Bei jeder bewussten Beobachtung benenne mindestens die eine Seite der Unterunterscheidung (marked space). Genialerweise habe ich in meiner Sprache das "nicht", so dass die andere Seite der Unterscheidung immer gleich mitbenannt ist (unmarked space). Wenn ich einen Beobachter beobachte, bin ich selbst natürlich auch ein Beobachter, den ich beobachten kann. Der Ordnung halber nenne ich den Beobachter des Beobachters Beobachter 2. Ordnung. In der 2. Ordnung beobachte ich, wozu ich welche Unterscheidungen verwende, was ich durch eine bestimmte Unterscheidung gewinne, und was ich gewinne, wenn ich sie aufhebe.
Ich gebe dazu zwei Beispiele, ein kurzes aus dem Alltag und und ein längeres aus der Wissenschaftsgeschichte. Zuerst das kurze: Eine Mutter beobachtet, wie sich ihr Kind in einer - für das Kind - gefährlichen Situation befindet. Das Kind scheint beispielsweise kurz davor, auf eine von Autos befahrene Strasse zu springen. Die Mutter rennt hin und hält das Kind zurück, weil sie ein gesundes und ein verletztes Kind untercheidet. Als Beobachter kann ich sagen, die Mutter habe das für das Kind getan, denn das Kind hätte vielleicht Schaden genommen. Ich kann aber auch sagen, sie habe das für sich selbst getan, denn sie hätte gelitten, wenn das Kind zu Schaden gekommen wäre. Als Beobachter kann die Interessen von Mutter und Kind unterscheiden. Wenn ich die Interessen unterscheide, kann ich die Mutter mit einer Frage vor eine peinliche Entscheidung stellen (11). Ich kann die Unterscheidung aber auch aufheben. Wenn ich die Interessen von Mutter und Kind nicht unterscheide, kann ich nicht sinnvoll fragen, in wessen Interesse sie eingegriffen hat. Unterscheidungen bestimmen mein Für-Wahrnehmen und mein Handeln. Die Unterscheidungen sind nicht in der Sache, ich mache sie. |
Ich beginne nun mit dem ausführlicheren Beispiel. Ich glaube, die zugrunde liegende Geschichte ist - mindestens unter Psychologen - ziemlich bekannt. Sie passt mir hier auch historisch gut, weil sie im Kontext der Erfindung der (behavioristischen) Blackbox steht, die für die Systemtheorie 2. Ordnung von grosser Bedeutung ist.
Ivan Pawlow, ein russischer Physiologe, entwickelte die klassische Konditionierung in einem bekannten Versuch mit einem Hund. Bei der klassischen Konditionierung werden eine zwei Reize so verknüpft, dass sie in einem "System" dieselbe Reaktion auslösen, weil der eine Reiz quasi als unbewusstes Symbol für den andern verwendet wird. I. Pawlow hat in seinem Experiment einem Hund Fleisch angeboten (unbedingter Reiz) und der Hund hat darauf mit Speichelfluss geantwortet (spezifische Reaktion). Während der Fütterung hat I. Pawlow dem Hund ein zweiten neutralen Reiz, also einen Reiz, der bisher keine spezifische Reaktion hervorrief, präsentiert. Er läutete mit einer Glocke. Nachdem er die beiden Reize, also Futter und Glocke oft genug gemeinsam präsentiert hatte, funktioniert der ehemals neutrale Reiz alleine, das heisst der Hund begann auch ohne Fleischangebot zu speicheln, wenn er die Glocke hörte. I. Pawlow folgerte, dass der Hund die beiden Reize in einem Lernprozess assoziiert habe. |
Die Erklärung von I. Pawlow ist funktional. Als Behaviorist sagt I. Pawlow, dass wir nicht wissen müssen, wie der Hund konstruiert ist, respektive, wie er intern operiert. Wir können funktional verstehen, was in der Blackbox "Hund" passiert, indem wir zeigen, wie die Blackbox manipuliert werden kann. Die Behavioristen haben die Blackbox erfunden, erst später, in der sogenannten kognitiven Wende wurde das Innenleben der Blackbox als interessant entdeckt. I. Pawlow gibt lso eine operative Beschreibung, aber keine konstruktive. Er sagt, was mant tun muss, aber nicht, wie der Hund funktioniert.
Jerzy Konorski machte folgenden Versuch: Er wiederholte alles genau nach den Anordnungen von I. Pawlow. Aber im entscheidenden Moment liess er seinen Assistenten mit einer Glocke ohne Klöppel "läuten". Die Glocke blieb stumm, der Hund sekretierte trotzdem. Daraus schloss J. Konorski: Das Läuten der Glocke war ein konditionierter Reiz für I. Pawlow, aber nicht für den Hund (12). Der Hund mag schon etwas gelernt haben, aber wir wissen nicht was. I. Pawlow dagegen hätte durch seine Forschung lernen können, dass der Hund speichelt, wenn der Forscher in Anwesenheit des Hundes die Glocke hört.
I. Pawlow hat als Forscher einen Zusammenhang - unter strengen Regeln des Experimentes - untersucht. Er machte Hypothesen über die Konditionierung und hat sie experimentell überprüft und verifiziert. Dann hat er einen wissenschaftlichen Bericht darüber geschrieben, in welchem er die Methode und die Befunde darstellte, so dass sie von der wissenschaftlichen Gemeinschaft nachvollzogen und überprüft werden können. Ich sehe darin einen typischen Fall von Wissenschaft, wie sie etwa von K. Popper beschrieben wurde. Wir können das Experiment von I. Pawlow genau nachmachen und werden zu demselben Resultat kommen. Es ist ein wesentlicher Aspekt der Wissenschaft, dass Resultate reproduzierbar sind. J. Konorski hat nicht das Experiment von I. Pawlow wiederholt, sondern ein anderes Experiment gemacht, das auch zu einem Resultat führte. Das Experiment von J. Konorski ist auch wiederholbar. Es macht aber auf den Hund bezogen keinen richtigen Sinn, weil J. Konorski ja prüft, ob ein spezifisch gelehrter Hund auch etwas kann, was gar nicht bewusst gelehrt wurde.
Sinn macht das Experiment von J. Konorski nur als Kritik an I. Pawlow. Die Kritik beruht aber nicht darauf, dass er zeigt, dass das Experiment von I. Pawlow nicht wiederholbar ist (13) oder andere Resultate zeigt. Es ist also - zumindest im Sinne von K. Popper - keine wissenschaftliche Kritik (14). Die Kritik bezieht sich auf die Unterscheidungen, die I. Pawlow seinem Experiment zugrunde legte. Bei K. Popper heisst es explizit, dass die Wahl der Hypothesen wissenschaftlich gesehen beliebig ist. Hypothesen müssen nur falsifizierbar sein und natürlich eine praktische Relevanz haben. Genau das hat I. Pawlow hervorragend geleistet. Seine Theorie wurde und wird in der Dressur von Tieren überall verwendet und bestätigt. Sie hat also grosse Relevanz und ist von beliebig vielen Menschen wiederholbar. Das Resultat von J. Konorski widerlegt das Resultat von I. Pawlow nicht, sondern zeigt einfach, dass es auch andere Tat-Sachen gibt, die auch ziemlich interessant sind.
Ich will dazu noch eine Geschichte erzählen. Im aufgeklärten Mittelalter wurden hypothetische Konstruktionen wie etwa jene von Kopernikus als System bezeichnet. System hiess eine ausgedachte Erklärung, die man nicht beweisen konnte, weil sie auf Hypothesen, also auf angenommenen Unterstellungen beruhte. Im Streit über das heliozentrische Planetensystem sagte der Kardinal Bellarmino sagte zu G. Galilei: "Sei vernünftig: Bezeichne deine Theorien als Hypothesen, sonst sind sie Ketzerei". Gemeinhin wird der Kardinal so interpretiert, wie es auch G. Galilei selbst schon getan hat: Hypothesen kann man nicht beweisen. Deshalb hätte G. Galilei mit der vorgeschlagenen Formulierung zugegeben, dass er nicht weiss und nicht wissen kann, ob er recht hat. Sein ganzes System wäre nur eine Denkmöglichkeit gewesen - was es in meinen Augen tatsächlich ist. N. Kopernikus und G. Galilei benutzten das Planetensystem als Erklärung für bestimmte Phänomene am Sternenhimmel, die sich natürlich - wie jedes Phänomen - auch anders erklären liessen. G. Galilei meinte, die Wahrheit zu kennen, auch wenn er sich dafür nicht verbrennen lassen wollte. Er schwor nur ab, um später zu sagen: "Und sie dreht sich doch!" K. Popper sagte viel später, dass man Hypothesen nur falsifizieren, nie aber verifizieren kann. Deshalb bleibe die Wissenschaft immer hypothetisch. Dass sich die Erde dreht, und dass sie sich um die Sonne dreht, sind Hypothesen.
J. Konorsky verdeutlicht mit seinem Experiment auch, dass es Bellarmino wohl nicht um die Falsifizierbarkeit von Hypothesen ging - denn G. Galileis Hypothesen sind so schwer zu falsifizieren wie jene von I. Pawlow. Wenn man diese Versuche macht, wird man ziemlich sicher auch diese Resultate erhalten. Der Kardinal wollte lediglich, dass G. Galilei seine Konstruktion als eine mögliche Erklärung bezeichnete. Der Kardinal wusste eben, was Erklärungen und was Hypothesen im Sinne der Systemtheorie sind, auch wenn er von Systemtheorie wohl noch nie gehört hatte. I. Newton sagte explizit, was G. Galilei vielleicht schon meinte: "Hypothesis non fingo" (Ich erfinde keine Hypothesen). A. Einstein zeigte, dass I. Newton nur nicht merkte, auf welchen "Erfindungen" er sein System aufbaute. G. Galilei und I. Newton sahen ihre blinden Flecken nicht. G. Galilei sah nicht, wo er steht (Perspektive) und I. Newton sah nicht, dass er im absoluten Raum und in der Zeit argumentierte. Ich werde später auf diese Geschichte zurückkommen.
Wissenschaft schaft hypothetisches Wissen. In der Forschung schaffe ich Wissen, was ich zuvor nicht hatte. Die Wissenschaft beruht aber vor allem darauf, dass das Wissen verbreitet wird. In der Lehre erzählt ein Beobachter, was er durch Forschung oder Lehre gelernt hat. Als Lernender kann ich die Beobachtung des Lehrers machen oder den lehrenden Beobachter beobachten, was F. Simon provokativ als "die Kunst, nicht zu lernen" bezeichnete. Natürlich sollte ich lernen, aber ich sollte nicht alles lernen, was gelehrt wird. Ivan Pawlow beobachtet seinen Hund. Viele seiner Schüler beobachten auch den Hund. Jerzy Konorski beobachtet I. Pawlow.
I. Pawlow hat - wenn ich mit einer andern Unterscheidung hinschaue - einen Hund gelehrt. Man kann auch sagen ausgebildet, unterrichtet, trainiert oder dressiert. I. Pawlow hatte dabei ein Lehrziel, der Hund musste eine Prüfung ablegen. Der Hund bestand die Prüfung, obwohl wir nicht wissen, welche Aufgabe er gelöst hatte (er hat ja vielleicht nicht auf das Läuten der Glocke geachtet). I. Pawlow hat aber sein Lehr-Ziel erreicht, weil sich der Hund wie prognostiziert verhalten hat. Wäre ich an der Stelle des Hundes gewesen, hätte das Lehrziel für mich keine Relevanz gehabt. Ich hätte allenfalls gelernt, wie ich zu meinen Belohnungen oder rasch wieder aus dem Experimentierkäfig rauskomme. Mein Lernziel wäre ein ganz anderes gewesen, als I. Pawlows Lehrziel. Gelernt hätte ich aber vielleicht trotzdem, auf die Glocke zu achten.
K. Holzkamp spricht von einem Lehr-Lern-Kurzschluss. Um diesem Kurzschluss zu entgehen, bezeichne ich unsere Veranstaltung Lern-Veranstaltung. Ich weiss zwar, was ich lehre, aber ich weiss noch nicht, was wir (jede(r) einzelne von uns) lernen. Der Pawlowsche Hund ist bei I. Pawlow ein "Symbol" für das konditionierte Lernen des Hundes und bei J. Konorski ein "Symbol" für das konditionierte Lernen des Experimentators oder Forschers. Menschliches Lernen kann aber auch auf einer entwickelteren Stufe erfolgen (15).
Lehrziel und Prüfung sind äquivalent - und vom Lernen relativ unabhängig. Ich hoffe, Sie verstehen, warum ich kein Lehrziel habe. Aber wir können uns sinnigerweise in jedem Augenblick fragen, was wir gerne lernen würden und was wir bisher gelernt haben. Ich werde mich später noch etwas eingehender mit dem Lernen des Hundes beschäftigen, aber davor will ich noch etwas allgemeiner über das Lehren und über die Lehre sprechen.
Worauf der Hund von I. Pawlow reagiert, liegt im blinden Fleck von I. Pawlow. Das Experiment von J. Konorski macht diesen blinden Fleck sichtbar. Das entscheidende ist nicht, dass J. Konorski den Hund-Bobachter I. Pawlow beobachtet, sondern dass er die Unterscheidung von I. Pawlow beobachtet. Beobachter beobachten heisst in diesem terminologischen Sinn nicht, dass ein Beobachter einen andern Beobachter beobachtet, sondern dass die einer Beobachtung zugrund liegenden Unterscheidungen beobachtet werden. J. Konorski hat eine Unterscheidung von I. Pawlow problematisiert, indem er den Klöppel aus der Glocke genommen hat. Bei seiner Beobachtung geht es nicht mehr um Läuten oder nicht Läuten. Und so kommt er zu einer anderen Erkenntnis als I. Pawlow.
Es geht dabei nicht darum, ob I. Pawlow recht hat, sondern darum, unter welchen Annahmen er recht hat. Wenn ich etwa einen Schiedsrichter, der in einem Fussballmatch die Spieler beobachtet, beobachte, kann ich oft sehr leicht erkennen, dass der Schiedsrichter "falsch" gepfiffen hat, aber ich kann nicht so leicht erkennen, inwiefern er damit auch richtig gepfiffen hat, weil er andere Unterscheidungen zugrunde legte. Das Wissen, das I. Pawlow aufgebaut hat, wird sehr oft mit grossem Erfolg verwendet, in einer bestimmten Hinsicht ist es "richtig". Vor J. Konorski sein Experiment gemacht hat, war nicht leicht zu erkennen, in welcher Hinsicht das Resultat "falsch" war. Anstelle von richtig sage ich viabel, um diese Relativität der Richtigkeit auszudrücken. Die Relativitätstheorie zeigt, dass die Mechanik von I. Newton nicht überhaupt "richtig", aber sehr viabel ist, weil wir mit sehr geringer Geschwindigkeit leben. Wenn ich verschiedene Geschwindigkeiten unterscheide, kann ich den blinden Fleck von I. Newton sehen (16).
Die Erkenntnisse, die ich mache, sind von meinen Unterscheidungen abhängig. G. Spencer-Brown sagt mit seinem "Draw a distinction!", wenn Dir etwas nicht gefällt, mach eine andere Unterscheidung, die mehr Sinn macht, was er re-entry (Wiedereintreten) nennt. J. Konorski hat ein solches re-entry zur Forschungsfrage von I. Pawlow gemacht. In der 2. Ordnung mache ich re-entries bezüglich meiner Unterscheidungen.
Als Re-entry bezeichne ich das erneute Beobachten eines Phänomens mit anderen Unterscheidungen. Die Unterscheidungen, die ich wähle, sind beliebig. Beliebig heisst hier, dass jeder die Unterscheidungen machen kann, deren Konsequenzen er liebt. Beliebigkeit ist also subjektiv das Gegenteil von Gleichgültigkeit und von faulen Kompromissen, obwohl es einem Aussenstehenden beliebig im abschätzigen Sinn vorkommen kann. Vor allem aber ist das re-entry natürlich eine kreative Leistung. J. Konorski' s Experiment finde ich kreativ im eigentlichen Sinne des Wortes (17).
Ich gebe noch ein nicht minder geniales Beispiel aus der schönen Literatur:
Es hiess, dass die Sirenen sängen und dass wer sie singen höre, ihrem Singen zu seinem eigenen Verderben ausgeliefert sei.
Um sich vor den Sirenen zu bewahren, stopfte sich Odysseus Wachs in die Ohren und liess sich am Mast festschmieden. Er vertraute vollständig der Handvoll Wachs und dem Gebinde Ketten und in unschuldiger Freude über seine Mittelchen fuhr er den Sirenen entgegen.
Als Odyseus an den Sirenen vorbeifuhr, hörte er nichts. Er schien die Sirenen überlistet zu haben und hatte nicht zuletzt deshalb den Nimbus der Listenreichste unter allen Menschen zu sein.
Aber wie war es wirklich - einmal davon abgesehen, das Homer die Geschichte gar nicht so erzählte? Die Erzählung von Homer ist unabhängig davon, ob Homer je gelebt hatte, nur eine Beobachtung. Homer dachte, dass man das Singen der Sirenen - wie Pawlow's Glocke - hören oder nicht hören könne. Als er sah, dass Odyseus Wachs in die Ohren steckte, dachte er, dass Odyseus die Sirenen nicht hören würde. Und wir könnten denken, dass Odyseus das auch dachte, weil er die gleiche Unterscheidung wie Homer verwendet hätte.
Nun scheint manchen die List mit dem Wachs in den Ohren nicht sehr gross. F. Kafka nämlich schreibt: Ähnliches hätten natürlich seit jeher alle Reisenden tun können, außer denen, welche die Sirenen schon aus der Ferne verlockten, aber es war in der ganzen Welt bekannt, daß dies unmöglich helfen konnte. Der Sang der Sirenen durchdrang alles, und die Leidenschaft der Verführten hätte mehr als Ketten und Mast gesprengt. Daran aber dachte Odysseus nicht, obwohl er davon vielleicht gehört hatte.
Odyseus wählte ein scheinbar ganz und gar untaugliches Mittel, welches vielmehr den Mut des Ignoranten als grosse Listigkeit verrät. Er hatte aber Erfolg damit. Vielleicht, aber nur vielleicht sollten wir diesen Erfolg nicht seiner List zuschreiben. Dann aber bräuchten wir eine Erklärung für den Erfolg des Unschuldigen mit untauglichem Mittelchen.
Nun haben aber die Sirenen eine noch schrecklichere Waffe als den Gesang, nämlich ihr Schweigen. Es ist zwar nicht geschehen, aber vielleicht denkbar, dass sich jemand vor ihrem Gesang gerettet hätte, vor ihrem Schweigen gewiss nicht. Dem Gefühl, aus eigener Kraft sie besiegt zu haben, der daraus folgenden alles fortreißenden Überhebung kann nichts Irdisches widerstehen.
Und tatsächlich sangen, als Odysseus kam, die gewaltigen Sängerinnen nicht, sei es, dass sie glaubten, diesem Gegner könne nur noch das Schweigen beikommen, sei es, dass der Anblick der Glückseligkeit im Gesicht des Odysseus, der an nichts anderes als an Wachs und Ketten dachte, sie allen Gesang vergessen liess.
Odysseus aber, um es so auszudrücken, hörte ihr Schweigen nicht, er glaubte, sie sängen, und nur er sei behütet, es zu hören. Flüchtig sah er zuerst die Wendungen ihrer Hälse, das tiefe Atmen, die tränenvollen Augen, den halb geöffneten Mund, glaubte aber, dies gehöre zu den Arien, die ungehört um ihn verklangen. Bald aber glitt alles an seinen in die Ferne gerichteten Blicken ab, die Sirenen verschwanden förmlich vor seiner Entschlossenheit, und gerade als er ihnen am nächsten war, wußte er nichts mehr von ihnen.
Das Schweigen der Sirenen liegt, um es so auszudrücken, im blinden Fleck von Odysseus verwachsten Ohren, er kann nicht wahrnehmen, was er nicht wahrnehmen kann. Odysseus kann nicht hören, dass die Sirenen schweigen. F. Kafka aber, die eigentliche Waffe der Sirenen kennend, erkennt durch seine Beobachtung 2. Ordnung, was Homer und Odysseus aufgrund ihrer Unterscheidung nicht wahrhaben können. Wer sieht, dass Odysseus zwischen hören und nicht hören wählte, sieht auch was Odysseus nicht nicht hören konnte.
Natürlich musste auch F. Kafka für seine Beobachtung eine Unterscheidung treffen. Und wir wissen jetzt, warum Odysseus unabhängig vom Wachs in seinen Ohren, der vermeintlichen Verführung widerstanden hat, nämlich weil es nichts zu hören gab. Aber - warum sangen die Sirenen nicht, wo sie den Odysseus doch so leicht hätten kriegen können?
Sie aber - schöner als jemals - streckten und drehten sich, ließen das schaurige Haar offen im Winde wehen und spannten die Krallen frei auf den Felsen. Sie wollten nicht mehr verführen, nur noch den Abglanz vom großen Augenpaar des Odysseus wollten sie so lange als möglich erhaschen. Hätten die Sirenen Bewußtsein, sie wären damals vernichtet worden. So aber blieben sie, nur Odysseus ist ihnen entgangen.
Die eigentliche Geschichte - von welcher Homer nichts wusste oder wissen wollte - ist die Ambivalenz der Verführerinnen, die auf das Fleisch, das Odysseus für sie gewesen wäre, verzichteten, um seinen Geist in den Wahn zu führen, er hätte sie besiegt.
Es wird übrigens noch ein Anhang hierzu überliefert. Odysseus, sagt man, war so listenreich, war ein solcher Fuchs, daß selbst die Schicksalsgöttin nicht in sein Innerstes dringen konnte. Vielleicht hat er, obwohl das mit Menschenverstand nicht mehr zu begreifen ist, wirklich gemerkt, daß die Sirenen schwiegen, und hat ihnen und den Göttern den obigen Scheinvorgang nur gewissermaßen als Schild entgegengehalten. Vielleicht hat Odysseus den Sirenen seine Dummheit vorgespielt, weil er wusste, wie dumm die Sirenen darauf reagieren würden.
Und die Moral von der Geschichte: Wahre List durchschaust Du nicht. Sie ist die List 2. Ordnung, die für einen Beobachter noch so vielter Ordnung, wie es auch die Schicksalsgöttin sein mag, nicht durchschaubar ist. F. Kafka jedenfalls lässt offen, was mit Menschenverstand nicht mehr begreifbar ist. Er verweigert, um es so auszudrücken, der Anweisung von G. Spencer Brown Folge zu leisten. So wissen wir nun nicht, ob Odysseus die Götter durchschaute oder sich von ihnen durchschauen und anschauen liess.
PS: Die Geschichte selbst beruht auch auf einer List. Denn wer hat je die Geschichte von den Sirenen erzählen können, ohne sie davor überlistet zu haben. Zeus flüstert mir die wahren Gefahren ins Ohr.
In der 2. Ordnung beobachte ich, wie ich meine Um-Welt rekonstruiere. Dabei geht es mir um Kontingente: Mich interessiert, wie ich meine Um-Welt auch sehen könnte und was es mir bringen würde, wenn ich sie anders sehen würde. In der 2. Ordnung geht es mir logischerweise nicht nur darum zu beschreiben, was ich wahrnehme, sondern darum, wie ich mir mein Wahrnehmen vorstelle - oder wissenschaftlicher: wie ich mein Wahrnehmen theoretisch erkläre.
Gegenstand dieser "Wissenschaft" ist also das reflexive Begreifen der je eigenen Wahrnehmungstätigkeit. Natürlich kann ich in der 2. Ordnung nur über meine eigene Wahrnehmung sprechen. Im Dialog kann ich aber zeigen, wie ich über meine Wahrnehmung spreche. In der 2. Ordnung sprechen alle über sich selbst, aber wir können vergleichen, wie wir über uns sprechen. Wir können vergleichen, wie wir uns verhalten, und wie wir theoretisch begründen, was wir darüber sagen. Im Dialog gewinnen wir gegenseitig Möglichkeiten, was den ethischen Imperativ der 2. Ordnung von Heinz von Foerster reflektiert: Erhöhe die Anzahl der Möglichkeiten.
In dieser Vorlesung sage ich also nichts über die Menschen überhaupt und nichts über andere Menschen. Ich lade Sie ein, anhand meiner Ueberlegungen sich eigene Ueberlegungen über Ihre Wahrnehmungstätigkeit zu machen. Ich zeige Ihnen, wie ich die Systemtheorie auf mich bezogen anwende. Sie können dabei sich selbst beobachten, Sie können beobachten, wie sie mit der Systemtheorie umgehen. Dabei sage ich tautologischerweise auch, was ich als Systemtheorie auffasse, und welche Methoden ich damit verbinde. Ich weiss natürlich nicht, was Sie mit diesen Methoden finden werden, weil Sie damit sich selbst beobachten. Ich nehme an, dass wir als Subjekte verschieden sind - oder konstruktivistischer gesprochen in verschieden konstruierten Erfahrungswelten leben. In der 2. Ordnung erkundet jeder von uns seine eigene Welt. Natürlich schadet es weder uns noch unseren Um-Welten, wenn wir sehr ähnliche Welten für wahr nehmen.
In dieser Vorlesung sage ich insbesondere auch nichts über die Realität. Es geht auch hier nicht darum, ob es eine Realität oder eine Wirklichkeit gibt, oder ob alles, was wir erleben, nur "konstruiert" oder "subjektiv" ist. Die Systemtheorie 2. Ordnung kann ich zwar epistemologisch auffassen, aber nicht als Erkenntnistheorie im philosophischen Sinn. Es geht nicht darum, ob wir die Realität, falls es eine gäbe, erkennen könnten. Es geht darum, was ich für-wahrnehme und zwar ganz unabhängig davon, ob meine Wahrnehmung zu irgendeiner Realität passt oder nicht. In dieser Einführung in die Systemtheorie geht es mir nicht darum, die Welt zu beschreiben, sondern um eine perspektivische Auslotung der Systemtheorie. Was sagt mir die Systemtheorie über mich und mein Handeln? Was sagt sie mir über meine wissenschaftliche oder psychologische Tätigkeit, was über meine Forschung und was darüber, wie ich meine Resultate und Erkenntnisse vernünftigerweise darstelle. Was sagt mir meine Systemtheorie über meine Kommunikation und darüber, wie ich andern Menschen vernünftig begegne?
Darüber, ob es eine Realität gibt, sage ich - obwohl man das unter dem Label "Radikaler Konstruktivismus" erwarten könnte - nichts, weil ich davon keine Ahnung habe (18). Von der Realität spreche ich aber aus einem ganz anderen Grunde nicht. Bitte überlegen Sie, wann - in welchen Situationen - Sie Ausdrücke wie Realität, Wirklichkeit, objektiv, wahr, usw. verwenden (würden) oder verwendet haben. Erinnern Sie sich an eine ganz konkrete Situation. Worum ging es in dieser Situation? Und wie ist es Ihnen in dieser Situation gegangen? Mir begegnen solche Ausdrücke ausschliesslich in kritischen Situationen, in welchen ich mich nicht wohl fühle. Oft soll die Realität in einer Diskussion entscheiden, wer recht hat. Dabei gibt es logischerweise immer auch jemanden, der nicht recht hat. Diskussionen beruhen immer darauf, dass jemand weiss, wie es "wirklich" ist. Ohne Verweis auf die Realität kann man schlecht streiten. Wenn ich solche Ausdrücke nicht verwende, streite ich nicht. Wer diskutiert, verliert.
Ich vermeide von der Realität zu sprechen, indem ich ich-Botschaften formuliere. Ich-Botschaften sind in der objektiven Wissenschaft verpönt. Sie sind Ausdruck einer subjektorientierten Wissenschaft. Natürlich kann man ich-Botschaften verschieden interpretieren. Man kann sie als Ausdruck von Egozentrismus und Arroganz verstehen. Man kann sie aber auch als Ausdruck eines reflexiven Begreifens der je eigenen Wahrnehmungstätigkeit sehen. Es kommt sozusagen auf das Ohr an, mit welchem ich die ich-Botschaften höre. Oder auf das Ohr, das ich mir wünsche, wenn ich mit ich-Botschaften spreche.
Meine Argumentation ist zirkulär: Ich betrachte ein System als Konstruktion eines Beobachters und den Beobachter betrachte ich als System. Der Einstieg in eine zirkuläre Argumentation macht logischerweise immer Voraussetzungen, die später als Folgen der Argumentation erscheinen. Im Alltag spreche ich unter diesen Umständen von einem Ei-Huhn-Problem, um auszudrücken, dass ich darin kein konstruktives Problem sehen kann. Ich kann mich gut damit abfinden, dass Hühner aus Eiern kommen und Eier legen. Aber wenn ich die Geschichte erzählen muss, habe ich natürlich das Problem des Anfanges: Was war zuerst, das Huhn oder das Ei? (19). In einer kreisförmig angelegten Argumentation spielt es keine Rolle, wo ich einsteige, über kurz oder lang muss ich dahin kommen, jeden Anfang aufgehoben zu finden, ich muss mich also - um mit C. Escher's Galerie zu sprechen - in einem Kreis ohne Anfang, oder genauer, im blinden Fleck der Bildmitte wiederfinden. Bei C. Eschers Bild ist der blinde Fleck im Zentrum und gewissermassen der genetische Anfang der Betrachtung. Intuitiv schaue ich aber zuerst auf auf den bemalten Teil des Bildes, nicht in den wissen Fleck, und frage mich, wo ich mit Schauen beginnen soll. Dasselbe Problem habe ich natürlich mit der Darstellung einer selbstbezüglichen Theorie. Wo beginne ich mit einer Systemtheorie 2. Ordnung? Ich glaube nicht, dass es dafür ein rationales Entscheidungsverfahren gibt. Im Nachhinein wird es auch keine Rolle mehr spielen, weil in einem Kreis - wie in C. Escher's Bild - jeder Anfang aufgehoben ist. Als Leser kann ich ohnehin irgendwo beginnen, weil ich jedes Buch aufschlagen kann, wo ich will (Inhaltsverzeichnis). |
Da ich Systeme generell als Konstruktionen betrachte, beginne ich genetisch logischerweise mit eigentlichen Konstruktionen. Ich werde also zuerst erläutern, was ich als Konstruktion bezeichne. Aber davor sage ich natürlich, in welchen Situationen ich überhaupt Konstruktionen mache und wozu. Ich beginne die Darstellung der Systemtheorie also mit einem ganz praktischen Konstruktionsproblem.
Als Problem bezeichne ich eine von einem Beobachter wahrgenommene Aufgabe, die er nicht ohne weiteres lösen kann, die aber eine Lösung hat. Das heisst, jedes Problem ist das Problem eines Beobachters. Wenn ich ein Problem erkenne, bin ich der Beobachter des Problems. Als Beobachter habe ich die Möglichkeit, mich auf das Problem zu konzentrieren und eine Lösung zu suchen. Ich kann mich aber auch fragen, weshalb dieses Problem überhaupt ein Problem oder speziell mein Problem ist. Und natürlich kann ich mich auch fragen, wie ich selbst konstruiert sein muss, damit ich das Problem überhaupt wahrnehmen kann. Im ersten Fall verhalte ich mich wie ein Konstrukteur. Im zweiten Fall verhalte ich mich, wie jemand, der das Problem aus welchen Gründen auch immer, nicht lösen will. Im dritten Fall mache ich eine Beobachtung 2. Ordnung, weil ich nicht mehr das beobachtete Problem, sondern den Beobachter, der das Problem hat, beobachte.
Ich beginne die Darstellung der Systemtheorie also damit, dass ich erläutere, welche Art von Problemen ich "systemtheoretisch" löse. In meiner kreisförmigen Argumention werde ich dann anhand meines Lösungsverfahren darstellen, was ich als Systemtheorie bezeichne und inwiefern mein Lösungsverfahren systemtheoretisch ist. Dabei wird sichtbar, dass die Wahl der Probleme die Systemtheorie natürlich schon vorausgesetzt hat. Schliesslich werde ich mich selbst als Beobachtersystem begreifen und so den argumentativen Kreis - wie C. Escher - rund um den blinden Fleck schliessen.
Ich werde schliesslich in einer Art re-entry aus dem Bild heraustreten und die Perspektive einnehmen, die ich auch gegenüber C. Escher's Galerie habe, wenn ich das Bild anschaue. Der junge Mann in C. Escher's Bild erscheint mir als Selbstbildnis von C. Escher, welches ich als Bild sehr wohl vom Konstrukteur des Bildes unterscheiden kann. Der Konstrukteur des Bildes erscheint mir nur im Bildnis. Es heisst auf Moses Tafel als Verheissung: Du wirst Dir kein Bildnis machen.
Naiv interpretiert ist die Systemtheorie eine Theorie über Systeme. Ich erläutere also, was ich als Systemtheorie auffasse, indem ich sage, wie ich die Ausdrücke Theorie und System verwende. Ich beginne mit der Erläuterung des Ausdruckes "System" und werde später über Theorie sprechen. Um zu sagen, wie ich den Ausdruck System verstehe, mache ich einen kleinen Umweg und beginne mit einer - im Prinzip - alltäglichen Situation, die exemplarisch dafür ist, dass ich überhaupt an Systeme denke.
Etwa 100 Jahre nach Christi Geburt konnte man in Alexandria (oder wenigstens in einem Buch von Heron, der in Alexandria lebte) einen Tempel sehen, dessen Türen sich wie von Geisterhand geführt öffneten, wenn der Priester die Götter beschwörte und das Feuer vor dem Tempel anzündete. Ich glaube, die meisten Alexandrier hatten kein Problem damit, einige werden sich aber sicher gefragt haben, wie das funktioniert; sie suchten nach einer Erklärung und machten genau damit die sich öffnenden Türen zu einem Phänomen. Als "Phänomen" bezeichne ich etwas, wofür ich als Beobachter eine Erklärung suche. Quasi-etymologisch steckt im Ausdruck Phänomen, dass es um eine Erscheinung von etwas anderem geht, und mithin, dass man gerne wüsste, was so erscheint. Nun, wie lässt sich das Phänomen mit den Tempeltüren erklären? |
Nicht nur alte Griechen fragen nach Erklärungen. F. Nietze sagte: "Der Mensch erträgt fast jedes Was, solange er ein Warum hat." In gewisser Hinsicht lässt sich die ganze Wissenschaft als Suche nach Erklärungen verstehen.
In einer Erklärung zu unserem Tempel kann beispielsweise stehen, dass man die Götter durch ritualisiertes Anrufen beschwören muss: "Rufe abrakadabra und schau genau auf die Türe, die sich öffnen soll! Wenn Dich die Götter erhören, öffnen sie die Tür." Bei den Priestern funktioniert das, weil sie von den Göttern erhört werden. Diese Erklärung macht wie jede Erklärung einige Implikationen, etwa dass es Götter gibt. Wenn es Götter gibt, die den Priestern helfen, dann ist das eine mögliche Erklärung. Sonst nicht. Ob ich eine Erklärung akzeptiere, hängt von mir ab. Ich kann sogar Erklärungen akzeptieren, die bei mir nicht funktionieren, weil mir die Götter nicht helfen.
Eine weitere mögliche Erklärung dafür, dass sich die Tempeltüren öffnen, wäre etwa, dass versteckte Sklaven die Türen öffnen. Dabei würde man voraussetzen, dass es im Tempel Sklaven gibt, und dass man beschreiben kann, was sie tun und warum man sie nicht sehen kann. Da ich die Sklaven nicht sehen kann, hängt es auch bei dieser Erklärung von mir ab, ob ich sie akzeptiere (20).
Zu jedem Phänomen gibt es beliebig viele Erklärungen, wobei verschiedene Erklärungen das Phänomen quasi rückwirkend auch verschieden bestimmen. Das Phänomen mit der Tempeltüre könnte ich damit erklären, dass der Priester die Zuschauer hypnotisiert, so dass sie sich einbilden, dass sich die Türen öffnen. Da sich in diesem Fall die Türen gar nicht öffnen, braucht es natürlich auch keine Erklärung dafür, dass sie sich öffnen. Es braucht aber eine Erklärung dafür, weshalb ich Dinge sehe, die es nicht gibt. Und das würde eben durch Hypnose "erklärt", wobei aber natürlich auch das Phänomen ganz neu gesehen wird. Ich kann auch beschreiben, wie ich selbst funktionieren muss, um eine bestimmtes Phänomen überhaupt wahrzunehmen. Darüber werde ich später mehr sagen.
Als eigentliche Erklärungen akzeptiere ich Beschreibungen von Verfahren, die ich zur Erzeugung derjenigen Phänomene verwenden kann, die ich erklären will. Um die Tempeltüren zu öffnen, kann ich unter anderen das Verfahren "Götterbeschwörung" oder das Verfahren "Sklaven verstecken" verwenden. Weil Erklärungen Beschreibungen sind, kann ich mit einer Erklärung die Tempeltüre nicht öffnen, ich muss das in der Erklärung beschriebene Verfahren anwenden, damit sich die Türe öffnet. Kochrezepte sind typische Beschreibungen von Verfahren. Normalerweise werden sie nicht als Erklärungen verwendet, aber sie erklären, wie das beschriebene Essen zustande kommt. Ich esse nicht die Rezepte, sondern das Essen.
Im Alltag bin ich sehr oft mit impliziten Erklärungen zufrieden: Ich sehe etwa einen jungen Mann und eine ältere Dame zusammen im Tearoom sitzen und frage mich, inwiefern die zusammenpassen. Jemand sagt mir, dass das seine Grossmutter ist und ich sage "aha". Das Wort "Grossmutter" erscheint als quasi-Erklärung. Warum? Es gibt - im meinem Kopf zumindest - ein Regel, wonach junge Männer mit älteren Damen ins Cafe sitzen, dann und nur dann, wenn die ältere Dame ihre Grossmutter ist oder wenn sie extrem reich und verführbar ist. Wenn ich höre, dass die Dame die Grossmutter ist, kenne ich eine hinreichende Bedingung, unter welcher das Phänomen überhaupt auftreten kann. Es ist aber natürlich keineswegs so, dass ein junger Mann mit seiner Grossmutter ins Cafe gehen muss. Wenn ich wissen möchte, weshalb die beiden zusammen im Cafe sitzen, dann brauche ich eine wirkliche Erklärung. Eine mögliche Erklärung wäre etwa: Die Grossmutter hat Geburtstag und der junge Mann will ihr eine Freude machen und lädt sie zu Cafe und Kuchen ein. Dann finden die beiden einen genehmen Zeitpunkt und gehen ins Cafe. Und dann kann ich sie dort sehen, und mich fragen, wie das wohl gelaufen ist (21).
Heron von Alexandria - der dafür von den Göttern naturgemäss mehr geliebt wurde als von den Tempelhütern - erklärt das Phänomen, dass sich die Tempeltüre öffnet, wenn davor ein Feuer entfacht wird, mit einer unterirdischen Dampfmaschine, die durch das Feuer geheizt wird und mit Seilen und Winden die Türen des Tempels bewegt. Da die Normalsterblichen unter den alten Griechen weder allgemein mit Technik gesegnet waren, noch unter den Tempel schauen konnten, lag es an ihnen, ob sie diese Erklärung akzeptierten. Und ich muss auch abschätzen, ob die alten Griechen Tempeltüren wirklich so bewegen konnten. Ich kann auch nicht unter den Tempel schauen, weil er mittlerweile nicht mehr existiert. Ich kann aber prüfen, ob der Mechanismus seine Funktion erfüllen würde, also ob ich mit diesem Mechanismus das Phänomen erzeugen könnte. Das ist die spezifische Qualität der konstruktiven Erklärung. Ich kann ausserdem anhand der Konstruktion weitere Aspekte des Phänomens ableiten und prüfen, ob diese neuen Aspekte beim zu erklärenden Phänomen auch vorhanden sind. Konstruktive Erklärungen beschreiben eine Konstruktion, mit welcher ich das Phänomen erzeugen kann. Auch die konstruktive Erklärung ist eine Beschreibung, es handelt sich aber um eine Beschreibung, mit welcher ich einen Mechanismus abbilde, den ich anstelle der Beschreibung herstellen und zeigen könnte. Wenn ich in meiner Erklärung "Götter" verwende, kann ich allenfalls deren Wirkung, aber nicht sie selbst zeigen. Deshalb sind konstruktive Erklärungen für mich sozusagen intimer, näher bei mir. |
Wenn ich eine Maschine herstelle, will ich normalerweise nicht etwas erklären, sondern einen praktischen Zweck erfüllen. Heron's Maschine soll beispielsweise die Türen eines Tempels automatisch öffnen, wenn das Feuer angezündet wird. Vielleicht liegt der Zweck der Maschine auch darin, den alten Griechen etwas vorzumachen. Diese Maschine soll sicher nicht etwas erklären, sondern allenfalls vielmehr etwas verklären.
Wenn ich erklären will, weshalb diese Türen aufgehen, muss ich die Maschine natürlich nicht herstellen, ich muss nur beschreiben, wie ich oder "man" diese Maschine konstruiert haben könnte. In einer Erklärung beschreibe ich die Maschine auch nicht so, dass man sie herstellen kann, sondern so, dass man ihre Funktionsweise konstruktiv und operativ nachvollziehen kann. Ich beschreibe also nicht alle Aspekte der Maschine, sondern vor allem die Funktionsweise und was für deren Verständnis nötig ist.
In der psychologischen Wissenschaftsgeschichte gibt es den Ausdruck "Blackbox", mit welchem Behavioristen wie B. Skinner und I. Pawlow ausdrückten, dass sie sich nur mit beobachtbarem Verhalten befassen wollten. I. Pawlow zeigte, dass sein Hund Reize assoziieren konnte, wie sein Hund das machte, war für I. Pawlow keine wissenschaftliche Frage. Die Ingenieure verwenden den Ausdruck "Blackbox" für klar definierte Funktionseinheiten. Sie wissen natürlich, was in der Blackbox ist, aber wenn die Blackbox funktioniert, interessieren sie sich nicht dafür.
Ich spreche von einer Blackbox, wenn ich ein Phänomen mit einem Mechanismus erkläre, ohne prüfen zu können, wie das Phänomen tatsächlich zustande kommt. Selbst die Griechen, die das Buch von Heron kannten, wussten deshalb natürlich noch nicht, weshalb sich die Türen eines bestimmten Tempels wirklich öffneten. Dazu hätten sie unter den Tempel sehen müssen. Blackbox nenne ich also den Platzhalter einer konstruktiven Erklärung. Meine Konstruktion ist eine Hypothese dafür, was in der Blackbox sein könnte. Von einer Blackbox im engeren Sinne spreche ich, wenn ich dem Phänomen eine Funktion |
Natürlich müsste ich dazu mit dem Tempel experimentieren dürfen. Beim Tempel mag das vielleicht noch angehen, aber es gibt viele Phänomenträger, bei welchen ich entweder nicht experimentieren kann oder aus moralischen Gründen nicht darf. Ich kann aber natürlich mit meinem Mechanismus experimentieren und so das Phänomen simulieren. So kann ich auch genauer festlegen, was ich überhaupt als Phänomen betrachte.
Als System bezeichne ich einen Mechanismus genau dann, wenn ich ihn in einer Erklärung verwende. Als deutender Beobachter nehme ich in diesem terminologischen Sinne keine Systeme, sondern Phänomene wahr. Systeme sehe ich als erklärender Beobachter, also nachdem ich die Perspektive gewechselt habe, weil ich eine Erklärung suche oder mich für eine Funktionsweise interessiere.
Mit meinem System-Begriff vertrete ich zwei Positionen, von denen ich meine, dass sie im Prinzip sehr weit verbreitet sind, aber üblicherweise nicht so formuliert werden. Erstens sage ich, dass Systeme nur in Erklärungen vorkommen und zweitens sage ich, dass Systeme Konstruktionen repräsentieren. Ich werde später auf andere Auffassungen von System eingehen.
Diese Verortung des Ausdruckes ermöglicht mir eine begrifflich klare Definition von System. Ich kann so nämlich definieren, was ein Mechanismus ist und angeben, in welchen Fällen, ich den Mechanismus System nenne. Ich werde also im folgenden erläutern, was ich als System bezeichne, indem ich die Konstruktion des Mechanismus rekonstruiere.
Ich will hier nur noch darauf hinweisen, dass A. Turing's universell gemeinter Algorithmus Turing-Maschine heisst und H. Maturana Lebewesen "autopoietiesche Maschinen nennt. Und last but not least heisst der Konstruktivismus und der Radikale Konstruktivismus - wenn auch weitgehend unbewusst - eben Konstruktivismus, was auch auf Konstruktionen verweist. Wenn ich etwa meinen Hund sehe, sehe ich natürlich keine Konstruktion, sondern ein Lebewesen. Und wenn mein Hund mit dem Schwanz wedelt, wenn er mich sieht, sehe ich wieder keine Konstruktion. Wenn ich aber erkläre, wie der Hund das macht, erkläre ich anhand einer Konstruktion. Den Radikalen Konstruktivismus beziehe ich auf das Erklären.
Der umgangssprachliche Ausdruck "automatisch" steht quasi-etymologisch für "von selbst". Die vom Wetter unabhängig konstante Raumtemperatur in meiner Wohnung scheint sich von selbst einzustellen, wie sich Heron's Tempeltüren scheinbar von selbst öffnen. Dieses "von selbst", das ich durch fragen zum Phänomen machen kann, repräsentiert in der Technik eine Maschine oder im entwickelteren Fall einen Automaten.
Eigentliche Maschinen werden durch Energie angetrieben, die nicht wie bei Werkzeugen vom benutzenden Menschen stammt. Herons Tempeltüröffner ist eine typische Maschine, die mit Feuer angetrieben und vom Priester gesteuert wird. Der Priester bestimmt, wann die Dampfmaschine heizt und so die Türen öffnet. |
Als eigentliche Automaten bezeichne ich Maschinen, die durch einen Regelungsmechanismus gesteuert werden. Die thermostatengeregelte Heizung ist ein typischer Automat, der auch mit "Feuer angetrieben" ( Heizung ) und mittels eines konstruierten Mechanismus, eben dem Thermostaten gesteuert wird. Die Heizung "merkt" selbst, wann sie heizen muss. |
Den Ausdruck Mechanismus verwende ich, wenn ich die Funktionsweise einer Konstruktion hervorheben will, also genau dann, wenn ich ein Verfahren konstruktiv erläutern will. Jeder Mechanismus repräsentiert ein hinreichend definiertes Verfahren. Als Mechanismus betrachte ich tauto-logischerweise nur, wovon ich gegebenen Falles sagen kann, dass es nicht oder nicht richtig funktioniert. Von einem Hammer beispielsweise kann ich das in keinem Fall sagen, von einer thermostatengeregelten Heizung oder von einem Tempeltüröffnungsmaschine dagegen kann ich es gegebenenfalls sagen, weil bei diesen Mechanismen vorgesehen ist, dass sie ihre Zustände zweckmässig ändern, also ein Verhalten zeigen, wenn sie ihre Funktion erfüllen.
Komplex nenne ich Phänomene, wenn ich nur bedingte Regelmässigkeiten erkennen kann, wenn also beispielsweise unter bestimmten Bedingungen meine Raumtemperatur konstant bleibt und unter andern Bedingungen nicht, oder wenn eine Blackbox auf gleiche Eingaben verschieden reagiert. Solche Phänomene erkläre ich konstruktiv durch Regelung.
Erklärungen und mithin Systeme sind nie komplex, sondern allenfalls sehr kompliziert. Komplex sind nur Phänomene, weil nur bei Phänomenen unklar ist, wie allfällige Zusammenhänge wirken. Viele Phänomene sind so komplex, dass ich keine Erklärung dafür finden kann, auch wenn ich sicher bin, dass es Erklärungen gibt. Umgekehrt gibt es einfache Mechanismen, mit welchen man sehr komplexe Phänomene erzeugen kann, wenn man den Mechanismus in einer Blackbox versteckt. Ein Beispiel dafür zeigt H. von Foerster als (nicht) triviale Maschine.
Regelung nenne ich die Funktionsweise, durch welche ein bestimmter Soll-Zustand eines Systems dynamisch aufrecht erhalten wird. Die Funktionsweise beruht darauf, dass Abweichungen vom Sollzustandes durch entsprechende Massnahmen aufgehoben werden. Wenn ich in einem Raum eine bestimmte Solltemperatur haben will, muss ich die Temperatur regeln. Das kann ich tun, indem ich selbst dafür sorge, also mehr oder weniger heize, oder indem ich eine thermostatengeregelte Heizung verwende. Im ersten Fall spreche ich von einer Maschine, die durch einen Menschen geregelt wird, im zweiten Fall von einem Automaten, der konstruktiv geregelt wird.
Wie ein Mensch, der die Temperatur regelt, funktioniert, habe ich konstruktiv natürlich nicht verstanden. Was er dabei macht, kann ich rückwirkend quasi konstruktiv bestimmen, wenn ich eine geregelte Heizung kenne. Ein Mensch verfolgt mit seiner Regelungstätigkeit ein bestimmtes Ziel. Bei Automaten spreche ich metaphorisch von einem "kybernetischen Ziel", das er selbst anstrebt und mithin aufrecht erhält. Auf das Problem solcher Metaphern werde ich später zurückkommen, vor allem wenn ich über Lernziele sprechen werde. Vorderhand geht es um Mechanismen.
Das mechanische Prinzip der Regelung beruht auf "sekundärer Energie", die auf einem eigenständigen Energiekreis fliesst. Die thermostatengeregelte Heizung besteht beispielsweise aus einem mit Oel beheizten Wasserkreislauf , der die Wärme im Haus produziert, und aus einem elektrisch angetriebenen Thermostaten , der den Oelbrenner steuert. Der Zweck des ersten Energiekreislaufes ist das Heizen, der Zweck des zweiten ist das Steuern. Beide Kreisläufe brauchen Energie auf konstruktiv eigenständigen Energiekreisen. Im ersten Energiekreis wird Oel verbraucht, im zweiten wird Strom verbraucht. Die Energie, die im Regelungsmechanismus verbraucht wird, trägt zum eigentlichen Zweck der Heizung nichts bei, der Steuerstrom dient nicht der Erzeugung von Wärme. Ich bezeichne diese Energie deshalb als "sekundäre Energie". Ein Automat hat also sekundäre Energiekreise, die Schalter in primären Energiekreisen steuern. Primär nenne ich den Energiekreis, der dem Zweck des Gesamtmechanismus entspricht.
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Das Prinzip der sekundären Energie hat verschiedene Namen, weil es nicht immer als Steuerung interpretiert wird. Der Mechanismus im engeren Sinn wird als (Schalt-)Relais oder als Transistor bezeichnet. Eine typische Anwendung wird (etwas irreführend) Verstärker genannt. Beim Radio-Verstärker (Transistor) beispielsweise wird mittels der schwachen Enegie, die etwa über eine Radioantenne empfangen wird, die relativ starke Energie, die auf Strom aus der Steckdose beruht moduliert (gesteuert). Das heisst, ich kann beliebig laut Radio hören, obwohl die Antenne nur sehr wenig Energie empfängt. Die Energie aus der Antenne wird dabei nur quasi "verstärkt", eigentlich wird sie durch eine starke Energie, die analog strukturiert ist, ersetzt. Diese Ersetzung der sekundären Energie ist eine konstruierte Interpretation des Signals.
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G. Bateson bezeichnet Information als "den Unterschied, der den Unterschied macht". Ich interpretiere, dass ein Unterschied im sekundären Energiekreis einen Unterschied im primären Energiekreis macht. G. Bateson erläutert die sekundäre Funktionsweise des Signals anhand des folgenden Beispiels:
Die sekundäre Energie ist ein konstruktives Konzept. Als deutender Beobachter bezeichne ich die konkreten Instanzen sekundärer Energie oft metaphorisch als "Mitteilungen", wobei ein Fusstritt als Mitteilung noch knapp angehen mag, während - jenseits der Metapher - wohl nur wenige sagen würden, dass der Thermostat mit dem Oelbrenner "spricht". Konstruktiv nenne ich die Instanzen der sekundären Energie Signale oder Information. Ich werde darauf zurückkommen, wenn wir über Kommunikation sprechen. Im Moment geht es mir erst um die Funktionsweise. |
Ich spreche in diesem Kurs über konkrete Automaten, weil ich so die relevanten Begriffe der Systemtheorie quasi anhand von Zeigedefinitionen einführen kann. Soweit Automaten operieren, kann ich quasi operativ sagen, wie ich meine Begriffe deute. Automaten sind anschauliche Exemplare oder Instanzen, so dass wenigstens prototypisch gegeben ist, was ich mit allgemeinen Begriffen bezeichne. Systemtheoretische und insbesondere auch mathematische Begriffe habe ich konstruktiv genau dann verstanden, wenn ich sie mit Mechanismen in Verbindung bringen kann. Automaten haben natürlich eine hinreichend komplizierte Funktionsweise, um alle relevanten Begriffe der Systemtheorie zu veranschaulichen, weil die Systemtheorie in Form der Kybernetik ja im wesentlich anhand von Automaten entwickelt wurde.
Ich beschreibe beispielsweise eine thermostatengeregelte Heizung, um meine systemtheoretische Perspektive zu erläutern, aber natürlich beschreibe ich diese Heizung bereits unter dieser systemtheoretischen Perspektive. Automaten haben objektiv sekundäre Energiekreise, aber ich nehme sie als solche wahr, weil ich Automaten unter diesem systemtheoretischen Gesichtspunkt betrachte. Ueber Automaten kann man auch ganz anders sprechen - die meisten Menschen tun es sogar. Jedermann kann sich seine eigene Sicht auf Automaten und Systeme bewusst machen und prüfen, ob er sekundäre Energiekreise als Kriterium verwenden will.
Ueber die Funktionsweise von Maschine und Automaten kann ich qualitativ und quantitativ sprechen. Ueber Heron's Tempeltüren habe ich bislang nur qualitativ gesprochen. Das heisst, ich habe erklärt, warum die Türen aufgehen, wenn das Feuer brennt, aber ich habe nichts darüber gesagt, wie lange es geht, bis sich die Türen bewegen, wie schnell sie sich bewegen und wie gross das Feuer mindestens sein muss, damit sie sich überhaupt bewegen. Diese quantitativen Aspekte sind objektiv von der Grösse der Türen und von der Effizienz der unterirdischen Maschine, also vom konkreten Mechanismus abhängig.
Qualitativ beschreibe ich ein effektives Verfahren (wie sich die Türen sicher öffnen), quantitativ beschreibe ich wie effizient das Verfahren unter gegebenen Bedingungen ist (wie schnell sich die Türen öffnen). Für beide Fälle gibt es verschiedene Darstellungen:
Man kann die Maschine (formgerecht) zeichnen, wie Heron das getan hat. Bei eigentlichen Maschinen ist die Funktionsweise durch die Zeichnung bestimmt. Die Effizienz der Maschine lässt sich abschätzen, aber in der Zeichnung ist sie natürlich nicht explizit dargestellt. |
Man kann die Funktionsweise von Maschinen auch schematisch (nicht formgerecht, aber strukturgerecht) darstellen. Mit einem Schema zeige ich etwa, funktionale Einheiten und wie sie verknüpft sind. Im Schema sieht man weder die konkrete Form der Maschine, noch wie effizient sie arbeitet. Aber man kann topologische Zusammenhänge darstellen, die für die Funktionsweise von geregelten Maschinen wesentlich sind. Ich kann im Schema etwa darstellen, welche Signale in einer thermostatengeregelten Heizung wann und wo fliessen. Im Schema muss ich die funktionalen Einheiten natürlich beschriften, weil sie nur durch Kästchen repräsentiert sind. Und wenn ich schon beim Beschriften bin, kann ich natürlich auch qualitative Aspekte einschreiben. |
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Schliesslich kann man die Maschine auch mit einem Computerprogramm simulieren, und so sichtbar machen, wie schnell sich etwa die Türen oder die Raumtemperaturen bewegen. Ein solches Programm kann man als rein quantitative Beschreibung der Maschine auffassen. In der Systemtheorie wird normalerweise ein Regelkreisschema zur Darstellung verwendet - auch davon gibt es verschiedene Varianten. In qualitativen Schemata stehen funktionale Benennungen, in quantitativen Schemata stehen mathematische Formeln. Jede Funktionsweise kann konstruktiv verschieden realisiert werden. Mit einer Zeichnung beschreibe ich eine konkrete Möglichkeit. Mit einem topologischen Schema beschreibe ich eine grössere Anzahl von Möglichkeiten und mit dem Regelkreis sage ich fast nichts mehr über die konkrete Konstruktion. Das Regelkreisschema focusiert nur noch die Operationen des Mechanismus. |
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"System" ist ein formaler Begriff. Ich meine zwar immer einen Mechanismus, wenn ich System sage, aber nur insofern, als er eine Funktionsweise repräsentiert. System ist ein Begriff, mit welchem ich nichts über die Bedeutung und die Form des jeweils gemeinten Referenten sage. Mit dem Begriff lasse ich offen, ob ich über eine Heizung, einen Organismus oder über eine Gesellschaft spreche. Wenn ich beispielsweise von einem Pudel sage, dass er ein Hund ist, mache ich auch eine Verallgemeinerung, aber mit Hund meine ich etwas Bestimmtes - es muss vier Beine haben und bellen. Mit System meine ich keinerlei Bedeutung, ich meine nur einen Bedeutungsträger. Der Begriff verweist nicht auf Inhalte, deshalb bezeichne ich ihn als formal.
Der Mechanismus ist eine konstruktive Verkörperung des Systems. Wenn ich den Regelkreis betrachte, kann ich beispielsweise von einer "Differenz" zwischen dem Istwert (x) und dem Sollwert (u) sprechen und etwa sagen, dass aus dieser Differenz (X) eine Massnahme y abgeleitet wird, die dazu führt, dass sich ein bestimmter Wert im System verändert. Der Thermostat ist in dieser Redeweise eine "systemtheoretische Funktion", die bestimmte Eingangswerte (u) und (s) in bestimmte berechenbare Ausgangswerte (x) umwandelt. Wenn ich nur quantitative Probleme lösen will, muss mich ebensowenig dafür interessieren, wie diese Funktionen in konkreten Mechanismen umgesetzt werden, wie wenn ich ein nur behavioristisches Interesse verfolge.
Wenn man will - und nicht wenige tun es -, kann man die abstrakte Beschreibung des Systems als Ausdruck davon nehmen, dass ein System gerade kein Mechanismus, sondern etwas Allgemeineres, etwas Geistig-Immaterielles ist. Weil dieses Allgemeinere als Funktionsweise erscheint, wird der Ausdruck "System" oft abstrakt auf die Funktionsweise und nicht auf deren materiellen Träger bezogen. Das System erscheint dann als "rein geistige" Funktionsweise, die nicht nur keinen bestimmten, sondern überhaupt keinen Träger braucht. Idealistische Definitionen lauten etwa, ein System ist eine Funktionsweise, oder eine Organisation, oder etwas Zusammengesetztes. Solche Definitionen vermeiden die Nennung eines Gegenstandes. In dieser idealistischen Manier ist ein System kein Ding, sondern ein Prozess, eine Relation oder ein Handlungszusammenhang. H. von Foerster schreibt explizit, dass eine Maschine ein "Beziehung" sei. Und W. Ashby - auch ein Vertreter dieser Sicht - erzählt folgend wunderbare Geschichte über ein spukendes Haus, um zu zeigen, dass kybernetische Mechanismen nicht auf die Eigenschaften beschränkt sind, die der irdischen Materie zugehören (22):
Mein lieber Freund
vor einiger Zeit habe ich dieses alte Haus gekauft; es stellte sich jedoch heraus, dass in ihm zwei geisterhafte Geräusche spucken - Grölen und Hohngelächter. Aus diesem Grunde ist das Haus so gut wie unbewohnbar. Aber es gibt noch einen Hoffnungsschimmer, denn ich habe durch genaue Untersuchung herausgefunden, dass der Spuk bestimmten Gesetzen unterworfen ist, die, wenn sie auch völlig unverständlich sind, mit Sicherheit zutreffen, und dass man den Spuk durch Orgelspiel und Weihrauch beeinflussen kann.
Während jeder Minute ertönt jedes Geräusch entweder, oder nicht - da gibt es keine feinere Abstufung. Was jedes Geräusch während der folgenden Minute tun wird, hängt, wie ich gleich genau schildern werde, davon ab, was während der vorhergehenden Minute geschah: das Grölen macht in der folgenden Minute dasselbe wie vorher (schweigt oder ertönt), bis Orgelspiel ohne Gelächter ertönt, woraufhin es zum Gegenteil übergeht (vom Ertönen zum Schweigen und umgekehrt).
Nun zum Gelächter: Wenn Weihrauch entzündet wurde, beginnt es zu ertönen oder nicht, je nachdem, ob das Grölen ertönt ist oder nicht (so dass das Lachen das Grölen mit einer Minute Verzögerung nachmacht). Wurde jedoch kein Weihrauch entzündet, dann tut das Lachen das Gegenteil von dem, was das Grölen vorher tat.
In dem Moment, indem ich das hier niederschreibe, ertönen Gelächter und Grölen. Bitte gib mir einen Rat, wie ich Orgelspiel und Weihrauch anzuwenden habe, um das Haus endgültig zur Ruhe zu bringen! (23)
Die Geschichte illustriert den Bereich möglicher Phänomene. Man kann sie so lesen, wie es W. Ashby suggeriert. Man kann sie aber auch im Sinne der konstruktiven Systemtheorie lesen: dann liest man von Signalen, die sich gegenseitig beeinflussen, also von einer Konstruktion. Dass W. Ashby ein bestimmtes Signal als "geisterhaftes Gelächter" bezeichnet, ist lustig, ändert aber nichts am materiellen Vorhandensein des Signals - wenn nicht nur die Geister, sondern auch der Hausbesitzer das Gelächter hört.
Dementsprechend gibt es auch eine unsägliche, aber weitverbreitete Diskussion darüber, ob es Systeme (wirklich) gebe, oder ob sie nur als geistige Konstrukte im Kopf des Beobachters seien. Ueber diese Unterscheidung werde ich später mehr sagen. Für mich gibt es Systeme genau so, wie es Mechanismen - allenfalls wirklich - gibt. Computer oder Heizungen "sind" Mechanismen, wenn ich sie unter einer entsprechenden Perspektive betrachte. Folgt daraus, dass es Mechanismen "gibt" oder dass Mechanismen "existieren"? Für mich folgt daraus allenfalls eine Einsicht darüber, wie ich die Ausdrücke "es gibt" und "existieren" verwende. Wenn ich als Ingenieur über die Funktionsweise einer Heizung oder als Soziologe über die Funktionsweise einer Gesellschaft spreche, spreche ich über Systeme. Diese Systeme repräsentieren Mechanismen. Daraus folgt nicht, dass eine Gesellschaft ein Mechanismus "ist". Ich kann einfach und leicht über Funktionsweisen sprechen, indem ich Mechanismen beschreibe. Der jeweilige Mechanismus "ist" nicht die Heizung oder die Gesellschaft, sondern dient der Erklärung von Heizung oder Gesellschaft. Mit dem Ausdruck "System" drücke ich nur aus, in welchem Sinn ich über Mechanismen spreche. Wenn ich die Funktionsweise von Mechanismen in Form von Programmen darstelle, ist der Mechanismus impliziert. Ein Computerprogramm funktioniert nicht, der damit beschriebene Computer funktioniert. Wenn ich ein System durch eine Menge von Formeln beschreibe, sehe ich in den Formeln keinen bestimmten Mechanismus, aber jedes Verfahren und jede Operation ist natürlich an eine Trägerinstanz gebunden. Man kann das Bild von R. Magritte als Versuch deuten, ohne Leinwand zu malen. Dann kann man einerseits sehen, dass jedes Bild auch ohne Leinwand wie eine sehr flache Skulptur materiell ist, und dass die Leinwand also nur ein Gerüst für die Figur darstellt. Und andrerseits kann man auch sehen, dass die Figur nicht abstrakt geistig, sondern materiell ist. Eine Variable ist in diesem Sinne immer materiell und eine Operation, die eine Variable verändert, ist immer ein energetischer Prozess der einen Mechanismus repräsentiert. |
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Nachdem ich nun erläutert habe, wie ich den Ausdruck System verwende, erläutere ich, wie ich den Ausdruck Theorie verwende, damit ich schliesslich sagen kann, was ich als Systemtheorie bezeichne.
Theoretische Erläuterungen über Theorie bezeichne ich als Metatheorie. Ich werde vorerst pragmatischen erläutern, was ich als Theorie bezeichne. Ich werde diese Erläuterungen später innerhalb der Theorie aufheben. Die theoretische Begründung kann ich aber - in einem zirkulären Sinn - erst geben, wenn ich die Theorie bereits entwickelt habe. Ich verwende hier die Systemtheorie, die ich ja eigentlich erläutern will, als exemplarisches Beispiel für eine Theorie. Ich sage also zuerst anhand der Systemtheorie, was eine Theorie ist, um quasi nachher zeigen zu können, dass die Systemtheorie eine Theorie ist. |
Ich bezeichne dieses Verfahren als pragmatisch, weil ich zuerst unterstelle, was Systemtheorie heisst, um über Theorie sprechen zu können, und erst anschliessend sage, wie ich den Ausdruck Systemtheorie verwende.
Systemtheorien nenne ich Theorien, in welchen Systeme als generalisierte Erklärungen verwendet werden. Systemtheorien beschreiben die Funktionsweise von Systemen und mithin auch, was als System in Frage kommt.
Theorien
Systemtheorie |
Jede Systemtheorie ist eine Theorie, aber nicht jede Theorie ist eine Systemtheorie! |
In definitorischen Vereinbarungen führe ich einen Oberbegriff und ein Kriterium ein. Hier definiere ich Systemtheorie mit dem Oberbegriff Theorie und dem Kriterium, dass "Systeme als generalisierte Erklärungen verwendet werden". Wenn Definitionen die Sachen erläutern sollten, müsste ich die Oberbegriffe, die ich einführe, wiederum definieren. In definitorischen Vereinbarungen erläutere ich die gemeinte Sache aber nicht, ich hebe nur Aspekte der logischen Einordnung hervor. Die Sache selbst muss schon irgendwie bekannt sein, damit die Einordnung nachvollzogen werden kann. Wer lediglich erfährt, ein Fisch sei ein Wirbeltier mit Schwimmblase, der kennt noch lange keinen Fisch (Holzkamp 1976:21). Die Einordnung gibt aber wesentliche Perspektiven auf die Sache. Wenn ich die Systemtheorie als spezielle Theorie begreife, mache ich auch Implikationen über die Funktion der Theorie insgesamt.
Die Einordnung, die ich hier vorschlage, ist einerseits trivial, weil sie der Wortkomposition von System und Theorie entspricht. Da ich aber einige Oberbegriffe definiere, folgen wegen der begrifflichen Vererbung einige Konsequenzen, die nicht mehr so trivial sind.
Als Theorien bezeichne ich eine Argumentation, in welchen eine Erklärung eines Phänomens auf ein anderes Phänomen übertragen wird. Eine Theorie erläutert beispielsweise inwiefern das Phänomen "Funke", das ich mittels einer elektrischen Batterie erzeuge, und das Phänomen "Blitz eines Gewitters" in dem Sinne "analog" sind, dass das konstruktive Prinzip der Batterie - eben theoretisch - auch den Blitz erklärt.
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Die Evolutionstheorie, die gemeinhin C. Darwin zugeschrieben wird, obwohl C. Darwin eine entsprechende Theorie von A. Wallace gelesen hatte, bevor er seine Theorie publizierte, erklärt biologische Entwicklungen anhand von Zuchtmechanismen. Auf der naivsten Ebene betrachtet begünstigt die Natur die besten Tiere mit mehr Nachkommen, so wie der Tierzüchter seine besten Tiere zur Zucht verwendet. Der Mechanismus ist ein Züchter und die Natur wird als Züchter gesehen. Der Zuchtmechanismus beruht auf Variation und Auswahl. Auch der dümmste Bauer will grössere Kartoffeln und Kühe, die mehr Milch geben. Wieso soll die Natur das nicht auch so wollen?
Damit ich eine Argumentation als Theorie auffasse, muss sie nicht nur ihren Gegenstand begreifbar machen, sie muss auch eine Vorstellung von Theorie enthalten, der sie selbstbezüglich entspricht. Eine Theorie muss quasi ausdrücken, inwiefern sie eine Theorie ist. Die hier genannten Kriterien sind hier natürlich tautologisch, weil die vorliegende Systemtheorie eine eigentliche Explikation dieser Kriterien darstellt. Es ist das Wesen der Systemtheorie eine Uebersetzung auf andere Phänomenbereiche zu leisten, weil der Systemtheoretiker immer Systeme wahrnimmt, die analog zu andern Systemen sind.
Natürlich wird auch der Ausdruck "Theorie" beliebig verwendet. In der Autofahrschule wird von einer Theorieprüfung gesprochen, wo es darum geht einige Verkehrsregeln zu kennen. In einigen Wissenschafts"theorien", die selbst keine Hypothesenbündel sind, werden Hypothesenbündel als Theorien bezeichnet (etwa K. Popper). A. Einstein nannte ein Bündel von verifizierbaren Hypothesen, die auf der empirisch begründeten Annahme einer konstanten Lichtgeschwindigkeit beruhen, Relativitätstheorie. Er sagte aber so wenig wie die Fahrschulexperten etwas darüber aus, was eine Theorie ist und inwiefern die Relativitätstheorie eine Theorie ist. Im Alltag werden oft irgendwelche Argumentationen "Theorie" genannt. Theorie wird oft als nur über etwas reden einer Praxis gegenübergestellt, in welcher auch etwas gemacht wird. In solchen Kontexten wird "Theorie" oft abschätzig verwendet. Der Volksmund sagt: "Theorie ist wenn man alles weiss, aber nichts funktioniert, und Praxis ist, wenn alles funktioniert und keiner weiss warum".
Als Beobachter erkläre ich Phänomene mittels Systemen. Dabei beschreibe ich die Mechanismen nur, ich stelle sie nicht her. Der theoretische Aspekt liegt aber nicht in der Beschreibung des Mechanismus, sondern darin, dass der Mechanismus in einem andern Zusammenhang postuliert wird. Wenn ich meine Um-Welt durch Systeme erkläre, verhalte ich mich theoretisch, obwohl ich damit natürlich auch praktische Probleme, etwa Verständnisprobleme oder diagnostische Probleme löse (24).
Argumentation nenne ich eine Aussage, die Feststellungen und Argumente enthält.
Aussage
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Beispiel:
Ich kann etwa sagen, dass ein Blitz ein Funke ist. Dann mache ich einerseits die Behauptung, dass Blitze und Funken existieren, und andrerseits die Behauptung, dass zwischen ihnen eine Verwandtschaftsrelation ("ist ein") besteht. Die Verwandtschaft kann ich mit Argumenten (typischerweise weil-Sätze) begründen, etwa damit, dass in beiden Fällen elektrische Spannung im Spiel ist. |
Als Aussagen betrachte ich Produkte von Sprachhandlung. Aussagen stammen deshalb ausnahmslos von Beobachtern. Eine Aussage besteht aus geschriebenen oder gesprochenen Worten, die man einer generierenden Grammatik zuordnen kann. Natürlich kann auch ein Bild eine Aussage enthalten, aber die Aussage als solche verstehe ich sprachlich. Mit Bildern kann ich auch nicht argumentieren oder gar eine Theorie formulieren.
Aussage
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Ich habe hier "Aussage" nicht definiert, sondern als Wurzel eines Begriffsbaumes eingeführt. Die beiden Bestimmungen "ist ein Produkt (stammt von)" und "besteht aus" betrachte ich definitorisch als notwendig, aber nicht als hinreichend, da ein Oberbegriff fehlt. Da ich die Systemtheorie durch diesen Begriffbaum als Aussage verstehe, verstehe ich sie natürlich auch des Produkt einer Sprachhandlung eines Beobachters. |
Nachdem ich jetzt pragmatisch umschrieben habe, wie ich die Systemtheorie sehe, nämlich als eine spezifische Aussage eines Beobachters, werde ich im folgenden den Beobachter charakterisieren. Ich charakterisiere auch ihn zunächst metatheoretisch, also jenseits davon, dass er selbst "ein System ist".
Den Ausdruck "Beobachter" verwende ich in der Systemtheorie terminologisch gebunden; nicht jeder der irgendetwas beobachtet, ist ein Beobachter in diesem Sinne. Beobachter nenne ich - in der Perspektive eines deutenden Beobachters - eine Instanz, dessen Verhalten ich als "systemtheoretische Aussagen machen" deuten kann. In der "klassischen" Systemtheorie wird der Beobachter als Instanz "mitgedacht". Er wird nicht Beobachter genannt, sondern wenn überhaupt von ihm die Rede ist, ist er der Wissenschafter oder eben der Systemtheoretiker, der ein objektives "System" untersucht, indem er ein Modell entwirft und dessen Adäquatheit überprüft, respektive dessen Parameter estimiert. Erst epistemologisch orientierte Systemtheoretiker wie W. Powers, und H. von Foerster und H. Maturana haben die Aufmerksamkeit selbstbezüglich auf den Wissenschafter gelenkt und gefragt, was systemtheoretisch passiert, wenn der Systemtheoretiker arbeitet. Anfänglich war dabei von einem "aussenstehenden Beobachter" die Rede. H. Maturana hat dann nur noch vom "Beobachter" gesprochen. Mit seinem trivialen Postulat, wonach "jede Aussage von einem Beobachter stammt" (1982:34 und 148), hat er die Beobachterinstanz nicht nur explizit eingeführt, sondern auch eine ausdrückliche Komplikation produziert. Beobachten wird konventionell rezeptiv gedeutet, während Aussagen machen produktiv ist. In der Konvention würde ein Beobachter schauen, nicht sprechen. In der konstruktivistischen Terminologie ist der "Beobachter" vor allem ein sprachlich operierendes System. H. Maturana sagt: "Jede Aussage stammt von einem Beobachter". Ich sage zusätzlich: "Alle Beobachter können Aussagen machen". H. Maturana bestimmt, was er als Aussage zulässt, ich bestimme, was ich als Beobachter zulasse. |
Ein Beobachter macht Aussagen über Systeme |
Meine Bedingung können Menschen erfüllen, aber natürlich weder Roboter, noch Institutionen wie Familien, noch "funktionale Systeme" wie Kunst oder Religion. In der "funktionalen Systemtheorie" von N. Luhmann wird ein Systembegriff verwendet, der zulässt, dass alles, was als System betrachtet wird, potentiell beobachten kann. In N. Luhmann's Terminologie ist eine Institution ein beobachtendes System. In der Praxis erscheint diese Vorstellung etwa, wenn Redaktoren einer Zeitung eine Stellungsnahme als Position der Zeitung statt als Position der unterschreibenden Redaktoren bezeichnen - was ich beispielsweise in der NZZ regelmässig lesen kann. Man kann am Beispiel leicht sehen, dass die Luhmann'sche Version in der Praxis der Herrschenden einige Vorteile hat.
Als Beobachter entscheide ich, was ich als Phänomen in Betracht ziehe und was ich systemtheoretisch wie erkläre. Mithin entscheide ich als Beobachter natürlich auch, was ich als Systemtheorie bezeichne und inwiefern der Beobachter in dieser Theorie thematisiert wird. Die Thematisierung des Beobachters macht die Theorie einerseits subjektorientiert, weil alles in der Wahrnehmung des Beobachters existiert. Durch die Subjektivierung werden aber auch einige typische Probleme objektivistischer Wissenschaften aufgehoben. Paradoxien - wie jene von Zeno und Eubulides - verschwinden, wenn der Beobachter eingeführt wird.
Ich unterscheide zwei Beobachter-Perspektiven:
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Als konstruierender Beobachter, also als "toolmaking animal" beobachte ich mit den Fragen "Wie ist es konstruiert?" oder "Wie funktioniert es?" Die konstruktive Perspektive muss ich willentlich einnehmen, da ich als Beobachter meine Um-Welt - quasi naturwüchsig - deutend wahrnehme. Die konstruktive Perspektive wähle ich bewusst, wenn ich verstehen oder erklären will, was ich deutend wahrgenommen habe. Wenn ich eine Bedeutung nicht spontan erkennen kann, spreche ich von Artefakten. Bei Artefakten frage ich mich oft, wie sie konstruiert sind, um so einen Hinweis auf deren Bedeutung zu bekommen (25). |
Wenn ich etwa als versklavter Barbar vor einem griechischen Tempel stehe und deshalb nicht einmal deuten kann, was ich sehe, kann ich mich fragen, was das sein und wozu es gut sein könnte. Dann will ich aber keine Erklärung, sondern eine Deutung. Ich will dann nicht wissen, wie der Tempel konstruiert ist, sondern welche Funktion er haben könnte. Man muss natürlich kein Barbar - so hiess bei den Griechen jeder, der nicht griechisch sprechen konnte - sein, um nicht zu verstehen, wozu Tempel gut sein könnten. Und in den Augen von aufgeklärten Humanisten, die diese Tempel so bewundern, haben sie vielleicht auch eine ganz andere Bedeutung, als für die Griechen, für die sie gebaut wurden.
Wenn ich in der Perspektive des deutenden Beobachters einen Beobachter wahrnehme, sehe ich ein Wesen, das Aussagen über die Welt macht. Natürlich kann ich mich - als konstruierender Beobachter - fragen, wie ein solcher Beobachter konstruiert sein könnte. Seit Golem und Frankenstein ist das eine der bewegensten Fragen in der Wissenschaft (26). Vaucanson's "Ente" und Descartes' "Homme" sind anschauliche Beispiele von Antworten, die man geben könnte. Die modernere Wissenschaft hat einfach etwas kompliziertere Antworten wie Künstliche Intelligenz und Genmanipulation. Und die moderne Medizin kann zunehmend mehr Teile des Mechanismus ersetzen. |
Die Unterscheidung zwischen Konstruktion und Deutung, die ich hier im Beobachter ansiedle, erscheint mir in beliebigen andern Unterscheidungen, die verschiedenen Ontologien zugrunde liegen. Natur und Kultur etwa stehen für das, was uns zu deuten gegeben ist und für das, was wir produzieren. Wo die Perspektiven vermischt werden, erscheint die Natur als "gemachte Sache", die ebenso eine Funktion hat, wie jede Maschine, die wir machen.
Oft werden die beiden Perspektiven getrennt statt unterschieden (27). C. Snow spricht von zwei getrennten Kulturen. Die technischen Idioten, die er in einer seiner beiden Kulturen gefunden hat, verstehen von Bedeutung gar nichts, weil sie nur konstruieren können, während die literarischen Idioten der andern Kultur nicht das einfachste System begreifen. Der soziologische Kybernetiker T. Veblen hat den Technokraten erfunden, der Organisationen und Staatswesen systematisch führen kann, ohne sich um deren Zwecke und Deutungen zu kümmern. Schon bei Plato hat den Staat mit einem Schiff verglichen, bei welchem dem Steuermann gesagt, wohin er fahren muss. Plato's Kybernetes - der Pate für den Namen der Kybernetik stand - musste nichts deuten oder verstehen, sondern nur richtig steuern. Er war als präziser sklavischer Roboter gedacht (28).
Die beiden Perspektiven stehen in einem Wechselverhältnis. Keine der Perspektiven hat Vorrang, sie zeigen (bezeugen) verschiedene Aspekte meiner Wahrnehmung. In der deutenden Perspektive spreche ich über meinen konsensuellen Bereich als Beobachter, also darüber, wie ich meine Um-Welt naturwüchsig wahrnehme. Der konsensuelle Bereich ist bestimmend dafür, wie ich Systeme abgrenze. Im konsensuelle Bereich finde ich funktionale Einheiten, die mir in den gewählten Handlungszusammenhängen Sinn machen. Ich nehme etwa eine thermostatengeregelte Heizung im Zusammenhang mit einer warmen Wohnung wahr. Eine Heizung macht für mich dort Sinn, wo ich heizen will, und wo ich heizen will, habe ich auch eine Funktion bestimmt.
Natürlich kann ich auch konstruktiv durch theoretische Ueberlegungen Zusammenhänge erkennen, die ich quasi im Nachhinein deuten kann. Die Wissenschaftssoziologie unterscheidet Makro-, Meso- und Mikrobereiche. Im Mesobereich, der meiner lebensweltlichen Erfahrung entspricht, erkenne ich funktionale Einheiten naturwüchsig, in den beiden andern Bereichen folgen die Deutungen oft der Konstruktion. Dass es Gene und schwarze Löcher gibt,erfahre ich nicht in Handlungszusammenhängen, sondern durch die Theorie. Im Nachhinein erlebe ich aber beispielsweise Gene als bedeutungsvolle Sache, die ich konstruktiv erklären kann.
Mit der Systemtheorie focusiere ich die konstruktive Perspektive, weil ich Systeme in Form von Mechanismen rekonstruiere. In der konstruktiven Perspektive unterscheide ich bewusst System und Umwelt und spreche nur über das System. Das bewusste Unterscheiden der beiden Beobachter-Perspektiven erlaubt mir, funktionale Deutungen nicht mit dem Operieren des Systems zu verwechseln. Ich werde die beiden Perspektiven getrennt erläutern und später aufeinander beziehen.
In der Perspektive des konstruierenden Beobachters nehme ich Konstruktionen wahr, also Artefakte, die für den deutenden Beobachter eine Bedeutung haben. Artefakt steht quasi-etymologisch für künstliches (arte) Faktum (fakt), also für etwas Hergestelltes oder Konstruiertes. Von Artefakten spreche ich, wenn mich das Hergestelltsein eines Gegenstands interessiert. Der Ausdruck Artefakt wird - etwa bei Ausgrabungen alter Kulturen - oft für Gegenstände verwendet, deren Bedeutung nicht bekannt ist, die aber offensichtlich hergestellt wurden. In diesen Kontexten interessiert dann natürlich zuerst die Bedeutung, ich möchte auch wissen, wozu ein bestimmtes Werkzeug oder etwa ein "griechisches Gebäude", das ich Tempel nenne, gebraucht wurde. Konstruktiv interessiert mich aber, wie es gemacht ist und wie es allenfalls funktioniert. Ich spreche von Artefakten, wenn ich sicher weiss, dass sie ein Bedeutung haben, weil sie intentional hergestellt wurden. Dass ich in einzelnen, etwa archäologischen Fällen die Bedeutung nicht erkenne, ist hier nebensächlich. Systemtheoretisch interssiert mich vor allem die Funktionsweise. |
In der konstruktiven Perspektive beobachte ich Maschinen und Automaten als Mechanismen und beschreibe deren Konstruktion (Struktur) und deren Funktionsweise (Strukturveränderungs-Prozess). Dabei interessiert mich die Funktion nicht mehr. Wenn mich interessiert, wie eine Brücke oder eine Heizung konstruiert ist, dann weiss ich schon, was eine Brücke oder was eine Heizung ist, und welche Funktion sie hat. Ich beschreibe beispielsweise eine Heizung, indem ich alle Teile, deren Anordnung beschreibe und erläutere wie die Signalflüsse innerhalb der Heizung wirken. Dabei ist mir gleichgültig, ob die Heizung in einem Haus oder in der Wüste steht. |
Wenn ich die Heizung konstruktiv beschreibe, kommt weder Jahreszeit noch Wetter und auch keine Raumtemperatur in betracht. Ich sage viel genauer, was mechanisch der Fall ist, als in der Beschreibung des Phänomens, wonach beispielsweise die Raumtemperatur konstant bleibt. In der konstruktiven Beschreibung sage ich, wie die Heizung auf ihre eigenen Zustände reagiert. Ich sage beispielsweise, wie der Zustand des Thermometers mit dem Sollwert verglichen wird, und welche Massnahmen bei Abweichungen ausgelöst werden. Ich sage etwa, dass der Oelbrenner einschaltet, wenn der Thermometer unter 20 Grad fällt und ausschaltet, wenn der Thermometer über 24 Grad steigt. Dabei ist mir gleichgültig, warum der Thermometer welche Temperatur anzeigt. Das Wetter oder die Jahreszeiten können die Ursache für die Raumtemperatur und diese kann Ursache für den Stand des Thermometers sein, aber es gibt auch viele andere mögliche Gründe. Und ich kann überdies auch den Ausdruck Temperatur durch "Ausdehnung einer Quecksilbersäule" ersetzen, womit ich auch die Temperatur konstruktiv auffassen kann. |
So kann etwa ein Kind, das nicht in die Schule will, das Fieberthermometer durch Reiben in die Höhe treiben. Natürlich lügt das - richtig funktionierende - Thermometer nicht, sondern es zeigt seinen eigenen Zustand an. Ob die Mutter des Kindes dann auf die Thermometeranzeige oder auf die Körpertemperatur des Kindes reagiert, die sie parallel per Hand erfühlen kann, ist eine andere Frage. Dem Thermometer jedenfalls sind alle Gründe gleichgültig, es zeigt, wie warm es selbst ist. Und einer durchschnittlichen Heizung sind die Gründe, die das Thermometer hat, auch gleichgültig. Die Heizung reagiert auf das Thermometer, das konstruktiv zur thermostatengeregelten Heizung gehört. |
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I. Newton sagte: "hypothesis non fingo". Ich übersetze den Satz mit: Ich bastle keine unsinnige Begründungen. In meinem System kommt die Temperatur der Raumluft, die ich ja als Phänomen erklären will, gar nicht vor. Ich müsste also eine Hypothese nachliefern, die besagt, dass die Temperatur des Thermometers gleich jener der Raumluft ist. Aber diese Hypothese wird in meinem System nicht behandelt.
Ein System reagiert auf seine Zustände mit sogenannten "Massnahmen". Die Massnahmen sollten den vom System angestrebten Sollzustand herbeiführen. In den Massnahmen stecken natürlich Hypothesen. Das System prüft aber nicht diese Hypothesen, sondern ob die Massnahmen zum gewünschten Sollwert führen. Wenn beispielsweise der Fiebermesser meines Kindes 40 Grad zeigt, kann ich als Massnahme fiebersenkende Medikamete verabreichen. Meine Hypothese lautet dann, dass die Medikamente das Fieber senken. Die Hypothese werde ich nicht testen, sondern - genau dadurch, dass ich das Medikament verabreiche - einfach als "Tat-Sache" verwenden. Ich glaube, was auf der Verpackung steht, aber das hat in meinem System keinerlei Relevanz. Ich werde diese Massnahme beibehalten, wenn sie zum Sollwert führt, und ich werde sie ersetzen, wenn sie nicht zum Sollwert führt. Wenn etwa mein Kind gleichzeitig aufhört, den Fiebermesser zu manipulieren, geht die Temperatur des Fiebermessers vielleicht auf 37 Grad zurück. Da ich davon nichts weiss, werde ich die Massnahme beibehalten - auch dann, wenn das Medikament gar nichts nützen würde, wenn also auch meine Hypothese falsch wäre.
Die Beobachtung der kontextfreien Funktionsweise ist meines Erachtens die wesentliche theoretische Leistung, die systemtheoretische Erklärungen erfordern. J. Forrester, der Erfinder der System Dynamics sagte, dass die Systemtheorie wenig Erfolg habe, weil sie dem intuitiven Denken der Menschen widerspreche. Ich glaube, er meinte vor allem, das die langfristige Verzögerungen und deren Auswirkungen in der Regelung dem gesunden Menschenverstand viel Mühe machen, obwohl natürlich jeder Bauer weiss, dass man im Winter sähen muss, wenn man im Sommer ernten will, und dass man einige Jahre warten muss, bis ein neu gepflanzter Baum Früchte trägt. Ich glaube, dass Theorien insgesamt der Intuition widersprechen. Es ist gerade der Sinn von Theorien die praktische Perspektive aufzuheben, die ihre "Erklärungen" nicht weiter hinterfragt. Die biologische Systematik von C. Linne etwa zeigt, das Wale keine Fische, Baumnüsse keine Nüsse und Erdbeeren keine Beeren sind, während der praktische Verstand diese Gegenstände ganz anders ordnet. G. Galileis wesentlicher Beitrag zur Wissenschaft ist nicht, dass er das Fernrohr oder das Experiment erfunden hätte, sondern sein Vorschlag in Fiktionen wie dem freien Fall zu denken, der auf der Erde ja - jenseits des Experimentes - nirgendwo vorkommt. Die operationelle Geschlossenheit von Systemen ist eine Fiktion. Sie macht bewusst, dass das System immer so gewählt werden kann, dass jede Kommunikation und mithin auch jedes Feedback innerhalb des Systems stattfindet. Nebenbei: Fiktion heisst Tat-Sache, steht also für eine Sache, die der Fall ist, weil ich es so "mache" (fingo). |
Natürlich kan ich mich fragen, wieso das Thermometer in meiner Wohnung eine bestimmte Temperatur hat. Das ist aber eine andere Frage, als die Frage nach dem Grund der konstanten Raumtemperatur. Es sind zwei verschiedene Phänomene, die ich beobachte. Und natürlich kann ich für beide Phänomen Erklärungen konstruieren. Wesentlich im Sinne der Systemtheorie ist, dass ich mir als Beobachter bewusst mache, was ich erkläre und wo ich zusätzliche ungeprüfte Hypothesen verwende.
Das, was den Regelungsbedarf eines Systems verursacht, nenne ich Perturbation. Den Ausdruck "Perturbation" verwende ich, weil der Ausdruck "Störung" oft negativ konnotiert ist, im Falle von Regelung aber natürlich eine wertfreie Störung gemeint ist. Meine Heizung bevorzugt weder "schlechter" noch "gutes" Wetter. Und das Thermometer hat auch nicht lieber, wenn es eine bestimmte Temperatur anzeigen darf. Perturbation nenne ich ein Signal, das in einem System zu Kompensation führt. Die Perturbation kann ich als Einfluss der Umwelt sehen oder als Zustand des Systems selbst. Das ändert an der Funktionsweise des Systems nichts. Aber mein Gegenstand ändert sich, wenn ich die Um-Welt des Systems einbeziehe. Der sprichwörtliche Fisch weiss vom Wasser nichts, in welchem er schwimmt. Der aussenstehende Beobachter dagegen sieht das Aquarium und den Fisch. Meine Körpertemperatur kann beispielsweise in einer heissen Badewanne steigen, so dass mein Körper mit einer Erweiterung der Blutgefässe reagiert. Mein Körper weiss aber von der Badewanne nichts, er reagiert auf seine Temperatur. Nur ich als aussenstehender Beobachter weiss, dass ich in der Badewanne liege. Als Beobachter kann ich - systemtheoretisch gesehen - die Funktionsweise des Körpers oder die Funktionsweise des Badewannen-Aquariums beobachten. In der Badewanne verändert sich die Temperatur allenfalls so, dass die darin liegenden Fische wärmer und das Wasser kälter wird. |
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Ich kann jede Um-Welt kann durch eine neue Wahl des Systems integrieren. Klassischerweise beschreibe ich diesen Zusammenhang quasi umgekehrt damit, dass ich Sub-Systeme bilde. Subsysteme sind Entitäten, die ich systemtheoretisch individuell beobachten kann.
Die Wahl des Systems definiert die Systemgrenzen. Die Bestimmung der Systemgrenzen ist ein kritisches Merkmal für verschiedene Auffassungen von Systemtheorie. H. Maturana's autopoietische Maschinen etwa sind hautbegrenzt (skinencapselt). Die Einzeller, die er als eigentliche autopoietische Maschinen bezeichnet, produzieren sich selbst, indem sie eine Haut produzieren. Die erste Operation in der Autopoiese ist Abgrenzung, durch welche das Lebewesen überhaupt als Identität entsteht. N. Luhmann's "funktionale Systeme" sagen quasi, wer mitmachen darf und deshalb Bestandteil des Systemes ist. Eine Religionsgemeinschaft etwa tauft ihre Mitglieder. Bei einem Verein sagen die Vereinsmitglieder, wer zum Verein gehört und wer nicht. In der Systemdynamics werden normalerweise gar keine Grenzen bestimmt, es wird vielmehr einfach festgelegt, welche Variablen als zum System gehörig betrachtet werden (29).
In der vorliegenden konstruktiven Systemtheorie ist die Systemgrenze konstruktiv durch die "Grenze" des jeweiligen Mechanismus, den ich als System verwende, gegeben. Eine wirkliche Maschine wie Heron's Tempeltüröffner macht ihre Grenzen nicht selbst und sagt auch nichts über sich. Also muss ich als Beobachter bestimmen, wovon ich spreche. Wenn ich beispielsweise das Phänomen einer konstanten Raumtemperatur mittels einer thermostatengeregelten Heizung erkläre, rekonstruiere ich die Heizung als System. Ueber den Umfang einer Heizung spreche ich verschieden, je nachdem ob ich sie zum Heizen oder zum Erklären verwende. Wenn ich eine thermostatengeregelte Heizung kaufe, wenn ich also heizen will, steht im Kaufvertrag, was zur Heizung gehört und was nicht. Dort muss etwa festgelegt werden, ob die Kaminkonstruktion und Oelzuleitungsstutzen in der Hauswand und diverser Kleinkram, wie Stromkabel und die Schrauben, mit welchen die Heizung im Haus verankert wird, zur Heizung gehören oder als Zusatzaufwände berechnet werden. Wenn ich die Heizung zum Erklären verwende, stelle ich mir solche Fragen nicht. Natürlich besteht auch die "erklärende" Heizung wie jene, die ich kaufe, aus dem Material, das ich für sie brauche. Der Oelbrenner und der Thermostat gehören zur Heizung. Der Keller, in welchem die Heizung steht, und das Heizoel, das ich zum Heizen brauche, gehören nicht zur Heizung. Und natürlich gehört auch die Raumluft, die ich mit der Heizung erwärme, nicht zur Heizung. Diese Bestimmungen treffe ich schon als deutender Beobachter, bevor ich mich mit der Funktionsweise des Mechanismuses befasse. |
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Konstruktiv ziehe ich die Systemgrenzen dort, wo die primären und die sekundären Energiekreise unterbrochen sind. Zur Heizung gehört also der Oeleinfüllstutzen bis zum Ventil, und zum Thermostaten gehört allenfalls das Stromkabel bis zur Steckdose. Bei vielen Maschinen sind die Energiekreise an mehreren Stellen unterbrochen. Bei unser Heizung gibt es ein Ventil zwischen der Heizung und dem Oeltank, dass jenseits von Reparaturen immer offen ist, also für das Heizen im engeren Sinn keine Funktion hat. Mein Computer etwa hat eine Steckdose für das Stromkabel. Deshalb betrachte ich das Kabel als eigenständigen Gegenstand, den ich auch seperat kaufen und transportieren kann. Der Thermostat meiner Heizung dagegen ist festverdrahtet, das heisst, es gibt keine Steckdose. Er ist sozusagen mit dem Elektrizitätswerk, das uns Strom liefert, zusammengebaut. Wenn ich etwas an der Stromversorgung der Heizung machen will, trenne ich die Leitung, indem ich die Sicherung aus ihrer Fassung drehe. Somit ist die Energie (des sekundären Energiekreises) bei der Sicherung unterbrochen. Intuitiv würde ich die Systemgrenze bei meiner Heizung nicht am Sicherungskasten ziehen. Ich habe aber keine vernüftige Begründung für mein intuitives Gefühl, ausser dass der Konstrukteur der Heizung genau dort, wo meine Intuition hinzeigt, eine klare Schnittstelle mit einem Stromschalter konstruiert haben könnte. Ob ich solche Energiekreise konstruktiv unterbreche oder nicht, ist in meinem Belieben als Konstrukteur. Darin sehe ich aber keine Beliebigkeit für die Wahl der Systemgrenzen im theoretischen Sinn.
Wenn ich die Heizung als Erklärung verwende, sehe ich die Heizung als eine funktionale Einheit. Mit der Heizung will ich heizen, also beispielsweise Oel in warme Luft verwandeln. Die Heizung hat abstrakt gesprochen die Funktion, diese Umwandlung auf Abruf, sicher und im gewünschten Ausmass zu gewährleisten. Funktional bin ich natürlich nicht an einer Energieumwandlung interessiert, sondern an einer warmen Wohnung. Konstruktiv muss ich aber die Organisation die Energieumwandlung erklären.Die Heizung steht in diesem Energiefluss. Ich betrachte die Heizung als Teil dieses Energieflusses, nicht umgekehrt. Wenn ich die Heizung als System verwende, beschreibe ich, wie die Energie umgewandelt wird. Die Energie setze ich voraus, wie ich als Konstrukteur einer Oelheizung voraussetze, dass es Heizoel gibt. |
Als operatives Kriterium für die Systemgrenzen sehe ich die Energieumwandlungen selbst. Als System sehe ich unter diesem Gesichtspunkt den Mechanismus, der diese Umwandlung und deren Regelung repräsentiert. Dabei betrachte ich die primäre und die sekundäre Energie getrennt. An der Umwandlung der primären Energie bin ich funktional interessiert. Bei meiner Heizung etwa ist die Energie als Heizoel im Tank und als Wärme in den Radiatoren, was eben der Funktion der Heizung entspricht. Die Umwandlung selbst passiert - etwas vereinfacht gesagt - im Oelbrenner. Der Oeltank und die Radiatoren "strecken" diesen Prozess. Der Zustand des Oeltanks und Zustand der Radiatoren der Heizung sind "gestreckt" vom Zustand des Oelbrenners abhängig. Im Prinzip könnte ich meine Wohnung auch heizen, indem ich eine offene Flamme am Ende einer Oelleitung, die in einem Oelfeld beginnt, von Hand reguliere. Alles, was ich als Mechanismus dazwischen baue, hat praktische Gründe - eben etwa, dass ich ohne mein Zutun eine konstante Temperatur in meinen Wohnräumen habe.
Der systemtheoretisch eigentlich interessierende Prozess ist die Regelung, die sekundäre Energie verbraucht. Ein Regelkreis ist ein Kreis und hat als solcher keinen Anfang. Operativ unterbreche ich den Kreis dort, wo die sekundäre Energie ihre Quelle hat. Dem Thermostaten führe ich "konstruktiv" Energie zu, dem Termometer dagegen nicht, denn der Thermostat bekommt auf konstruiertem Weg ein Signal vom Thermomter, das Thermometer dagegen bekommt kein Signal. Das Thermometer fungiert also als materielle, konstruierte Quelle einer operativen Energie. Das Thermometer bildet die Systemgrenze, woher das Thermometer seine Energie bezieht, ist operativ unerheblich (30). |
Im Falle der Heizung erschöpft sich die Aktorseite des Systems im Heiss-Sein. Im Falle von Heron's Tempeltüröffner wird die Wärme nochmals in die Bewegung der Türen umgesetzt.
In der konstruktiven Perspektive erscheinen Mechanismen operationell geschlossen, weil mich nicht interessiert, in welcher Umwelt sie stehen. Ich beschreibe sie unabhängig von ihrer Umwelt und von ihrer Funktion. W. Ashby schreibt (in einem der grundlegendsten Büchern zur Kybernetik): "Tatsächlich könnte man Kybernetik definieren als Erforschung von Systemen, die offen für Energie, aber geschlossen für Information, Regelung und Steuerung sind, - von Systemen, die 'informationsdicht' sind (Einführung in die Kybernetik:19). Anstelle von "informationsdicht" spreche ich von "operationell geschlossen", weil ich auch den unsäglichen Ausdruck "Information" in diesem Zusammenhang nicht verwenden will. Ausserdem suggeriert W. Ashby's Formulierung, dass es auch Systeme gibt, die auch für Information offen sind. Die operationelle Geschlossenheit ist natürlich keine Eigenschaft von Mechanismen, sondern ein Resultat der konstruktiven Beobachterperspektive. Da ich Systeme definitionsgemäss in der konstruktiven Perspektive wahrnehme, nehme ich sie - wie W. Ashby - immer und ausschliesslich als operationell geschlossen wahr.
In dieser Perspektive reagiert der Mechanismus auf seine eigenen Zustände. Verkürzt könnte man den Heizkörper einer Heizung als Thermometer auffassen, da sich der Heizkörper natürlich wie eine Quecksilbersäule dehnt, wenn er wärmer wird. Wenn der Heizkörper in einer kalten Umgebung steht, wird der Heizkörper (gemäss einer hier nicht untersuchten Hypothese) relativ kälter und zieht sich zusammen. Das heisst, der Regelkreis braucht keine Raumluft, er braucht nur Variation (am Heizkörper), damit es überhaupt etwas zu regeln gibt. Das wäre etwa der Fall, wenn man anfängt zu heizen, bis das System eingeschwungen hat. Weniger verkürzt reagiert der Mechanismus - kybernetisch moduliert - auf seine eigenen Zustände. Mit "kybernetisch moduliert" umschreibe ich, dass ich in der Beschreibung des Regelkreises "Strecken" und "Perturbationen" (oder Störungen) verwende.
Ich will die operationelle Geschlossenheit noch an einem Beispiel illustrieren, das ich später wieder aufgreifen werde. Wenn ich mit verbundenen Augen in ein Flugzeug-Cockpit geführt werde, kann ich als Pilot bei einem hinreichend guten Simulator nicht wissen, ob ich in einem Simulator oder in einem Flugzeug sitze, weil ich keinen Unterschied feststellen kann. Nur ein aussenstehender Beobachter kann den Unterschied sehen. Wenn ich als Pilot in einem Flugsimulator sitze, ist die Anzeige auf den Instrumenten natürlich durch einen andern Mechanismus begründet, als wenn ich ein Flugzeug fliege. Als Pilot verhalte ich mich aber in beiden Fällen gleich, weil ich eben in beiden Fällen auf die Instrumente achten muss. Was ich als Pilot dabei wirklich - im Sinne von "was wirkt" - wahrnehme, ist das Reagieren der Instrumente auf meine Handlungen beim Steuern. Das heisst, ich reagiere auf den Zustand der Instrumente, also auf den Zustand des Flugzeuges, nicht auf die Um-Welt des Flugzeuges, denn die Instrumente gehören natürlich zum Flugzeug, nicht zur Um-Welt des Flugzeuges. Ein aussenstehender Beobachter wird aber, wenn er mich mit einem Flugzeug landen sieht, annehmen, dass ich auf die Um-Welt des Flugzeuges reagiere, weil ich auf der Landepiste lande und nicht daneben. Das heisst, der Pilot und sein Beobachter beobachten verschiedene Dinge. Für den Piloten ist die Um-Welt unerheblich im eigentlichen Sinne des Wortes, als deutender Beobachter dagegen sehe ich das Flugzeug im konsensuellen Bereich. Ich weiss, wozu Flugzeuge gut sind, und wie sie sich verhalten müssen. |
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Ich will hier kurz zwei konsensuelle Bereiche vorwegnehmen, die ich später aufgreifen werde, nämlich die Sprache und das Lernen. Ein "sprechendes System" macht in bestimmten Situationen ganz bestimmte Geräusche, die ein deutender Beobachter als Wörter mit einem Sinn verstehen kann. Da das sprechende System als System keine Aussensicht hat, dienen diese Geräusche konstruktiv gesehen nicht dazu, dass sie von jemandem verstanden werden. Diese Geräusche dienen der Steuerung des Systems. Wenn ich in den Augen eines deutendn Beobachters etwas sage, reagiere ich konstruktiv gesehen mit bestimmten Massnahmen auf meinen eigenen Zustand, so wie ich es als Pilot im Simulator mache.
Es gibt Systeme, die ihre Massnahmen verändern, wenn diese nicht zum Sollwert führen. Das kann man als deutender Beobachter als Lernen oder als adaptives Verhalten interpretieren. Konstruktiv geht es aber natürlich nicht um eine Anpassung an die Umwelt, sondern um eine systeminterne Veränderung, die das Erreichen eines Sollzustandes optimiert. Systemtheoretisch beschreibe ich das Verhalten von Systemen konstruktiv. Ich verwende dabei keine aussenstehende Deutung, die dem System gar nicht zugänglich sind. Hypothesis non fingo.
Ich werde kurz etwas über "offene Systeme" sagen, bevor ich auf den deutenden Beobachter eingehen werde.
Jenseits der Systemtheorie gibt es unzählige Auffassungen von "Systemen". Im Alltag wird sehr oft von "offenen Systemen" gesprochen, die auf Input oder auf Informationen reagieren und sich allenfalls adaptiv verhalten. Eine Quelle solcher Vorstellungen ist die Systemlehre von L. von Bertalanffy. Anfänglich (ab 1928) schrieb der Biologe in Beiträgen zur Biologie über offene Systeme, später (während des 2. Weltkrieges) wechselte er den Focus und schrieb über Systeme in der Biologie, was er - im nationaldeutschen Sprachraum - zunächst Systemlehre nannte (31). Erst im akademischen Wiederaufbau übernahm er den von den amerikanischen Siegern verwendeten Ausdruck "Theorie". Aber auch dann blieb er bei seinen "offenen Systemen", die er als biologische Organismen von maschinellen Systemen unterscheiden wollte. Er übte scharfe Kritik an der "mechanistischen" Kybernetik, die bewusst und explizit von Steuerung in Maschinen und Tier gesprochen hat.
L. von Bertalanffy schrieb: „Ein System ist dann geschlossen, wenn keinerlei stofflicher Träger von aussen eingeht oder es verlässt; es ist offen, wenn es zwischen ihm selbst und der Umwelt einen stofflichen Austausch gibt (...). Lebende Systeme sind immer offene Systeme, weil sie beständig einen Austausch von Elementen mit der Umwelt unterhalten und somit stets ihre einzelnen Komponenten neu aufbauen und wieder zerstören.“ L. von Bertalanffy beschreibt damit, was ein Lebewesen (aus)macht (32). Mir ist eigentlich unklar, weshalb er dabei Lebewesen als Systeme bezeichnet, aber der Ausdruck "System" wird in der Philosophie und in der philosophisch angehauchten Naturwissenschaft eben sehr umfassend verwendet. Die Griechen meinten mit "systema" eine bewusst hergestellte Ordnung, wie sie in allen Artefakten und hypothetisch überall im Kosmos (also jenseits des Chaos) zu finden ist. In der westeuropäischen Philosophie wurde der Ausdruck System dann zunächst für hypothetische Konstruktionen - wie sie etwa G. Galilei in den Augen der Kirchenvertreter vorgeschlagen hat - verwendet. Später nannte man rationale Lehren insgesamt System, und schliesslich heissen in dieser Tradition Ordnungs-Lehren, wie sie C. von Linné begründet hat, noch heute "System". Ich verwende für diese Zusammenhänge den Ausdruck Systematik. Ich glaube, dass L. von Bertalanffy den Ausdruck "System" in dieser systematischen Tradition verwendet hat, und deshalb sehr irritiert war, als die Kybernetiker den Ausdruck für eine ganz andere Sichtweise verwendeten, in welcher es vor allem um Information (sekundäre Energie) statt um (primäre) Energie ging (33). |
Bei einem Mähdrescher gehen Benzin und Aehren rein, und Korn, Stroh und Abgase und Wärme kommen raus. |
Technologisch gesehen bewegt sich L. von Bertalanffy auf der Ebene von Maschine, wo es eben um Energie geht, während N. Wiener von Automaten spricht, wo es um die Steuerung mit Information geht. L. von Bertalanffy hat seine Lehre geschrieben, als er noch nichts von Computern wusste, N. Wiener war in den Technologieprojekten engagiert, aus welchen die Computer hervorgingen.
Die Thermodynamiker und mithin die Physiker sprechen im Zusammenhang mit der Entropie von energetisch offenen und geschlossenen Systemen. Dabei wird der Ausdruck System aber nochmals ganz anders verwendet. In dieser Umgangssprache der Physiker steht der Ausdruck System für energetische Räume, die sie für lokale und universelle Wärmetodvorstellungen brauchen. Die Physiker postulieren, dass in energetisch geschlossenen Systemen jede Ordnung zerfällt. Die Erde etwa lebt von der Energie der Sonne, sie ist deshalb ein energetische offenes System.
Und schliesslich gibt es auch hitzige Diskussionen darüber, ob Systeme "an sich" offen oder geschlossen sind. Von all diesen Dingen ist hier nicht die Rede. Hier geht es nicht darum, ob Systeme offen sind, sondern darum, dass ich Systeme unter der Perspektive eines konstruierenden Beobachter als operationell geschlossen auffasse. Das heisst, es geht um eine Sichtweise, die ich bewusst wählen oder nicht wählen kann. In der Systemtheorie mache ich - wie H. Ashby und N. Wiener - konstruktiv nur und ausschliesslich Aussagen über operationell geschlossene Systeme. In der mit Mechanismen denkenden Systemtheorie ist sachlogisch klar, dass Mechanismen durch Energie bewegt werden, die sie nicht selbst produzieren, von Perpetuum mobile war nur in extrem seltenen Ausnahmen die Rede. Die Systemtheorie behandelt die Steuerung der Energiekreise, nicht die Frage, woher die Energie kommt. Die Geschlossenheit bezieht sich also nicht auf Energie, sondern die Funktionsweise. Die operationelle Geschlossenheit entspricht einer bestimmten Perspektive, die für die konstruktive Systemtheorie konstitutiv ist. Die operationelle Geschlossenheit ist kein Postulat über das Wesen von Lebewesen oder über die Funktion von Maschinen.
In der Perspektive des deutenden Beobachters nehme ich den konsensuellen Bereich von Beobachtern wahr, also die Funktionen der Gegenstände, die mir als deren Sinn oder Bedeutung erscheinen. Ich nehme nicht irgendwelche Pixelmuster oder Gestalt-Figuren wahr, die ich deuten müsste, sondern meine "Deutungen", also bedeutungsvolle Gegenstände, die ich mit Begriffen oder Eigennamen bezeichnen kann. Ich nehme also nicht eine Menge Ziegelsteine oder eine Konstruktion aus Metallträgern, sondern beispielsweise einen Tempel, eine Brücke oder den Eifelturm wahr. |
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Unter normalen Umständen spreche ich nicht über die Gegenstände meiner Wahrnehmung, weil - im Sinne eines Konsenses - jeder ohnehin schon weiss, was zu sagen wäre. Wenn beispielsweise von einer thermostatengeregelten Heizung die Rede ist, weiss jeder, dass sie die Temperatur mehr oder weniger konstant beim Bedürfnis des Heizenden hält. Als deutender Beobachter spreche ich allenfalls über Verhältnisse, in welchen die Heizung vorkommt, etwa über den besten Preis oder über Vorteile einer bestimmten Heizung.
Ueber die Heizung selbst spreche ich als deutender Beobachter explizit, wenn ich (noch) nicht weiss, was eine Heizung ist, oder wenn sie nicht funktioniert, also wenn der Konsens nicht gegeben oder gestört ist. Im ersten Fall kann sein, dass ich das Wort "Heizung" nicht verstehe, oder die Sache nicht kenne, in beiden Fällen gewinne ich potentiell neue Bedeutungen. Im zweiten Fall weiss ich, was eine Heizung ist, und welche Funktion sie erfüllen sollte. Wenn sie nicht tut, was sie tun sollte, interessiere ich mich die Funktionsweise. Ich kann dann meine Beobachter-Perspektive wechseln und die Heizung als konstruierender Beobachter betrachten - oder einen Servicemann rufen, der die konstruktive Perspektive von berufswegen hat.
Das Deuten des deutenden Beobachters ist naturwüchsig, es wird aber natürlich kultiviert, wo beispielsweise Kunstwerke (sogar richtig oder falsch) oder Zeichen "gedeutet" werden. Wenn ich das Bild eines Künstlers anschaue, sehe ich sofort, dass es Bild ist, aber ich sehe nicht ohne weiteres, was es bedeuten soll - wie übrigens auch beim griechischen Tempel.
Ich mache einige konsensuelle Anmerkungen, die ich später aufheben werde. Ich spreche also zunächst über Deutungen, die ich als deutender Beobachter verwende, um mein Operieren als sinnvoll zu verstehen.
Es gibt in der Alltagsprache einige sehr bedeutungsvolle Ausdrücke, mit welchen man den Beobachter quasi funktionell charakterisiert. Eine solche Pseudofunktion ist die Wahrheit, die jeder Beobachter funktionell anzustreben scheint. Im Umfeld von N. Luhmann wird Wahrheit als symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium aufgefasst, also als eines der Mittel, die das Kommunikationssystem in Gang halten. Lapidar ausgedrückt: Kommunikation findet statt, weil die Wahrheit von sich aus mitgeteilt werden will - was gut damit korrespondiert, dass der Alltagsverstand sehen möchte, was wirklich der Fall ist. Wahrheit hat in diesem funktionalen Sinn einen moralischen, einen logischen und einen pragmatischen Wert. Die Moralisten sagen, Du sollst nicht lügen. Die Logiker sagen, logische Aussagen seien wahr oder falsch. Pragmatiker sprechen von Wahrheitsbedingungen für Wortbedeutungen. In all diesen Fällen ist für mich wahr, was ich für wahrnehme, also - mit welchen Gründen auch immer - als wahr annehme.
Als Wahrnehmung bezeichne ich die Handlung, die dazu führt, dass ich etwas - im alltagssprachlichen Sinn - für wahr halte. Als deutender Beobachter nehme ich unter anderem für wahr, was ich mit meinen Augen sehe. Weil ich weiss, dass es beispielsweise optische Täuschungen und Zaubertricks gibt, kann ich mit weiteren Wahrnehmungen überprüfen, wie wahr meine Wahrnehmung ist. Dabei bleibe ich aber natürlich innerhalb meiner Wahrnehmungen. Umgekehrt hat jeder Falsifikationsversuch pragmatische Grenzen. Wenn ich etwas hinreichend geprüft habe, nehme ich es für so wahr, dass ich mein Handeln darauf abstütze.
Das Wahrnehmen sehe ich als aktives Handeln. Wenn ich beispielsweise den Eifelturm sehen will, muss ich meine Augen nach Paris tragen. H. Maturana sagt deshalb, dass wir mit den Füssen sehen. Er drückt damit anschaulich aus, dass Wahrnehmung einer Strukturveränderung des wahrnehmenden Organismus entspricht. Ich werde darauf zurückkommen. S. Cecatto gibt ein - in vielen Hinsichten - interessantes Beispiel: Er analysiert die Operationen bei der Wahrnehmung einer (gedehnten Kreis-)Figur. Man kann eine Tischplatte von oben sehen, wenn man alles, was innerhalb der gezeichneten Linie als Vordergrund auffasst, oder eine Fenster, wenn man alles, was ausserhalb der Linie ist als Vordergrund auffasst, oder ein Kettenglied, wenn man die Linie selbst als Vordergrund auffasst. Als deutender Beobachter sehe ich normalerweise keine Strichzeichnungen, sondern Gegenstände wie Tischplatten oder Fenster. S. Ceccato ist in seinem Beispielen von der Gestaltpsychologie (Figur-Hintergrund) geprägt, die Erklärungen konstruiert. In bezug auf Handlungen geht es mir darum, dass diese Erklärungen operativ sind. Sie sagen mir, was ich tun muss, wenn ich ein Fenster oder ein Kette sehen will - sie sagen mir, wir ich handeln muss. "Wahr" ist dann, dass ich die Gegenstände visuell "nehmen" kann, wenn ich wie beschrieben handle. |
Wenn ich beispielsweise den Wasserfall von C. Escher anschaue, nehme ich etwas wahr, was mich irritiert (oder perturbiert). Das heisst ich habe Vorstellungen davon, was ich sinnvollerweise sehen kann und was nicht. Bei aufwärtsfliessendem Wasser muss ich etwas tun - beispielsweise Erklärungen suchen - um meine Wahrnehmung wieder unter meine Kontrolle zu bringen (34). |
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Als deutender Beobachter nehme ich in Handlungszusammenhängen wahr, die mir funktionale Deutung ermöglichen. Ein Stück Tuch mit Farbflecken nehme ich im Hinterhof eines Malergeschäftes anders wahr, als wenn es in einem Kunstmuseum hängt. Im einen Fall sehe ich einen Putzlappen, im andern Fall ein Gemälde. In beiden Fällen sehe ich aber Gegenstände, die eine Bedeutung haben.
Wenn ich hergestellte Gegenstände (Artefakte) wahrnehme, nehme ich die funktionelle Bedeutung der Gegenstände wahr, die immer an Handlungen gebunden ist. Wenn ich einen Putzlappen sehe, sehe ich ihn als Bestandteil der Handlung "putzen", wenn ich ein Gemälde sehe, sehe ich ein Handlungsresultat. Funktion und zugehörige Handlungen sind kontingent, das farbige Tuch kann beides sein, aber nicht beliebig viel anderes, weil ich nicht beliebig viele Handlungen kenne, die ich sinnvoll auf ein farbiges Tuch beziehen kann.
Auch wenn ich nichthergestellte Gegenstände wahrnehme, setze ich sie in Relation zum Handeln. Wenn ich etwa einen Maler sehe, sehe ich mit, dass er Putzlappen in den Hinterhof werfen oder Bilder in einem Museum aufhängen könnte. Und wenn ich eine Landschaft sehe, sehe ich kontingent, dass in ihr eine Stadt stehen könnte, in welcher ein junger Mann in einem Museum ein Bild anschaut (35).
Dass bestimmte Bilder in Museen hängen, macht Sinn im Handlungszusammenhang "Kunst". Bevor die Werke als Kunst gesehen wurden, gab es den Handlungszusammenhang "Kunst" nicht. Das Phänomen "Werk" war dann beispielsweise gutes Handwerk. Den Uebergang zwischen Handwerk und Kunst bezeichne ich als Kunsthandwerk. Wenn jemand für ein Stück bemalte Leinwand ein Million Franken bezahlt, ist das im Handlungszusammenhang der Warenökonomie von Handwerkern nicht "verstehbar". Wenigstens halbwegs sinnvoll beschreiben lässt sich dieses Verhalten aber im Handlungszusammenhang "Kunst".
Handlungszusammenhänge sind ideologisch, weil sie Funktionalitäten unterstellen, die willkürlich sind. Dass ein Hammer zum Hämmern gemacht wurde, kann der Hammermacher berichten. Wozu aber die Sprache, die Religion, die Gesellschaft sind, kann nicht einer sagen, der sie hergestellt hat. Im Umfeld von N. Luhmann werden Handlungszusammenhänge als Systeme bezeichnet, weil sie soziales Verhalten erklären sollen. In meiner Systemtheorie dienen die Handlungszusammenhänge lediglich zur Charakterisierung von Phänomenen, die ich erklären will.
Ein spezifischer Handlungszusammenhang ist die Kommunikation. Als Beobachter mache ich Aussagen über meine Wahrnehmungen. Dabei verwende ich Symbole, mit welchen ich auf etwas verweise. Die vorliegende Systemtheorie 2. Ordnung ist beispielsweise eine solche Aussage. Als deutender Beobachter kann ich Aussagen meiner Mitmenschen ver-stehen. Wenn mir jemand sagt, dass er mich am Samstag an der Bahnhofstrasse in Zürich treffen will, frage ich nach dem genauen Ort und beweise so, dass ich weiss, worum es geht, und allenfalls auch zum Treffen kommen kann. Als konstruierender Beobachter würde ich allenfalls sehen oder hören, dass ein anderes Lebewesen bestimmte Geräusche und Gesten macht, etwa wie wenn meine Katze miaut. Als deutender Beobachter kann ich diese Geräusche - die mir im Normalfall gar nicht als Geräusche erscheinen - als Repräsentationen verstehen. Ich weiss, was und wo Zürich ist, ich weiss, was und wo die Bahnhofstrasse ist. Ich weiss, was ein Bahnhof und was eine Strasse ist. Und ich weiss, dass ich mich auf diese Dinge zusammen mit anderen Menschen beziehen kann, weil wir diesbezüglich konsensuelle Bereiche haben. Bestimmte Handlungen nehme ich als Kommunikationen wahr. Ich werde später systemtheoretisch über diese Handlungen sprechen.
Als deutender Beobachter deute ich Aussagen eines Beobachters als symbolische Repräsentationen. Repräsentation nenne ich sowohl das Präsentmachen einer gemeinten Sache und das Artefakt, welches ich dazu verwende. Symbolisch nenne ich die Repräsentation, wenn ich dafür ein Symbol verwende. Wenn ich den Eifelturm wieder sehen will, kann ich nach Paris fahren, oder ein Bild von ihm betrachten. Im zweiten Fall repräsentiere ich den Eifelturm symbolisch. Das Symbol und die damit gemeinte Sache sind verschiedene Gegenstände (the map is not the territory), mit dem Symbol repräsentiere ich den gemeinten Gegenstand. Ich kann also Bedeutungen reproduzieren, ohne die Bedeutungsträger herzustellen. In der symbolischen Repräsentation kann ich insbesondere auch bestimmte Aspekte referenzieren. Ich kann von einem Turm oder einer Pfeife sprechen, ohne damit eine bestimmte Form oder ein bestimmtes Material mitzumeinen. Ich kann etwa in Konstruktionszeichnungen Ansichten zeichnen, die am Referenten nicht ohne weiteres zu sehen sind. Ich unterscheide zwei symbolische Repräsentierungsarten: |
R. Magritte sagt: Ceci n'est pas une pipe. |
analog
und digital |
Ich nenne alle symbolischen Repräsentationen Symbol, die analogen Symbole nenne ich Abbildungen. Digitale Symbole nenne ich im gegebenen Fall (Eigen-)Name oder Beschreibung. Als deutender Beobachter kann ich angesichts eines Bildes von einer Pfeife sagen: "Das ist eine Pfeife", obwohl ich sehe, dass es ein Bild ist. Wenn ich als deutender Beobachter die Pfeife auf dem Bild anschaue, sehe auch auf dem Bild nicht Farbflecken, die ich deuten muss, sondern eben die Pfeife. |
Ich finde offensichtlich, dass die Buchstabenkette "Eifelturm" in keiner Weise so aussieht wie der Eifelturm. Die Repräsentation ist also keineswegs immer eine Abbildung. Die Repräsentation kann ein vereinbartes digitales Symbol sein. Bestimmte digitale Symbole nehme ich als Resultat von Sprechhandlungen wahr. Als Sprechhandlungen deute ich als Beobachter jene Verhaltensweisen, die ich als "Aussagen machen" interpretieren kann. Sprechhandlungen sind jene Tätigkeiten, die ich sprachlich direkt (Er sagt: "Das Haus ist rot") und indirekt (Er sagt, das Haus sei rot) darstellen kann. Ich verwende den Ausdruck Repräsentation auch sehr viel allgemeiner, wenn ich etwa eine bestimmte Massnahme oder Operation in einer bestimmten Maschine repräsentiert sehe.
Repräsentierende Aussagen mache ich sowohl als deutender wie auch als konstruierender Beobachter. Das Repräsentierte - den Referenten der Abbildung - nehme ich aber immer als deutender Beobachter wahr. Wenn ich beispielsweise eine Konstruktionszeichnung von einer Heizung betrachte, sehe ich eine Zeichnung und auf der Zeichnung eine Heizung. Ich sehe also gedeutete Gegenstände, auch wenn der Zeichner die Heizung in einer konstruktiven Perspektive dargestellt hat. Natürlich kann ich sowohl in bezug auf die Zeichnung wie auch auf die Heizung auch eine konstruktive Perspektive einnehmen, aber zunächst oder unwillkürlich sehe ich die bedeutungsvollen Gegenstände.
Wenn ich als deutender Beobachter von Repräsentationen spreche, meine ich das vereinbarte Verhältnis zwischen Symbol und Symbolisiertem. Es kümmert mich nicht, ob ich die Wirklichkeit wirklichkeitsgetreu abbilde oder nicht. Ich bin nur daran interessiert, mich mit andern Menschen relativ verbindlich kommunizieren zu können. Wenn ich mich mit jemandem an der Zürcher Bahnhofstrasse oder auf dem Eifelturm treffen will, ist mir gleichgültig, wie adäquat meine Vorstellung des Eifelturms den Eifelturm "abbildet" oder "repräsentiert". Komisch wird die Geschichte nur dann, wenn ich behaupte, dass ich mir die Wirklichkeit so vorstelle, wie sie wirklich sei. Aber das würde ich nur in speziellen Situationen in Erwägung ziehen. Normalerweise ist das kein Thema für mich.
In der 2. Ordnung beobachte ich mein Beobachten. In der Systemtheorie 2. Ordnung beobachte ich mich als ein System. Durch die Systemtheorie (dia logos) schaffe ich ein spezifisches Selbstverständnis, in welchem meine Für-wahrnehmungen aufgehoben sind. Ich beobachte also mein Beobachten als Phänomen, wobei ich Autor der Beobachtung bin und auch das beobachtete System repräsentiere. In dieser Perspektive verwende ich die Systemtheorie als Reflexionsmittel, in welchem ich mein Beobachten spiegle. Ich werde also die Systemtheorie 1. Ordnung perspektivisch von einem andern Standpunkt wiederholen und nochmals durchschreiten. Beobachter beobachten kann ich als Beobachter, indem ich andere Beobachter beobachte oder mich selbst. Wenn ich andere Beobachter beobachte, beobachte ich in der 1. Ordnung, das heisst, ich beobachte meine Um-Welt. Wenn ich mich selbst beobachte, bin ich wie der Junge, sich im Bild "Galerie" von M. Escher selbst im Museum sieht, während ich als Bildbetrachter den Jungen, also einen andern Beobachter im Museum sehe. Der Junge in C. Escher's Bild wäre ein Beobachter 2. Ordnung, er ist aber natürlich kein Junge, sondern ein Teil einer Fiktion (ca n'est pas une pipe!), und mithin auch gar kein Beobachter. Der "blinde Fleck" im Zentrum des Bildes repräsentiert, dass ich mein Gesicht nicht sehen kann. Ich kann mich aber in dem erkennen, was ich erkennen kann. |
Als deutender Beobachter sehe ich mich beispielsweise vor einen griechischen Tempel mit sich automatisch öffnenden Türen. Ich nehme wahr, dass ich Aussagen über sein Funktionieren mache. Ich nehme wahr, dass ich ein Phänomen generiere und dieses mittls eines Mechanismus erkläre. Ich nehme wahr, dass meine Erklärungen aus unterstellten Konstruktionen bestehen, die den Inhalt einer Blackbox beschreiben. Bestimmte Blackboxen wie etwa eine thermostatengeregelte Heizung zeigen ein komplexes Verhalten. Ich habe aber die Möglichkeit, auch solche Blackboxen zu rekonstruieren, indem ich sie mit Automaten fülle. Bestimmte Blackboxen, wie etwa der Computer, den ich gerade vor mir habe - er ist auch im wörtlichen Sinne eine Blackbox -, kann ich manipulieren und Input-Output-Relationen beobachten, die ich bei meiner Rekonstruktion quasi wiederfinde. |
Hier geht es mir nicht darum, wie der Computer oder eine andere Blackbox funktioniert, das war die Frage im ersten Kapitel. Hier geht es darum, wie ich operiere, wenn ich eine Gegenstand in meiner Um-Welt zu einem Phänomen mache und erkläre. In dieser phänomenalen Beschreibung habe ich Sensoren, die mir den Zustand des Computers zeigen und Aktoren, mit welchen ich auf den Zustand des Computers reagiere kann. Wenn ich den Computer oder eine andere Blackbox beobachte, beobachte ich, unter welchen Bedingungen sich der Zustand des Computers wie verändert. Im Falle eines Computers kann ich die Bedingungen auf der Tastaur manipulieren und den Zustand des Computers am Bildschirm erkennen. Das heisst, ich habe eine Menge von Operationen, deren Wirkungen ich untersuchen kann, wenn ich etwas über den Computer wissen will.
Natürlich spielt keine Rolle, ob ich als Beobachter relativ zur Blackboxwand innen oder aussen bin. Ich kann in beiden Fällen die funktionellen Beziehungen zwischen Eingaben und Ausgaben untersuchen, aber nicht sehen, worauf diese Funktionen beruhen. Ich kann mir die Beziehungen durch die Konstruktion eines Systems erklären. Wenn ich ausserhalb der Blackbox sitze, erkläre ich, was in Blackbox passiert; wenn ich in der Blackbox sitze, erkläre ich, was ausserhalb der Blackbox, also was in der Um-Welt der Blackbox passiert. Als Beobachter innerhalb einer Blackbox kann man sich zunächst einen Piloten im Blindflug vorstellen. Als Pilot im Blindflug kann ich nicht sehen, was ausserhalb des Flugzeuges ist, ich sehe und reagiere also nur auf die Anzeigen auf meinen Instrumenten. Auch die Auswirkungen meiner Handlungen auf der Tastatur sehe ich als "Pilot" nur auf meinen Bildschirm, ich steuere also eigentlich die Anzeige des Bildschirms. Ich steure das Flugzeug im Blindflug so, dass ich auf dem Bildschirm sehen kann, dass ich mit der richtigen Geschwindigkeit auf der Landebahn aufsetze. Das gleiche mache ich, wenn ich auf meinen PC mit einem Flugsimulator-Programm spiele. Dann sitze ich ausserhalb der Blackbox, ich steure aber auch so, dass ich am Bildschirm sehe, dass ich richtig lande. |
Wenn ich an meinem PC arbeite oder spiele, dienen meine Eingaben immer dazu, auf dem Bildschirm das zu bekommen, was ich gerne hätte. Wenn ich arbeite oder spiele, interessiert mich das Resultat auf dem Bildschirm. Dann interessiert mich nicht, wie der Computer funktioniert. Aber wenn ich den Computer zum Phänomen mache, kann ich ihn untersuchen, indem ich Eingaben wie beim Arbeiten mache. In beiden Fällen steure ich mit meinen Handlungen meine Wahrnehmung. Wenn ich als Pilot in einem richtigen Flugsimulator sitze, ist die Anzeige auf den Instrumenten natürlich durch einen andern Mechanismus begründet, als wenn ich ein Flugzeug fliege. Als Pilot verhalte ich mich aber in beiden Fällen gleich, weil ich eben in beiden Fällen auf die Instrumente achten muss. Wenn ich - wie es tendenziell in Virtual-Reality-Spielen mit Cyber-Helmen und Cyber-Handschuhen gemacht wird - das Cockpit so zusammenschrumpfe, dass die Anzeigen und Bedingungselemente mit meiner sensorischen-effektorischen Körperoberfläche zusammenfallen, entspricht der Bildschirm meinem Gesichtsfeld, weil ich nur noch auf den Bildschirm schaue, und die Tastatur entspricht meinen Körperbewegungen, weil meine Bewegungen auf die Tastatur übertragen werden. In Virtual-Reality-Spielen oder Flugzeugsimulatoren kann ich durch meine Bewegungen steuern, was ich sehe. Dabei ist natürlich alles, was ausserhalb von mir ist, also meine ganze Um-Welt, eine Blackbox. Wenn ich mich als System beobachte, reagiere ich als Beobachter - ohne Virtualityhelm und Flugsimulator - auf meine Sinnesorgane, die als Instrumente fungieren. Als Beobachter bin ich quasi ein Pilot, dessen Flugzeug aus mir selbst besteht. Nebenbei bemerkt, so interpretiere ich die Aussage von W. Goethe, wonach mir kein wissenschaftliches Instrument mehr zeigen kann, als ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann, weil ich jedes Instrument wie etwa ein Fernrohr oder ein Mikroskop und natürlich auch die Anzeigen im Cockpit letztlich wieder vor meine Sinne halte. |
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Als Beobachtersystem bin ich quasi eine autopoietische Maschine mit Sensoren, die ich Sinnesorgane nenne. Mit den Verhaltensweisen, die mein Körper repräsentiert, kontrolliere ich die Zustände meiner Sinnesorgane. Diese distanzierte Redeweise beruht auf der stringenten Anwendung der Systemtheorie auf mich selbst. Natürlich bin ich keine Maschine, aber wenn ich mich als System auffasse, beschreibe ich mich als operativ geschlossenen Mechanismus.
Ich will zunächst naiv über die autopoietische Maschine sprechen, also nicht darüber nachdenken, woher ich mein Wissen über diese Maschine habe. Als autopoietische Maschine habe ich eine Netzhaut (Retina), die aus einer Menge von Nervenzellen (Zäpfchen) besteht. Die Nervenzellen befinden sich zu einem gegebenen Zeitpunkt in einem bestimmten Zustand. Deutenderweise sage ich, dass sie - wie etwa ein Bildschirm eines Computers oder eines Flugsimulators - ein bestimmtes dynamisches Pixelmuster zeigen, das ich als Bild wahrnehmen kann.
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Wenn ich weniger naiv über die autopoietische Maschine spreche, ist natürlich auch die autopoietische Maschine eine Erklärung. Als Beobachter bin ich für mich eine Blackbox, die ihre Um-Welt als Blackbox beobachtet. Ich kann mich also fragen, wie ich als Beobachter Objekte wahrnehmen kann. Die autopoietische Maschine ist eine Erklärung, sie ist ein Mechanismus, der Objekte wahrnehmen kann. Natürlich habe ich keine Ahnung, wie man diesen Mechanismus herstellen könnte. Und ich habe auch keine Ahnung, wie dieser Mechanismus für- wahrnehmen kann. Nur bestimmte Aspekte dieser Erklärung sind konstruktiv, wir können Roboter konstruieren, die sich in von uns definierten Umwelten adäquat verhalten, die diese Umwelten also quasi wahrnehmen können. Anhand dieser Roboter beschreibe ich die konstruktiven Aspekte der autopoietischen Maschinen. |
Wenn ich also sage, dass ich eine Retina habe und dass ich auf die Zustände dieser Retina reagiere, gebe ich eine konstruktive Erklärung für bestimmte Aspekte meiner "Wahrnehmung". Und wie ich schon erwähnt habe, bestimme ich das erklärte Phänomen durch die Erklärung genauer. Roboter-Mechanismen nehmen, das was sie "wahrnehmen", nicht für wahr. Sie verhalten sich aber so, dass ich als Beobachter metaphorisch von Wahrnehmung sprechen kann. Wenn ein Roboter beispielsweise einem bestimmten Hindernis ausweicht und ein anderes aus dem Weg räumt, sage ich metaphorisch, dass er die Hindernisse adäquat wahrgenommen hat.
Ich kann mich fragen, wie ein bestimmtes Pixelmuster auf meiner Retina zustande kommt. Damit suche ich nach einer Erklärung für das Phänomen, dass ich bestimmte Bilder, etwa einen Tempel oder eine Brücke sehe. Es geht hier also nicht darum, dass ich sehen kann, sondern darum, warum ich im jeweils konkreten Moment eine bestimmte Sache sehe. Die einfachste Erklärung, die mir - unabhängig von der Systemtheorie - einfällt, besteht darin, dass der Tempel und die Brücke Objekte in meiner Umwelt sind und dass meine Augen diese Objekte wie eine Kamera abbilden. Bestimmte Teile dieser Erklärung sind konstruktiv. Ich kann zeigen, wie eine Kamera funktioniert, ich kann die Technologie der Bilderkennung und der Bildverarbeitung zitieren. Ich kann etwa erklären, wie ich Bildschärfe und Focusierung einstelle und wie ich mit verschiedenen Helligkeiten und Farbverschiebungen umgehe, weil das in modernen Kameras alles konstruiert vorhanden ist. Die Erklärung, die ich in diesem Fall verwende, kann ich so ausführlich konstruieren, wie ich will, es bleibt eine Erklärung für den Zustand meiner Retina. Systemtheoretisch gesehen rekonstruiere ich die Blackbox, die die Zustände meiner Retina erklärt. Die Umwelt, die ich in dieser Erklärung verwende, ist die Umwelt, die ich als deutender Beobachter unmittelbar erlebe. Als deutender Beobachter sehe ich nicht den Zustand meiner Retina. Ich sehe auch nicht die Lichtwellen, die meine Retina steuern, ich sehe Objekte in meiner Um-Welt. In diesem Sinn sage ich, meine grösste, umfassenste Erfindung ist die Um-Welt. Meine nützlichste Erfindung ist die Objektivität dieser Umwelt. J. Piaget nannte das die Konstruktion der Realität und das entscheidende Prinzip nannte er Objektkonstanz, was systemtheoretisch einem kybernetischen Gedächtnis entspricht (36), was mir das Wiedererkennen (dergleiche) und das Identifizieren (derselbe) erlaubt.
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Natürlich müsste ich diese Erklärung beachtlich viel komplizierter machen, wenn ich auch optische Täuschungen, etwa das Experiment mit dem blinden Fleck miterklären wollte, weil dann die Umwelt als Erklärung versagt. Die Um-Welt, die ich als Beobachtersystem wahrnehme, ist aber ohnehin nicht eine Umwelt "dadraussen", die ich "mittels" meiner Sinnesorgane in mich reinnehme. Als System reagiere ich nicht auf eine Umwelt, sondern auf meine eigenen Systemzustände. Was ich als Um-Welt für-wahr-nehme, sind also bestimmte Wahrnehmungen meiner Eigenzustände, die ich als Um-Welt interpretiere (37), also nach "draussen" projiziere. Konstruktiv nehme ich meine Retina wahr. Ich deute meine Wahrnehmung aber durch Objekte in meiner Um-Welt. Die Deutung von Objekten ist eine verinnerlichte, quasi naturwüchsige (unbewusste) Erklärung.
Als deutender Beobachter bin ich in einer mir nicht bewussten Perspektive. Als deutender Beobachter bin ich quasi Natur. Diese Naturwüchsigkeit ist insofern eine Fiktion, als ich in vielen Hinsichten Vereinbarungen brauche. So ist meine ganze Sprache vereinbart und wohl auch, wie ich Zeichnungen anschaue. Bei Buchstabenketten wie "Brücke" ist mir die Vereinbarung bewusster als wen ich eine Zeichnung einer Brücke sehe. Zeichnungen machen weniger Voraussetzungen, sie können von allen Menschen "gelesen" werden. Aber anhand von Tieren kann ich erkennen, dass ich auch Zeichnungen nicht voraussetzungslos wahrnehme.
Jenseits der Systemtheorie wird der Ausdruck Umwelt sehr verschieden verwendet. Als Umwelt im engeren Sinne bezeichnet Duden die "lebenswichtige Umgebung einer Tierart, die als Merkwelt (Gesamtheit ihrer Merkmale) wahrgenommen wird und als Wirkwelt (Gesamtheit ihrer Wirkungen) das Verhalten der Artvertreter bestimmt", wobei der Mensch diese Umwelt seine Bedürfnissen anpassen könne. Die Umwelt erscheint als der Teil der Welt, den man erfahren und auch kaputt machen kann. Man kann diese "natürliche" Umwelt funktionalisieren, etwa indem man sagt, warum sie "geschützt" werden muss. Dabei sagt man, wozu sie gut ist oder wenigstens in welchen Zustand sie den Beschützern am besten dient. Im alten Testament steht: Macht Euch die Erde untertan. Soweit wie die Umwelt als Natur verstanden wird, hat sie natürlich keine Funktion, sie dient allenfalls zur Begründung von politischen Funktionen.
In der Systemtheorie kommt diese konventionell gedachte Umwelt nicht vor, weil Systeme operationell geschlossen sind. Wenn ich die Um-Welt von einem Beobachter meine, schreibe ich den Ausdruck Um-Welt mit einem Bindestrich. Meine Um-Welt ist konstruiert. Sie hat deshalb eine Funktion. Ich kann mich fragen, wozu ich eine Um-Welt konstruiere.
Mir dient meine Um-Welt als Re-Präsentation meiner Eigenzustände. Sie ist eine Art Landkarte, anhand derer ich mein Verhalten koordiniere. Erklärungen - und die Um-Welt ist ja eine Erklärung - haben für mich überhaupt diesen Sinn. Als System befinde ich mich in jedem Zeitpunkt in einem bestimmten Zustand. Jeder Zustand hat strukturdeterminierte Folgezustände. Ich kann von einem Zustand nicht in einem Schritt in beliebige andere Zustände wechseln und bestimmte Zustände kann ich nur mit grossem Aufwand und andere kann ich gar nicht erreichen. Mit einem Flugzeug kann ich beispielsweise nicht in der Luft anhalten und wenn ich landen will, brauche ich ein Piste. Wenn also meine Retina ein bestimmtes Bild zeigt, kann sie als nächstes nicht beliebige andere Bilder zeigen, so wie ich auch meine Körpertemperatur oder meinen Puls nicht beliebig verändern kann.
Ich will wieder naiv sprechen, weil ich keine Ahnung habe, wie meine Wahrnehmung funktioniert: Mein Hirn ist - als System - eine Art Computer. Wenn ich den Eifelturm oder meine Grossmutter sehe, ist meine Hirncomputer und meine Retina, die ein Teil des Gehirns ist, in einem bestimmten Zustand, volkstümlich gesprochen feuern bestimmte Neuronen, wenn ich eine bestimmte Wahrnehmung habe. Der Computer kann dann als nächstes nur bestimmte Zustände erreichen. Mein Hirn kann beispielsweise nicht ohne weiteres vom Zustand "ich sehe den Eifelturm" in den Zustand "ich sehe die Zürcher Bahnhofstrasse" wechseln. Mein Hirn muss zuerst bestimmte andere Zustände einnehmen, die ich beispielsweise als längere Reise erlebe. Die Zustände und die jeweils möglichen und wahrscheinlichen Folgezustände repräsentiere ich in Form einer Um-Welt, weil es für mich viel einfacher ist, mich meiner Um-Welt zu orientieren, als zu spüren, welche Nerven in meinem Gehirn gerade aktiv sind.
Wenn ich jeweils mein Haus oder einen bestimmten Menschen wiedererkenne, weiss ich quasi, in welchem Eigenzustand ich bin und welche Folgezustände möglich und wahrscheinlich sind. Als Re-Präsentation bezeichne ich die mir bekannten Objekte in meiner Um-Welt, weil sie mir schon einmal präsent waren. Re-Präsentation heisst hier also nicht Abbildung oder Symbol, sondern eine spezifische Wahrnehmungsleistung, die ich mit dem Mechanismus eines neuronalen Netzwerkes wenigsten teilweise erkläre.
Es gibt eine bekannte rhetorische Figur, nach welcher man sich die Reihenfolge einer Rede besser merken kann, wenn man die Abschnitte der Rede mit Wohnräumen des eigenen Hauses verknüpft und während der Rede gedanklich durch das Haus wandert. Diese rethorische Figur widerspiegelt, dass es leichter ist, sich in einer bildhaften Umwelt zu orientieren, als sich eine Reihefolge von Zeichen zu merken.
In dem Sinne wie meine Um-Welt meine Eigenzustände widerspiegelt, sehe ich natürlich in meiner Um-Welt wer und wie ich bin. Wenn ich mich beobachte, beobachte ich meine Um-Welt, so wie das der Junge in C. Escher's Galerie tut. In meiner Um-Welt gibt es verschiedene Objekte und Verhältnisse, die ich zu Phänomenen machen kann. Wenn ich will, ist die Um-Welt als ganzes ein Phänomen, das aus Phänomenen besteht, so wie ein System aus Teil- oder Subsystemen bestehen kann.
Meine Argumentation ist in dem Sinne zirkulär, als ich die Um-Welt als Phänomen und als Erklärung bezeichne. Wenn ich den Argumentationskreis mit der von mir erlebten Um-Welt beginne, erkläre ich die Menge von Objekten, die mein Um-Welt ausmachen. Ich erkläre beispielsweise mit einer Heizung die Temperatur. Und wenn ich mit dem Beobachtersystem beginne, dient die Um-Welt als Blackbox dafür, dass ich als System objektkonstante Wahrnehmungen habe, also beispielsweise eine durch eine Heizung verursachte Temperatur überhaupt wahrnehme. In den meisten esoterischen Lehren ist das "Ich" und die Umwelt dasselbe. Für die Adäquatheit der Erklärungen ist bedeutungslos, wo die Phänomene begründet sind. Als Beobachter spreche ich immer über meine Erfahrungen, ob nun etwas ausserhalb von mir diese Erfahrungen bestimmt oder nicht. Meine Erklärungen müssen in dem Sinne viabel sein, dass sie mir helfen, die von mir gewünschten Zustände zu erzeugen oder wenigsten zu prognostizieren - und auch das ist unabhängig davon, ob diese Zustände von einer äusseren Welt oder nur von mir abhängig sind. Als Pilot fliege ich im Simulator und im Flugzeug gleich.
Wenn ich also ohnehin immer nur über Objekte in meiner Um-Welt spreche, was verändert sich durch die Systemtheorie?
Durch die Systemtheorie erkenne ich, dass ich mit meinen Erklärungen mich selbst erkläre. Ich spreche also nicht über irgendeine Realität, die unabhängig von mir existiert. Ich weiss gar nicht, ob es eine solche Realität gibt oder nicht. Das interessiert mich auch nicht. Mich interessiert, worüber ich vernünftigerweise sprechen kann. Da ich immer über mich oder über meine Erfahrungen spreche, spreche ich auch immer in "ich"-orientierten Sätzen, die in der konventionellen Wissenschaft verpönt oder sogar tabuisiert sind. In der 2. Ordnung verwende ich keine "wie-man-weiss"- und "Tatsache-ist-"Formulierungen. Mit meinen Formulierungen mache ich mir bewusst, wie ich meine Um-Welt wahrnehme.
In meiner Wahrnehmung zog Kopernikus die Erde, auf der er lebte, aus dem Zentrum der Welt. Darwin zog die Gestalt, in der er lebte, aus dem Zentrum der Schöpfung. S. Freud zog das Bewusstsein, in dem er lebte, aus dem Zentrum seines Handelns. Der Mensch dieser Wissenschaften erscheint mir als zufälliges Wesen (der Evolution) an einem zufälligen Ort (auf einem Planet der Sonne der Milchstrasse der ...), das sich zufällig (un- und unterbewusst) verhält.
Natürlich meine ich nicht, dass N. Kopernikus den Planeten Erde bewegte. Ich meine, dass ich die Formulierung von N. Kopernikus fiktiv finde, weil ich seinen Standpunkt nicht erkennen kann. Die in den Wissenschaften verwendeten Konzepte Universum, Evolution und Unbewusstes erkenne ich als Elemente einer herrschenden Ordnung, also als Elemente der Ordnung der Herrschenden. Universum, Evolution und Unbewusstes erscheinen mir (wissenschafts-)kulturell als die letzten Konsequenzen daraus, dass die Herrschenden ihr Erleben und ihre Erfahrungen in Form einer objektiven Welt wahrnehmen (müssen), welcher sie - wie das Wort sagt - als verantwortungslose Sub-Jekte unterworfen sind. Die Herrschenden spielen ihre Rolle als Rolle in einer gewalt-igen Institutionalisierung, in welcher die Rolle bestimmt, was der Rolleninhaber tut.
Die Ordnung, welcher Subjekte unterworfen sind, bezeichne ich als 1. Ordnung. Es ist die Ordnung, die ich als mir selbst nicht bewusster Beobachter für-wahr-nehmen kann. Es ist die objektive Ordnung der Realien, die wissenschaftlich beschrieben werden (können). Als konventioneller Wissenschaftler beschreibe ich die Objekte und die Verhältnisse der Objekte so, wie sie sind, ich bin nur für die richtige, wahre Beschreibung zuständig, nicht für die Realität selbst, die ich beschreibe. Dem entsprechend un-lustig finde ich in der 1. Ordnung die griechische Sage, in welcher der Ueberbringer einer schlechten Botschaft bestraft wird. In der Wissenschaft bestraft man Lügner, aber nicht jene, die schlechte Wahrheiten erzählen. Die Nachrichtenredaktionen der meisten Massenmedien sind von Menschen besetzt, die nur schlechte Wahrheiten erzählen.
Als objektiv unterworfenes Subjekt komme ich nicht - oder nur unter Freud'scher Verdrängung - umhin, auch mich selbst als Objekt (für)wahrzunehmen. Und natürlich kann ich - wenn ich will - mich fragen, was ich wahrnehmenderweise tue, wenn ich Objekte und Beobachter von Objekten fürwahrnehme, die unabhängig von mir sind, wie sie sind. Sinnigerweise werde ich dabei zu meinem eigenen Objekt und gerate unter das objektive Verfahren, durch welches ich Objekte eben wahrnehme. Ich werde dabei quasi Objekt eines Objektes oder eben zu einem Objekt 2. Ordnung, weil ich dann den Beobachtenden und den Beobachteten als identisch oder selbstbezüglich begreife.
Fragte ich N. Kopernikus nach dem Ort der Erde, würde ich nichts über den Ort der Erde erfahren, sondern etwas darüber, wie Kopernikus die Welt erlebt und erklärt, was ich mit seinen bescheidenen Mittel und seiner mittelalterlichen Erziehung in Verbindung bringen könnte, wenn ich wollte. Fragte ich C. Darwin, wie der Mensch entstanden sei, würde ich nichts darüber erfahren - wie sollte C. Darwin, der "seine" Abstammungslehre bei A. Wallace abgeschrieben hat, das auch wissen können? Ich könnte von C. Darwin allenfalls erfahren, wie er sich erklärt, dass er in seinen Augen den Affen gleicht. Aber natürlich ist die Situation ein bisschen komplizierter: Denn das, was ich erfahren würde, wären ja meine eigenen Wahrnehmungen und mithin würde ich etwas über mich erfahren, wenn ich "von Freud erfahre", dass mein Handeln libidinöser Sublimation unterliegt. Ich würde erfahren, dass in meiner Erfahrung S. Freud mit einer bestimmten Aussage vorhanden ist. Als Beobachter 2. Ordnung beobachte ich ausschliesslich mich selbst.
Wenn ich als Beobachter etwas über die Um-Welt sage, sage ich etwas über meine Um-Welt, die identisch ist mit meiner Erfahrung von mir selbst. Jede Um-Welt ist in diesem Sinne die Um-Welt eines Beobachters. Der Konstituent der Um-Welt liegt innerhalb seiner Um-Welt, da sie ihn umgibt, aber er gehört nicht zu seiner Um-Welt, da sie ihn um-gibt. "Unsere" Um-Welt gibt es für einen Beobachter 2. Ordnung nicht, weil jeder Beobachter in der Um-Welt der andern Beobachter vorkommt, in seiner eigenen aber nicht. Der Beobachter hat immer einen Standpunkt, den er exklusiv besetzt. Kein anderer Beobachter kann je das gleiche beobachten. Die Um-Welten sind so verschieden, wie die Beobachter es sind. Einen andern Beobachter "ver-Stehen" würde bedeuten, dorthin stehen, wo der andere steht - was (nicht nur) physisch nicht möglich ist.
Als Beobachter, der andere Beobachter wahrnimmt, bin ich im Zentrum meiner Um-Welt, das ich aber nicht als Zentrum der Welt auffassen kann, weil jeder andere Beobachter ja auch im Zentrum seiner Um-Welt steht. Ein logisches Bild dafür ist die 2-dimensional gesehene Oberfläche einer Kugel. Jeder Punkt hat die gleiche Berechtigung in der Mitte dieser Oberfläche zu sein.
Ich werde später ausführlicher über den Dialog sprechen. Hier will ich nur einen für für mich als Beobachter zentralen Aspekt des Dialoges vorwegnehmen. Ich interpretiere den Ausdruck Dialog quasi-etymologisch als "sich durch die Worte erkennen". Das griechische dia steht für "mittels" und Logos heisst "Wort". Indem ich als Beobachter Worte ausspreche - und Beobachten habe ich ja als Aussagen machen definiert -, werden mein Beobachten und mithin ich selbst reflektiert erkennbar. Im umgangssprachlichen Sinn heisst Dialog Gespräch, der Wortteil "dia" wird als "zwischen" oder als "zwischen zwei" interpretiert. Im Dialog kann ich andere Beobachter erkennen, für die dasselbe gilt wie für mich, obwohl sie als Teil meiner Um-welt erscheinen.
Wenn ich als Beobachter etwas sage, ist das wahr; ich sage, was meinem Für-wahrnehmen entspricht. Darauf, dass ich auch lügen kann, will ich hier nicht eingehen. Was ich sage, ist wahr, aber es ist wahr für mich. Und dasgleiche nehme ich für alle Beobachter wahr. Im Dialog prüfe ich, inwiefern Aussagen, egal von wem sie stammen, für mich viabel sind, also ob ich sie auch machen könnte oder würde. Im Dialog komme ich zu Aussagen, die mir ohne weiteres nicht einfallen würden. Im Dialog geht es mir also nicht darum, Sätze zu finden, die für alle wahr oder richtig sind. Ich sehe den Sinn eines Dialoges darin, dass alle Beteiligten erfahren, mit welchen Aussagen sie Sinn und Kohärenz verbinden können. Um auch dafür ein Bild zu geben: Als Blackbox-Pilot erlebe ich die Anzeigen meiner Instrumente dann als sinnvoll und konsistent, wenn ich das Gefühl habe, sie seien beabsichtigte Resultate meiner Handlungen oder wenn sie mir bei der Orientierung für künftige Handlungen dienen.
In der 2. Ordnung gibt es tautologischerweise keine Glaubenskriege. Den Unterschied zwischen Glauben und Fundamentalismus sehe ich darin, ob ich glaube, oder ob ich glaube, andere müssten auch - und vor allem dasselbe wie ich - glauben.
Die traditionelle Ethik verstehe ich als Begründungslehre für Moral. Die Ethik soll also zeigen, welche Handlungen weshalb moralisch sind und welche nicht. Moralisch sind Handlungen, die ein guter Mensch unter gegebenen Umständen sinnvollerweise macht. Jede Ethik setzt deshalb objektive Umstände voraus. Ethiker müssen wissen, wie die Welt wirklich ist.
In der 2. Ordnung weiss ich nur, wie meine Welt ist. Ueber meine Erfahrungen kann ich nicht streiten, denn die sind mir gewiss. Streiten kann ich nur über Hypothesen, mit welchen ich meine Erfahrungen begründe. Die Systemtheorie zeigt, dass jede Erfahrung verschieden erklärt werden kann. Wenn andere Menschen sich anders verhalten als ich, werden sie andere Erklärungen verwenden als ich. Unter Erklärungen leide ich nie, ich kann aber unter andern Menschen leiden. Und wenn von Ethik die Rede ist, sehe ich immer, dass das Leiden von Menschen "erklärt" werden soll.
In meiner Erfahrung ist von Ethik immer dort die Rede, wo jemand Ungerechtigkeit erlebt. Solange alles gut läuft, braucht es keine Ethik. Die Ethik verdoppelt die Diskussion über die Realität. Man kann sinnvoll nur über Ethik sprechen, wenn man streitet, und streiten kann man nur, wenn man weiss, wie die Welt wirklich ist. L. Wittgenstein hat deshalb geschrieben, dass sich Ethik nicht aussprechen lasse.
Im Dialog lerne ich andere Sichtweise kennen, im Ethik-Diskurs lerne ich, wie ich meine Um-Welt sehen sollte.
Eine wesentliche Funktion jeder Theorie besteht natürlich darin, die Kommunikation über den Gegenstand der Theorie verstehbar zu machen, indem die Theorie einen Interpretationsrahmen liefert. Die Systemtheorie hilft mir also nicht nur, die jeweils untersuchte Sache zu verstehen, sondern auch verschiedene Argumentationen zu dieser Sache aufeinander zu beziehen und einzuordnen. Ich werde das in diesem Abschnitt anhand von Kommunikation exemplarisch vorführen.
Kommunikation ist gewissermassen das Wesen der Systemtheorie, weil ich die wesentlichen Systemprozesse als Kommunikationsprozess sehe. Ich werde also kurz erläutern, wie ich Kommunikation systemtheoretisch begreife und danach einige bekannte Ansätze zur Kommunikation vor diesem Hintergrund diskutieren. Dabei zeige ich den Nutzen von Theorien überhaupt, aber natürlich auch den Nutzen der Systemtheorie 2. Ordnung am konkreten Beispiel.
Als Kommunikation bezeichne ich die systemische Funktion. Den Ausdruck "Kommunikation" verwende ich umgangssprachlich mit zwei einfachen (quasi-etymologische) Konnotationen:
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Den Aspekt der Angleichung sehe in den kommunizierenden Gefässen versinnbildlicht. Den Aspekt der Signalübermittlung sehe ich im technologischen Kommunikationsmittel-Modell dargestellt. Als Beobachter spreche ich in diesem alltäglichen Sinne von Kommunikation, wenn ich für-wahrnnehme, dass sich von mir unterschiedene Instanzen mittels Signalen zu gegenseitigen Reaktionen veranlassen.
Als Kommunikation bezeichne ich Prozesse, die funktional der Steuerung des Systems dienen. Den Ausdruck Kommunikation verwende ich - hier im Kontext des Systemtheorie - also für ganz bestimmte Prozesse innerhalb eines Systems. Alle konstruktiv beabsichtigten Zustandsänderungen eines Systems bezeichne ich als Prozesse. Da bei Veränderungen immer Energie fliesst, heisst Prozess immer auch Umwandlung von Energie. Die Re-Konstruktion eines Prozesses besteht in der Rekonstruktion der Veränderung des Systems, das vom gemeinten Prozess betroffen ist, und vor allem in der Rekonstruktion der Energiekreise, auf welchen der Prozess abläuft. Ich unterscheide - wie früher bereits erläutert - Prozesse, die den Systemzweck betreffen von solchen, die die Steuerung des Systems und mithin sekundäre Energiekreise betreffen (38).
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Da ich - visuell - den signalstrukturierenden Gegenstand und nicht die Lichtwellen wahrnehme, bezeichne ich im Alltag auch die Gegenstände, etwa Lichtampeln oder Verkehrsschilder, die eigentlich Zeichen sind, als Signale. Das eigentliche Signal ist aber fliessende Energie. Buchstaben etwa strukturieren das Licht, das in meine Augen fällt. Normalerweise wird diese Energie mein Verhalten beeinflussen, sie ist also sekundär zu der Energie, mit welcher ich mich verhalte. Wenn ich schreibe oder spreche, produziere ich Signalstrukturen. Je nach Kontext ist die Wirkung der Signale mehr oder weniger festgelegt. |
Ein Computer, ein Hund und ein Mensch reagieren vielleicht in einem bestimmten Sinn gleich auf ein bestimmtes Signal, ich interpretiere deren Reagieren aber sehr verschieden, weil ich sehr verschiedene Arten von Vereinbarungen unterstelle. Es gibt zu allen Signalen Interpretationsräume: eine Maschine ist ziemlich genau festgelegt, es sei denn, sie sei defekt. Ein Hund kann folgen oder nicht und allenfalls kann er missverstehen. Ein Mensch muss ein Signal so wie ich verstehen, damit das Signal die Wirkung haben kann, die ich damit intendiere. Die Vereinbarung passiert auf sehr verschiedenen Ebenen: Maschinen werden konstruktiv verdrahtet, Tier werden dressiert und mit Menschen kommuniziere ich über Bedeutungen. Menschen können Maschinen und Tiere simulieren. Es gibt Orte, wie etwa das Militär, wo Signale sehr genau festgelegt sind.
Signalprozesse bilden die materielle Grundlage der Kommunikation.
Systemtheoretisch spreche ich genau dann von Kommunikation, wenn ein System Signale dazu benutzt, sein eigenes dynamisches Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Wenn ich mich - um im Beispiel von G. Bateson zu bleiben - durch die Anwesenheit eines Hundes gestört fühle, muss ich etwas tun, um mein inneres Gleichgewicht wieder zu finden. Eine Möglichkeit besteht darin, den Hund loszuwerden. Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht, den Hund schätzen zu lernen. Wenn ich ihn loswerden will, kann ich das auf die beiden Arten, die G. Bateson beschrieben hat tun. Wenn sich der Hund aufgrund meines Verhaltens entfernt, finde ich zu meinen ungestörten Soll-Zustand zurück - bis allenfalls wieder ein Hund oder etwas noch schlimmeres auftaucht. Es geht in diesem Fall also nicht darum, was der Hund weshalb macht, sondern darum, was IN mir passiert, also darum, dass ich als System auf mein Gestörtsein so reagiere, dass ich danach wieder ungestört bin. Ich verhalte mich dabei wie ein sogenanntes "kommunizierendes Gefäss", das auf Störungen (resp auf Pertubationen) so reagiert, dass es wieder ins Gleichgewicht kommt. Dazu müssen die verschiedenen Teile des Systems einander quasi "mitteilen", wo das Gleichgewicht des Systems liegt oder auf welchem Niveau sie sich treffen wollen. |
Jedes Mal, wenn ich Flüssigkeit in eine der Röhren giesse oder aus einer der Röhren absauge, wird das Gleichgewicht des Systems gestört. Es beginnt ein Prozess des Einschwingens auf den jeweilig neuen Eigenwert des Systems. |
Systemtheoretisch entscheidend ist, dass Kommunikationsprozesse innerhalb des Systems stattfinden. Ein System reagiert auf seine eigenen Zustände. Insbesondere gehören "Wahrnehmungen" zu den Systemzuständen und nicht zu etwas, was ausserhalb des Systems liegt. Systemtheoretisch gesehen, nehme ich wahr, dass ein Hund da ist. Entsprechend reagiere ich auf meine Wahrnehmung, nicht auf den Hund.
Ein U-Boot-Kapitän kann unter Wasser natürlich nicht sehen, was ausserhalb des U-Bootes ist, er reagiert deshalb auf die Anzeigen seiner Instrumente. Der U-Boot-Kapitän ist ein berühmtes Beispiel von H. Maturana. Für einen Aussenstehenden scheint es logisch, dass der Kapitän seinen Kurs so wählt, dass er an allen Klippen und Riffs vorbei kommt. Da der Kapitän aber gar keine Klippen sieht, reagiert logischerweise auf Zustände des U-Bootes. Er antwortet mit seinen Steuerbewegungen auf die Anzeigen der Instrumente und die Anzeigen antworten ihm auf seine Steuerbewegungen. Dieselbe Situation ist auch in den Flugsimulatoren gegeben. Dort kann sich der Pilot einbilden, er würde wirklich fliegen, während ein aussenstehender Beobachter natürlich sieht, dass er nur auf seine Instrumente reagiert. |
Damit ist geklärt, inwiefern Kommunikation ein systeminterner Prozess ist. Nun ist noch zu zeigen, wie die alltägliche Vorstellung des gesunden Menschenverstandes, dass Kommunikation zwischen Systemen stattfindet, aufgehoben wird.
Kommunikation "zwischen Systemen" kommt in der Systemtheorie nicht vor, weil die Systemgrenzen aus theoretischen Gründen jeweils so gewählt werden, dass Kommunikationsprozesse innerhalb des Systems stattfinden. Im Alltag, wo der Ausdruck "System" beliebig verwendet wird, wird oft ein Gespräch zwischen Menschen - die dann wahllos als Systeme bezeichnet werden - als Kommunikation zwischen Systemen bezeichnet. Meistens verwendet der gesunde Menschenverstand dabei ein Sender-Empfänger-Modell, wie es zur technologischen Beschreibung von sogenannten Kommunikationsmitteln wie Radio und Telefon entwickelt wurde. Sender und Empfänger sind in den technologischen Modellen - insbesondere in jenem am meisten zitierten von C. Shannon - natürlich nicht Menschen, sondern technische Geräte, die von Menschen als Kommunikationsmittel benutzt werden. |
Systemtheoretisch betrachte ich ein Gespräch zwischen zwei Menschen als Kommunikationsprozess innerhalb eines Systems, das ein Gleichgewicht anstrebt. Von einem aussenstehenden Beobachterstandpunkt kann ich sagen, dass die beiden Menschen sich - wie die Teile einer Heizung - Signale senden, bis sie ihr gemeinsames Gleichgewicht gefunden haben. Wenn ich etwas G. Bateson und den Hund zusammen von aussen als ein System betrachte, kann ich sagen, dass G. Bateson das Verhalten des Hundes steuert, wie der Thermostat den Oelbrenner steuert. Das dynamische Gleichgewicht dieses Systems kann etwa darin bestehen, dass ein Mindestabstand zwischen G. Bateson und dem Hund aufrecht erhalten wird, so wie eine Thermostatenheizung eine Mindesttemperatur aufrecht erhält. Als Störung erlebt dieses System, wenn der Hund - aus welchem Grund auch immer, vielleicht weil er gestreichelt werden oder beissen will - den Mindestabstand unterschreitet, was G. Bateson dazu veranlasst, dem Hund zu signalisieren, dass er sich wieder etwas entfernen soll.
Ich kann also G. Bateson als System dabei beobachten, wie er sein Sich-wohl-fühlen regelt, oder ich kann das System "Bateson und Hund" dabei beobachten, wie es die minimale Distanz regelt. Ich betrachte dabei zwei verschiedene Systeme mit verschiedenen Zielen. Mit der Systemtheorie mache ich mir immer zuerst bewusst, wovon - von welchem System - ich spreche.
Damit sind die wichtigsten systemtheoretischen Grundlagen der Kommunikation dargestellt. Mit dem Spezialfällen "Medien" und "Sprache" werde ich mich später noch eingehender befassen. Zunächst kritisiere ich einige gängige Vorstellungen zur Kommunikation.
Eine ganz spezielle Komunikation ist die sogenannte "Mensch-Maschinen-Kommunikation", in welcher Menschen etwa mit Billettautomaten oder mit ihren PCs "sprechen". Zum einen ist in diesen Fällen die Metaphorik relativ leicht erkennbar, zum andern deutet die Verbreitung der Metapher darauf hin, dass reagierende Instanzen sehr leicht als kommunikativ erscheinen. Viele Maschinen stellen vermeintlich Fragen, die der Maschinenbenutzer beantworten muss. Die Kaffeemaschine fragt etwa "mit Creme und Zucker oder nature?", der Billettautomat fragt "einfach oder retour?" Der Benutzer macht entsprechende Eingaben. Das könnte man als Kommunikation zwischen Systemen auffassen.
Wenn ich das Mensch-Maschine-System als Einheit betrachte, kann ich sagen, dass der Mensch den Billettautomaten oder die Kaffeemaschine steuert - wie der Thermostat den Oelbrenner in einer Heizung. Dann ist die Kommunikation innerhalb des Systems.
Natürlich kann ich systemtheoretisch auch den Menschen allein betrachten, der für die Herstellung eines Billetts eine Maschine verwendet. Der Mensch findet dann sein systemisches Gleichgewicht, wenn er ein Billett bekommen hat. Sein Bedürfnis steuert sein Verhalten. Der Automat ist lediglich Bestandteil einer beliebigen Umwelt.
Und ich kann den Billetautomaten als System betrachten. Der Automat prüft, ob genügend Geld für eine bestimmte Billettwahl eingeworfen wurde, dann antwortet er mit einem Billet, allenfalls mit Retourgeld oder mit einer Anzeige, dass weitere Münzen einzuwerfen sind. Der Billettautomat ist im Gleichgewicht, wenn er den richtigen Betrag für ein bestimmtes Billett bekommen hat.
Ich erläutere im folgenden einige gängige Auffassungen von Kommunikation und kritisiere sie unter dem Gesichtspunkt der hier entwickelten systemtheoretischen Auffassung. Zuerst sage ich etwas zu diesem Vefahren:
Die eigenen Theorien zu kennen, erlaubt kritisches Denken. Kritisieren heisst hier - das ist auch die etymologische Bedeutung des Ausdruckes - vergleichen, nicht bewerten. Ich vergleiche also eine bestimmte Auffassung von Komunikation mit einer andern Auffassung. Die je eine Auffassung ist eine Kritik der andern. Die Kritik ermöglicht eine bewuste, zweckorientierte Wahl eines der vorhandenen Modelle. Die Kritik verhindert, dass einem eine bestimmte gewählte Sicht als die natürliche, naturgegebene Sicht erscheint. Es geht vor allem auch darum zu realisieren, dass man mehr oder weniger bewusst mit "Theorien" denken kann. Ich glaube, dass man diesen Theorien - wie etwa einer rosaroten Brille - ausgeliefert ist, wenn man sie nicht erkennt. Durch die Kritik wird man verantwortlich für die je eigene Wahl.
Kritik im engeren Sinne besteht darin, eine umfassendere Darstellung zu geben, so dass die kritisierte Darstellung als Spezialfall erscheint. Die Newtonsche Mechanik erscheint als Spezialfall der Relativitätstheorie und der Quantentheorie, indem die umfassenderen Theorien zeigen, unter welchen Bedingungen die Mechanik stimmt. Ich kritisiere im folgenden einige Ansätze, Kommunikation zu begreifen im Vergleich mit der Systemtheorie.
Der Ausdruck "Kommunikation" gehört zur Umgangssprache und jeder versteht irgendwie, was damit gemeint ist. Einige Leute haben aber in verschiedenen Büchern explizit gesagt, wie sie sich Kommunikation vorstellen. Ich werde einige bekannte Autoren vorstellen und ihre Ansätze kritisieren. Ich werde im danach folgenden Kapitel die Kritiken in einer "Pragmatik der Kommunikation" aufheben. Die im folgenden vorgestellten Konzepte stehen jeweils in einem umfassenderen Zusammenhang, den ich nicht erläutern werde. Die Liste ist logischerweise eine beliebige Auswahl.
Ich beginne mit der Theorie von C. Shannon. Sie ist grundlegend und hat grundlegende Verwirrung geschaffen.
C. Shannon schreibt in seinem epochemachenden Aufsatz: ”In diesem Aufsatz werden wir die Theorie erweitern, um eine Anzahl neuer Faktoren einzuschliessen, insbesondere die Wirkung von Störungen im Kanal und die Einsparungen, die sowohl durch die statistische Struktur der Originalnachricht als auch durch die Art des Endzieles der Information möglich sind” (Shannon/Weaver:41). In der Theorie von C. Shannon geht es also im wesentlichen darum, wie viele Gespräche gleichzeitig auf einer Telefonleitung übermittelt werden können, was C. Shannon ”Kanalkapazität” nannte. Die Theorie beschäftigt sich mit dem Informations-Gehalt von Signalen, der als negative Entropie (Formel von Hartley) charakterisiert wird.
C. Shannon verwendet folgendes Schema:
Das Buch von C. Shannon ist, wie der Titel sagt, eine mathematische Abhandlung, die sich mit mit der Optimierung von Sender-Empfänger-Prozessen beschäftigt. Was "Sender" und "Empfänger" heissen soll, ist nur mathematisch festgelegt. Inhalte, Bedeutung oder Sinn kommt in dieser Theorie nicht vor. C. Shannon sagt sogar explizit: Information hat keine Bedeutung.
Das Buch enthält aber einen zweiten Aufsatz von W. Weaver, der versucht, die Relevanz dieser mathematischen Theorie für die Kommunikation im allgemeinen nachzuweisen. W. Weaver schrieb, dass nicht nur sein Telefonapparat ein Transmitter von Signalen sei, sondern auch sein Sprechapparat: "Im mündlichen Gespräch ist das Gehirn die Informationsquelle, der Stimm-Mechanismus, der die Schallwellen, die durch die Luft (Kanal) übermittelt werden, produziert, ist der Transmitter. (...) Wenn ich mit Ihnen spreche, ist mein Hirn die Informationsquelle, mein vokales System der Transmitter" (Shannon/Weaver:98f).
Technologisch war die Theorie von C. Shannon ein Durchbruch. Das Schema, das C. Shannon verwendet, modelliert nur technische Geräte, aber keine Menschen. Die Formulierung von W. Weaver ist diesbezüglich sehr subtil. Er spricht nämlich auch ganz technisch, aber über einen biologischen Apparat; er betrachtet einen spezifischen Teil des Menschen - den Stimm-Mechanismus - mechanisch. Der Stimmmechanismus sagt natürlich nichts aus über die zwischenmenschliche Kommunikation.
Das Schema von C. Shannon übersetze ich wie folgt:
Es ist dann ganz unwichtig, woher die Signale kommen und was sie bedeuten. W. Weaver schreibt: ”Das Wort ,Information‘ wird, in unserer Theorie, in einem spezifischen Sinn verwendet, der nicht mit der üblichen Verwendung des Wortes verwechselt werden darf. (...) Zwei Nachrichten, von welchen die eine wirklich bedeutungsvoll und die andere purer nonsense ist, können, was ihren Informationsgehalt betrifft, unter dem verwendeten Gesichtspunkt, exakt äquivalent sein. Es ist zweifellos diese Tatsache, die Shannon meint, wenn er sagt, dass der semantische Aspekt der Kommunikation für den technischen Aspekt irrelevant ist‘” (Shannon/Weaver:99).
Da C. Shannon ein mathematisch orientierter Ingenieur war, hat er logischerweise systemtheoretisch argumentiert. Er hat auch logischerweise ausschliesslich über technische Geräte gesprochen - und insbesondere zu den Quellen keine Hypothesen gemacht. In der psychologischen Literatur wird das Modell sehr oft zitiert. Ich habe aber noch keine adäquate Form des Zitierens gefunden, da das Modell immer auf Menschen projiziert wird.
N. Wiener schreibt in seinem die Systemtheorie begründenden Buch: "Kybernetik beschreibt die Kommunikation in Tier und Maschine". "Tier" lese ich für biologische Mechanismen im Sinne von autopoietischen Maschinen. Ich meine damit die Aspekte des Menschen, die er physikalisch mit andern Lebewesen teilt, etwa die Funktionsweise der Sinnesorgane. In bezug auf autopoietischen Maschinen modelliert das Sender-Empfänger-Modell beispielsweise die Transmitter ''Kehlkopf '' und ''Ohren'' mit entsprechenden Signalen zum Hirn. Es sagt nichts aus über die Bedeutung der Signale. Vom Hirn zum sprechenden oder deutenden ''Ich'' führt bekanntlich keine oder wenigstens keine bekannte Verbindung.
N. Wiener zeigte mit der Kybernetik, wie das Modell von C. Shannon systemtheoretisch interpretiert werden kann, ohne dass "Bedeutungen" ins Spiel kommen. Man kann die Kybernetik insgesammt als Kommunikationstheorie auffassen, weil jede Kommunikation der Regelung dient. Eine zentrale Aussage von N. Wiener lautet: "Was ich jeweils gesagt habe, weiss ich, wenn ich die Reaktion des Hörers sehe".
Kritik: ..
V. Flusser bezeichnet die Theorie von C. Shannon und N. Wiener als naturwissenschaftliche, während er Kommunikation als etwas Unnatürliches, nämlich als etwas spezifisch Kulturelles betrachtet.
"Kommunikologie" steht nach V. Flusser - in Analogie zum Ausdruck Biologie - für die Lehre über die Kommunikation. Man kann Kommunikation nach V. Flusser naturwissenschaftlich erklären, wie das C. Shannon in seiner "Informationstheorie" tut, oder geisteswissenschaftlich interpretieren, wie das in der Kommunikologie geschieht.
V. Flusser bezeichnet die menschliche Kommunikation als künstlichen (kulturellen) Vorgang, der auf der Erfindung von Werkzeugen, nämlich auf zu Codes geordneten Symbolen beruhe (Flusser:9). Natürliche Verhaltensweisen - die eben in diesem Sinne keine Kommunikationen sind - sind nach ihm der Vogelgesang oder der Bienentanz (Geste), bei Menschen etwa Geschlechtsverkehr, also Verhaltensweisen, die nicht an Werkzeuge gebunden sind. Der Mensch ist, wenn er die Werkzeuge der Kommunikation nicht benutzen kann, nach V. Flusser ein Idiot, weil der Gebrauch von Kommunikationsmitteln ein für Menschen konstitutive Kunstfertigkeit sei. V. Flusser spricht über Kommunikation, er meint aber offenbar nur die sprachliche Kommunikation. Ich werde später darauf zurückkommen.
Kommunikation erzeuge jene Kodifizierung, deren Sinn es sei, uns vergessen zu lassen, dass wir einsame Tiere sind, in für sich genommen völlig bedeutungsloser Natur in Einzelhaft zum Tode verurteilt - was ein Faktum der Naturwissenschaft sei. Wir kommunizieren nach V. Flusser nicht, weil wir gesellige, sondern weil wir einsame Wesen seien, die es in der Einsamkeit nicht aushalten.
Ein zweiter unnatürlicher Aspekt liegt in der negativen Entropie (Information und deren Anhäufung). Alle Naturprozesse sind entropisch (wenn man den Uebergang von der Eichel zur Eiche als Epizyklus betrachtet, in welchem die Eiche zur Asche wird, wobei Asche wahrscheinlicher ist als Eiche (Wärmetod).
V. Flusser spricht über Bewusstsein und mithin - im explizit gemachten Unterschied zum "Naturwissenschaftler" C. Shannon - über Menschen, nicht über Maschinen. Sein Kommunikationsbegriff ist aber funktional (was er wohl mit "geisteswissenschaftlich" meinen könnte). Das heisst, man kann bei V. Flusser viel über die Funktion, aber nicht viel über die Funktionsweise der Kommunikation erfahren. Die Systemtheorie befasst sich mit Funktionsweisen, nicht mit Funktionen. C. Shannon und V. Flusser sind also extrem komplementär (sich ergänzend), wenn sie mit dem Ausdruck "Kommunikation" überhaupt etwas vergleichbares meinen.
V. Flusser's Werk ist sehr interessant, er entwickelt einige Konzepte, die in der Kommunikationswissenschaft sehr wichtig sind. Vor allem sein Konzept "Technobild" und seine Unterscheidung zwischen Dialog und Diskurs bilden Meilensteine. Sein eigentlicher Kommuniationsbegriff - und der interessiert hier - ist sehr alltäglich unreflektiert: Er hat absolut keine systemtheoretische Sicht, im Gegenteil, er geht davon aus, das Menschen sich gegenseitig Mitteilungen machen. Die ganze Kommunikologie unterstellt ein Mitteilungs-Modell. Hier will ich nochmals darauf aufmerksam machen, dass das kein Fehler und kein Nachteil ist, sondern eine Differenz, ein Unterschied, zu dem, was ich als Systemtheoretiker sehe.
V. Flusser ist extrem melancholisch. Interpretation versteht er als vergebliches Ankämpfen gegen den Wärmetod. In der spezifischen Natur des Menschen (gegenüber den Tieren) liegt zunächst das Ankämpfen (Bewusstsein) gegen den eigenen Tod. Da die Gattung, die ja im Erbmaterial lebt, auch ein Bewusstsein des Sterbens habe (eben den Wärmetod mit dem Verglühen der Sonne), und zwar im konkreten Menschen, darin liegt die Melancholie (und die damit verbundene politische Haltung).
Damit sind zwei extreme Verständnisse von Kommunikation gegeben. Im folgenden erläutere ich einige Mischformen, die unterschiedlich gewichten. Ich beginne mit G. Bateson's Auffassung.
Gregory Bateson ist einer der Mitbegründer der kybernetischen Systemtheorie. Kommunikation ist für ihn der Austausch von Information. Als Information bezeichnet er "den Unterschied, der den Unterschied macht". Nach G. Bateson steckt in der Information ein Unterschied. Ich kann einen Hund streicheln oder ihm einen Tritt geben. Dieser Unterschied macht einen weiteren Unterschied, nämlich im Verhalten des Hundes.
habe ich schon gesagtG. Bateson war ein Psychiater, der sich mit regelmässig mit den führenden Ingenieurwissenschaftern der USA getroffen hat (Macy Konferenz). Er hat sehr viele technische Konzepte für die Sozialwissenschaften nutzbar gemacht, insbesondere das sogenannte systemische Denken geht auf ihn zurück.
Der Unterschied, der den Unterschied macht, lese ich als Unterschied im sekundären Energiekreis, der den Unterschied im primären Energiekreis macht. In Abhängigkeit davon, ob der Steuerstrom fliesst oder nicht fliesst, fliesst der Kraftstrom oder eben nicht. (Hinweis: Ich habe diese technologische Interpretation bisher weder bei G. Bateson selbst noch bei seinen Lesern gefunden. Ich lese G. Bateson's Beispiel so, weil ich ihn durch die Brille "Kommunikation in der Systemtheorie" lese.)
Auch G. Bateson hat in der Kommunikationstheorie Meilensteine gesetzt. G. Bateson stellte in Anlehnung an Bertrand Russel fest, dass in jede Mitteilung eine Objekt und eine Beziehungsebene hat. Das interpretierende System kann auf beiden Ebenen antworten, deshalb entscheidet das interpretierende System, was die Bedeutung der Information ist.
G. Bateson nannte eine spezifische Kommunikationssituation, die er als Psychiater oft wiederkennen konnte "Double bind". Der Interpret interpretiert dabei eine Information auf beiden Ebenen, was manchmal gut geht, oft aber zu Komplikationen führt: Nehmen wir an, eine Frau fragt Ihren Mann: "Diese Suppe ist nach einem ganz neuen Rezept - schmeckt sie dir?" Wenn sie ihm schmeckt, kann er ohne weiteres "ja" sagen, und sie wird sich freuen. Schmeckt sie ihm aber nicht, und es ist ihm ausserdem gleichgültig, sie zu enttäuschen, kann er ohne weiteres verneinen. Problematisch ist aber die (statistisch viel häufigere Situation), dass er die Suppe scheusslich findet, seine Frau aber nicht kränken will. Auf der sogenannten Objektebene (also was den Gegenstand Suppe betrifft) müsste seine Antwort "nein" lauten. Auf der Beziehungsebene müsste er "ja" sagen, denn er will sie ja nicht verletzen. Was sagt er also? (...) "schmeckt interessant", in der Hoffnung, dass seine Frau ihn richtig versteht.
G. Bateson hat die Grundlage für viele psychologistische Interpretationen von Kommunikation geliefert. Seine eigene Argumentation ist systemtheoretisch direkt nachvollziehbar, da er aber nie theoretisch, sondern immer praktisch - meistens als Psychiater - argumentierte, muss der Leser die Systeme selbst erkennen. Viele, die seine Konzepte übernommen haben, sind selbst theorielos geblieben. Sein wohl bekanntester Schüler ist wohl P. Watzlawick.
F. Schulz von Thun greift das Konzept von P. Watzlawick auf, nach welchem Mitteilungen eine Sach- und eine Beziehungseben haben. Er unterscheidet in seinem "4-Ohren-Modell" 4 Botschaften: Sach-, Beziehungs-, Selbstoffenbarungs- und Appell-Botschaften, die zu einander in "double-bind" (G. Bateson) oder Disonanz stehen können und dann die Kommunikation stören. Ein typisches Beispiel von F. Schulz von Thun ist etwa, dass ein Beifahrer im Auto vor einer Ampel zum Fahrer sagt: "Es ist grün!". Der Fahrer kann das dann sehr verschieden auffassen. Er kann es als sachliche Mitteilung verstehen, oder als Aufforderung, endlich loszufahren, oder als Hinweis auf mangelde Kompetenz usw. Bei F. Schulz von Thun ist das "interpretierende System" von G. Bateson stärker in den Vordergrund gerückt als bei P. Watzlawik. Er argumentiert weniger mit Double bind, als damit, dass der Interpret die Interpretationsebene unglücklich wählen kann, also beispielsweise immer gleich beleidigt ist, wenn man ihm etwas sachlich mitteilen will. |
F. Schulz von Thun befasst sich wie P. Watzlawick mit sogenannten Kommunikationsstörungen. Er unterscheidet mehr Fälle, verarbeitet mehr Theorien (etwas Bühler's Sprachphilosophie) und ist weniger psychotherapeutisch orientiert als P. Watzlawick. Er steht stärker in der Tradition der Verkäuferschulung, die euphemistisch Kommunikationstraining genannt wird. Auch bei ihm gibt es keine theoretische Reflexionen auf den verwendeten Kommunikationsbegriff. Er geht stillschweigend davon aus, des Menschen sich gegenseitig mit Botschaften oder Mitteilungen mehr oder weniger gut verständlich machen. Systemtheoretisch gesehen (und wohl auch der Sache nach) unterscheidet er sich nicht von P. Watzlawick, das heisst, alle seine Fälle lassen sich systemtheoretisch begreifen, er aber begreift sie als Kommuikation zwischen Systemen.
Auch alle Beispiele von F. Schulz von Thun sind ziemlich banal, vielleicht weil es ihm nur darum geht, das Prinzip seiner 4 Ohren zu zeigen.
F. Schulz von Thun und P. Watzlawick erklären nicht, wie es möglich ist, dass verschiedenen Systeme "sich verstehen" können. Sie haben keinen Begriff von Kommunikation, sondern postulieren vielmehr eine Krankheit oder eine Störung, wo das gegenseitige "Verstehen" nicht funktioniert. Und das "Verstehen" selbst verstehen sie ganz praktisch: Der Kunde hat den Verkäufer verstanden, wenn er dessen Produkte kauft. Wenn der Verkauf nicht gelingt, müssen der Kunde und oder der Verkäufer zum Therapeuten.
Während F. Schulz von Thun und P. Watzlawick sich die Frage nach den Grundlagen des Verstehens nicht stellen, weil sie Verstehen als menschliche Gegebenheit einfach voraussetzen, muss eine eigentliche Kommunikationstheorie natürlich erklären, wie das Phänomen des "Verstehens" bei welchen Systemtypen zustande kommt. N. Luhmann bezeichnet "Verstehen" als eine Beobachterleistung, mit welcher wir bestimmte Systemprozesse umschreiben.
N. Luhmann ist Soziologe. Als solcher spricht er nicht über Menschen - die er als psychische Systeme den Psychologen überlässt -, er spricht über "funktionale Systeme". In seiner Theorie ist Kommunikation ein funktionales System, das sich - wie jedes System - erhalten will. N. Luhmann sagt, dass die Kommunikation kommuniziert, nicht die Menschen.
In dieser soziologischen Sicht ist beispielsweise auch die Kunst ein funktionales System. Der gesunde Menschenverstand glaubt, dass Künstler Kunst hervorbringen. Nach N. Luhmann dagegen bringt die Kunst die Künstler und die Kunstwerke hervor. Und dazu braucht die Kunst menschliche Rollenträger, die dann tun, was die funktionalen Rolle verlangen. Im gleichen Sinn ist die Kommunikation ein funktionales System. Es bringt Kommunikationen hervor und verwendet dabei - wie das Kunstsystem - Menschen als Rollenträger.
Kommunikation ist nach N. Luhmann ein System, welches Menschen organisiert. Das System kommuniziert, nicht die Menschen. In diesem Sinne sagt N. Luhmann: "Man (der Mensch) kann nicht kommunizieren". Menschen fungieren lediglich als Instanzen in der Kommunikation. Logischerweise entfällt dann auch die Frage des Verstehens, und sogar die Möglichkeit des Mitteilens. Bei einer Thermostatenheizung sage ich ja auch nicht - oder nur ganz metaphorisch -, dass der Thermometer dem Oelbrenner mitteilt, dass es zu kalt ist, und dass der Oelbrenner das versteht und deshalb mehr heizt. Die Kommunikation findet nicht zwischen Thermometer und Oelbrenner statt, sondern ist ein Ausgleichsprozess im Heizungssystem. Bei N. Luhmann findet die Kommunikation nicht zwischen Menschen statt, sondern in der Gesellschaft, und zwar so, dass die Gesellschaft erhalten bleibt. N. Luhmann sagt, dass man auch den einzelnen Menschen als funktionales System (dann als psychisches oder als biologisches System) betrachten könne, dass man dann aber von andern Systemen spreche.
Funktionale Systeme sind keine Systeme, wie sie in der kybernetischen Systemtheorie beschrieben werden, sondern Handlungszusammenhänge. Handlungszusammenhänge sind Interpretationsrahmen, die ein deutender Beobachter verwendet, um eine kohärente Deutung zu schaffen. Im Handlungszusammenhang "Kunst" gibt es das Phänomen "Kunstwerk". Bevor die Werke als Kunst gesehen wurden, gab es den Handlungszusammenhang "Kunst" nicht. Das Phänomen "Werk" war dann beispielsweise gutes Handwerk. Noch heute bezeichnen wir den Uebergang als Kunsthandwerk. Wenn jemand für ein Stück bemalte Leinwand ein Million Franken bezahlt, ist das im Handlungszusammenhang der Warenökonomie nicht "verstehbar". Sinnvoll beschreiben lässt sich dieses Verhalten aber im Handlungszusammenhang "Kunst". Und wenn ein Stück bemaltes Tuch im Hinterhof eines Malergeschäfts auf einem Abfallhaufen liegt, sehe ich es normalerweise in einem andern Handlungszusammenhang, als wenn es eingerahmt im Museum hängt.
N. Luhmann hat seine autopoietische Theorie teilweise von H. Maturana übernommen und für seine Zwecke adaptiert. Das Luhmannsche Verständnis der Systemtheorie wurzelt bei den amerikanischen Soziologen (T. Parsons), während H. Maturana seine Autopoiese aus neurobiologischen Ueberlegungen heraus entwickelte. N. Luhmann's funktionalen Systeme entsprechen der Systemtheorie insofern, als sie operationell geschlossen sind, also nicht mit andern Systemen, sondern nur in sich selbst kommunizieren. N. Luhmann verwendet aber ein sehr komplexes "Beobachterkonzept" und damit verbunden eine eigene Sprache, die nicht ohne weiteres auf die kybernetische Systemtheorie abbildbar ist. Insbesondere ist mir unklar, wie N. Luhmann zwischen System und Systemprozess unterscheidet, da er den Ausdruck Kommunikation für beides verwendet. Man kann - ich tue es - N. Luhmann so verstehen, dass er auf diese Unterscheidung und mithin auf einen Prozessträger verzichtet. Kommunikation wäre dann in einem formalen Sinn freischwebend und würde sich in funktionalen Systemen wie Kunst oder Politik instanziieren, also beliebige solche System als Rollenträger verwenden. (Um N. Luhmann verstehen zu können, müsste man in diesem Fall ziemlich formal Denken (können)). Die operationale Geschlossenheit hat Luhmann von Humberto Maturana mit dem Konzept der Autopoiese übernommen. Es ist aber nicht leicht nachvollziehbar, wie N. Luhmann H. Maturana interpretiert (H. Maturana hats einem verbreiteten Gerücht nach auch nicht verstanden).
N. Luhmann verwendet H. Maturana's Konzept der Autopoiese ziemlich abstrakt. Bei H. Maturana ist die Sache noch relativ leicht nachvollziehbar.
H. Maturana entwickelte das Konzept der Autopoiese (auto=selbst, poiesis=Erzeugung), nach welchen Lebewesen Systeme sind, die sich selbst erzeugen und erhalten - was man von einer Termostatenheizung ja nicht sagen kann. Lebewesen leben in einem Milieu und unterliegen den Gesetzen der Evolution. Das Milieu, also die Um-Welt - wozu auch alle andern Lebewesen gehören - steuert oder instruiert das System nicht. Es gibt keinen Input, sondern nur Perturbation. Das elementare Beispiel für die Autopoiese ist ein Einzeller, der sich in der sogenannten Ursuppe selbst erzeugt. Die Umwelt sagt dem Einzeller nicht, was er machen soll, der Einzeller reagiert innerhalb seiner eigenen strukturellen Möglichkeiten auf seine eigenen Zustände. Dieses Konzept entwickelt H. Maturana für alle Lebewesen, insbesondere auch für den Menschen.
Bezüglich der Kommunikation argumentiert Maturana unter anderem mit folgenden zwei Bildern:
- Der Kapitän eines U-Bootes sieht nur seine Instrumente, aber er sieht nicht nach draussen. Er reagiert also auf die Zustände des Schiffes, nicht auf dessen Um-Welt. Einem aussenstehenden Beobachter mag es anders erscheinen.
- Ein Team baut ein Haus, ohne dass es einen Plan gibt. Jeder schaut, was die andern machen und macht dann dementsprechend etwas sinnvolles. Nach H. Maturana enthalten unsere Gene keine Information im Sinne eines Bauplanes, weil die ja von jemandem gelesen werden müsste. Die Zellen kommunizieren nicht, sie machen sich keine Mitteilungen.
H. Maturana unterscheidet Systeme verschiedener Stufen. Neben den Einzellern gibt es Vielzeller, soziale Gruppen und Gruppen mit eigentlicher Sprache. Die Prinzipien der Autopoisis gelten aber auf allen Stufen. Es ist nicht leicht nachzuvollziehen, wie H. Maturana diesbezüglich argumentiert (jedenfalls entschieden anders als N. Luhmann).
Autopoiese kann man als Eigenname einer speziellen Systemtheorie auffassen, die Lebewesen als autopoietische Maschinen beschreibt, die sich "selbst organisieren". H. Marurana stammt aus dem Umfeld, in welchem die kybernetische Systemtheorie entwickelt wurde. Er hat am Institut von Heinz von Foerster gearbeitet und mit diesem zusammen die "Systemtheorie 2. Ordnung" - die auch unter dem Namen "Radikaler Konstruktivismus" bekannt ist - entwickelt. So ist es naheliegend, dass sein Ansatz ingesamt systemtheoretisch ist.
H. Maturana behandelt Fragen, wie sie in andern Kommunikationstheorien vorkommen, nur sehr oberflächlich, weil sie sich in seiner Argumentation so nicht stellen. Der wesentlichste Punkt seines Kommunikationsverständnisses ist die operationale Geschlossenheit von Systemen und dass die Mitmenschen Bestandteile der je eigenen Um-Welt sind. Wenn sie sprechen, muss ich das so interpretieren, wie alles andere, was ich als meine Umwelt erfahre. Instruktionen und Mitteilungen sind nicht möglich, möglich ist nur, dass ich bestimmte Aspekte in meiner Um-Welt als Instruktion begreife.
Was bei H. Maturana an Sprachtheorie fehlt, liefert E. von Glasersfeld.
E. von Glasersfeld begründete mit dem sogenannten "Radikalen Konstruktivismus" eine systemtheoretische Theorie des Nicht-Wissen. Er hat sich unter systemtheoretischen Gesichtspunkten mit automatischer Uebersetzung befasst und ist dabei auf des Werk des Kinderpsychologen Jean Piaget gestossen, das er radikal interpretierte. Der Ausdruck Konstruktivismus stammt von J. Piaget (La construction du réel chez l' enfant) und besagt, dass wir unsere Realität konstruieren, indem wir unsere Erfahrungen durch Akkomodationen modellieren.
Nach E. von Glasersfeld schaffen wir uns sprachliche "Bedeutungen", indem wir unsere Wörter zunehmend so verwenden, das wir keine Widersprüche erleben. Ein Kleinkind hat vielleicht den Ausdruck "Wauwau" anhand eines Hundes generiert. Beim nächsten Hund sagt es wieder "Wauwau" und seine Mutter nickt zustimmend. Beim nächsten Tier, diesmal vielleicht eine Kuh, sagt das Kind wieder "Wauwau", aber seine Mutter schüttelt den Kopf und sagt "Muh". Jetzt muss das Kleinkind merken, worauf es ankommt, das heisst, es muss eine mentale Struktur aufbauen, so, dass es künftig die beiden Wörter so gebrauchen kann, dass kein Widerspruch entsteht.
Jeder Mensch baut sich seine eigene Welt auf. Wir merken aber nur, wenn eine bestimmte Wortverwendung zu Widersprüchen führt, dass wir die Bedeutung der Wörter selbst festlegen. Wir merken in diesem Sinne nicht, was geht, sondern nur, was nicht geht. E. von Glasersfeld benutzt das Bild eines Blinden in einem Wald. Wenn er einen Weg durch den Wald findet, weiss er wo es keine Bäume hat, er weiss aber nicht, wo es Bäume hat. Bei unsern Wörtern wissen wir, wie wir sie ohne Widerspruch verwenden können, wir wissen aber nicht, was sie auch noch bedeuten können.
Vor diesem Hintergrund ist klar, dass ich keine Mitteilungen machen kann, weil ich ja nur weiss, wie ich die Wörter brauche, aber nicht wie sie von andern Menschen verwendet oder interpretiert werden. Natürlich eigne ich mir mit der Zeit auch Wissen darüber an, mit welchen Wörtern ich in welchen Situationen oft Erfolg habe. Aber auch darin bin ich wie ein Blinder im Wald.
Dieser Ansatz beruht auf einem radikalen Feedback-Konzept. Norbert Wiener, der Erfinder der Kybernetik, sagte: "Was ich gesagt habe, weiss ich immer erst, wenn ich die Reaktion meines Gegenübers wahrnehme". Und Heinz von Förster sagte: "Die Bedeutung einer Rede wird vom Hörer festgelegt, nicht vom Sprecher".
E. von Glasersfeld argumentiert systemtheoretisch. Seine Theorie ist zunächst wirklich radikal, er beugt sich aber oft - wie J. Piaget - dem gesunden Menschenverstand, wo dieser uns vormacht, wir könnten uns doch in einem positiven Sinn - also nicht nur durch Feedback vermittelt - verstehen. E. von Glasersfeld ist Verfechter einer operativen Schule, er hat aber kein operatives Sprachspiel entwickelt, in welchem man die Funktionsweise der Sprache plausibel machen kann, ohne dass auf "Verstehen" rekuriert werden muss.
Ein operatives Sprachspiel hat - auch wenn er es nicht kommunikationstheoretisch begründet hat - David Bohm entwickelt.
D. Bohm hat zur Du-Philosophie des Zionisten Martin Buber ein Uebungssetting, das er Kontainer nennt, geschaffen. In solchen sogenannten Dialogen werden bestimmte Regeln eingehalten. Einige zentrale Regeln, die im Containment geübt werden, sind, dass ich nur ich-Formulierungen verwende und in die Mitte, also nicht zu einzelnen Personen, spreche. Auf entwickelter Stufe spreche ich auserdem ohne Fremdreferenz. Da das Setting durch Regeln bestimmt ist, kann man es operativ als Sprachspiel verstehen. D. Bohm nennt das Verfahren "Dialog", was "durch (dia) das Wort (log)" bedeutet. Die Ausdrücke "Dialog" und "Monolog" werden von David Bohm in einem spezifischen Sinn verwendet, der nichts mit der Anzahl der Gesprächsteilnehmer zu tun hat, sondern Haltungen repräsentiert: Im Dialog geht es darum, die Anzahl der Sichtweisen zu vergrössern, nicht darum, die richtige Sichtweise zu finden, oder wie in der Diskussion darum, die andern von irgendetwas zu überzeugen. Im Dialog interessieren sich die Teilnehmenden dafür, wie sie selbst ihre Um-Welt sehen und wie sie sie auch sehen könnten, weil andere sie so sehen.
In D. Bohm's Dialog ist Kommunikation nicht Mittel, sondern Zweck. Wenn ich Kommunikation als Mittel verstehe, versuche ich den Kommunikationsprozess zu beenden, weil ich den Zweck erreichen will. Ich diskutiere dann beispielsweise, bis ich eine Lösung gefunden oder ein Ziel erreicht habe, das heisst, bis ein Monolog entstanden ist. Wenn ich Kommunikation als Zweck begreife, erscheint sie mir - wie etwa bei N. Luhmann - als Lebensprozess, in welchem ich mich realisieren kann.
D. Bohm verfolgt ganz andere Absichten als eine Kommunikationstheorie. Er erläutert deshalb ein Verfahren, er gibt quasi ein Rezept, aber er macht keine kommunikationstheoretische Reflexionen zu seinem Setting. Gleichwohl kann man das Setting natürlich in einer systemtheoretischen Perspektive betrachten. Wenn ich die ganze Dialogrunde als System betrachte, dann fungiert sie - durch positive Rückkoppelungen - als Verstärker von Ideen und Sichtweisen und bestimmt, was die einzelnen Subsysteme, also die Teilnehmenden vernünftigerweise sagen. Wenn ich die einzelnen Teilnehmenden als System betrachte, dann sehe ich, dass die Dialogregeln wie Programmieranweisungen das kommunikative Verhalten der Teilnehmenden beschreiben. Wenn ein Teilnehmer sich etwas bewusst machen will, kann er es in der Dialogrunde sagen. Und er kann sich fragen, was die dort von andern geäusserten Sätze für ihn bedeuten. Das kybernetische Ziel der Teilnehmenden (also der je angestrebte Sollwert der Systeme) liegt darin, sich der eigenen Sprache oder der eigenen Sichtweisen bewusst zu werden. Die Systeme führen also je einen innern Dialog, den sie jenseits einer Dialogrunde nicht führen können. Die Dialogrunde fungiert als instruktionsfreies perturbierendes Milieu.
Damit sind einige Konzepte über Kommunikation in groben Zügen vorgestellt. Es sollen im Laufe der Zeit einige dazukommen und die vorhandenen weiter differenziert werden. Primäre geht es aber darum zu sehen, wie verschieden man auf Kommunikation schauen kann, und darum, sich der eigenen Sicht bewusst zu werden. Dazu sollten die bereits vorhandenen Darstellungen eine Grundlage liefern. Da es darum geht, eine je eigene Sicht zu gewinnen, will ich im folgenden meine eigene Sicht exemplarisch darstellen. Ich will damit ein Beispiel dafür geben, wie "man" die verschiedenen Ansätze in einer eigenen Sicht aufheben und in einem praktischen Umfeld verankern kann. Ich nenne meine Vorstellungen Hyperkommunikation.
Bevor ich über die praktische Anwendung der Systemtheorie 2. Ordnung spreche, will ich noch einige generellere Bemerkungen über die Wissenschaft machen, die in der 2. Ordnung natürlich auch in einem neuen Licht erscheint.
Man kann - und viele Menschen mach(t)en das auch - sich Wissenschaft als Beschreibung der Realität vorstellen. Die Wissenschaftler müssen dann herausfinden, wie die Welt wirklich ist und darüber berichten. Neben dieser Wissenschaft gibt es die Technik, in welcher herausgefunden wird, was wir konstruieren können. Die alten Griechen versuchten mit der Technik die mit ihrem Mitteln wissenschaftlich erforschte Natur zu überlisten, während die Renaissance-Techniker im 16. Jh. - die übrigens eine Erfindung des 19. Jh. sind - die griechische Trick-Technologie unter modereren wissenschaftlichen Gesichtspunkten aufgriffen und eine Ingenieurswissenschaft entwickelten, die nicht mehr gegen die Natur ankämpfte, sondern auf sogenannte Naturgesetze abstützte. An den Universitäten hatten die Ingenieure lange Zeit darunter zu leiden, dass sie nur die Macher waren, die wissenschaftliches Wissen nur anwenden, aber nicht selbst produzieren konnten.
Die in dieser Sicht verwendete Unterscheidung lautet beschreiben (was ist), was man als Entdecken bezeichnet, versus machen (was sein soll), was man als Erfinden bezeichet. Rückblickend ist die Unterscheidung relativ problematisch, weil die meisten relevanten wissenschaftlichen Erkenntnissen von Ingenieuren stammen. Die ersten, die diese Unterscheidung aufhoben, waren Pysiker wie Ernst Mach, die ihre Modelle als reine Konstruktionen bezeichneten. Praktisch obsolet wurde die Unterscheidung zwischen Beschreiben und Herstellen in der Technologie beim Prorammieren, wo das Beschreiben einer Maschine mit dem Herstellen der Maschine zusammenfällt. Und die neueren Wissenschaftsgebiete - wie vorab das genmanipulierende Bioengineering - werden gleich schon Enginieering genannt, weil das Machen neu gesehen und bewertet wird.
Das neue Paradigma heisst Konstruktivismus. Es geht nicht mehr darum zu entdecken, sondern darum zu erfinden. Es geht quasi darum zu entdecken, welche Konstruktionen viabel sind. Die Wissenschaft reproduziert mit diesem Selbstverständnis, was J. Piaget für den einzelnen Menschen formuliert hat. Es geht darum "die Realität", oder genauer das Erklärungswissen zu konstruieren. Damit ist die Unterscheidung zwischen beschreiben und machen aufgehoben. Ich werde später ausführlicher auf diesen Paradigmenwechsel eingehen.
Der Uebergang zum Engineering zeigt sich auch in den Systemauffassungen:
Entwicklung
der Systemauffassung |
Entwicklung
der Wissenschaft |
Entwicklung
der Produktivkraft |
energetisch
geschlossene Systeme |
Thermodynamik
noch unbewusste Systemtheorie |
Mechanik |
energetisch
offene Systeme |
Biologie
Input-Output-Systeme |
Energie-Gewinnung
(Kraft-Maschinen) |
operationell
geschlossene Systeme |
Kognitionswissenschaft
Systemtheorie 2. Ordnung |
Steuerung / Regelung
(Informations-Maschinen) |
Engineering im engeren Sinn steht für konstruktives Abbilden. Im Engineering beschreibe ich nicht eine von mir unabhängige Wirklichkeit, sondern viable Konstruktionen. Der Gegenstand des Engineerings unterliegt einer rekursiven Zweck-Mittel-Verschiebung: Jede Konstruktion (Zweck) ruft nach neuen Werkzeugen (Mittel), die selbst wieder Konstruktionen sind. Deshalb ist der Gegenstand des Engineerings die Entwicklung der Werkzeuge zu Automaten, die ich imKontext von Erklärungen eben System nenne.
Technologie heisst - etymologisch - die Lehre (Logik, Wissen) über die Technik. Der Begriff stammt von Beckmann (1777) und bezeichnete zunächst die Bemühung Wissen in den Dienst der Technik zu stellen. Im hier verwendeten Sinn bezieht sich Technologie auf den Diskurs, der sich als funktionales System verselbständigt hat, also keine Mittelfunktion für die Technik mehr hat. Technologie als Systemtheorie ist mein (begriffliches) Wissen schlechthin. Unter diesem Gesichtspunkt dient die Entwicklung der Artefakte dem Begreifen der Menschen, die diese Artefakte enrtwickeln. Die Technik ist ein Spiegel der Techniker, so wie meine Um-Welt mich widerspiegelt. Wenn der Sinn der Technik wäre, den materiellen Wohlstand der Menschen zu verbessern, hätte die Technik bisher durchwegs versagt: Absolut und relativ verhungern immer mehr Menschen auf der Erde. Die Technologie entwickelt sich mit den in ihr beschriebenen Werkzeuge. Jede Technologie impliziert einen System(theorie)typen und mithin ein bestimmte Auffassung von Wissenschaft.
Bevor ich mich frage, inwiefern sich die Forschung durch die 2. Ordnung verändert, muss ich natürlich eine explizite Vorstellung des Forschungsprozesses überhaupt haben. Forschung soll neues Wissen schaffen. Die Forschenden könnten also davon ausgehen, dass es Gegenstände gibt, die sie noch nicht kennen. Sie könnten dann diese Gegenstände wie Ostereier suchen. Sie wüssten dabei natürlich nicht, was sie suchen. Sie würden einfach entdecken, wie Kolumbus, der einen Weg nach Indien suchte und Amerika entdeckte.
Die Forschenden können auch in einem viel beschränkteren Sinne nach Eigenschaften von bestimmten Gegenständen suchen. Ich kann beispielsweise verschiedene Metale legieren und schauen, welche Legierung am stärksten ist oder welche Strom am besten leitet. Diese Forschungsart wird normalerweise als Forschung verstanden, wenn Industriekonzerne Forschungsgelder abschreiben. Medizinische Forschung testet etwa Wirkungen von verschiedenen Medikamenten, sozialwissenschaftliche Forschung testet, ob die Patienten die Wirkung der Medikamente auch erkennen können. In diesen Fälen ist klar, was gesucht oder untersucht wird.
Ein spezieller Fall der Forschung besteht darin, Erklärungen zu bestimmten Phänomenen zu suchen. Dabei gibt es eine klasse von Phänomenen, die man nicht beobachten kann, sondern die man gerne beobachten würde. Bevor es das Telefon gab, konnte man sich überlegen und erforschen, wie das Phänomen Telefon zu erklären wäre.
Da neue Gegenstände kaum erforscht werden können, sprechen wir von Intuition und Entdeckung, wenn sie gefunden werden. Der Prozess Neues zu schaffen, liegt weitgehend im Dunklen. Erforschen kann man dagegen, ob sich Neues sinnvoll bewährt.
Die 2. Ordnung verändert an diesen Aspekten der Forschung nichts. In der 2. Ordnung verändere ich meine Wahrnehmung der Forschung. In der 2. Ordnung geht es nicht darum herauszufinden, wie die Natur wirklich ist, sondern darum, Konstruktionen zu finden, die mir dienen. Gesellschaftlich findet dieser Wandel mit dem Uebergang zum Engineering statt. Der Ingenieur - und mithin die gesamte industrielle Forschung - merkt nichts davon, weil sie immer funktional bestimmte, operative Verfahren entwickelt hat. Die Natur- und die Sozialwissenschaftler dagegen erleiden den Paradigmenwechsel, weil sie im neuen Paradigma funktional gefordert werden. Das findet seinen Ausdruck auf zwei Ebenen: Zum einem im sogenannten new public management, nach welchem sich die Forschung bezahlt machen muss. Zum andern in der Projektform der Forschung, in welcher potentielle Nutznieser der neuen Erkenntnis in die Forschung einbezogen werden.
Von der Forschung unabhängig gibt es in der 2. Ordnung natürlich eine neue Stufe der Reflexion, in welcher sich die Wissenschaftler selbst beobachten und so Wissen über sich erfinden.
Ich werde im fogenden beide Prozesse exemplarisch darstellen. Ich betrachte dazu konkrete Kommunikationsprozesse, zunächst unter dem Gesichtspunkt von Projekten, in welchen es darum geht, die Kommunikation zu verbessern, und schliesslich unter dem Gesichtspunkt der Reflexion, die mir meine Kommunikation bewusst macht. Dabei werde ich zeigen, wie die beiden Prozesse als zusammenhängende Aspekte gesehen werden können. Natürlich handelt es sich um exemplarische Erläuterungen, die nicht zeigen, wie die Wissenschaft insgesamt vorgehen könnte, sondern nur, wie sie bei diesen Beispielen vorgeht.
Ich werde im folgenden meine Sicht auf Kommunikation darstellen. Ich werde mich dabei selbstbezüglich in zwei Hinsichten auf diesen Kurs beziehen:
- zum einem leiste ich mit diesem Kurs einen Kommunikationsbeitrag, den ich hier reflektieren will,
- und zum andern stehen in diesem Kurs einige Konzepte und Theorien, auf die ich mich explizit beziehen will.
Als Pragmatik bezeichne ich hier die Rückführung der Vorstellungen auf praktische Handlungen. Ich werde also zuerst eine Praxis umschreiben und anschliessend diese Praxis in den verschiedenen Theorieansätzen reflektieren. Ich beginne also mit Handlungen. Ich werde dann eine systemtheoretische Interpretation der Handlung geben und anschliessend den Kommunikationsprozess dieser Systeme darstellen. Diese Reihenfolge reflektiert auch den Aufbau dieses Kurses insgesamt.
Natürlich beschreibe ich nicht irgendwelche Handlungen, sondern solche, von welchen ich weiss, dass ich sie kommunikationstheoretisch interpretieren kann. Ich habe die Theorie also schon im Kopf, wenn ich den Handlungszusammenhang auswähle. Wenn ich kein entsprechendes Vorverständnis hätte, könnte ich gar nicht erkennen, welche Handlungen etwas mit Kommunikation zu tun haben.
Ich beginne also mit einem "kommunikativen" Handlungszusammenhang.
Als Hyperkommunikation im engeren Sinne begreife ich die Kollaboration (Anm 1) an einem Hypertext. Diese kann etwa stattfinden, wenn mehrere Menschen kollaborativ eine "Homepage" im Internet unterhalten. In einer solchen Kollaboration nimmt jeder der Beteiligten am gemeinsamen Text genau die Veränderungen vor, die den Text für ihn selbst stimmig machen. Jede Veränderung des Textes kann auf alle Beteiligten zurückwirken. Mit ihren Veränderungen am gemeinsamen Text perturbieren sich die Beteiligten gegenseitig bis ein relativer Gleichstand erreicht ist, der natürlich durch jeden weiteren Text wieder aufgehoben werden kann (Anm 2) .
Die je individuelle Arbeit am Text - den ich als Artefakt betrachte -, stelle ich mir dabei analog dazu vor, wie ein bildender Künstler mit der Entwicklung seines Gegenstandes verfährt. Ich verändere den Text wie ein anderer eine Skulptur bearbeitet, bis das Kunstwerk ent-(ausge)-wickelt ist. Da ein solcher Hypertext das Produkt einer kollektiven Autorenschaft ist, verändert sich das Werk in der Sicht der einzelnen Beteiligten quasi selbständig. Ich schreibe etwas, und wenn ich den Text wieder lese, hat er sich verändert, weil andere ihn ergänzt oder umgeschrieben haben - worauf ich dann wieder reagieren kann.
Dabei ergeben sich manchmal Widersprüche. Im Handlungszusammenhang Hyperkommunikation werden solche Differenzen nicht diskutiert, sondern jeder verändert alle Texte einfach so, dass sie ihm selbst passen - und natürlich wissen alle, dass alle Texte diesbezüglich im Flusse des Dialoges sind. Wenn jemand "meinen" Text so verändert hat, dass er mir nicht mehr gefällt, kann ich den Text einfach wieder zurückändern, was in Gesprächen etwa als nicht sehr fruchtbares Behaupten des Rechthabens erfahrbar ist. Ich kann aber auch eine weitere Formulierung suchen, die mir gefällt, ohne dass sie jenem, der meinen Text verändert hat, missfällt. Kollaboration ist nicht immer ganz einfach! (Anm 3)
Bei wissenschaftlichen Arbeiten kommt es oft vor, dass mehrere Autoren angegeben werden, bei Romanen relativ selten. Warum wohl?
Hier geht es darum, sich den konkreten Arbeitsprozess der Textproduktion vorzustellen. Wie kommt es, dass ein Text von zwei oder mehr Autoren stammen kann? Ich nehme nicht an, dass sie die Füllfeder gemeinsam halten, oder die Tastatur gleichzeitig benutzen. Zwei oder mehr Autoren eines Textes sind für mich - egal wie oft das vorgegeben wird - ein ganz ausserordentliches Phänomen.
Ich will die Kollaboration am Hypertext möglichst anschaulich umschreiben und schildere deshalb ein einfaches exemplarisches Beispiel, auf welches ich mich später beziehen werde.
Der Hypertext einer Hyperkommunikation ist das Produkt einer kollektiven Autorenschaft, die sich durch die Kollaboration als Gemeinschaft oder als Organisation konstituiert. Der Ausdruck Gemeinschaft akzentuiert mehr die funktionale Seite der Kommune, der Ausdruck Organisation betont mehr die Funktionsweise oder den Prozess und die Regeln der Gemeinschaft. Beide Begriffe verstehe ich hier quasi synonym zum Begriff System.
Die Beteiligten bilden zusammen eine Art autopoietisches System, das man "kollektive Autorenschaft" nennen könnte (H. Maturana spricht von einem System 3. Ordnung, in welchem biologisch gesehen mehrere Vielzeller vorkommen). Der relevante Systemprozess zeigt sich in Form eines Hypertextes. Bei der Produktion dieses Textes beeinflussen sich die Beteiligten Teilsysteme gegenseitig so, dass sie als System, respektive ihr Hypertext auf einer gemeinsamen Formulierung einschwingen, die ein dynamisches Gleichgewicht darstellt.
Der jeweils bestehende Text wird von den Beteiligten als potentielle Perturbation wahrgenommen und veranlasst sie zu Kompensationshandlungen, so wie eine thermostatengeregelte Heizung auf die Temperatur reagiert. Der Text entscheidet nicht, wie reagiert wird, er ist nur Anlass. Operationell ist das System geschlossen, es reagiert auf seine Eigenzustände, nicht auf seine Umwelt. Der Prozess findet innerhalb des Systemes statt.
Energetisch sind die Signale, die mittels Text strukturiert werden, sekundäre Energie, also Unterschiede, die Unterschiede machen. Die Textproduzenten beziehen ihre Energie zum Schreiben nicht aus dem vorhandnen Text, sondern aus sich selbst. Energetisch, also bezüglich der primären Energie, ist das System offen.
Damit ist dargestellt, inwiefern die Hyperkommunikation ein systeminterner Kommunikationsprozess ist. Natürlich hat dieses System eine Umwelt und kann von einem aussenstehenden Beobachter betrachtet werden.
Der Hyperkommunikationsprozess beruht auf einem Hypertext, der in diesem Prozess produziert wird. Dieser Hypertext kann - wenn er etwa als Homepage im Internet steht - natürlich auch von Menschen gelesen werden, die an seiner Produktion - und mithin im Kommunikationsprozess - nicht beteiligt sind. Auf das Hyperkommunikations-System bezogen sind diese Menschen aussenstehende Beobachter oder sogenanntes Publikum. Systemtheoretisch gehören aussenstehende Beobachter als eigenständige Systeme in die Um-Welt des jeweils beobachteten Systems und können so definitionsgemäss nur in sich selbst, aber nicht mit dem Hyperkommunikations-System kommunizieren.
Ein Beobachter ohne systemtheoretische Perspektive kann natürlich das, was er zwischen dem System und dem Publikum passieren sieht, als Kommunikation zwischen zwei "Systemen" auffassen. Einem in diesem Sinne naiven Beobachter kann beispielsweise der Text einer Hyperkommunikation als Text erscheinen, der für ihn oder eben für ein "Publikum" geschrieben wurde. Man sieht ja einem Text selbst nicht an, wer ihn wozu geschrieben hat. Jeder kann in Umkehrung von P. Watzlawick's Postulat, wonach man nicht nicht kommunizieren kann, annehmen, dass alles, was er wahrnimmt, eine an ihn gerichtete Kommunikation darstelle, weil ja die ganze Welt nicht nicht mit ihm kommunizieren kann.
Wenn also etwa Fussballer einer Mannschaft sich während eines Spiels gegenseitig zurufen und Zeichen geben, dann machen sie das vielleicht als Kommunikation innerhalb der Mannschaft. Aber natürlich können das auch die Spieler der gegnerischen Mannschaft und die Zuschauer sehen. In einer solchen Situation müsste ich ein sehr ausgeprägter "Watzlawick" sein, um mir vorzustellen, dass die Fussballer auf diese Weise mit mir oder mit dem Publikum kommunizieren wollen - und zwar unabhängig davon, wie wichtig diese Informationen für mein Verständnis des Spielverlaufes sind.
Wenn ich als Zuschauer in diesem extrem ausgeprägten Kommunikationsverständis ins Spiel eingreife, indem ich einem Spieler zurufe, dass ein anderer Spieler ihm winkt, dann bin ich kein Zuschauer mehr, sondern ein Mitspieler, aber natürlich in einem anderen Spiel als Fussball, weil dort ja nur je elf auf einer Seite spielen. Auf den Rängen eines Fussballplatzes fühle ich mich ziemlich eindeutig in der Rolle des Publikums. Das heisst, ich kommuniziere nicht mit den sich zeichengebenden Fussballern.
Natürlich kann ich solche Situationen interpretieren, wie ich will, ich entscheide, was ich als System betrachte. So kann ich etwa bei einem Goal oder einem Foul mitjohlen und das als Kommunikation zwischen der Mannschaft und den Zuschauern verstehen. Ich neige aber eher zur Ansicht, dass die johlenden Fans für sich selbst johlen.
Nachdem ich nun den unmittelbaren Fall des Publikums geschildert habe, will ich einen medial vermittelten Fall anfügen: ich betrachte Massenmedien.
Ich verwende hier den Ausdruck "Massenmedien" in einem ganz alltäglichen Sinn für Zeitungen, Radio, Fernsehen, usw., also für Mittel, die sich funktional zwischen Informationsquellen und das Publikum stellen. Ich will hier nicht klären, was "Massenmedien" sind, sondern exemplarisch eine bestimmte Kommunikation, die eben mit "Massenmedien" bezeichnet wird, unter systemtheoretischer Perspektive genauer betrachten (Anm 1).
Wenn ich im Fernsehen einen Spielfilm anschaue, weiss ich, dass die Figuren Schauspieler sind, also Rollenhalter, die nicht miteinander sprechen, sondern einen dramatischen Text vorführen; wobei das Drama natürlich darauf beruht, dass ich dieses Wissen gerade nicht verwende, also nicht die Schauspieler, sondern die Figuren für wahr nehme. Wenn dagegen im Fernsehen eine sogenannte Talkshow gezeigt wird, weiss ich nie recht, ob die Beteiligten dieser Gesprächsrunde miteinander oder auf eine ziemlich verstörte Art mit mir sprechen. Aber Talkshows haben ja trotzdem die grössten Einschaltquoten - vielleicht, weil sie in gewisser Hinsicht des Publikums Fussballspielen sehr ähnlich sind.
Ich verhalte mich also angesichts Talkshows naiv und unterstelle, dass die Gesprächsgruppe ein Gespräch führt und ich - wie beim Fussball - im Publikum sitze. Dann sehe ich die Gesprächsgruppe als kommunizierendes System und ich bin aus dieser Kommunikation ausgeschlossen. Ich kann eigentlich gar nicht gemeint sein, denn die Gruppe weiss ja gar nicht, ob ich einen Fernseher habe und ob ich allenfalls zuschaue. Die Gruppe könnte denselben Prozess auch ohne Fernsehkamera durchlaufen - wenigstens im Prinzip, obwohl mir das oft sehr unwahrscheinlich scheint.
Systemtheoretisch ist die Gesprächsgruppe mit sich selbst beschäftigt, nicht mit mir. Natürlich kann die Gruppe dieses Gespräch so nur führen, weil es ein Fernsehpublikum gibt. Das Publikum und die Institution Fernsehen bilden sozusagen das Milieu, in welchem die Gruppe existieren kann, so wie ein Fisch Wasser oder ein Mensch Luft braucht, um seinen Lebensprozess aufrecht zu erhalten. Das Milieu ist aber System-Um-Welt, nicht Kommunikationspartner - oder sprechen Sie mit der Luft, die Sie zum Leben brauchen?
Natürlich kann man auch in diesem Fall beliebige Systeme betrachten. "Massenmedien" sind Medien, die sich an Massen richten. Dabei ist offengelassen, zwischem wem die Medien vermitteln. Traditionell ist wohl eine Redaktion gemeint, die ein Publikum formiert. Im Falle von Talkshows selektiert die Redaktion aber nur die Teilnehmer, die dann ihre eigenen Anliegen vertreten können. Die Talkshow ist in diesem Sinne kein Massenmedium, obwohl sie vor einem kaum abgegrenzten Publikum läuft. Die Talkshow läuft aber als Fernsehprogramm und gibt deshalb ein Beispiel dafür, wie man Fernsehen und Massenmedien insgesamt verstehen kann.
In der NZZ stehen beispielsweise manchmal Artikel, die mit "Die Meinung der NZZ" überschrieben sind. Mir scheint klar, dass niemand wissen kann, wer die Zeitung liest, und in solchen Fällen ist mir auch unklar, wer die jeweils geschriebene Meinung vertritt. Vielleicht der Verwaltungsrat der NZZ oder der Chefredaktor, oder die gesamte Redaktion oder auch die Druckereiarbeiter?
Die Talkshow ist eine uneigentliche, wenn auch überhandnehmende Verwendung des Massenmediums, ich betrachte im folgenden den konventionellsten oder gar konstituierenden Fall der Nachrichten.
Der Nachrichtensprecher im Fernsehen sagt oft Begrüssungsworte wie "Guten Abend". Dabei schaut er mich scheinbar an. Er erscheint mir so, als ob er mit mir sprechen würde. Dass das nicht der Fall ist, merke ich spätestens, wenn ich ihn unterbrechen will. In einer Talkshow kann ich mir einbilden, die Beteiligten würden miteinander sprechen, aber mit wem spricht der Nachrichtensprecher?
Sinnigerweise nehme ich an, dass er nicht spricht, sondern wie ein Schauspieler einen Text vorführt. Im Drama vertreten Schauspieler sprechende Figuren. Wen vertritt der Nachrichtensprecher? Wessen Text liest er vor?
Systemtheoretisch kann ich die Nachrichtenredaktion als System betrachten. In diesem System wird ein Text ausgehandelt, der von einem bestimmten Teilsystem vorgelesen wird. Wie bei der Talkshow ist die Institution Fernsehen ein Milieu, in welchem die Redaktion "lebt". Der Kommunikationsprozess der Redaktion besteht darin, einen Text zu finden, der vom Nachrichtensprecher vorgelesen wird. Die Redaktionsmitglieder kommunizieren, bis sie ihren Sollwert erreicht haben.
Anhand dieses Systems kann man sich klar machen, dass der Sollwert nicht immer so einfach umschrieben werden kann, wie bei einer thermostatengeregelten Heizung. Der Sollwert einer Redaktion könnte etwa lauten: Die Nachricht ist vorlesungsbereit, wenn alle Redaktionsmitglieder einverstanden sind oder falls das nicht erreicht wird, wenn mindestens der Chefredaktor einverstanden ist oder wenn es nur noch fünf Minuten bis zur Nachrichtensendung dauert, usw.
Damit habe ich einige Aspekte der konventionellen Massenmedien erläutert, ich betrachte im folgenden die neuste Form der Massenkommunikation, das WWW.
Das www im engeren Sinn stellt eine neues Massenmedium dar, das sich in verschiedenen Hinsichten von den konventionellen Massenmedien unterscheidet.
Das www wird natürlich auch entfremdet und als Träger älterer Medien verwendet. Im www gibt es Zeitungen, Bücher, Radio, Fernsehen und so weiter. Diese Medien verändern sich aber im www kaum, sie profitieren dort einfach von neuen Technologien. Das www wird oft als pull-Medium bezeichnet, weil man sich die Inhalte quasi holen muss, während die konventionellen Massenmedien als push-Medien gelten, die einem die Inhalte schicken. Technisch ist diese Unterscheidung beliebig, weil ich ja den Fernseh-Kanal auch einstellen und die Zeitung auch aus dem Briefkasten holen muss.
Was das www wirklich anders macht als andere Medien, sind die Links. Die Inhalte sind vernetzt, es gibt keinen Anfang, keine Reihenfolge und kein Ende. Im www kann ausserdem jederman (Anm 1) plublizieren. Das heisst es gibt nicht nur 1-zu-1-Kommunikation wie etwa bei Telefon, oder 1-zu-n-Kommunkation wie bei den konventionellen Massenmedien, sondern eine n-zu-n-Kommunikation.
Systemtheoretisch kann ich in verschiedenen Perspektiven auf das www schauen. Ich kann die konventionelle Homepage betrachten. Dann sehe ich ein Art Zeitung mit Redaktion und Herausgeber. Natürlich gibt es einige Unterschiede zwischen einer Homepage und einer Zeitung, aber der Kommunikationsporzess, der zu diesem Produkt führt, ist insofern der gleiche, als beide Ausdruck einer kommunikativ gefundenen Formulierung sind. In dieser Hinsicht ist das, was auf meine Homepage steht, nicht von irgendeinem Zeitungsartikel zu unterscheiden.
Systemtheoretisch kann ich aber auch einen übergeordneten Prozess beschreiben, nämlich jenen einer Bibliothek (vergl. dazu die Hyperbibliothek). Dann betrachte ich die einzelnen Seiten im www als Ausdruck eines Systems, dass sich kommunikativ einpendelt, indem alle auf alle Seiten reagieren. Dabei muss natürlich nicht jeder www-publisher selbst auf alle andern Seiten reagieren, weil ja fast jede Seite über die Vernetzung mit fast jeder Seite verbunden ist. Und im Gesamt des aktuellen www's ist diese Perspektive nur marginal realisierbar, weil das www hauptsächlich als Plattform für Prospekte verschiedenster Couleur benutzt wird. Gleichwohl kann ich leicht verfolgehn, wie das Verändern von einzelnen Seiten weitere Veränderung auslöst, wie also das www systemisch auf seine eigenen Zustände reagiert.
Damit sind einige Medienkommunikationen systemtheoretisch charakteriesiert. Dabei wird meines Erachtens sichtbar, dass die Entscheidung, ob ein bestimmter Prozess ein Kommunikationsprozess ist oder nicht, sehr weitgehend von der Wahl des Systems abhängt.
Ashby, W. Ross: Einführung in die Kybernetik
Holzkamp, Klaus: Wider den Lehrlern-Kurzschluß, in: Arnold, R. (Hg.): Lebendiges Lernen
Maturana, Humberto: Der Baum der Erkenntnis
Maturana, Humberto: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit
Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde (Die Konstruktion der Realität beim Kinde)
Rapoport, Anatol: Allgemeine Systemtheorie
von Bertalanffy, Ludwig: Das biologische Weltbild
von Foerster, Heinz: Cybernetics of Cybernetics
von Foerster, Heinz: Wissen und Gewissen
von Glasersfeld, Ernst: Radikaler Konstruktivismus
von Glasersfeld, Ernst: Wissen, Sprache und Wirklichkeit
Wiener, Norbert: Kybernetik. Regelung und Kommunikation im Tier und in der Maschine.
Wiener, Norbert: Die Versuchung. Geschichte einer grossen Erfindung.
1) Traditionell verstehe ich Ausbildung als Entwicklung der Fähigkeit, etwas zu machen und Bildung als Entwicklung der Fähigkeit, etwas abzubilden. Es geht um die Differenz zwischen Können und Wissen, wobei natürlich jedes Können auch Wissen enthält und in der Darstellung von Wissen immer auch Können nötig ist. Die Bildung, die ich hier meine, verstehe ich als Entwicklung der Fähigkeit zur Reflexion von Wissen und Können.
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2) Relativ unproblematisch sind logischerweise formale Einführungen wie etwa jene von W. Ross Asby, die überdies präziserweise "Einführung in die Kybernetik" heisst.
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3) Im Umfeld des Soziologen Niklas Luhmann oder im Umfeld der systemischen Psychotherapien ist sehr oft von Systemtheorie 2. Ordnung die Rede, wobei mir diese Verwendungen des Ausdruckes homonym erscheinen, weil ich nicht sehen kann, inwiefern ein Verwandtschaft zu meiner Verwendung des Ausdruckes besteht. In diesem Sinne ist auch "Systemtheorie 2. Ordnung" ein Allerweltswort mit sehr geringem Bezeichnungswert.
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4) Ich erwähne diese beiden Ansätze hier, weil sie relativ bekannt und im Selbstverständnis der Autoren Anwendungen der Systemtheorie 2. Ordnung sind. Beide Autoren haben mit Heinz von Foerster zusammengearbeitet und die Systemtheorie auch epistemologisch interpretiert
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5) N. Wiener erzählt in seinem Roman Die Versuchung eine wunderbare Geschichte über die Entstehung der Kybernetik als Technologie, in welcher clevere amerikanische Kapitalisten mit unglaublichen juristischen Tricks Wissen patentieren liessen, dass von englischen Wissenschaftler als Wissenschaftsbeiträge publiziert worden war.
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6) Heinz von Foerster erzählte viele Geschichten. Zur Macy-Konferenz erzählte er, dass der superreiche Warenhausbesitzer Macy eine schwer kranke Tochter hatte und deshalb eine Stiftung für interdisziplinäre Medizinforschung ins Leben rief.
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7) Heinz von Foerster schreibt: Als Gast der 6. Macy-Konferenz am 24. und 25. März 1949 war ich von der Geschäftssitzung dieses Abends ausgeschlossen. "Die crème de la crème war da versammelt. Warren McCulloch, John von Neumann, Gregory Bateson, Margaret Mead, Larry Frank ..... Ich dachte, wir müssten einen anderen Titel für die Konferenz haben, denn den, der diese Konferenz ankündigte Circular Casual and Feedback Mechanismen in Biological and Social Systems, also "zirkulär-kausale und Rückkoppelungsmechanismen in biologischen und sozialen Systemen", konnte ich ja kaum aussprechen ... und so schlug ich vor, die Konferenz einfach Cyberentics zu nennen, mit dem jetztigen Titel als Untertitel.
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8) Der Ausdruck "2. Ordnung" wird im systemtheoretischen Diskurs sehr verschieden verwendet. H. Maturana etwa bezeichnet Vielzeller als autopoietische Systeme 2. Ordnung, weil sie aus Zellen bestehen, die sich ihrerseits selbst hergestellt haben. Im Umfeld von N. Luhmann wird oft von 2. Ordnung gesprochen, wenn ein Beobachter einen anderen Beobachter beobachtet.)"
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9) B. Russel hat geschrieben, dass er wegen der Selbstbezüglichkeit 10 Jahre seines Lebens vergeudet habe)"
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10) G. Spencer-Brown nannte sein Kalkül "Gesetze der Form" was sehr ambivalent ist, wenn man den Ausdruck "Gesetz" in den Naturwissenschaften und in der Rechtsprechung verschieden interpretiert. Dem entsprechend wird "Triff eine Unterscheidung" sehr oft nicht als Anweisung "Triff" gelesen, sondern als Postulat "Unterscheidung", wonach die Welt auf Unterscheidungen beruhe. Das Kalkül lässt sich aber gut als Software einer autopoietischen Maschine verstehen.)"
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11) Mit dieser Unterscheidung spielt König Salomon, der zwei streitenden Müttern vorschlägt, das Kind entzwei zu schneiden und jeder die Hälfte zu geben. Mit solchen Peinlichkeiten spielt P. Watzlawick in vielen seiner Geschichten. Die Mutter muss angesichts der Unterstellung in der Frage egozentrisch antworten oder verstecken, dass sie egozentrisch ist.)"
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12) Diese Geschichte habe ich von Heinz von Foerster (Entdecken:86)
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13) Zur Wiederholbarkeit von Experimenten gibt es ein spannendes Buch von A. Koestler: (Der Krötenküsser)"
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14) Ich kenne nicht viele Menschen, die das Wissenschaftsverständnis von K. Popper teilen, aber soweit ich sehe, funktioniert die Wiisenschaft so, wie K. Pooer sie beschrieben hat. H. Maturana sagt genau das Gegenteil. Er sagt, dass viele Forscher die Wissenschaft zwar so wie Popper verstehen, aber dass deren Praxis eine ganz andere sein.)"
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15) Die behavioristische Lerntheorie wird von fast allen Pädagogen verteufelt. Die Praxis dagegen ist meines Erachtens mit der behavioristischen Lerntheorie sehr gut beschrieben, da normalerweise Lernziele mit Prüfungen getestet werden.
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16) Die vermeintliche Theorie von A. Einstein beruht auf einer Hypothese. A. Einstein nimmt an, dass Materie sich nicht schneller bewegen kann als Licht - oder dass in diesem Fall die Zeit rückwärts laufen würde. Vergl dazu: Barth, G.: Einstein widerlegt. Zwingendorf 3. Aufl. 1968
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17) Der Ausdruck "Kreativität" ist verhängnisvoll neu. Kreativität bezeichnet die Fähigkeit, von bestimmten Dingen abzusehen, wenn sie die Verfolgung eines gegebenen Zieles behindern. Die Piloten, die die Bomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen haben, waren die ersten Menschen, die ein "Kreativitäts"-Training absolvierten. Das "Manhattan-Projekt" wollte nicht, dass die Piloten den Knopf im entscheidenden Moment nicht drücken, weil sie in "normales" Denken zurückfallen. Deshalb wurde das Kreativitätstraining entwickelt und das Wort Kreativität zur Welt gebracht. In gewisser Weise ging es um das Eigentum an den relativ teuren Bomben, die nicht in einem "Anflug" von Normalität ins Meer statt auf die Menschen geworfen werden sollten. Und in gewisser Weise ging es um das je eigene Denken der Piloten, das abgestellt werden musste, oder eben durch ein kreativeres Denken ersetzt werden musste. Und in gewisser Weise geht es bei der sogenannten Kreativität darum, dass Denkhaltungen, die bei Problemlösungen hinderlich sind, durch andere ersetzt werden. Und zwar gerade unabhängig davon, welche Probleme zu Lösen sind.
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18) Wenn man berücksichtig, dass es keine Synonyme gibt, kann man "Systemtheorie 2. Ordnung" als Synonym zu "Radikaler Konstruktivismus" auffassen. Viele Diskurse zum Radikalen Konstruktivismus betreffen die solipsistische Frage, ob es eine Wirklichkeit gebe. Für mich folgt dagegen aus dem Radikalen Konstruktivismus, dass man diese Frage gerade nicht beantworten kann.
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19) Die Evolutionstheorie scheint diese Problem zu lösen, weil das Ei und das Huhn vom Wurm abstammen. H. Maturana zeigt aber in seiner Autopoiese, dass der Anfang auch evolutionstheoretisch ziemlich schwierig ist.)"
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20) H. Maturana sagt deshalb, dass Erklärungen soziale Verhältnisse seien. "But this shows to you, that it is not enough that the answer should have the proper form. Must satisfy some other elements in the listening. Hm, but this is telling something very interesting. This is telling us that an explanation is an interpersonal relation. Isn't that so?" (1992). Nein, das sehe ich nicht so. In meiner Sicht sind Erklärungen keine Verhältnisse, sondern Beschreibungen. Aber natürlich kann man von einem sozialen Verhältnis sprechen, wenn ein Mensch die Erklärung eines andern Menschen akzepziert oder zurückweist. ( zurück)
21) Dann kann ich die Operation beschreiben: Eine Einladung, das Akzeptieren der Einladung, das gemeinsame Hingehen. Diese Operationen ermöglichen mein Phänomen. Natürlich kann der junge Mann seine Grossmutter auch ganz zufällig im Cafe getroffen haben. Es gibt ganz viele Erklärungen, nur das "Grossmuttersein" alleine ist noch keine Erklärung.
In der Erklärung können auch Gründe dafür genannt werden, warum welche Operationen zu welchen Resultaten führen. Oft werden sogar finale und kausale Begründungen selbst als Erklärungen betrachtet. Diese Begründungen gehören aber nicht zur Erklärung im engeren Sinne. Erklärungen beruhen natürlich oft auf kausalen Gründen, aber eine operative Beschreibung beinhaltet wesentlich mehr, sie beruht auf einer Wahl einer Kausalität.
Man kann - W. Quine und Aristoteles tun es - Erklärungs-Richtungen als Ursachen und Gründe unterscheiden. Erstere sind kausal (weil), die andern final (damit). Man kann auch über die Funktion von weil und damit in sprachlichen Erklärungen nachdenken. ( zurück)
22) Die Geschichte steht in Einführung in die Kybernetik
:96. Der Idealismus des rein Geistigen, der wie der Materialismus oder der Konstruktivismus eine beliebige Beobachter-Haltung darstellt, ist eine sehr verbreitete Auffassung, die sich keineswegs nur gegen mechanistisches Denken richtet. Information, um nur ein typisches Beispiel zu nennen, wird sehr oft als etwas Immaterielles bezeichnet. Viele Menschen folgern aus der Tatsache, dass ein Zeichen oder ein System beliebige Träger haben kann, dass der Träger überhaupt irrelevant sei. ( zurück)
23) Ich habe die Antwort auf den Brief noch nicht gesehen, aber mit etwas Systemtheorie lässt sich die Lösung sicher finden. ( zurück)
24) Zum Verhältnis zwischen Theorie und Praxis gibt es unzählige Vorstellungen. Hier verwende ich die Begriffe in Abhängigkeit von der Intention beim Konstruieren. Wenn ich eine Maschine baue, damit die Tempeltüren aufgehen, bin ich praktisch, wenn ich diese Maschine konstruiere, um das Phänomen zu erklären, bin ich theoretisch.
Natürlich konstruiere ich die Maschine nicht von neuem, wenn es die Maschine bereits gibt. Im praktischen Fall muss ich aber die Maschine für jeden einzelnen Tempel neu herstellen, während mir im theoretischen Fall die gleiche Maschine beliebig oft dient.
Louis Althusser spricht von "theoretischer Praxis", er sagt, dass das Erklären selbst eine Art von Praxis sei, die mit Begriffen operiere, während es umgekehrt gar keine Praxis gebe, die ohne Theorie im Sinne einer Konzeptualisierung der Wirklichkeit auskomme. Natürlich kann ich die Produktion von Texten, die ich beim Erklären verwende, als artefaktische Praxis auffassen: ich stelle Text in meine Um-Welt und verändere sie so. ( zurück)
25) Ich bezeichne diese Inversion als abduktives Verfahren, weil es logisch natürlich unsinnig ist. Ich gebe ein Beispiel: Ich finde vor meiner Garage ein sicher hergestelltes "Ding", von dem ich dann annehme, dass es ein Teil eines meiner Fahrzeuge sein könnte. Ich untersuche, wie es wohl wo befestigt war, und welche Teile davon wie beweglich sind, um so Aufschluss zu kriegen, von welchem Fahrzeug es abgefallen ist, und welche Funktion es an diesem Fahrzeug hatte. Das sind ganz wunderbare Verfahren und E. de Bono hat dazu eine ganze Psychologie entwickelt.
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26) Golem bedeutet die Materie (wörtlich formloser Klumpen), aus welcher Menschen geschaffen sind. In der Kabala steht - leider gut verschlüsselt - wie man den Golem formt und zum Leben erweckt. Das ist noch nicht oft gelungen. Der Legende nach gelang es aber dem Rabi Löw. Löw lebte 1525 - 1609 in Prag (dem Zentrum des europäischen Judentums), war Rabbiner und Kabbalist und hieß eigentlich Rabbi Judah Loew ben Bezalel. Er erschuf nach dem traditionellen Ritus einen Golem, der ihm aufs Wort gehorchte. Der Golem beschützte die Juden des Prager Ghettos. Er wurde jeden Freitag vor dem Sabbat vom Rabbi "zurückverwandelt". Einmal vergaß Löw seinen Golem. Dieser geriet in Zorn und zerstörte das Ghetto und zündete es an. Doch Sabbat hatte noch nicht begonnen und Löw konnte Golem ruhigstellen. Danach wurde Golemnie wieder erweckt. Überreste ruhen laut der Legende auf dem Dachboden der Pragersynagoge.
Golem ist das literarische Urbild von vielen Geschichten wie Franenstein, Sandmann, Pinoccio, er hat aber seinerseits auch Urbilde, etwa im Pygmalion.
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27) Ich unterscheide zwischen trennen und unterscheiden. Bei einem Stabmagneten etwa unterscheide ich zwei Pole, die ich nicht trennen kann. Schneide ich den Stab entzwei, hat jeder Teil wiederum die beiden unterscheidbaren Pole.
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28) Die Kybernetik (die manchmal auch ganz schlicht Automatik heisst) erhielt ihren Namen in Anlehnung an das von C. Maxwell 1868 beschriebene Beispiel für Rückkoppelungsmechanismen. C. Maxwell nannte den Fliehkraftregler ”Governor”, weil er im Prinzip einen Schiffssteuermann ersetzen konnte (Wiener 1963:39). ”Governor” seinerseits wurde bereits von A. Ampère im Sinne von Plato für die politische Steuerung verwendet. Bei Plato, der den Staat mit einem Schiff verglich, hiess der Steuermann Kybernetes (Ilgauds 1980:58f)).
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29) Darin zeigt sich auch ein wesentlicher Unterschied zwischen Systemtheorie und Systemdynamics. Die Systemtheorie problematisiert die Systemgrenzen, während die Systemdynamics die Systeme gar nicht bezeichnet, sondern als Prozesse über Variablen definiert.
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30) Ich kann die ganze Geschichte noch etwas komplizierter sehen: Im Falle meiner Oelheizung muss das Oel zum Brenner fliessen. Davor ist das Oel im Tank gelagert. Im Zustand der Lagerung hat das Oel potentielle Energie. Wenn es zum Oelbrenner fliesst, hat es also seinen energetischen Zustand verändert. Die Energie dient weder der Heizun noch dr Steuerung, obwohl sie auch nötig ist, damit die Heizung funktioniert. Das heisst ich nehme ganz bestimmte Aspekte in meine Systembetrachtung und lasse ganz viele andere weg. Anhand des konkreten Mechanismus kann ich mir bewusst machen, wovon ich spreche und wovon nicht.
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31) In der deutschen Philosophen-Tradition von I. Kant bis G. Hegel ist System ein Synonym für Lehre oder für das Lehrgebäude.
L. von Bertalanffy publizierte seine Auffassung von Systemen seit 1928, im Buch "Theoretische Biologie" (1932) führte er den Begriff "offenes System" ein, den Ausdruck "System" verwendet er 1940 im Titel: Der Organismus als System betrachtet und 1945 (also quasi mitten im verlorenen Krieg) publiziert er "Zu einer allgemeinen Systemlehre". Danach folgen seine einschlägigen Publikationen Schlag auf Schlag: Das biologische Weltbild (1949), An Outline of General System Theory und The Theory of Open Systems in Physics and Biology (1950), Biophysik des Fliessgleichgewichts (1953) und schliesslich General System Theory (1968).
Die Systemlehre von L. von Bertalanffy ist eine Lehre keine Theorie. Das Label "General System Theory" ist das Resultat eines wohl bewusst gemachten Uebersetzungsfehler, weil L. von Bertalanffy immer gehen die Kybernetik, also gegen die Systemtheorie im engeren Sinne ankämpfte.
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32) Aristoteles hat den Menschen noch wie einen Mähdrescher konzipiert: Vorne geht etwas rein und hinten kommt etwas raus. Die im Wortsinn "passierende" Umwandlung gibt dem Menschen Kraft. Dass Lebewesen sich mit diese "stofflichen Kraft" autopoietisch selbstreproduzieren, hat Aristoteles noch nicht gesehen. L. von Bertalanffy hat es zwar gesehen, aber erst H. Maturana hat es konsequent - als Bestimmung von Leben - gesehen. L. von Bertalanffy ist unter dem Einfluss der Kybernetik quasi abgedriftet und hat eine wesentliche Funktionsweise, nämlich das von ihm sogenannte Fliessgleichgewicht entwickelt, das später von I. Prigogine aufgegriffen wurde.
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33) Soweit ich sehen kann, ist die Irritation nachhaltig, denn auch heute noch wird die Systemlehre beliebig mit der Systemtheorie vermischt und verwechselt. Das Werk von L. von Bertalanffy wird - wie jenes von K. Zuse - oft als deutscher Vorläufer der amerikanischen Erfolgsgeschichte dargestellt, obwohl er auf die Kybernetik so wenig Einfluss hatte, wie K. Zuse auf die Entwicklung von Computern. So schreibt etwa (R. Riedl (:9) "Die Systemtheorie ist [...] in der Biologie entstanden. Sie geht auf meine Lehrer von Bertalanffy und Paul Weiss in Wien zurück und untersucht die Ursachenzusammenhänge in komplexen Systemen, namentlich deren Wechselbezüge". Nachdem H. Maturana als Biologe im Kontext der Kybernetik die Autopoiese entwickelt hatte, sahen viele Schüler von L. von Bertalanffy, dass dieser wohl die Autopoiese gemeint hatte. Nur finde ich bei kaum einem Autoren radikalere Formulierungen zu operationell geschlossenen Systemen als bei H. Maturana.
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34) Die klassische Wahrnehmungsforschung untersucht, wie Menschen "wahrnehmen". Die Wahrnehmung wird dabei im wesentliche rezeptiv verstanden, auch dort, wo man von grossen Rechenleistungen bei der sogenannten Bildverarbeitung im Gehirn spricht. Der passive Aspekt ergibt sich durch die Reihenfolge, wonach die wahrgenommene Sache Primat vor dem Beobachter hat. Typische Untersuchungsgegenstände sind optische Täuschungen, denen die Wahrnehmung ausgeliefert ist. Konstruktivisten wie S. Ceccato und J. Piaget haben ihr Interesse an der rezeptiven Wahrnehmung sehr rasch verloren. Bei H. Maturana kann man den Uebergang von Wahrnehmungsexperimenten zu epistemologischen Fragen sehr genau verfolgen. Mittlerweile gibt es auch postmodernen Ansätze in der Neurophysiologie, die Wahrnehmung als eigentliche Handlung auffassen. Nur hat die Neurophysiologie natürlich kein handelndes Subjekt, das sie Verhaltensweisen von neuronalen Netzwerken beschreibt.
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Im autopoietischen Ansatz von H. Maturana sind die Handlungszusammenhänge problematisch, weil sie von den autopoietischen Maschinen, die zunächst Einzeller sind, entwickelt werden müssen. H. Maturana spricht von "konsensuellen Bereichen", die es ermöglichen, strukturelle Koppelungen zu deuten. N. Luhmann verkehrt die Sache ganz und spricht von "funktionalen Systemen" wie Kunst oder Wissenschaft, in welchen Deutungen nicht nur schon vorhanden sind, sondern die Menschen nur als Deutungsträger fungieren. In beiden Fällen werden die Frames mit dem gesunden Menschenverstand gewählt, den eben jeder deutende Beobachter einfach hat.
Im Konstruktivismus im engeren Sinne ist theoretisch reflektiert, dass Menschen als toolmaking animals wirklich Funktionen konstruieren, die konsensuelle Bereiche begründen, die weder biologisch noch durch Luhmanns theoretische Gnaden begründet werden müssen, sondern einfach der materiellen Produktion entstammen - ganz wie Faust es sagt: "Am Anfang war die Tat!"
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36) Gedächtnis ist eine Metapher, die auf kybernetisch zentrale Prozesse verweist.
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37 Ich werde später genauer sagen, wie ich in diesem Kontext als Interpretation bezeichne. Jede Erklärung ist auch eine Interpretation des erklärten Phänomens. Der Konstrukteur eines Antiblockierbremssystem interpretiert beispielsweise das durchgedrückte Bremspedal als Wunsch zu Bremsen. Es gibt aber auch andere Gründe dafür, das Bremspedal durchzudrücken: Im Rennsport wird damit oft ein bewusstes Schleudern ausgelöst, was natürlich mit einem Antiblockiersystem nicht geht.).
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38 Solche Unterscheidungen werden umgangssprachlich oft als Theorie bezeichnet, weil viele Argumentationen mit solchen Unterscheidungen beginnen. Hier dient die Unterscheidung zur Beschreibung der Funktionsweise eines Automaten.).
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